EuGH Urteil v. - C-349/96

Leitsatz

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1. Ein Steuerpflichtiger, der kein Versicherer ist und der im Rahmen einer Gruppenversicherung, deren Versicherungsnehmer er ist, seinen Kunden als Versicherten durch Einschaltung eines Versicherers, der das versicherte Risiko übernimmt, Versicherungsschutz verschafft, tätigt einen Versicherungsumsatz im Sinne des Artikels 13 Teil B Buchstabe a der Sechsten Richtlinie 77/388, der die Befreiung von Versicherungs- und Rückversicherungsumsätzen von der Mehrwertsteuer betrifft. Der Ausdruck "Versicherung" in dieser Bestimmung umfasst die im Anhang der Ersten Richtlinie 73/239 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften betreffend die Aufnahme und Ausübung der Tätigkeit der Direktversicherung (mit Ausnahme der Lebensversicherung) aufgeführten Beistandsleistungen.

2. Um für die Mehrwertsteuer zu entscheiden, ob eine Dienstleistung, die ein Leistungsbündel darstellt, als eine einheitliche Leistung oder zwei oder mehr eigenständige Leistungen zu betrachten ist, die getrennt beurteilt werden müssen, ist zum einen zu berücksichtigen, daß sich aus Artikel 2 Absatz 1 der Sechsten Richtlinie 77/388 ergibt, daß jede Dienstleistung in der Regel als eigene, selbständige Leistung zu betrachten ist, und daß zum anderen eine wirtschaftlich einheitliche Dienstleistung im Interesse eines funktionierenden Mehrwertsteuersystems nicht künstlich aufgespalten werden darf.

3. Eine einheitliche Leistung liegt insbesondere vor, wenn ein oder mehrere Teile die Hauptleistung, ein oder mehrere andere Teile aber Nebenleistungen darstellen, die das steuerliche Schicksal der Hauptleistung teilen. Eine Leistung ist als Nebenleistung zu einer Hauptleistung anzusehen, wenn sie für die Kundschaft keinen eigenen Zweck, sondern das Mittel darstellt, um die Hauptleistung des Leistungserbringers unter optimalen Bedingungen in Anspruch zu nehmen. Dem Umstand, daß ein Gesamtpreis in Rechnung gestellt wird, kommt damit keine entscheidende Bedeutung zu.

4. Bei einem Plan, der Kreditkarteninhabern Schutz gegen finanzielle Nachteile und Unannehmlichkeiten bieten soll, die sich aus dem Verlust der Karte ergeben, und der u. a. eine Versicherungsleistung und eine Kartenregistrierungsleistung vorsieht, ist es Sache des nationalen Gerichts, im Lichte der vorstehenden Auslegungshinweise zu entscheiden, ob derartige Umsätze im Hinblick auf die Mehrwertsteuer aus zwei selbständigen Leistungen zusammengesetzt sind oder ob eine dieser beiden Leistungen die Hauptleistung, die andere aber die Nebenleistung darstellt, so daß die letztere das steuerliche Schicksal der Hauptleistung teilt.

5. 6 Artikel 13 Teil B Buchstabe a der Sechsten Richtlinie 77/388, der die Befreiung von Versicherungs- und Rückversicherungsumsätzen von der Mehrwertsteuer betrifft, erlaubt es einem Mitgliedstaat nicht, die Steuerbefreiung für Versicherungsumsätze auf die Leistungen von Versicherern zu beschränken, die die nach nationalem Recht hierfür erforderliche Zulassung haben.

Da nämlich diese Bestimmung entsprechend dem Grundsatz der steuerlichen Neutralität keine Unterscheidung zwischen erlaubten Geschäften und solchen trifft, die nach nationalem Recht rechtswidrig sind, sind diese beiden Gruppen von Geschäften gleich zu behandeln.

Gesetze: Sechste Richtlinie 77/388/EWG Art. 2 Abs. 1 ; Sechste Richtlinie 77/388/EWG Art. 13 Teil B Buchst. a

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf)

Gründe

1 Das House of Lords hat mit Beschluß vom , beim Gerichtshof eingegangen am , gemäß Artikel 177 EG-Vertrag vier Fragen nach der Auslegung von Artikel 2 Absatz 1 und Artikel 13 Teil B Buchstabe a der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1; Sechste Richtlinie) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen der Card Protection Plan Ltd (Klägerin) und den Commissioners of Customs & Excise (Commissioners), die im Vereinigten Königreich für die Erhebung der Mehrwertsteuer zuständig sind, über eine Mehrwertsteuerbefreiung nach Section 17 und Schedule 6, Group 2, des Valü Added Tax Act 1983 (Mehrwertsteuergesetz; VAT Act 1983).

Nationales Recht

3 Zur entscheidungserheblichen Zeit waren nach Section 17 und Schedule 6, Group 2, des VAT Act 1983 u. a. von der Mehrwertsteuer befreit:

"1. die Versicherung und Rückversicherung durch Personen, denen gemäß Section 2 des Insurance Companies Act 1982 die Erlaubnis erteilt wurde, die Versicherungstätigkeit zu betreiben;

2....

