Bei der Prüfung des Anspruchs auf Kindergeld sind negative Einkünfte eines Kindes mit dessen Bezügen zu verrechnen
Leitsatz
Bei der Ermittlung der Einkünfte und Bezüge eines Kindes sind auch vorab entstandene Werbungskosten aus einer Fortbildungsmaßnahme zu berücksichtigen.
Gesetze: EStG § 32 Abs. 4 Satz 2
Instanzenzug: Niedersächsisches FG (EFG 1998, 1416) (Verfahrensverlauf), ,
Tatbestand
Der 1973 geborene Sohn (S) der Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin) war nach Abschluss seiner Berufsausbildung als Büroinformationselektroniker von Februar 1993 bis Juni 1995 im erlernten Beruf tätig. In der Zeit von August 1995 bis Juni 1997 besuchte er zu Fortbildungszwecken eine Fachschule für Medizintechnik, die er als staatlich geprüfter Techniker der Fachrichtung Medizintechnik abschloss. Im Streitjahr 1996 bezog S Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) und eine Waisenrente. Das Arbeitsamt - Familienkasse - (Beklagter und Revisionskläger - Beklagter) ermittelte die Einnahmen des S mit 12 786 DM (9 021 DM BAföG und 3 765 DM Waisenrente). Nach Abzug einer Unkostenpauschale von 360 DM und eines Werbungskosten-Pauschbetrags von 200 DM ergaben sich nach Ansicht des Beklagten Einkünfte und Bezüge in Höhe von 12 226 DM. Daraufhin setzte er das Kindergeld ab Januar 1996 rückwirkend auf 0 DM fest und forderte das im Streitjahr gezahlte Kindergeld in Höhe von 3 600 DM zurück.
Mit der nach erfolglosem Vorverfahren erhobenen Klage focht die Klägerin die rückwirkende Änderung der Kindergeldfestsetzung und die Rückforderung des für 1996 gezahlten Kindergeldes an. Denn die Bezüge des S seien durch die im Zuge der Fortbildungsmaßnahme angefallenen Werbungskosten in Höhe von 11 057 DM zu mindern. Das Finanzgericht (FG) gab der Klage aus den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1998, 1416 veröffentlichten Gründen statt. Es führte im Wesentlichen aus: Zutreffend habe der Beklagte zwar sowohl die BAföG-Leistungen als auch die Waisenrente berücksichtigt. Zu Unrecht seien bei der Ermittlung der Einkünfte und Bezüge aber die dem S entstandenen Werbungskosten für 1996 außer Betracht geblieben. Zwischen den Beteiligten sei unstreitig, dass es sich bei den von S 1996 aufgewendeten - und vom zuständigen Finanzamt (FA) im Einkommensteuerbescheid 1996 vom in Höhe von 11 057 DM als Werbungskosten anerkannten - Kosten um vorweggenommene Werbungskosten bei den Einkünften aus nicht selbständiger Arbeit handle. Dem folge das Gericht, denn Ausbildungskosten i. S. von § 10 Abs. 1 Nr. 7 des Einkommensteuergesetzes (EStG) schieden insoweit aus, da die Aufwendungen der weiteren Qualifizierung (Spezialisierung) im schon erlernten Beruf gedient hätten. Es entspreche dem Zweck des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG, dass ein negativer Gesamtbetrag der Einkünfte etwa vorhandene anrechenbare Bezüge mindere. Denn die Leistungsfähigkeit des Kindes sei durch die Werbungskosten gemindert.
Mit der Revision trägt der Beklagte vor, § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG unterscheide ausdrücklich zwischen steuerbaren Einkünften und nicht steuerbaren Bezügen des Kindes. Eine Saldierung von negativen Einkünften mit den Bezügen komme nicht in Betracht. Von den Bezügen sei aus Vereinfachungsgründen lediglich ein Unkostenpauschbetrag von 360 DM je Kalenderjahr abzuziehen, wenn nicht höhere Aufwendungen nachgewiesen würden (, BFHE 160, 490, BStBl II 1990, 885). Ein allgemeiner Werbungskostenabzug scheide aus, weil S die Leistungen nach dem BAföG gerade für diese Kosten erhalte. Vorweggenommene Werbungskosten könnten sich als Verlustabzug oder nach § 10 d EStG steuermindernd auswirken. Sie lösten deshalb keine Unterhaltsbelastung bei den Eltern aus, die bei diesen über das Kindergeld steuermindernd zu berücksichtigen sei.
Der Beklagte beantragt, das Urteil der Vorinstanz aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Sie ist unter Bezugnahme auf die Begründung des FG der Ansicht, dass die negativen Einkünfte des S in Höhe von 11 057 DM mit den Bezügen zu verrechnen seien: Denn die von S aufgewandten Werbungskosten hätten ihm für seinen Lebensunterhalt nicht mehr zur Verfügung gestanden. Ob die negativen Einkünfte in anderen Veranlagungszeiträumen berücksichtigt werden könnten, sei unerheblich.
