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Rückwirkende Rechnungsberichtigung und Vorsteuerabzug ohne ordnungsgemäße Rechnung
klärt nicht alle offenen Zweifelsfragen
[i] BMF, Schreiben v. 18.9.2020, NWB UAAAH-58776 Fehlerhafte Abrechnungen kommen in der Praxis immer wieder vor. Dass diese unter bestimmten Voraussetzungen den Vorsteuerabzug nicht infrage stellen bzw. auch rückwirkend korrigiert werden können, wurde vom EuGH und den deutschen Finanzgerichten bereits mehrfach klargestellt. Mit dem lang ersehnten Schreiben v. ( NWB UAAAH-58776 ) hat nun auch das BMF endlich zur Rückwirkung der Rechnungsberichtigung auf den Zeitpunkt der ursprünglichen Rechnungsausstellung sowie zum Vorsteuerabzug ohne ordnungsgemäße Rechnung Stellung genommen. Aus Sicht von Unternehmern und der umsatzsteuerlichen Beratungspraxis schaffen die Ausführungen zumindest in Bezug auf einige Themen Rechtssicherheit. So wird vom BMF z. B. klargestellt, dass eine rückwirkende Rechnungsberichtigung unter den allgemeinen Voraussetzungen auch durch Stornierung und Neuausstellung der Rechnung vorgenommen werden kann. Hinsichtlich anderer Unsicherheiten, z. B. den Anforderungen, die an eine mit Rückwirkung berichtigungsfähige Rechnung gestellt werden, enthält das Schreiben hingegen insbesondere mit Blick auf die Leistungsbeschreibung keine hinreichenden Aussagen. Streit mit den Finanzämtern scheint hier weiterhin vorprogrammiert.
Eine Kurzfassung des Beitrags finden Sie .
I. Hintergrund
[i] Scholz, Vorsteuerabzug, Grundlagen, NWB VAAAE-51939 Der Vorsteuerabzug setzt nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 2 UStG den Besitz einer ordnungsgemäßen Rechnung i. S. von §§ 14, 14a UStG voraus. Zu den Auswirkungen fehlender oder fehlerhafter Rechnungen auf den Vorsteuerabzug sowie zur Frage einer rückwirkenden Berichtigungsmöglichkeit haben sowohl der EuGH als auch die nationalen Finanzgerichte bereits mehrfach Stellung genommen.
1. Rechtsprechung des EuGH
a) Bedeutung einer ordnungsgemäßen Rechnung für den Vorsteuerabzug
[i]Rückwirkung bei Berichtigung fehlerhafter Rechnungsangaben und ...Den Ausgangspunkt in der Rechtsprechung des EuGH zur Bedeutung einer ordnungsgemäßen Rechnung für den Vorsteuerabzug bildet das Urteil in der Rechtssache „Terra Baubedarf-Handel“ (, NWB GAAAB-72592) aus dem Jahr 2004. Mit diesem Urteil hat der EuGH entschieden, dass der nachträglichen Erteilung einer Rechnung keine Rückwirkung zukommt und der Vorsteuerabzug damit erstmalig für den Besteuerungszeitraum zulässig ist, in dem die Eingangsleistung empfangen wurde und eine ordnungsgemäße Rechnung vorliegt. Dass der Vorsteuerabzug nur dann möglich ist, wenn die Rechnungsangaben inhaltlich zutreffend sind, S. 3389wurde vom EuGH in der Rechtssache „Pannon Gép Centrum kft“ klargestellt (, NWB HAAAD-47830). In diesem Urteil hat der EuGH aber erstmals auch darauf hingewiesen, dass die Berichtigung fehlerhafter Rechnungsangaben auf den Zeitpunkt der erstmaligen Rechnungserteilung zurückwirken kann.
b) Keine Unterscheidung zwischen fehlerhaften und fehlenden Angaben
[i]... bei Ergänzung fehlender RechnungsangabenDie Frage, ob auch die Ergänzung fehlender Rechnungsangaben rückwirkend möglich ist, hat der EuGH dann schließlich in der Rechtssache „Senatex“ bejaht (, NWB XAAAF-82024). Damit wurde klargestellt, dass der EuGH hinsichtlich des Zeitpunkts der Wirkungen einer Rechnungskorrektur nicht zwischen der Berichtigung fehlerhafter Angaben und der Ergänzung fehlender Angaben unterscheidet. In beiden Fällen, d. h. sowohl bei unrichtigen als auch bei unvollständigen Rechnungen, kann der Berichtigung Rückwirkung zukommen, mit der Folge, dass das Recht auf Vorsteuerabzug rückwirkend für das Jahr der ursprünglichen Rechnungsausstellung geltend gemacht werden kann.
