Antrag auf schlichte Änderung: sachlicher Gehalt des Änderungsbegehrens muss innerhalb der Einspruchsfrist erkennbar werden
Leitsatz
Ein wirksamer Antrag auf „schlichte” Änderung nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO 1977 zugunsten des Steuerpflichtigen muss das verfolgte Änderungsbegehren innerhalb der Einspruchsfrist seinem sachlichen Gehalt nach zumindest in groben Zügen zu erkennen geben. Angaben zur rein betragsmäßigen Auswirkung der Änderung auf die Steuerfestsetzung (z.B.: „die Steuer auf…€ festzusetzen”) sind für einen wirksamen Antrag weder erforderlich noch —für sich genommen— ausreichend.
Gesetze: AO 1977 § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a
Instanzenzug: (EFG 2006, 312) (Verfahrensverlauf),
Gründe
I.
Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) waren —nachdem ihnen zuvor ein Zwangsgeld angedroht und dieses anschließend gegen sie festgesetzt worden war— als Ehegatten durch einen auf geschätzten Besteuerungsgrundlagen beruhenden und unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangenen Bescheid vom zur Einkommensteuer des Streitjahres 2000 zusammenveranlagt worden.
Mit Bescheid vom hob der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) den Vorbehalt der Nachprüfung nach § 164 Abs. 3 der Abgabenordnung (AO 1977) auf. Daraufhin stellten die Kläger durch ihren steuerlichen Berater mit Schreiben vom einen „Antrag auf schlichte Änderung gemäß § 172 Abs. 1 Nr. 2a AO”, zu dem sie Folgendes ausführten: „Der Antrag bezieht sich auf den Bescheid für 2000 über Einkommensteuer vom . Die Besteuerungsgrundlagen wurden durch Schätzung ermittelt. Die Steuererklärung wird bis zum beim Finanzamt eingereicht. Es wird eine Herabsetzung auf 'Null' beantragt.”
Das FA lehnte den Änderungsantrag mit Bescheid vom mit der Begründung ab, eine Steuererklärung sei bis zu dem angekündigten Zeitpunkt nicht eingereicht worden. Gegen die Ablehnung legten die Kläger, wiederum vertreten durch ihren steuerlichen Berater, am Einspruch ein. Gleichzeitig stellten sie eine Abgabe der Steuererklärung bis zum in Aussicht. Am ging die Steuererklärung beim FA ein.
Mit Einspruchsentscheidung vom wies das FA den Einspruch gegen den Ablehnungsbescheid zurück. Im Wege der sog. „schlichten” Änderung dürfe ein Steuerbescheid zugunsten der Steuerpflichtigen nur geändert werden, soweit sie den Antrag auf Änderung vor Ablauf der Einspruchsfrist gestellt hätten. Diese Voraussetzung sei im Streitfall nicht erfüllt, denn die Kläger hätten einen entsprechend konkretisierten Änderungsantrag erst mit dem Einreichen der Steuererklärung am gestellt. Zu diesem Zeitpunkt sei die Einspruchsfrist (gegen den Bescheid vom ) bereits abgelaufen gewesen.
Das Finanzgericht (FG) hat der Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2006, 312 abgedruckten Gründen im Wesentlichen stattgegeben und das FA verpflichtet, über den Änderungsantrag unter Berücksichtigung der nachgereichten Einkommensteuererklärung zu entscheiden.
Mit der Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts.
Es beantragt sinngemäß, das angefochtene Urteil aufzuheben, soweit es der Klage stattgegeben hat, und die Klage auch insoweit abzuweisen.
Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen.
II.
Die Revision ist begründet. Sie führt —im Umfang des Revisionsantrags— zur Aufhebung des vorinstanzlichen Urteils und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung —FGO—).
Das FG hat das FA zu Unrecht verpflichtet, den Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr unter Berücksichtigung der Angaben in der Einkommensteuererklärung vom zugunsten der Kläger abzuändern. Der innerhalb der Einspruchsfrist gegen den Bescheid vom gestellte Antrag auf „schlichte” Änderung gemäß § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO 1977 war inhaltlich nicht hinreichend bestimmt und damit unwirksam.
1. Nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO 1977 darf ein Steuerbescheid, soweit er nicht vorläufig oder unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangen ist, nur aufgehoben oder geändert werden, soweit der Steuerpflichtige zustimmt oder seinem Antrag der Sache nach entsprochen wird; dies gilt indessen zugunsten des Steuerpflichtigen —abgesehen von der im Streitfall nicht einschlägigen Fallgestaltung, dass die Finanzbehörde einem Einspruch oder einer Klage abhilft— nur, soweit der Steuerpflichtige vor Ablauf der Einspruchsfrist zugestimmt oder den Antrag gestellt hat.
2. Ist —wie hier— eine Änderung zugunsten des Steuerpflichtigen beabsichtigt, so muss der Steuerpflichtige bis zum Ablauf der Einspruchsfrist einen bestimmten Antrag auf Änderung stellen. Dieses Erfordernis folgt, wie der (BFHE 172, 493, BStBl II 1994, 439) eingehend dargelegt hat, aus dem Wortlaut der genannten Vorschrift und aus dem Gesetzeszweck. Dagegen genügt es nicht, einen allgemein auf Änderung des Steuerbescheides gerichteten Antrag erst nach Ablauf der Rechtsbehelfsfrist zu konkretisieren und zu begründen. Ein solcher —zunächst nicht entsprechend konkretisierter— Antrag ist unwirksam und eine auf ihn gestützte Änderung des Steuerbescheides daher unzulässig (, BFHE 190, 285, BStBl II 2000, 283).
3. Nach diesen Maßstäben muss sich das vom Steuerpflichtigen verfolgte Änderungsbegehren seinem sachlichen Gehalt nach zumindest in groben Zügen bereits aus dem fristgerecht gestellten Antrag auf „schlichte” Änderung selbst ergeben. Entgegen der Rechtsauffassung des FG sind Angaben zur rein betragsmäßigen Auswirkung der Änderung auf die Steuerfestsetzung für die Bestimmtheit des Antrags weder erforderlich noch —für sich genommen— ausreichend.
a) Der Gesetzeswortlaut des § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO 1977 und seine systematische Stellung innerhalb des Gesetzes machen deutlich, dass die Norm nur eine punktuelle Änderung der ursprünglichen Steuerfestsetzung ermöglichen soll (BFH-Urteil in BFHE 172, 493, BStBl II 1994, 439). Das setzt den Bezug des Änderungsantrags zu einem konkreten Sachverhalt voraus.
aa) Denn die Änderung ist nach Halbsatz 1 der Vorschrift nur zulässig, soweit dem Antrag des Steuerpflichtigen „der Sache nach entsprochen wird”.
Darunter ist der Lebenssachverhalt zu verstehen, der nach Ansicht des Steuerpflichtigen in dem ursprünglichen Steuerbescheid nicht zutreffend gewürdigt worden ist und daher nunmehr bei der beantragten Änderung abweichend berücksichtigt werden soll. Die betragsmäßige steuerliche Auswirkung der Abweichung (der „Änderungsrahmen”) hingegen bildet diesen Lebenssachverhalt lediglich reflexartig ab, ohne dabei selbst zum Gegenstand des Änderungsantrags zu werden. Die Zustimmung des Steuerpflichtigen zu einer vom FA vorgeschlagenen Änderung (§ 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Halbsatz 1 1. Alternative AO 1977) wird im Regelfall ebenfalls auf die abweichende steuerliche Einordnung eines konkreten Sachverhalts gerichtet sein, da der Steuerpflichtige typischerweise nicht bereit sein wird, seine Zustimmung quasi „blanko” zu jedem beliebigen Änderungsvorhaben zu geben, solange es nur innerhalb eines vom FA zuvor vorgeschlagenen Änderungsrahmens liegt.
bb) Auch der Zusammenhang der Regelung mit den das Steuerfestsetzungsverfahren betreffenden Vorschriften über die „Bestandskraft” (so die Zwischenüberschrift vor den §§ 172 bis 177 AO 1977) legt es nahe, die antragsgebundene Möglichkeit einer „schlichten” Änderung auf einzelne, durch konkrete Lebenssachverhalte bestimmte Korrekturpunkte, nicht hingegen auf einen abstrakten „Änderungsrahmen” zu beziehen.
