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NWB Nr. 4 vom Seite 262

Geplante Änderungen bei der Anti-Treaty-Shopping-Regelung des § 50d Abs. 3 EStG

Sachliche Entlastungsberechtigung einer ausländischen Gesellschaft und Gegenbeweis

Prof. Dr. Siegfried Grotherr

[i]Kahlenberg, NWB 48/2018 S. 3524Der EuGH hatte mit Beschluss v.  - Rs. C-440/17 „GS“ (NWB NAAAG-87490) entschieden, dass die Anti-Treaty-Shopping-Regelung des § 50d Abs. 3 EStG gegen das Unionsrecht verstößt. Die Finanzverwaltung hatte bereits vorher mit (BStBl 2018 I S. 589) gewisse Korrekturen bei der Anwendung der Vorschrift vorgenommen, konnte damit den unionsrechtswidrigen Zustand jedoch nicht beseitigen. Mit dem Gesetzentwurf eines Abzugsteuerentlastungsmodernisierungsgesetzes (Stand: ) soll diese Regelung zur Versagung eines [i] Gesetzentwurf http://go.nwb.de/7pykxdeutschen Entlastungsanspruchs bei Zwischenschaltung von ausländischen Gesellschaften durch nichtentlastungsberechtigte Anteilseigner auf „neue Füße“ gestellt werden. Die neue Regelung dürfte im Laufe dieses Jahres in Kraft treten. Sie ist in der Anwendung und Auslegung wie die bisherige Regelung äußerst komplex und kompliziert. Der nachfolgende Beitrag beleuchtet wesentliche geplante Neuerungen der Vorschrift.

Eine Kurzfassung des Beitrags finden Sie .

I. Unionsrechtlicher Hintergrund der geplanten Änderungen in § 50d Abs. 3 EStG

[i]BMF-Schreiben v. 4.4.2018 als erster „Reformschritt“Der EuGH hatte mit Urteil v.  - Rs. C-504/16 und C-613/16 „Deister Holding“ und „Juhler Holding“ (NWB CAAAG-69289) entschieden, dass § 50d Abs. 3 EStG (in der Vorgängerregelung) gegen Art. 1 Abs. 2 der Mutter-Tochter-Richtlinie verstößt und mit der unionsrechtlich garantierten Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV) nicht vereinbar ist (s. hierzu z. B. Schnitger, IStR 2018 S. 169; Sumalvico, DB 2018 S. 1761; Kraft, S. 263NWB 8/2018 S. 473). Soweit die Urteilsgrundsätze auch auf die geltende Fassung des § 50d Abs. 3 EStG übertragbar waren, wurde der Anwendungsbereich für Entlastungsansprüche auf der Basis des § 43b EStG seitens der Finanzverwaltung im Erlasswege eingeschränkt (s. BStBl 2018 I S. 589; sowie Biebinger/Hiller, IWB 11/2018 S. 424; Weiss/Brühl, ISR 2018 S. 238; Schönfeld, IStR 2018 S. 325). Im Beschluss v.  - Rs. C-440/17 „GS“ (NWB NAAAG-87490) hat der EuGH auch bei der aktuellen Fassung des § 50d Abs. 3 EStG einen Verstoß gegen Art. 1 Abs. 2 der Mutter-Tochter-Richtlinie sowie gegen die Niederlassungsfreiheit erblickt (s. IStR 2018 S. 543 mit Anm. von Weiss/Brühl; hierzu auch Wagemann, IWB 21/2018 S. 829; Kahlenberg, NWB 48/2018 S. 3524; Oppel, ISR 2018 S. 450; Hennigfeld, DB 2018 S. 1760; zum Vorlagebeschluss des FG Köln s. Gebhardt, BB 2017 S. 2007; sowie Linn/Pignot, IWB 21/2017 S. 826).

[i]§ 50d Abs. 3 EStG unionsrechtswidrigArt. 1 Abs. 2 der Mutter-Tochter-Richtlinie steht nach diesem Beschluss der Regelung des § 50d Abs. 3 EStG entgegen, da

  • erstens diese Regelung nicht speziell bezweckt, von der Inanspruchnahme eines Steuervorteils rein künstliche Konstruktionen auszuschließen, [i]Wagemann, IWB 21/2018 S. 829die auf die ungerechtfertigte Nutzung des steuerlichen Vorteils ausgerichtet sind.

  • Zweitens stelle die Regelung anhand bestimmter Kriterien eine allgemeine Missbrauchsvermutung auf, ohne dass die Steuerbehörde einen Anfangsbeweis für das Fehlen wirtschaftlicher Gründe oder ein Indiz für den Missbrauch beizubringen hätte.