c) Nichterfüllung der formellen Voraussetzungen
[i] Hartman, NWB 12/2020 S. 820Mit Urteil vom selben Tag hat der EuGH auch entschieden, dass das Recht auf Vorsteuerabzug nicht allein deshalb versagt werden kann, weil die Rechnung, in deren Besitz sich der Steuerpflichtige befindet, nicht alle formellen Voraussetzungen erfüllt, obwohl die Finanzbehörde über alle notwendigen Informationen verfügt, um die materiellen Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs prüfen zu können ( „Barlis 06“, NWB HAAAF-82025). Nach diesem Urteil in der Rechtssache „Barlis 06“ kann eine Rechnungsberichtigung im Einzelfall entbehrlich sein. Dass es für den Vorsteuerabzug ausreicht, dass der Steuerpflichtige die materiellen Voraussetzungen durch objektive Nachweise belegen kann, wurde vom EuGH nochmals in der Rechtssache „Vadan“ klargestellt (, NWB VAAAH-03378). Ein Sachverständigengutachten stellt nach Ansicht des EuGH jedoch keinen solchen geeigneten objektiven Nachweis dar.
d) Rechnungsberichtigung außerhalb der Festsetzungsfrist
[i]Burbaum/Baumgartner, Rechnungseingangskontrolle und Rechnungsberichtigung, Grundlagen, NWB AAAAG-98211 Schließlich hat der „Biosafe“, NWB IAAAG-81349) in einem Sachverhalt, in dem die Auswirkungen einer nachträglichen Erhöhung des gesonderten Steuerausweises in einer Rechnung auf den Vorsteuerabzug im Streit standen, entschieden, dass der Vorsteuerabzug in einem solchen Fall nicht mit der Begründung des Ablaufs einer Ausschlussfrist von vier Jahren, welche mit Ausstellung der ursprünglichen Rechnung zu laufen beginnt, versagt werden darf. Auf die Frage, ob der nachträglichen Erhöhung des Steuerausweises Rückwirkung zukommt, ist der EuGH nicht ausdrücklich eingegangen. [i]Schlussanträge abrufbar unter http://go.nwb.de/jgiopNach Ansicht der Generalanwältin Kokott (Schlussanträge der Generalanwältin Kokott v. - Rs. C-8/17 „Biosafe“, Rz. 49) soll der Vorsteuerabzug erst für den Zeitraum des Erhalts der Rechnung mit dem höheren Steuerausweis möglich sein. Der EuGH selbst hat sich hierzu jedoch nicht explizit geäußert.
e) Differenzierung zwischen formellen und materiellen Voraussetzungen
In seinen Urteilen stellt der EuGH deutlich heraus, dass für den Vorsteuerabzug zwischen den materiellen und den formellen Voraussetzungen zu unterscheiden ist. In materieller Hinsicht setzt der Vorsteuerabzug gem. Art. 168 Buchst. a MwStSystRL voraus, dass der Steuerpflichtige (Unternehmer) Gegenstände oder Dienstleistungen von einem anderen Steuerpflichtigen bezieht und diese auf einer nachfolgenden Umsatzstufe für Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet. Zu den formellen Voraussetzungen des VorsteuerabzugsS. 3390 ergibt sich aus Art. 178 Buchst. a MwStSystRL, dass das Recht auf Vorsteuerabzug nur ausgeübt werden kann, wenn der Steuerpflichtige eine ordnungsgemäße Rechnung besitzt.
2. Rechtsprechung des BFH
a) Rückwirkungsmöglichkeit der Rechnungsberichtigung
[i]Mindestangaben in der ursprünglichen (berichtigungsfähigen) RechnungDer BFH setzte das EuGH-Urteil „Senatex“ zur Rückwirkung der Berichtigung von unrichtigen oder unvollständigen Rechnungsangaben in seinen Urteilen v. (V R 26/15, V R 64/14 und V R 54/14) unter Änderung seiner bisherigen Rechtsprechung grundsätzlich um und geht nunmehr von einer Rückwirkungsmöglichkeit der Rechnungsberichtigung aus. Explizit entschieden wurde dies für eine ungenaue Leistungsbeschreibung (, NWB AAAAF-89048), eine fehlende Steuernummer (, NWB HAAAG-38321) sowie einen fehlerhaften Rechtsformzusatz des Leistungsempfängers (, NWB ZAAAG-38824). Nach Ansicht des BFH setzt eine rückwirkende Rechnungsberichtigung jedoch voraus, dass das zu berichtigende Dokument bestimmte Mindestangaben enthält. Diese umfassen die Angabe des Rechnungsausstellers (Leistenden) und des Leistungsempfängers, einer Leistungsbeschreibung, des Entgelts sowie des gesonderten Umsatzsteuerausweises. Unter Anwendung dieser Grundsätze hat jüngst auch der ( NWB FAAAH-56289) entschieden, dass eine Rückwirkung der Rechnungsberichtigung ausscheidet, wenn eine eindeutige und leicht nachprüfbare Feststellung der abgerechneten Leistung wegen ganz allgemein gehaltener Angaben zur Leistungsbeschreibung („Produktverkäufe“) nicht möglich ist.
[i]Keine Rückwirkung bei Korrektur einer § 14c-SteuerKeine Rückwirkung soll nach Auffassung des BFH auch der Korrektur einer nach § 14c UStG geschuldeten Umsatzsteuer zukommen (, NWB NAAAG-36148).