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Grundlagen - Stand: 20.04.2020

Vorsteuerabzug

Jürgen Scholz

A. Problemanalyse

I. Normzweck

1. Begriffsbestimmung

1 Der Vorsteuerzug ist ein elementares Merkmal des deutschen und europäischen Umsatzsteuerrechts. Das deutsche Umsatzsteuerrecht ist seit der Einführung des Netto-Allphasenumsatzsteuersystems im Jahr 1968 und das europäische Umsatzsteuerrecht mit Inkrafttreten der 6. Richtlinie zum gemeinsamen Mehrwertsteuersystem v. (6. EG-RL) so ausgestaltet, dass grundsätzlich ausschließlich der (außerunternehmerische) Letztverbrauch von Lieferungen und Dienstleistungen (sonstigen Leistungen) zu einer wirtschaftlichen Belastung führen soll.

Um dieses Ziel zu erreichen, werden die von einem Unternehmer ausgeführten Lieferungen und sonstigen Leistungen auf jeder Produktions- oder Vertriebsphase der Umsatzsteuer unterworfen (§ 1 UStG). Hierzu korrespondierend erhält der unternehmerisch tätige Erwerber die Möglichkeit, die ihm von einem anderen Unternehmer hinsichtlich des Bezugs von Lieferungen oder sonstigen Leistungen in Rechnung gestellten Umsatzsteuerbeträge als sog. „Vorsteuer“ gegenüber der Finanzverwaltung geltend zu machen (vgl. § 15 UStG).

Im Ergebnis führt dieses System dazu, dass auf Ebene des einzelnen Unternehmers – bezogen auf den einzelnen Umsatz – jeweils nur der insoweit geschaffene Mehrwert der Umsatzbesteuerung unterliegt, weswegen die Umsatzsteuer im allgemeinen Sprachgebrauch auch häufig als Mehrwertsteuer bezeichnet wird.

2 Vorsteuer aus Sondertatbeständen

Um die Neutralität des Umsatzsteuersystems zu gewährleisten, sind neben den von anderen Unternehmern in Rechnung gestellten Umsatzsteuerbeträgen auch Umsatzsteuerbeträge als Vorsteuer abziehbar, die aus Sondertatbeständen (z. B. der Einfuhr, dem innergemeinschaftlichen Erwerb von Waren, dem Reverse-Charge-Verfahren, der Auslagerung aus einem Umsatzsteuerlager oder innergemeinschaftlichen Dreiecksgeschäften) resultieren.

2. Bedeutung
3 Steuersystematische Funktion

Erst der Vorsteuerabzug eines Unternehmers ermöglicht, im Zusammenspiel mit der Verpflichtung seines Lieferanten oder Dienstleisters Umsatzsteuer abzuführen, das sog. Netto-Allphasenumsatzsteuersystem mit Vorsteuerabzug. Dieses ist dadurch gekennzeichnet, dass auf jeder Liefer- oder Leistungsstufe Umsatzsteuer erhoben wird, mithin es also für den leistenden Unternehmer regelmäßig nicht von Bedeutung ist, ob sein Kunde seinerseits als Unternehmer oder als Nichtunternehmer handelt.

Während im Rahmen des sog. Sales-Tax Regimes die Erhebung der Umsatzsteuer häufig von der Person des Leistungsempfängers abhängig ist (z. B. wird Sales Tax in vielen Ländern grundsätzlich nur erhoben, wenn der Endabnehmer eine Privatperson ist), muss der leistende Unternehmer im Rahmen des Netto-Allphasenumsatzsteuersystems mit Vorsteuerabzug eine solche Entscheidung nicht treffen.

Die wirtschaftliche Belastung des Endverbrauchs wird vielmehr dadurch sichergestellt, dass die Systematik des Vorsteuerabzugs den unternehmerisch agierenden Erwerber mittels Vorsteuerabzug von der Umsatzsteuer entlastet. Dagegen wird ein nichtunternehmerischer Erwerber, oder ein Erwerber, der die bezogenen Waren oder Dienstleistungen nicht für unternehmerische Zwecke verwendet, durch die ihm von seinem Lieferanten oder Dienstleister berechnete Umsatzsteuer wirtschaftlich final belastet.

4 Erstattung ausschließlich lokaler Umsatzsteuer als Vorsteuer

Es ist zu beachten, dass der Vorsteuerabzug eines Landes immer nur solche Umsatzsteuerbeträge umfasst, die auch in dem jeweiligen Land angefallen sind. Dies bedeutet, dass z. B. in Deutschland der Vorsteuerabzug nur bezüglich in Deutschland angefallener Umsatzsteuerbeträge möglich ist.

