Haftung des GmbH-Geschäftsführers; keine Berücksichtigung hypothetischer Kausalverläufe im Rahmen der Schadenszurechnung
Leitsatz
1. Werden fällig gewordene Steuerbeträge pflichtwidrig nicht an das FA abgeführt, kann die Kausalität dieser Pflichtverletzung für einen dadurch beim Fiskus entstandenen Vermögensschaden nicht durch nachträglich eingetretene Umstände oder durch die Annahme eines hypothetischen Kausalverlaufs beseitigt werden.
2. Die Frage, ob ein hypothetischer Kausalverlauf bei der haftungsrechtlichen Inanspruchnahme Berücksichtigung finden kann, ist im Rahmen der Schadenszurechnung unter Berücksichtigung des Schutzzwecks von § 69 AO zu beantworten.
3. Die Funktion und der Schutzzweck des in § 69 AO normierten Haftungstatbestandes schließen die Berücksichtigung hypothetischer Kausalverläufe aus. Deshalb entfällt die Haftung eines GmbH-Geschäftsführers nicht dadurch, dass der Steuerausfall unter Annahme einer hypothetischen, auf § 130 Abs. 1 InsO gestützten Anfechtung gedachter Steuerzahlungen durch den Insolvenzverwalter ebenfalls entstanden wäre.
Gesetze: AO § 69AO § 34EStG § 41aInsO § 130 Abs. 1
Instanzenzug: (EFG 2006, 83) (Verfahrensverlauf),
Gründe
I.
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) wurde am neben dem bisherigen Geschäftsführer zum weiteren allein vertretungsberechtigten Geschäftsführer einer GmbH bestellt. Am stellte die GmbH wegen Zahlungsunfähigkeit einen Insolvenzantrag. Mit Beschluss des Insolvenzgerichts vom wurde das Insolvenzverfahren eröffnet. Nach erfolgter Anhörung erließ der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) aufgrund rückständiger Lohnsteuern der GmbH sowie rückständiger Solidaritäts- und Säumniszuschläge gegenüber dem Kläger einen auf § 69 i.V.m. § 34 der Abgabenordnung (AO) gestützten Haftungsbescheid. Im Einspruchsverfahren nahm das FA den Haftungsbescheid teilweise zurück und setzte die Haftungssumme herab. Die daraufhin erhobene Klage hatte teilweise Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) urteilte, dass der Kläger zu Unrecht für die nach dem fällig gewordenen Beträge in Anspruch genommen worden sei. Darüber hinaus könne er nicht für Säumniszuschläge in Anspruch genommen werden, die vor seiner Bestellung zum Geschäftsführer fällig geworden seien. Der Haftungsbescheid sei zumindest deshalb rechtswidrig, weil das FA das ihm zustehende Ermessen nur unzureichend ausgeübt habe. Es habe nämlich in der Begründung des Haftungsbescheides keinerlei tatsächliche Feststellungen zu den tatbestandlichen Voraussetzungen der Kausalität der Pflichtverletzung des Klägers für den beim Fiskus entstandenen Vermögensschaden im Hinblick auf die mögliche Anfechtbarkeit einer fristgerechten Abführung der geschuldeten Steuerbeträge nach § 130 der Insolvenzordnung (InsO) getroffen. Denn an der erforderlichen Kausalität zwischen der Pflichtverletzung und dem eingetretenen Schaden könne es fehlen, wenn der Insolvenzverwalter geleistete Zahlungen vom FA zurückverlangen könne. Unter Annahme einer fristgerechten Abführung der Lohnsteuern spreche im Streitfall alles dafür, dass die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Anfechtung der drei Monate vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens geleisteten Zahlungen vorgelegen hätten. Ein Bargeschäft i.S. des § 142 InsO sei hinsichtlich gezahlter Lohnsteuern nicht anzunehmen, insoweit sei der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs —BGH— (Urteil vom IX ZR 39/03, BGHZ 157, 350) zu folgen. Hinsichtlich der Inanspruchnahme für Säumniszuschläge fehle es bereits an einer ordnungsgemäßen Anhörung, denn insoweit sei der Kläger nicht auf die Grundsätze der anteiligen Haftung hingewiesen worden. Es sei nicht auszuschließen, dass die fehlende Anhörung ursächlich dafür gewesen sei, dass der Kläger zum Umfang der Befriedigung der übrigen Gläubiger nichts vorgetragen habe. Zudem fehle es hinsichtlich der vor der Bestellung des Klägers zum Geschäftsführer fällig gewordenen Säumniszuschläge an den Voraussetzungen des § 69 AO.