Mit Ablauf der Einspruchsfrist tritt regelmäßig die Bestandskraft des ursprünglichen Steuerbescheides ein, soweit die Steuerfestsetzung nicht im Hinblick auf die Anwendbarkeit einer Korrekturvorschrift offengeblieben ist. Zutreffend ist zwar, dass in diesem Zusammenhang nicht die einzelnen Besteuerungsgrundlagen in Bestandskraft erwachsen, sondern die Festsetzung der Steuer als solche. Indessen ermöglichen —von den Ausnahmetatbeständen des § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 (Änderung von Verbrauchsteuerbescheiden) und des § 177 AO 1977 (kompensatorische Berichtigung materieller Fehler) abgesehen— auch die übrigen Korrekturvorschriften der §§ 172 bis 177 AO 1977 eine erneute, abweichende Steuerfestsetzung ausschließlich der Sache, nicht aber der Höhe nach. Das Gesetz geht mithin im Grundsatz davon aus, dass generell die Bestandskraft nur insoweit durchbrochen bzw. die Steuerfestsetzung nur insoweit offengehalten werden kann, als in der Sache eine Änderungsmöglichkeit besteht. Der konkrete Änderungsrahmen —also die Frage, wie weit die Änderung dem festzusetzenden Steuerbetrag nach reicht— lässt sich zudem —jedenfalls bei einem nicht streng linear verlaufenden Steuertarif— auch bei Anwendung der genannten übrigen Korrekturtatbestände reflexartig erst dann feststellen, wenn von der Änderungsvorschrift tatsächlich Gebrauch gemacht wird.
cc) Dafür, dass zur Offenhaltung des Steuerbescheides im Wege des Antrags auf „schlichte Änderung” nicht die Nennung eines betragsmäßigen Änderungsrahmens, sondern das Kenntlichmachen einzelner sachverhaltsbezogener Korrekturpunkte erforderlich ist, spricht vor allem auch der gesetzessystematische und teleologische Vergleich des § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO 1977 mit den Vorschriften über den Einspruch.
So ist in § 367 Abs. 2 Satz 1 AO 1977 ausdrücklich geregelt, dass die Finanzbehörde, die über den Einspruch entscheidet, „die Sache in vollem Umfang erneut zu prüfen” hat. Da für das Verfahren über den Einspruch im Übrigen die Vorschriften sinngemäß gelten, die auch auf den Erlass des angefochtenen Steuerbescheides Anwendung finden (§ 365 Abs. 1 AO 1977), hat die Finanzbehörde, ohne dabei an das Vorbringen des Einspruchsführers gebunden zu sein, den Sachverhalt insgesamt erneut von Amts wegen zu ermitteln (§ 88 Abs. 1 AO 1977).
Vergleichbare Regeln für das Verfahren bei einem Antrag auf „schlichte” Änderung fehlen. Anders als der Einspruch soll der Antrag auf „schlichte” Änderung die Finanzbehörde nicht berechtigen, den gesamten Steuerfall neu aufzurollen (BFH-Urteil in BFHE 172, 493, BStBl II 1994, 439). Hier hat die Finanzbehörde vielmehr ausschließlich zu prüfen, ob sie dem Begehren des Antragstellers „der Sache nach” entsprechen kann. Um diese Aufgabe erfüllen zu können, muss für die Behörde erkennbar sein, auf welche sachverhaltsbezogenen Korrekturpunkte der Antrag zielt. Nur mit dieser Einschränkung gelangt bei der Bearbeitung auch § 88 AO 1977 zur Anwendung.