Ein Unternehmer kann sich also in Deutschland nur Vorsteuerbeträge erstatten lassen, die ihm von solchen Vorunternehmern (also seinen Lieferanten oder Dienstleistern) berechnet werden, die für den ausgeführten Umsatz auch deutsche Umsatzsteuer abführen müssen (Abschn. 15.2 Abs. 1 Satz 4 UStAE). Ein deutscher Unternehmer kann daher beispielsweise niederländische Umsatzsteuerbeträge nicht im Rahmen des deutschen Vorsteuererstattungsverfahrens, sondern ausschließlich in den Niederlanden geltend machen (Abschn. 15.2 Abs. 1 Satz 5 UStAE).

Hierdurch soll gewährleistet werden, dass jedes Land nur solche Vorsteuerbeträge erstatten muss, die ihm grundsätzlich auch als Umsatzsteuer zufließen.

Hinweis

Keine allgemeine Voraussetzung für den Vorsteuerabzug des Erwerbers ist es, dass die anfallende Umsatzsteuer seitens des Vorunternehmers auch tatsächlich abgeführt wurde.

Unter Umständen kann der Vorsteuerabzug im Rahmen des Vertrauensschutzes als Billigkeitsmaßnahme sogar dann gewährt werden, wenn die generellen Voraussetzungen an den Vorsteuerabzug objektiv nicht vorliegen (und z. B. eine falsche Steuernummer des leistenden Unternehmers angegeben ist). Dies setzt allerdings voraus, dass der den Vorsteuerabzug begehrende Erwerber gutgläubig war und alle Maßnahmen ergriffen hat, die vernünftigerweise von ihm verlangt werden können, um sich von der Richtigkeit der Angaben des leistenden Unternehmers zu überzeugen.

Allerdings wird dem Erwerber der Vorsteuerabzug versagt, sofern er wusste oder hätte wissen müssen, dass er sich mit der von ihm erbrachten Leistung oder seinem Leistungsbezug an einem Umsatz beteiligt, bei dem der Leistende oder ein anderer Beteiligter auf einer vorhergehenden oder nachfolgenden Umsatzstufe in eine begangene Hinterziehung von Umsatzsteuer oder Erlangung eines nicht gerechtfertigten Vorsteuerabzugs i. S. des § 370 AO oder in eine Schädigung des Umsatzsteueraufkommens i. S. der §§ 26b, 26c UStG einbezogen war (§ 25f UStG).

5 Fiskalische Bedeutung

Infolge des hohen Steueraufkommens der Umsatzsteuer (im Jahr 2019 betrug das Umsatzsteueraufkommen ca. 243 Mrd. € und damit ca. 33 % des Gesamtsteueraufkommens in Deutschland – ohne reine Gemeindesteuern) gewinnt der damit einhergehende Vorsteuerabzug an hierzu berechtigte Unternehmer immer mehr an wirtschaftlicher Bedeutung für den Staat.

Gleichzeitig steigt jedoch auch die Anfälligkeit des Systems des Vorsteuerabzugs für kriminelle Aktivitäten. So entgehen allein der deutschen Finanzverwaltung durch nicht abgeführte Umsatzsteuern oder zu Unrecht erstatte Vorsteuerbeträge jährlich Einnahmen in Milliardenhöhe.

3. Gemeinschaftsrechtliche Vorgaben
6 Gemeinschaftsrechtliche Grundlage

Das System des Vorsteuerabzugs ist in den Art. 167 bis 192 MwStSystRL geregelt und in allen EU-Mitgliedstaaten in grundsätzlich vergleichbarer Weise in das jeweilige nationale Recht umgesetzt worden.

7 Richtlinienkonforme nationale Sonderregelungen

Dennoch bestehen in den einzelnen EU-Mitgliedstaaten teilweise durchaus unterschiedliche Regelungen, die den Vorsteuerabzug beschränken. Dies liegt u. a. darin begründet, dass es die Regelungen der MwStSystRL den Mitgliedstaaten möglichen, nationale Vorsteuerabzugsbeschränkungen fortzuführen, wenn diese bereits vor dem oder im Falle später der EU beigetretener Mitgliedstaaten, bereits vor dem Beitritt zur EU im nationalen Umsatzsteuerrecht verankert waren (Art. 167 MwStSystRL). Zudem haben verschiedene EU-Mitgliedstaaten eigene Ansichten zum Zeitpunkt des Vorsteuerabzugs oder zu den konkret erforderlichen Voraussetzungen entwickelt.

Hinweis

Die in diesem Beitrag dargestellten Regelungen geben – soweit dies nicht explizit anderweitig beschrieben ist – ausschließlich den Rechtsstand in Deutschland wieder. Soweit im Rahmen der Darstellung von grenzüberschreitenden Lieferungs- oder Leistungsbezügen auf Regelungen in anderen Staaten verwiesen wird, erfolgt dies aus Vereinfachungsgründen in der Annahme, dass diese Regelungen den Regelungen des deutschen UStG entsprechen. In der Praxis sind insoweit die tatsächlichen nationalen Regelungen zu beachten.

8–9 Einstweilen frei

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