Mit seiner Revision macht das FA geltend, dass eine lediglich hypothetische Anfechtbarkeit nach den §§ 129 ff. InsO bei der haftungsrechtlichen Inanspruchnahme nach § 69 AO außer Betracht bleiben müsse. Es handle sich dabei nicht um ein Problem der Kausalität, sondern um eine Frage der Schadenszurechnung. Diese Wertungsfrage sei unter Berücksichtigung des Schutzzwecks des § 69 AO und des § 41a des Einkommensteuergesetzes (EStG) dahingehend zu beantworten, dass hypothetische Anfechtungsmöglichkeiten den Haftungsschuldner nicht entlasten könnten. Darüber hinaus stehe es im Zeitpunkt der dem Geschäftsführer vorgeworfenen Pflichtverletzung nicht fest, ob es überhaupt zur Insolvenzeröffnung und zu einer Ausübung von Anfechtungsrechten durch den Insolvenzverwalter komme. Entsprechende Ermessenserwägungen in der Begründung des angefochtenen Bescheides habe das FA deshalb auch nicht anstellen müssen.
In Bezug auf verwirkte Säumniszuschläge zur Lohnsteuer finde der Grundsatz der anteiligen Haftung keine Anwendung. Die Haftung für Säumniszuschläge ergebe sich aus dem insoweit eindeutigen Wortlaut des § 69 Satz 2 AO. Im Übrigen seien im Streitfall Säumniszuschläge in vollem Umfang nur bis zum Tag der Antragstellung in die Haftungssumme einbezogen worden; die nach Stellung des Antrags auf Insolvenzeröffnung verwirkten Säumniszuschläge hätten unter Beachtung der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) nur zur Hälfte Berücksichtigung gefunden.
Der Kläger schließt sich der Rechtsauffassung des FG an.
II.
Die Revision ist begründet. Das Urteil des FG, das Bundesrecht verletzt (§ 118 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung —FGO—), ist insoweit aufzuheben, als das FG den Haftungsbescheid hinsichtlich der Säumniszuschläge zur Lohnsteuer und zum Solidaritätszuschlag Juli bis Dezember 2001 sowie Januar und Februar 2002 und Lohnsteuer nebst Solidaritätszuschlägen Januar und Februar 2002 für rechtswidrig erachtet und infolgedessen aufgehoben hat (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO). Im gleichen Umfang ist die Klage als unbegründet abzuweisen. Die vom FG angenommenen Ermessensfehler liegen nicht vor. Da hypothetische Kausalverläufe bei der haftungsrechtlichen Inanspruchnahme nach § 69 AO keine Berücksichtigung finden können, bestand für das FA kein Anlass, in seine Ermessenserwägungen die Möglichkeit einer Anfechtung gedachter Steuerzahlungen nach §§ 130 ff. InsO aufzunehmen.
1. Der Kläger hat die ihm als GmbH-Geschäftsführer obliegenden steuerlichen Pflichten zumindest grob fahrlässig verletzt. Denn als Geschäftsführer und gesetzlichem Vertreter der GmbH i.S. von § 34 Abs. 1 AO oblag ihm die Pflicht zur Einbehaltung und fristgerechten Abführung der im Haftungszeitraum (April 2001 bis Februar 2002) von der GmbH angemeldeten Lohnsteuerabzugsbeträge (§ 38 Abs. 3 Satz 1 und § 41a EStG). Eine Entrichtung der dem FA geschuldeten Lohnsteuer ist indes nicht erfolgt. Den hierzu vom FG getroffenen Feststellungen ist der Kläger nicht entgegengetreten.
2. Zwischen der schuldhaften Pflichtverletzung des Klägers und dem Eintritt des durch die Nichtentrichtung der Lohnsteuer entstandenen Vermögensschadens besteht ein adäquater Kausalzusammenhang, der nicht dadurch entfällt, dass der Insolvenzverwalter Zahlungen, wenn diese vom Kläger innerhalb von drei Monaten vor Stellung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens geleistet worden wären, nach § 130 InsO hätte anfechten können.