Die bloß betragsmäßige Benennung eines Änderungsrahmens ohne Angabe eines gegenüber den bisherigen Besteuerungsgrundlagen abweichenden Lebenssachverhalts ermöglicht der Behörde eine nur punktuelle Korrektur indessen gerade nicht. Eine solche Form der Antragstellung zwingt die Finanzbehörde vielmehr dazu, den Steuerfall entgegen dem Sinn des § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO 1977 doch in vollem Umfang erneut aufzugreifen. Anders als das FG offenbar annimmt gilt dies im Übrigen nicht nur dann, wenn eine Neufestsetzung der Steuer auf „Null” beantragt wird, sondern in allen Fällen, in denen die Steuer abweichend auf einen niedrigeren Betrag als denjenigen des zu ändernden Bescheides festgesetzt werden soll. Denn selbst eine noch so geringfügig verminderte Steuerfestsetzung (im Extremfall: um 1 €) kann letztlich auf jede beliebige geänderte Besteuerungsgrundlage und damit auf jeden nur denkbaren abweichenden Lebenssachverhalt zurückzuführen sein. Eine derart umfassende Überprüfung des Steuerfalles aber ist nach der Systematik der Änderungsvorschriften dem Einspruchsverfahren vorbehalten. Die bloße Vorgabe eines betragsmäßigen Änderungsrahmens wäre für die sachgerechte Bearbeitung eines Antrags auf „schlichte” Änderung daher sinnlos.
b) Der Steuerpflichtige muss der Finanzbehörde den konkreten Lebenssachverhalt, auf den er das Änderungsbegehren zu seinen Gunsten stützt, zudem bis zum Ablauf der in § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO 1977 bestimmten Frist zumindest in seinen groben Zügen zu erkennen geben. Auch das folgt —entgegen der Ansicht des FG— aus Wortlaut und Entstehungsgeschichte sowie aus Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung.
aa) Seinem ausdrücklichen Wortlaut nach bestimmt Halbsatz 2 der Änderungsvorschrift, dass die Änderung nur zulässig ist, wenn der Steuerpflichtige den Antrag vor Ablauf der Einspruchsfrist gestellt hat. Mit dem hier genannten Antrag ist ersichtlich der Antrag im Sinne des vorangestellten Halbsatzes 1 der Vorschrift gemeint; das aber ist der Antrag, dem „der Sache nach entsprochen” werden soll und dem deswegen —wie bereits dargelegt— ein für die Finanzbehörde erkennbarer Bezug zu einem konkreten, abweichend zu würdigenden Lebenssachverhalt zugrunde liegen muss. Dafür, dass unter dem Antrag im Sinne des Halbsatzes 2 ein anderer, bloß auf betragsmäßige Neufestsetzung gerichteter Antrag ohne sachlichen Gehalt verstanden werden könnte, welcher erst zu einem späteren Zeitpunkt um die Benennung des für die Durchführung der Änderung erforderlichen Lebenssachverhalts ergänzt werden müsste, lässt sich dem Gesetzeswortlaut nichts entnehmen.
bb) In seiner ursprünglichen Fassung vom (BGBl I 1976, 613, BStBl I 1976, 157) hatte § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO 1977 die Aufhebung oder Änderung eines Steuerbescheides ermöglicht,
„falls der Steuerpflichtige zustimmt oder soweit einem Antrag des Steuerpflichtigen der Sache nach entsprochen wird; ist jedoch der Steuerbescheid bereits unanfechtbar geworden, so gilt dies nur zuungunsten des Steuerpflichtigen”.
Diese Regelung war für „schlichte” Änderungen zugunsten des Steuerpflichtigen aufgrund der knapp bemessenen Bearbeitungs- und Bekanntgabefrist kaum praktikabel gewesen (vgl. Rößler, Neue Wirtschafts-Briefe —NWB—, Fach 2, 4793; Lüdicke, Betriebs-Berater —BB— 1986, 1266; Krumsiek, Deutsche Steuer-Zeitung —DStZ— 1988, 85, 86). Aus diesem Grunde hat der Gesetzgeber den Anwendungsbereich der Norm im Zuge des Steuerbereinigungsgesetzes (StBereinG) 1986 vom (BGBl I 1985, 2436, BStBl I 1985, 735) insoweit ausgeweitet, als die Änderung eines Steuerbescheides zugunsten des Steuerpflichtigen seither auch dann noch zulässig ist, wenn —im Zeitpunkt der weiteren Antragsbearbeitung und der Bekanntgabe des Änderungsbescheides— die Rechtsbehelfsfrist bereits abgelaufen ist. Seit der Neuregelung bedarf es in solchen Fällen keines von Seiten des Steuerpflichtigen zugleich noch eingelegten förmlichen Einspruchs mehr.
