UStAE 2010 4.16.1. (Zu § 4 Nr. 16 UStG)

Zu § 4 Nr. 16 UStG

4.16.1. Anwendungsbereich und Umfang der Steuerbefreiung

Anwendungsbereich

(1) 1§ 4 Nr. 16 UStG befreit die eng mit der Betreuung oder Pflege körperlich, kognitiv oder psychisch hilfsbedürftiger Personen verbundenen Leistungen. 2Welche Leistungen letztlich im Einzelnen in den Anwendungsbereich der Steuerbefreiung fallen, ergibt sich aus der Definition der nach § 4 Nr. 16 Satz 1 Buchstaben a bis m UStG begünstigten Einrichtungen. 3Die eng mit der Betreuung und Pflege hilfsbedürftiger Personen verbundenen Leistungen dieser Einrichtungen fallen nach § 4 Nr. 16 Satz 2 UStG in den Anwendungsbereich der Steuerbefreiung, soweit es sich ihrer Art nach um Leistungen handelt, auf die sich die Anerkennung, der Vertrag oder die Vereinbarung nach Sozialrecht oder die Vergütung jeweils beziehen (vgl. auch Absätze 8 und 9).

(2) Die eng mit der Betreuung oder Pflege körperlich, kognitiv oder psychisch hilfsbedürftiger Personen verbundenen Leistungen sind nach § 4 Nr. 16 Satz 1 Buchstabe a UStG steuerfrei, wenn sie von juristischen Personen des öffentlichen Rechts erbracht werden.

(3) 1Ferner sind die eng mit der Betreuung oder Pflege hilfsbedürftiger Personen verbundenen Leistungen nach § 4 Nr. 16 Satz 1 Buchstaben b bis m UStG steuerfrei, wenn sie von anderen anerkannten Einrichtungen mit sozialem Charakter im Sinne des Artikels 132 Abs. 1 Buchstabe g MwStSystRL erbracht werden. 2Dabei umfasst der Begriff „Einrichtungen“ unabhängig von der Rechts- oder Organisationsform des Leistungserbringers sowohl natürliche als auch juristische Personen. 3Als andere Einrichtungen sind auch Einrichtungen anzusehen, die in der Form privatrechtlicher Gesellschaften betrieben werden, deren Anteile nur von juristischen Personen des öffentlichen Rechts gehalten werden. 4Für die Anerkennung eines Unternehmers als eine Einrichtung mit sozialem Charakter reicht es für sich allein nicht schon aus, dass der Unternehmer lediglich als Subunternehmer für eine anerkannte Einrichtung tätig ist (vgl. Abschnitt 4.16.3 Abs. 3a). 5Eine Aufgabenübertragung oder Kostenübernahme ohne eine spezifische gesetzliche Grundlage führt nicht zu einer Anerkennung eines Unternehmers als eine Einrichtung mit sozialem Charakter (vgl. BFH-Urteil vom 18. 2. 2016, V R 46/14, BStBl 2023 II S. 771). 6Ein Zeitarbeitsunternehmen, das anerkannten Pflegeeinrichtungen staatlich geprüfte Pflegekräfte zur Verfügung stellt, ist selbst keine Einrichtung mit sozialem Charakter (vgl. EuGH-Urteil vom 12. 3. 2015, C-594/13, „go fair“ Zeitarbeit, BStBl II S. 980).

Umfang der Steuerbefreiung an hilfsbedürftige Personen

(4) 1Die Steuerbefreiung erfasst sowohl eng mit der Betreuung als auch mit der Pflege hilfsbedürftiger Personen verbundene Leistungen. 2Hilfsbedürftig sind alle Personen, die körperliche, kognitive oder psychische Beeinträchtigungen haben oder gesundheitlich bedingte Belastungen oder Anforderungen nicht selbständig kompensieren oder bewältigen können (vgl. § 14 SGB XI). 3Dies schließt auch Personen mit ein, bei denen ein Grundpflegebedarf oder eine erhebliche Einschränkung der Alltagskompetenz (§ 45a SGB XI), besteht. 4Hilfsbedürftig sind darüber hinaus auch Personen, denen Haushaltshilfe nach dem KVLG 1989, dem ALG oder dem SGB VII gewährt wird, etwa im Fall der Arbeitsunfähigkeit nach § 10 Abs. 1 KVLG 1989.