a) Den zivilrechtlichen Schadensersatznormen, vor allem § 823 und § 826 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB), ist § 69 AO zwar angenähert, dennoch bestehen zwischen den Schadensersatznormen des Zivilrechts und der steuerrechtlichen Haftungsvorschrift verfassungsrechtlich nicht zu beanstandende Unterschiede (vgl. zu § 109 der Reichsabgabenordnung —RAO—, BFHE 104, 294, BStBl II 1972, 364), die eine uneingeschränkte Übertragung der zum Schadensersatzrecht, insbesondere zur Berücksichtigung von hypothetischen Kausalverläufen und zur Schadenszurechnung, ergangenen BGH-Rechtsprechung nicht geboten erscheinen lassen.
aa) Gemeinsam ist den angesprochenen Vorschriften des Zivil- und Steuerrechts, dass eine Ausgleichspflicht nur dann in Betracht kommt, wenn zwischen der schuldhaften Pflichtverletzung und dem dadurch herbeigeführten Schaden ein schadensersatz- bzw. haftungsbegründender Kausalzusammenhang besteht. Der nach der BFH-Rechtsprechung erforderliche adäquate Kausalzusammenhang ist nicht mehr gegeben, wenn der Steuerausfall als Vermögensschaden des Fiskus mangels ausreichender Zahlungsmittel und vollstreckbaren Vermögens des Steuerpflichtigen unabhängig davon eingetreten ist, ob Steueranmeldungen fristgerecht eingereicht und die geschuldeten Steuerbeträge innerhalb der gesetzlich hierfür bestimmten Fristen entrichtet worden sind (Senatsurteil vom VII R 17/00, BFH/NV 2001, 1100, m.w.N.).
bb) Von den Fällen des tatsächlichen Unvermögens zur fristgerechten Entrichtung der geschuldeten Steuerbeträge zu unterscheiden sind die Fälle der sonstigen Reserveursachen. Bei der sog. hypothetischen Kausalität handelt es sich um die Frage, ob eine Ausgleichspflicht des Schädigers bzw. Haftenden allein deshalb entfällt, weil der verursachte Schaden aufgrund eines anderen Ereignisses ohnehin eingetreten bzw. nicht zu vermeiden gewesen wäre. Die überwiegende Literatur und die Rechtsprechung gehen davon aus, dass es sich dabei nicht um ein Problem der Kausalität, sondern um eine Frage der Schadenszurechnung handelt (Schiemann in Staudinger/Eckpfeiler (2005), BGB, § 249 Rz 93; MünchKommBGB/Oetker, 5. Aufl., § 249 Rz 201 f.; Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 66. Aufl., Vorbem. zu § 249 Rz 96; , BGHZ 104, 355). Denn ein nur gedachter Geschehensablauf kann die Kausalität einer realen Ursache nicht beseitigen. Nach der BGH-Rechtsprechung ist es daher eine für verschiedene Fallgruppen durchaus unterschiedlich zu beantwortende Wertungsfrage, inwieweit hypothetische Kausalverläufe geeignet sind, eine an sich gegebene Haftung zu beeinflussen (BGH-Urteil in BGHZ 104, 355, 360). Auszugehen ist dabei vom Schutzzweck der jeweils verletzten Norm (Schiemann in Staudinger/Eckpfeiler, a.a.O., § 249 Rz 94; im Ergebnis auch MünchKommBGB/Oetker, a.a.O., § 249 Rz 214).
cc) Durch die pflichtwidrige Nichtabführung fällig gewordener Steuerbeträge wird eine reale Ursache für den Eintritt eines Vermögensschadens in Form eines Steuerausfalls gesetzt, so dass die Kausalität dieser Ursache für den Schadenseintritt durch eine gedachte Anfechtung des Insolvenzverwalters nicht rückwirkend beseitigt werden kann. Es bleibt dabei, dass durch die Pflichtverletzung des Haftungsschuldners dem Fiskus ein diesem geschuldeter Abgabenbetrag vorenthalten worden ist.
Der vom Gesetzgeber § 69 AO beigemessene Schutzzweck und die vom BGH geforderte wertende Beurteilung lassen es nicht geboten erscheinen, den hypothetischen Kausalverlauf im Falle einer gedachten Anfechtung nach §§ 129 ff. InsO im Rahmen der Schadenszurechnung zu berücksichtigen und infolgedessen die Haftung des von § 69 AO erfassten Personenkreises (vgl. § 34 und § 35 AO) entfallen zu lassen (im Ergebnis ebenso Urteile des Sächsischen , Entscheidungen der Finanzgerichte —EFG— 2005, 1238; des , EFG 2006, 86 und 8 K 5395/01, EFG 2006, 241, und des Schleswig-Holsteinischen , EFG 2006, 321; a.A. Entscheidungen des , EFG 2004, 1425, und vom 1 V 49/03, EFG 2005, 2; des , EFG 2005, 680; des , EFG 2006, 13; des , EFG 2006, 83, und des (L), EFG 2006, 618).