  • Drittens begründe § 50d Abs. 3 EStG eine unwiderlegbare Missbrauchsvermutung, da keine Gegenbeweismöglichkeit besteht, dass keine rein künstliche, jeder wirtschaftlichen Realität bare Konstruktion gegeben sei, die einzig und allein zur ungerechtfertigten Nutzung eines Steuervorteils geschaffen wurde.

  • Viertens laufe die Regelung dem Grundsatz zuwider, dass die Feststellung einer rein künstlichen Konstruktion verlange, dass in jedem Einzelfall eine umfassende Prüfung der betreffenden Situation vorgenommen wird. Gesichtspunkte wie die organisatorischen, wirtschaftlichen oder sonst beachtlichen Merkmale der Unternehmensgruppe, zu der die betreffende Muttergesellschaft gehört, sowie die Strukturen und Strategien dieser Gruppe müssten berücksichtigt werden.

[i]Unionsrecht verbietet RechtsmissbrauchAuf der anderen Seite hat der und C-117/16 „T Danmark u. a.“ (NWB AAAAH-12914) zur Befreiung von Gewinnausschüttungen vom Quellensteuerabzug unter Anwendung der Mutter-Tochter-Richtlinie ausgeführt, dass es für die Bekämpfung des Rechtsmissbrauchs keiner nationalen oder DBA-rechtlichen Regelung bedarf (zur Analyse des EuGH-Beschlusses s. Linn/Pignot, IWB 9/2019 S. 386; Schnitger, IStR 2019 S. 304; Prokisch, Global Taxes, TLE-030-2019). Es existiere der allgemeine Grundsatz des Unionsrechts, dass sich niemand missbräuchlich auf die Vorschriften des Unionsrechts berufen kann. Die nationalen Steuerbehörden und Gerichte seien aufgefordert, einem Steuerpflichtigen die Befreiung vom Steuerabzug an der Quelle der von einer Tochtergesellschaft an ihre Muttergesellschaft ausgeschütteten Gewinne gem. Art. 5 der Mutter-Tochter-Richtlinie auch dann zu verwehren, wenn dies nicht in einzelstaatlichen oder vertraglichen Bestimmungen vorgesehen sei.

[i]Bekämpfung von treaty shopping mittels DurchleitungsgesellschaftenDer deutsche Gesetzgeber sieht sich durch Art. 6 der Richtlinie (EU) 2016/1164 (sog. ATAD-Richtlinie) aufgefordert, die in der Richtlinienvorgabe enthaltene „Allgemeine Vorschrift zur Verhinderung von Missbrauch“, die innerstaatlich bereits durch § 42 AO ausgefüllt ist, für den Bereich der Quellensteuerentlastung zu präzisieren und die erfassten Sachverhalte damit aus dem Anwendungsbereich [i]Geißler, Missbrauch von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten, infoCenter, NWB TAAAA-41714 des § 42 AO herauszunehmen (§ 42 Abs. 1 Satz 2 AO). Darüber hinaus sieht sich der Gesetzgeber durch den in Aktionspunkt 6 des BEPS-Aktionsplans als politische Verpflichtung normierten Mindeststandard in der Pflicht (s. OECD, Preventing the Granting of Treaty Benefits in Inappropriate Circumstances, Action 6 − 2015 Final Report, Tz. 22 sowie S. 17), mit einer S. 264innerstaatlichen Missbrauchsbekämpfungsvorschrift gegen Durchleitungsfinanzierungsgestaltungen (conduit financial arrangements) vorzugehen, soweit nicht in einem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung bereits eine eigenständige Hauptzweckkriterium-Vorbehaltsklausel (principal purpose test) oder eine spezielle Missbrauchsvermeidungsvorschrift zur Verhinderung von Durchleitungsfinanzierungsgestaltungen enthalten ist (s. Begründung [i]Gesetzentwurf http://go.nwb.de/7pykxzu § 50d Abs. 3 EStG-E, Gesetzentwurf v. 20.1.2021, S. 64).

Im Weiteren soll zunächst kurz auf die Sachverhalte eingegangen werden, bei denen durch § 50d Abs. 3 EStG-E keine Versagung des deutschen Entlastungsanspruchs nach einem DBA, nach § 43b EStG (Umsetzung der Mutter-Tochter-Richtlinie), nach § 50g EStG (Umsetzung der Zinsen-Lizenzgebühren-Richtlinie) oder nach § 44a Abs. 9 EStG (unilaterale Kapitalertragsteuer-Erstattung an Körperschaften insbesondere in Nicht-DBA-Fällen) bei der Kapitalertragsteuer sowie beim Steuerabzug nach § 50a EStG erfolgt. Daran anschließend soll auf die wesentlichen Neuerungen im Vergleich zur bisherigen Regelung eingegangen werden, und zwar auf die sachliche Entlastungsberechtigung sowie die Möglichkeit des Gegenbeweises.