Umfang der Steuerbefreiung bei Leistungen auch an nicht hilfsbedürftige Personen

(5) 1Soweit Pflege- oder Betreuungsleistungen in stationären Einrichtungen in geringem Umfang auch an nicht hilfsbedürftige Personen erbracht werden, ist die Inanspruchnahme der Steuerbefreiung nicht zu beanstanden. 2Von einem geringen Umfang ist auszugehen, wenn die Leistungen in nicht mehr als 10 % der Fälle an nicht hilfsbedürftige Personen erbracht werden. 3Die Steuerbefreiung gilt dann insgesamt für eng mit der Betreuung und Pflege verbundene Leistungen eines Altenheims oder Pflegeheims, auch wenn hier in geringem Umfang bereits Personen aufgenommen werden, die nicht hilfsbedürftig sind.

Umfang der Steuerbefreiung bei Betreuungs- und Pflegeleistungen

(6) 1Die Steuerbefreiung umfasst die eng mit der Betreuung oder Pflege körperlich, kognitiv oder psychisch hilfsbedürftiger Personen verbundenen Leistungen, unabhängig davon, ob diese Leistungen ambulant oder stationär erbracht werden. 2Werden die Leistungen stationär erbracht, kommt es zudem nicht darauf an, ob die Personen vorübergehend oder dauerhaft aufgenommen werden.

(7) 1Unter den Begriff der Betreuung oder Pflege fallen z. B. die in § 36 Abs. 1 SGB XI bzw. § 64b SGB XII aufgeführten körperbezogenen Pflegemaßnahmen und pflegerischen Betreuungsmaßnahmen sowie Hilfen bei der Haushaltsführung; bei teilstationärer oder stationärer Aufnahme gilt dies auch für die Unterbringung und Verpflegung. 2Steuerfreie Betreuungsleistungen kann eine Einrichtung im Sinne von § 4 Nr. 16 UStG z. B. auch in Form von Leistungen zur hauswirtschaftlichen Versorgung, zur Sozialen Teilhabe oder in Form von Angeboten zur Unterstützung im Alltag erbringen (vgl. auch Abschnitt 4.16.5).

Beschränkung der Steuerbefreiung

(8) 1Leistungen nach § 4 Nr. 16 UStG sind sowohl im Bereich gesetzlicher Versicherungen steuerfrei als auch bei Vorliegen eines privaten Versicherungsschutzes. 2Nach § 4 Nr. 16 Satz 2 UStG sind eng mit der Betreuung oder Pflege hilfsbedürftiger Personen verbundene Leistungen, die von den in § 4 Nr. 16 Satz 1 UStG genannten Einrichtungen erbracht werden, befreit, soweit es sich ihrer Art nach um Leistungen handelt, auf die sich die Anerkennung, der Vertrag oder die Vereinbarung nach Sozialrecht oder die Vergütung jeweils bezieht.

Beispiel 1:

1Ein Unternehmer erbringt Haushaltshilfeleistungen im Rahmen eines Vertrages nach § 132 SGB V mit der Krankenkasse A an eine hilfsbedürftige Person. 2Daneben erbringt er die identischen Haushaltshilfeleistungen an hilfsbedürftige Privatpersonen, an hilfsbedürftige Privatversicherte sowie an die Krankenkasse B. 3Ein Vertrag nach § 132 SGB V besteht mit der Krankenkasse B nicht. 4Der Unternehmer stellt eine begünstigte Einrichtung nach § 4 Nr. 16 Satz 1 Buchstabe b UStG dar. 5Somit sind die gesamten Haushaltshilfeleistungen im Sinne des § 132 SGB V steuerfrei.

Beispiel 2:

Ein Unternehmer, der Leistungen in verschiedenen Bereichen erbringt, z. B. neben einem nach § 72 SGB XI zugelassenen Pflegeheim auch einen Integrationsfachdienst betreibt, hat die Voraussetzung für die Steuerbefreiung für beide Bereiche gesondert nachzuweisen (Vereinbarung nach § 194 SGB IX).

(9) 1Die Steuerbefreiung beschränkt sich allerdings nicht auf den „Umfang“ z. B. des im Rahmen der Zulassung vereinbarten Leistungspakets. 2Sofern z. B. eine nach § 72 SGB XI zugelassene Pflegeeinrichtung Leistungen erbringt, die über den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung hinausgehen (z. B. tägliche Hilfe beim Baden anstatt nur einmal wöchentlich), fallen auch diese unter die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 16 Satz 1 Buchstabe c UStG.

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