Nach ständiger Rechtsprechung des BFH besitzt § 69 AO Schadensersatzcharakter (Senatsentscheidungen vom VII R 110/99, BFHE 192, 249, BStBl II 2001, 271; vom VII R 93/88, BFHE 164, 203, BStBl II 1991, 678; vom VII R 83/87, BFHE 153, 512, BStBl II 1988, 859;
vgl. auch Begründung des Entwurfs für eine Reichsabgabenordnung zu § 83 Abs. 2 bis 86 RAO, in Verhandlungen der verfassungsgebenden Deutschen Nationalversammlung, Bd. 338 Nr. 759). Ziel der Haftung ist es, Steuerausfälle auszugleichen, die durch grob fahrlässige oder vorsätzliche Pflichtverletzungen der in § 34 und § 35 AO bezeichneten Personen verursacht worden sind. Die auf § 69 AO gestützte Haftung begründet eine Sonderverbindlichkeit gegenüber dem Fiskus, die den Individualansprüchen aus rechtsgeschäftlicher Haftung, Vertrauenshaftung und unerlaubter Handlung vergleichbar ist (Senatsbeschluss vom VII B 155/01, BFHE 197, 1, BStBl II 2002, 73).
Die Regelung der steuerlichen Haftung geht auf § 109 RAO zurück, mit dem das zivilrechtliche Vertretungsrecht in der RAO berücksichtigt und den steuerlichen Bedürfnissen angepasst werden sollte (Beermann, Haftungsbescheid nach der AO und Entschließungsermessen, in Festschrift für Franz Klein, S. 953, 961). Der haftungsrechtliche Zugriff auf gesetzliche Vertreter und Verfügungsberechtigte kann damit legitimiert werden, dass ihnen die Erfüllung steuerlicher Pflichten obliegt, die der Steuerpflichtige mangels eigener Handlungs- und Geschäftsfähigkeit nicht selbst erfüllen kann. Andererseits kommt in der Haftungsvorschrift auch das Bemühen des Gesetzgebers zum Ausdruck, der steuerrechtlichen Stellvertretung Schranken zu setzen und der Gefahr entgegenzuwirken, dass der Steuerpflichtige durch die Stellvertretung das Steueraufkommen gefährdende Vorteile erlangt (Tipke in Tipke/Kruse, Reichsabgabenordnung, 7. Aufl., § 109 Rz 1, m.w.N.). Durch den in § 69 AO normierten Haftungsanspruch soll der Vertreter zur ordnungsgemäßen Erfüllung der ihm obliegenden steuerlichen Pflichten angehalten und das Steueraufkommen durch Schaffung einer Rückgriffsmöglichkeit gesichert werden.
Das Erreichen dieser Ziele würde durch die Berücksichtigung hypothetischer Kausalverläufe gefährdet. Denn ein gesetzlicher Vertreter könnte innerhalb eines Zeitraumes von drei Monaten vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Erfüllung der ihm als Vertreter obliegenden steuerlichen Pflichten mit dem Hinweis vernachlässigen, dass, wenn er Steuerzahlungen vornähme, diese ohnehin der Anfechtung nach § 130 Abs. 1 InsO ausgesetzt seien und er infolgedessen auch nicht als Haftungsschuldner in Anspruch genommen werden könne. Dabei ist zu berücksichtigen, dass im Zeitpunkt der pflichtwidrigen Nichtzahlung des geschuldeten Abgabenbetrages keine zuverlässige Feststellung darüber getroffen werden kann, ob es tatsächlich zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens kommen wird und ob im Falle der Eröffnung eines solchen Verfahrens eine Anfechtung nach § 130 Abs. 1 InsO überhaupt erfolgen und auch erfolgreich sein würde. Denn zum einen ist es nicht auszuschließen, dass ein Insolvenzverwalter auch im Falle der Eröffnung des Insolvenzverfahrens von bestehenden Anfechtungsmöglichkeiten keinen Gebrauch macht; zum anderen kann eine Anfechtung daran scheitern, dass das FA die Umstände nicht kannte, die zwingend auf eine Zahlungsunfähigkeit des Schuldners hätten schließen lassen (§ 130 Abs. 2 InsO).
