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Anpassung der Produktkalkulation an inflationsbedingte Preissteigerungen
Analyse und Ermittlung von Inflationseffekten
Die [i]Zwirner/Zimny/Vodermeier, Inflation und unsichere Zeiten – Auswirkungen auf Rechnungslegung und Unternehmensbewertung, Beilage zu StuB 21/2022 S. 1 NWB MAAAJ-24993 Betriebswirtschaftslehre in Deutschland hat sich schon früh mit den Problemen der Inflation beschäftigt und versucht, Lösungsansätze für das Wirtschaften in Zeiten ohne Geldwertstabilität zu entwickeln. Ein Zitat von Eugen Schmalenbach möge die Problemlage charakterisieren: „Die Bilanzen, die jetzt herauskommen, sind nicht richtig. Sie sind auch nicht nur mit 90 v. H. falsch, nein, sie sind alle falsch. ... Das liegt ... an den Umständen. ... Die handelsrechtlichen Bestimmungen beruhen auf der Voraussetzung, ... daß wir eine gleichbleibende Währung hätten. Die haben wir aber nicht“. Als Schmalenbach 1920 diese Worte sagte, waren die Inflationsraten erheblich höher als heute. Die damit verbundenen betriebswirtschaftlichen Probleme, dass bei hoher Inflation das betriebliche Rechnungswesen Fehlinformationen sendet, sind hingegen die gleichen geblieben. Der Beitrag geht einer speziellen Fragestellung im Kontext der Inflation nach: Wie kann ein Unternehmen bei unerwarteter Inflation auf der Basis der bestehenden Produktkalkulation ableiten, wie sich die Kosten des Produkts entwickeln werden und welche Preisforderungen im Markt gestellt werden müssen?
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I. Aktuelle Inflationslage in Deutschland
1. Ursachen der Preisentwicklung
Unter [i]KaufkraftverlustInflation wird in der Volkswirtschaftslehre ein Prozess der nachhaltigen Erhöhung des Preisniveaus und damit gleichzeitig ein Absinken der Kaufkraft des Geldes verstanden. Nachdem die Inflationsrate gemessen am Verbraucherpreisindex im September 2022 erstmals nach der deutschen Wiedervereinigung einen zweistelligen Wert angenommen hat, stellt sich vielen Unternehmen die Frage, was dies für ihre Kostensituation und daran anschließend für das Pricing ihrer Produkte bedeutet.
Im [i]Duscha, Jahresabschlusserstellung unter Einfluss des Ukraine-Kriegs, NWB 40/2022 S. 2855 NWB OAAAJ-23001 Zuge des Ukraine-Kriegs und der nachgelagerten Preissteigerungen insbesondere für Energie (Gas, Strom und Treibstoffe), Lebensmittel oder andere RohstoffeS. 1108 kommt es zu deutlichen Verwerfungen in einigen Branchen. Die nur teilweise überwundenen Herausforderungen der Corona-Pandemie führen darüber hinaus noch immer zu Einschränkungen verschiedener Lieferketten, Knappheiten bestimmter Vorprodukte und damit ebenfalls zu Preiserhöhungen.
2. Verschiebung von Kostenstrukturen
Abhängig [i]Material- und Energieverknappung und -verteuerungvon der Kostenstruktur sind einzelne Unternehmen bzw. Branchen mehr oder weniger stark von den Preisentwicklungen betroffen:
Materialintensive Unternehmen sind mit deutlichen Preiserhöhungen von Rohstoffen, Vormaterialien, Bauteilen oder ganzen Modulen konfrontiert. Die Mehrheit der Kosten in Relation zur Gesamtleistung in den Unternehmen des Verarbeitenden Gewerbes, auf die sich dieser Beitrag konzentriert, entfällt auf diese Kostenblöcke (58,4 % im Jahr 2017). Besonders hohe Materialintensitäten an der Gesamtleistung sind in der Nahrungs- und Futtermittelindustrie (67,1 %), der Metallerzeugung und -bearbeitung (70,0 %) sowie in der Herstellung von Kraftwagen (71,3 %) zu verzeichnen.
Energieintensive Unternehmen wie beispielsweise die Aluminiumproduktion sind besonders von den Verwerfungen des Energiemarktes betroffen. Im gesamten Verarbeitenden Gewerbe liegt der Anteil der Energiekosten an der Gesamtleistung 2017 bei 1,6 %; allerdings beträgt er in der Herstellung von Düngemitteln 6,6 %, in der Produktion von Papier, Karton und Pappe 7,5 %, in der Herstellung von Zement 12,3 % und in der Produktion von Industriegasen 23,0 %.
Die Personalkosten hatten 2017 insgesamt im Verarbeitenden Gewerbe einen Anteil an der Gesamtleistung von 18,4 %.
Diese Anteile verschieben sich aktuell im Jahr 2022 erheblich aufgrund der hohen Energiepreise.