Durch die Neufassung der Sache nach unberührt geblieben ist indessen das Erfordernis, jedenfalls den Antrag bis zu dem Zeitpunkt stellen zu müssen, in dem der zu ändernde Steuerbescheid unanfechtbar wird. Die Normentwicklung legt es nahe, dieses Erfordernis so zu verstehen, dass der Finanzbehörde die für die Bearbeitung des Antrags erforderlichen Korrekturpunkte innerhalb der Einspruchsfrist so hinlänglich bezeichnet werden müssen, dass ihr die anschließende Bearbeitung des Änderungsantrags auch tatsächlich möglich ist. Denn einem Antrag, der diese Mindestvoraussetzung nicht erfüllte, wäre auch nach der vor Inkrafttreten des StBereinG 1986 geltenden Rechtslage der Erfolg schon deswegen versagt geblieben, weil die Behörde in Ermangelung eines Einspruchs gerade nicht verpflichtet war, die Sache von sich aus in vollem Umfang erneut zu prüfen. Auf das Problem der zu knappen Bearbeitungs- und Bekanntgabefrist wäre es für den Misserfolg eines solchen Antrags demnach gar nicht mehr angekommen. Dafür, dass mit der Neuregelung zugleich auch diese Fälle erfasst werden sollten —bei denen nicht bloß das Ende, sondern bereits der Beginn der eigentlichen Antragsbearbeitung beim FA bis zu einem Zeitpunkt nach dem Eintritt der Bestandskraft des zu ändernden Bescheides hinauszuschieben gewesen wäre—, finden sich in der Gesetzesbegründung (Bericht des Finanzausschusses, BTDrucks 10/4513, S. 16 f.) keinerlei Anhaltspunkte.
cc) Ein Normverständnis des § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO 1977, das der Finanzbehörde die Verpflichtung auferlegen würde, den Steuerfall entweder insgesamt wieder aufzurollen oder den Steuerpflichtigen zumindest von Amts wegen zur Mitwirkung und zur nachträglichen sachverhaltsbezogenen Konkretisierung seines zunächst bloß betragsmäßig fixierten Änderungsbegehrens aufzufordern, entspräche schließlich auch nicht dem Sinn des „schlichten” Änderungsverfahrens. Denn dieses Verfahren ist —anders als das Einspruchsverfahren— darauf gerichtet, zügig, einfach und ohne strengen Formzwang zu einer punktuellen Korrektur des Ausgangsbescheides zu gelangen.
Wäre die Rechtsauffassung des FG zutreffend, so würde dem Steuerpflichtigen dadurch zudem —ohne dass dafür ein sachlicher Grund gegeben wäre— die Möglichkeit eröffnet, in rechtsmissbräuchlicher Weise (Bilsdorfer, Die Information über Steuer und Wirtschaft —Inf— 1997, 648, 649) die nachteiligen Rechtsfolgen einer Präklusion nach § 364b Abs. 2 Satz 1 AO 1977 durch Ausweichen auf das Verfahren nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO 1977 zu umgehen (dahin zielen die Ausführungen von Pietsch, NWB, Fach 2, 6785: „Antrag auf schlichte Änderung als Umgehungsmöglichkeit der Präklusionsfrist”, mit der ausdrücklichen Empfehlung, „bei einem Schätzungsbescheid…immer den Antrag auf Änderung auf 'Null' zu stellen”). Dies würde dem Regelungszweck des § 364b AO 1977 zuwiderlaufen, ein Handlungsinstrument gegen Verfahrensverzögerungen insbesondere in solchen Fällen bereitzustellen, in denen —gegebenenfalls erst nach Jahren— Steuererklärungen oder sonstige steuerlich relevante Erklärungen erstmals abgegeben werden (Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses, BTDrucks 12/7427, S. 37).
c) Entgegen der —nicht näher begründeten— Ansicht des FG setzt sich die dargelegte Auslegung nicht in Widerspruch zu dem rechtsstaatlich verbürgten Gebot eines fairen Verfahrens.