Bei einer Berücksichtigung von insolvenzrechtlichen Anfechtungstatbeständen wäre die Durchsetzung des Haftungsanspruchs mit erheblichen Unsicherheiten behaftet. Denn das FA müsste beim Erlass des Haftungsbescheides und der Ausübung des ihm zustehenden Ermessens eine Prognoseentscheidung treffen und die Möglichkeit und die Erfolgsaussichten einer Ausübung von Anfechtungsrechten nach §§ 130 ff. InsO prüfen. Eine solche Überprüfung wäre nur dann entbehrlich, wenn es zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens überhaupt nicht kommt. Denn wie der Senat bereits entschieden hat (Senatsbeschluss vom VII B 92/06, zur Veröffentlichung bestimmt), kommt die Berücksichtigung von hypothetischen Kausalverläufen ohnehin nicht in Betracht, wenn das Insolvenzgericht den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens nach § 26 Abs. 1 InsO
mangels Masse ablehnt. Zwischen Antragstellung und Bescheidung des Antrags kann jedoch ein längerer Zeitraum verstreichen, wenn z.B. der vom Insolvenzgericht eingesetzte vorläufige Insolvenzverwalter mit der Erstellung eines Sachverständigengutachtens beauftragt worden ist (vgl. § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 InsO). Die zur Durchsetzung des Haftungsanspruchs erforderliche Handlungsfähigkeit des FA wäre in unzumutbarer Weise eingeschränkt, wenn es verpflichtet wäre, die Beendigung des Eröffnungsverfahrens abzuwarten, bevor gegen den Vertreter ein Haftungsbescheid erlassen werden könnte. Aber auch das Erfordernis einer Prognoseentscheidung über das Vorliegen der in §§ 130 ff. InsO normierten Anfechtungsvoraussetzungen, insbesondere über das Vorliegen der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners i.S. von § 17 InsO, würde die Durchführung des Haftungsverfahrens erheblich erschweren und die Funktion der Haftungsvorschrift für diesen Zeitraum in Frage stellen. Neben dem Sicherungszweck sprechen somit auch Effektivitätsgesichtspunkte und Praktikabilitätserwägungen dafür, bei der Anwendung von § 69 AO hypothetische Kausalverläufe im Rahmen der Schadenszurechnung unberücksichtigt zu lassen.
b) Mit diesem Ergebnis setzt sich der erkennende Senat nicht in Widerspruch zur Rechtsprechung des BGH. Die zur Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen getroffenen Entscheidungen (Urteile vom II ZR 61/03, Zeitschrift für Wirtschaftsrecht —ZIP— 2005, 1026, Deutsches Steuerrecht 2005, 978, und vom VI ZR 149/99, ZIP 2001, 80) betreffen eine mögliche Haftung aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 266a des Strafgesetzbuchs und damit einen deliktischen Schadensersatzanspruch. Wie bereits ausgeführt, handelt es sich um einen solchen bei § 69 AO jedoch nicht. Vielmehr normiert § 69 AO einen öffentlich-rechtlichen —und zivilrechtlich nicht abdingbaren— Haftungsanspruch, der eine Sonderverbindlichkeit gegenüber dem Fiskus begründet. Der Haftung kommt eine Ausgleichsfunktion und lediglich der Charakter eines Schadensersatzanspruchs zu (Jatzke in Beermann/Gosch, AO § 69 Rz 3, m.w.N.). Daneben verfolgt § 69 AO den Zweck, das bei steuerrechtlich nicht geschäfts- und handlungsfähigen Steuerpflichtigen auftretende Erfordernis der Stellvertretung an die besonderen Bedürfnisse des Steuerrechts anzupassen und damit zur Aufkommenssicherung beizutragen. Aus diesen Gründen kann die zum Deliktsrecht entwickelte Rechtsprechung des BGH nicht ohne weiteres auf die Haftung nach den Vorschriften der AO übertragen werden.
Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass bei einem mitwirkenden Verschulden der Finanzbehörde eine unmittelbare Anwendung der Regelung in § 254 BGB ebenfalls nicht in Betracht kommt. Nach der Rechtsprechung des Senats ist ein solches Mitverschulden allenfalls bei der Ermessensausübung zu berücksichtigen (BFH-Entscheidungen vom VII B 75/01, BFH/NV 2002, 310, und vom VII B 217/99, BFH/NV 2000, 1442, m.w.N.). Dies unterstützt den Befund, dass es sich bei § 69 AO nicht um eine Schadensersatznorm handelt, auf die sich Schadensersatzregelungen des BGB und die hierzu ergangene Rechtsprechung des BGH ohne weiteres übertragen lassen.