3. Verteuerung von Produktionsfaktoren
Hinsichtlich [i]Inflation trifft sämtliche Unternehmender Steigerung der Faktorpreise für die Unternehmen zeigt sich ein differenziertes Bild. Insgesamt ist im September 2022 der Index der Erzeugerpreise gewerblicher Produkte um 45,8 % gegenüber dem Vorjahr gestiegen. Allerdings stiegen Erdöl und Erdgas um 248,8 %, Papier und Pappe um 31,3 %, chemische Erzeugnisse um 27,7 % und Nahrungsmittel um 24,2 %. Die erhebliche Verteuerung der Produktionsfaktoren zieht sich – in unterschiedlichem Ausmaß – durch die gesamte deutsche Wirtschaft.
Hinzu kommt, dass durch die Erhöhung des Mindestlohns auf 12 € je Stunde zum für Beschäftigte, die unmittelbar von dieser Regelung betroffen sind, erhebliche Lohnsteigerungen zu verzeichnen sind (+ 25,0 % gegenüber dem Vorjahr), und gleichzeitig Druck auf Tariferhöhungen für untere Lohngruppen entsteht.
Bei [i]Bacher/Nothhelfer, Zinswende und Inflation: Folgen für die Unternehmensfinanzierung, BBK 22/2022 S. 1060 NWB RAAAJ-25732 kapitalintensiven Unternehmen, die über keine langfristige Zinsabsicherung verfügen und gerade Refinanzierungen verhandeln, ist aufgrund der steigenden Zinsen, die die Zentralbanken zur Bekämpfung der Inflation einsetzen, mit deutlich steigenden Zinsbelastungen zu rechnen. S. 1109
Die Teuerung trifft Unternehmen auf breiter Basis in unterschiedlichem Ausmaß; die höchsten Steigerungsraten sind aber in der Energieversorgung zu verzeichnen.
4. Ungewissheit bei Produkt- und Preiskalkulationen
Die [i]Quasi unberechenbare Preisänderungenaktuelle Situation ist für viele Unternehmen deshalb so bedrohlich, da die Preissteigerungen im Wesentlichen unerwartet aufgrund eines externen Schocks (Ukraine-Krieg) auftreten und damit bestehenden Verträgen (insbesondere langfristigen Kontrakten) die Preisbasis entzogen wurde. Erwartete Preissteigerungen können rechtzeitig in Kalkulationen eingearbeitet werden und besitzen daher ein geringeres wirtschaftliches Problempotenzial. Zudem haben die Entwicklung der Gaspreise und die damit einhergehenden politischen Eingriffe im Herbst 2022 (z. B. Umsatzsteuersenkung, Einführung und Ausstieg aus der Gasumlage oder Gaspreisbremse) gezeigt, dass mit mehrmaligen gravierenden Preisänderungen in beide Richtungen zu rechnen ist und daher Faktorpreisanalysen im Kontext der Produktkalkulation zur Regel werden.
Insgesamt [i]Erschwerte Preisverhandlungenist zu konstatieren, dass langfristig praktiziertes Pricing in nahezu allen Branchen und Märkten durch die Preisentwicklungen in ihrer Höhe und Struktur Veränderungen unterworfen ist. So sind in einigen Märkten des Lebensmitteleinzelhandels die früher etablierten jährlichen Preisgespräche (mit infolge jährlich fixierten Preisen für den Einzelhandel) durch unterjährige Preisrunden ersetzt worden. Andere Lebensmittelproduzenten konnten sich mit dem Lebensmitteleinzelhandel nicht auf Preisanpassungen einigen und haben daher die Belieferung bestimmter Einzelhändler eingestellt. Vergleichbares gilt für das Zusammenspiel von Zulieferern und einigen Automobilherstellern.
II. Grundlegende Probleme des Rechnungswesens bei höherer Inflation
1. Überblick
Das [i]Darstellung der InflationsauswirkungenRechnungswesen hat u. a. die Aufgabe, – auch bei hoher Inflation – Informationen zur Planung und Kontrolle des betrieblichen Geschehens für die Unternehmensleitung zur Verfügung zu stellen. Gerade Zeiten hoher Inflation sind mit großen wirtschaftlichen Unsicherheiten und Problemlagen verbunden, so dass es ein besonderes Bedürfnis nach adäquaten Informationen gibt, die zeitnah zur Verfügung stehen. Das Rechnungswesen hat zudem die Aufgabe, die Auswirkungen der Inflation auf den Erfolg des Unternehmens darzustellen, indem beispielsweise Informationen über den Erfolg der abgelaufenen Periode ohne Inflationsverzerrungen bereitgestellt werden.
Bei hohen Inflationsraten weist das Rechnungswesen eines einzelnen Unternehmens zwei wesentliche Problemkreise auf:
Mangelnde Vergleichbarkeit: Da sich die Preise der Ist-Daten und deren Vorjahreswerte auf unterschiedliche Preisniveaus beziehen, ist bei hoher Inflation eine zeitliche Vergleichbarkeit erheblich erschwert.
Scheingewinne: Es werden Scheingewinne in der periodischen Erfolgsrechnung und in den Produktergebnissen ausgewiesen. S. 1110