Gründe
Die Revision ist unbegründet und war deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
1. Der Kindergeldanspruch für 1996 beruht auf § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Satz 1 und 2 i. V. m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG. Danach besteht Anspruch auf Kindergeld für ein Kind, das das 18., aber noch nicht das 27. Lebensjahr vollendet hat, wenn es für einen Beruf ausgebildet wird.
a) Die Beteiligten haben zu Recht nicht in Zweifel gezogen, dass S im Streitjahr 1996 i. S. von § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG ,,für einen Beruf ausgebildet'' worden ist. Im Rahmen der Altersgrenze des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 i. V. m. Abs. 5 EStG ist eine Berufsausbildung ungeachtet dessen zu berücksichtigen, ob es sich um die erste oder eine weitere Ausbildung handelt bzw. ob eine zusätzliche Ausbildungsmaßnahme einer beruflichen Qualifizierung oder einem anderen Beruf dient.
b) S hat im Rahmen seines zusätzlich angestrebten Berufsziels als staatlich geprüfter Medizintechniker den Erwerb von Kenntnissen, Fähigkeiten und Erfahrungen bei organisatorischer Eingliederung in den Fachschulbetrieb in einer Art und Weise verfolgt, die keinen Zweifel aufkommen lässt, dass inhaltlich von einer Ausbildung gesprochen werden kann (vgl. hierzu , BFHE 189, 88, BStBl II 1999, 701; VI R 34/98, BFHE 189, 95, BStBl II 1999, 705; VI R 50/98, BFHE 189, 98, BStBl II 1999, 706; VI R 92/98, BFHE 189, 103, BStBl II 1999, 708, und VI R 143/98, BFHE 189, 107, BStBl II 1999, 710; Greite, Neue Wirtschafts-Briefe - NWB - Fach 3, 10873 ff.).
2. Der Kindergeldanspruch ist nicht wegen der Einkünfte und Bezüge des Kindes zu versagen. Es kann dahinstehen, ob und ggf. in welcher Höhe die BAföG-Leistungen als Bezüge anzusetzen sind (vgl. Dienstanweisung zur Durchführung des Familienleistungsausgleichs nach dem X. Abschnitt des Einkommensteuergesetzes - DA-FamEStG - 63.42.6 Abs. 2 Nr. 1 BStBl I 2000, 680). Denn das FG hat die Summe aus Bezügen und positiven Einkünften zu Recht mit vorweggenommenen Werbungskosten verrechnet, die mit der Ausbildung zusammenhingen.
a) Der Senat hat bereits im Beschluss vom VI B 293/98 (BFH/NV 1999, 921) bei summarischer Prüfung eine derartige Verrechnung für möglich gehalten. Hieran hält er in der Sache fest. Der Begriff der ,,Einkünfte'' in § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG entspricht der Legaldefinition des § 2 Abs. 2 EStG. Zur Begründung im Einzelnen wird auf das zur Veröffentlichung bestimmte Urteil vom VI R 153/99 (Deutsches Steuerrecht 2000, 1642) verwiesen. Dies rechtfertigt ebenfalls, bei Auslegung des Begriffs ,,Einkünfte'' in § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG Erwerbsaufwendungen in Form von vorweggenommenen Werbungskosten abzuziehen.
b) Die Würdigung des FG, dass die auf der Ausbildung als Büroinformationstechniker aufbauende Spezialisierung zum Medizintechniker als Fortbildung anzusehen ist, ist nicht zu beanstanden. In Übereinstimmung hiermit hat auch der Beklagte ausdrücklich anerkannt, dass die streitigen Aufwendungen ihrem Charakter nach vorweggenommene Werbungskosten sind.
c) Der Einwand des Beklagten, dass die steuerliche Abzugsfähigkeit von Aufwendungen beim Kind nicht über das Kindergeld zu einer doppelten Berücksichtigung führen dürfe, greift nicht durch. Vielmehr wird durch die rechtstechnische Anknüpfung an den Begriff der Einkünfte bewirkt, dass insofern nur Nettobeträge in die Summe eingehen, die - wenn sie den Jahresgrenzbetrag überschreitet - zum Verlust des Kindergeldes führt. Da Einkünfte und Bezüge des Kindes nicht auf das Kindergeld angerechnet werden, sondern dieses erst bei Überschreiten des Jahresgrenzbetrages versagt wird, hat dies, insbesondere wenn der Jahresgrenzbetrag fast erreicht wird, notwendigerweise eine aus Gründen einfacher Handhabung in Kauf genommene zusätzliche Entlastung zur Folge. Eine Abweichung zu dem vom Beklagten herangezogenen BFH-Urteil in BFHE 160, 490, BStBl II 1990, 885 liegt schon deswegen nicht vor, weil das Kind S keinen von einem Arbeitgeber gemäß § 40 a EStG pauschal versteuerten Arbeitslohn bezogen hat und im dortigen Fall zudem feststand, dass im Zusammenhang mit diesen Bezügen keine höheren Aufwendungen angefallen sind, als der vom dortigen Beklagten berücksichtigte Unkostenpauschbetrag von 360 DM.
3. Danach hat das FG der Klage im Streitfall zu Recht stattgegeben. Die dem S nach Saldierung von Einkünften und Bezügen verbleibenden Mittel überschreiten den Jahresgrenzbetrag von 12 000 DM nicht.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BStBl 2001 II Seite 107
BB 2000 S. 2350 Nr. 46
BFH/NV 2001 S. 97 Nr. 1
DStRE 2000 S. 1256 Nr. 23
FR 2000 S. 1293 Nr. 23
INF 2000 S. 763 Nr. 24
XAAAB-04123