3. Da die Berücksichtigung einer hypothetischen Anfechtungsmöglichkeit nach § 130 Abs. 1 InsO im Rahmen einer haftungsrechtlichen Inanspruchnahme nach § 69 AO nicht in Betracht kommt, kann es der Senat dahingestellt sein lassen, ob die Abführung von Lohnsteuern in den letzten drei Monaten vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine anfechtbare Rechtshandlung nach § 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO darstellt, oder ob ein Bargeschäft nach § 142 InsO vorliegt, so dass eine Anfechtung nur unter den erschwerten Voraussetzungen des § 133 Abs. 1 InsO möglich wäre (vgl. zur Problemstellung Senatsbeschluss vom VII B 244/04, BFHE 210, 410, BStBl II 2006, 201, und Kayser, Insolvenzrechtliche Bargeschäfte (§ 142 InsO) bei der Erfüllung gesetzlicher Ansprüche?, ZIP 2007, 49).
4. Hinsichtlich der Säumniszuschläge hat das FA seine Revision auf die Zuschläge begrenzt, die erst nach der Bestellung des Klägers zum Geschäftsführer erhoben worden sind. Wie das FG zu Recht entschieden hat, kann der Kläger für Säumniszuschläge nur insoweit in Anspruch genommen werden, als diese während seiner Tätigkeit als GmbH-Geschäftsführer infolge seiner schuldhaften Pflichtverletzung entstanden sind (, BFHE 153, 512, BStBl II 1988, 859 und VII R 84/87, BFH/NV 1988, 685). Da der Kläger erst am zum Geschäftsführer bestellt worden ist, kann er nur für die ab diesem Zeitpunkt entstandenen Säumniszuschläge in Anspruch genommen werden. Dabei ist die Inanspruchnahme in Höhe der Hälfte der nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit der GmbH entstandenen Säumniszuschläge nicht zu beanstanden. Denn nach der BFH-Rechtsprechung rechtfertigt der Eintritt der Zahlungsunfähigkeit für sich allein keinen vollständigen Erlass der Säumniszuschläge wegen sachlicher Unbilligkeit; diese sind vielmehr in der Regel nur zur Hälfte zu erlassen, wenn sie lediglich ihren Zweck verloren haben, als Druckmittel zur pünktlichen Steuerzahlung zu dienen (Senatsurteil vom VII R 63/99, BFHE 193, 524, BStBl II 2001, 217). Im Streitfall hat das FA diese Vorgaben berücksichtigt und die Säumniszuschläge nur zur Hälfte in die Haftungssumme mit einbezogen. Ausweislich des Sachverhalts ist der Kläger vor seiner haftungsrechtlichen Inanspruchnahme angehört worden. In Bezug auf die Säumniszuschläge bedurfte es keines ausdrücklichen Hinweises auf die Grundsätze der anteiligen Haftung.
Da der vom FG beanstandete Ermessensfehler nicht vorliegt, war das erstinstanzliche Urteil in dem Umfang aufzuheben, als das FG den angefochtenen Haftungsbescheid hinsichtlich der Säumniszuschläge zur Lohnsteuer und zum Solidaritätszuschlag Juli bis Dezember 2001 sowie Januar und Februar 2002 sowie der Lohnsteuer nebst Solidaritätszuschlägen Januar und Februar 2002 für rechtswidrig erachtet und daher aufgehoben hat. In diesem Umfang war die Klage als unbegründet abzuweisen.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BStBl 2008 II Seite 273
BFH/NV 2007 S. 1942 Nr. 10
BStBl II 2008 S. 273 Nr. 8
DB 2007 S. 2072 Nr. 38
DStR 2007 S. 1722 Nr. 39
DStRE 2007 S. 1347 Nr. 20
DStZ 2007 S. 683 Nr. 21
GStB 2007 S. 37 Nr. 10
GmbH-StB 2007 S. 302 Nr. 10
GmbHR 2007 S. 1114 Nr. 20
HFR 2007 S. 1071 Nr. 11
KÖSDI 2007 S. 15737 Nr. 10
NWB-Eilnachricht Nr. 38/2007 S. 3317
NWB-Eilnachricht Nr. 50/2008 S. 4725
SJ 2007 S. 22 Nr. 19
StB 2007 S. 406 Nr. 11
StC 2007 S. 12 Nr. 11
StuB-Bilanzreport Nr. 22/2007 S. 874
ZIP 2007 S. 1856 Nr. 39
LAAAC-57812