Ist der Steuerpflichtige imstande, der Finanzbehörde innerhalb der durch § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Halbsatz 2 AO 1977 bestimmten (Einspruchs-)Frist einen dem Steuerbetrag nach konkretisierten Änderungsrahmen vorzugeben, so ist es ihm auch ohne weiteres zuzumuten, im gleichen Zeitraum die steuerlichen Tatsachen zumindest in groben Umrissen zu benennen, aus denen sich die errechnete Steuer bei der beantragten geänderten Festsetzung ergibt. Dies gilt umso mehr, als der Steuerpflichtige das FA erst durch diese Angaben in die Lage versetzt, mit der eigentlichen Bearbeitung des Änderungsbegehrens beginnen zu können. Verfügt der Antragsteller andererseits zum maßgeblichen Zeitpunkt über derartige Sachverhaltserkenntnisse noch nicht —etwa, weil er (wie offenbar im Streitfall) die zur Erstellung der Steuererklärung erforderlichen Angaben noch nicht vollständig zusammengetragen hat—, so ist jede konkrete Bezifferung eines Änderungsrahmens notwendigerweise willkürlich und zielt damit „ins Blaue” (Ruppel, Deutsches Steuerrecht —DStR— 1995, 205, 207). Unter solchen Umständen ist allein das Einspruchsverfahren (mit den damit verbundenen Präklusionsmöglichkeiten gemäß § 364b AO 1977) die zur Offenhaltung der Veranlagung geeignete Verfahrensart.
4. Daraus folgt, dass ein Antrag auf „schlichte” Änderung nicht hinreichend bestimmt ist, wenn er —wie im Streitfall— lediglich auf die Herabsetzung der Steuer auf „Null” oder auf einen beliebigen anderen, näher bezeichneten Betrag gerichtet ist. Das gilt auch dann, wenn der Antrag hinsichtlich der Korrekturpunkte im Einzelnen auf eine zu einem späteren Zeitpunkt (außerhalb der Einspruchsfrist) nachzureichende Steuererklärung verweist (gleicher Ansicht: Bilsdorfer, Inf 1997, 648, 649; s. auch FG des Landes Brandenburg, Urteil vom 3 K 1011/98 E, juris Nr: STRE200070315 —insoweit nicht abgedruckt in EFG 2000, 424—; Lüdicke, BB 1986, 1266, Krumsiek, DStZ 1988, 85, 87; Mihatsch, Die steuerliche Betriebsprüfung 1988, 149, 154; Ruppel, DStR 1995, 205, 207; v. Groll in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 172 AO Rz 137; v. Wedelstädt in Woerner/Grube, Aufhebung und Änderung von Steuerverwaltungsakten, 9. Aufl., Rz 740 f., und Klein/Rüsken, AO, 9. Aufl., § 172 Rz 35; anderer Auffassung: Pietsch, NWB, Fach 2, 6785, 6786, sowie —neben der Vorinstanz— , EFG 2000, 1044; Frotscher in Schwarz, AO, § 172 Rz 22; Loose in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 172 AO Rz 35; Rößler, NWB, Fach 2, 4793, 4796 f.; noch weitergehend: Hufeld/Abeln, Juristische Schulung 1999, 684, 685).
Die Vorentscheidung ist von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen; sie war daher aufzuheben. Das FA hat den —zum einen durch einen Angehörigen der steuerberatenden Berufe und zum anderen ausdrücklich als solchen gestellten— Antrag der Kläger auf „schlichte” Änderung zu Recht abgelehnt. Da die Sache spruchreif ist, war die Klage abzuweisen.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
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Fundstelle(n):
BStBl 2007 II Seite 503
AO-StB 2007 S. 118 Nr. 5
BB 2007 S. 872 Nr. 16
BStBl II 2007 S. 503 Nr. 11
DB 2007 S. 897 Nr. 16
DStR 2007 S. 757 Nr. 17
DStRE 2007 S. 659 Nr. 10
DStZ 2007 S. 369 Nr. 12
GStB 2007 S. 17 Nr. 5
HFR 2007 S. 531 Nr. 6
INF 2007 S. 321 Nr. 9
KÖSDI 2007 S. 15549 Nr. 5
NWB-Eilnachricht Nr. 15/2007 S. 1211
SJ 2007 S. 8 Nr. 10
StB 2007 S. 166 Nr. 5
StBW 2007 S. 5 Nr. 8
StuB-Bilanzreport Nr. 9/2007 S. 364
BAAAC-41539