3. die Vermittlung von Versicherungen und Rückversicherungen jeder Art im Sinne der Punkte 1 und 2;

4. die Bearbeitung von Versicherungsansprüchen durch Versicherungsmakler, Versicherungsagenten und Personen, denen die Erlaubnis zum Betreiben der Versicherungstätigkeit im Sinne von Punkt 1 erteilt wurde."

Gemeinschaftsrecht

4 Nach Artikel 2 der Sechsten Richtlinie unterliegen

"1. Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Inland gegen Entgelt ausführt",

der Mehrwertsteuer.

Artikel 13 der Sechsten Richtlinie - Steuerbefreiungen im Inland - lautet:

"...

B. Sonstige Steuerbefreiungen

Unbeschadet sonstiger Gemeinschaftsvorschriften befreien die Mitgliedstaaten unter den Bedingungen, die sie zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung der nachstehenden Befreiungen sowie zur Verhütung von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und etwaigen Mißbräuchen festsetzen, von der Steuer:

a) die Versicherungs- und Rückversicherungsumsätze einschließlich der dazugehörigen Dienstleistungen, die von Versicherungsmaklern und -vertretern erbracht werden;

..."

5 Im Anhang zur Ersten Richtlinie 73/239/EWG des Rates vom 24. Juli 1973 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften betreffend die Aufnahme und Ausübung der Tätigkeit der Direktversicherung (mit Ausnahme der Lebensversicherung) (ABl. L 228, S. 3) in der Fassung der Richtlinie 84/641/EWG des Rates vom (ABl. L 339, S. 21) heisst es:

"A. Einteilung der Risiken nach Versicherungszweigen

...

18. Beistand

Beistandsleistungen zugunsten von Personen, die auf Reisen oder während der Abwesenheit von ihrem Wohnsitz oder ständigen Aufenthaltsort in Schwierigkeiten geraten."

6 Artikel 2 der Richtlinie 77/92/EWG des Rates vom 13. Dezember 1976 über Maßnahmen zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs für die Tätigkeiten des Versicherungsagenten und des Versicherungsmaklers (aus ISIC-Gruppe 630), insbesondere Übergangsmaßnahmen für solche Tätigkeiten (ABl. 1977, L 26, S. 14), nimmt auf die Tätigkeiten des Versicherungsvertreters und des Versicherungsmaklers Bezug, für die die Richtlinie gilt.

Der Ausgangsrechtsstreit

7 Die Klägerin bietet Kreditkarteninhabern gegen Entgelt einen Plan an, der Schutz gegen finanzielle Verluste oder Unannehmlichkeiten bieten soll, die sich aus dem Verlust oder dem Diebstahl der Karte sowie bestimmter anderer Gegenstände, etwa Autoschlüssel, Reisepässe oder Versicherungspolicen, ergeben.

8 Soweit der Kartenschutzplan (Plan) eine Entschädigung für finanzielle Verluste des Karteninhabers im Falle des Verlustes oder des Diebstahls vorsieht, hat die Klägerin eine Gruppenversicherung bei einem Versicherungsunternehmen abgeschlossen. Die Gruppenversicherung wurde von einem von der Klägerin beauftragten Versicherungsmakler erstellt. Zur entscheidungserheblichen Zeit war der Versicherer die Continental Assurance Company of London (Versicherer). Die Kunden der Klägerin werden in der Police als die Versicherten genannt. Wenn ein Karteninhaber Kunde der Klägerin wird, so wird sein Name in eine Liste der Versicherten aufgenommen, die durch die Police geschützt sind. Die Klägerin führt an den Versicherer zu Beginn jedes Versicherungsjahres Versicherungsprämien ab; Anpassungen, die erforderlich werden, weil Karteninhaber während des Jahres dem Plan bei- oder aus ihm austreten, erfolgen am Ende des Jahres.

9 Soweit die von der Klägerin angebotenen Dienstleistungen dem im Anhang zur Police beschriebenen, vom Versicherer gewährten Versicherungsschutz entsprechen, lassen sie sich wie folgt zusammenfassen:

- eine Entschädigung bei betrügerischer Verwendung von Karten (Versicherungssumme innerhalb der ersten 24 Stunden, die auf die Entdeckung des Verlustes oder Diebstahls folgen, 750 UKL für jeden Schadensfall; nach Meldung des Verlustes an die Klägerin ist der Versicherungsschutz unbeschränkt);

- eine Entschädigung für die Kosten der Wiederbeschaffung verlorener Gepäckstücke, Taschen oder Gegenstände, wenn diese mit von der Klägerin ausgegebenen Anhängern versehen sind (Versicherungssumme 25 UKL für jeden Schadensfall);

- eine Entschädigung für die Kosten für Aussagen vor der Polizei und/oder die Geltendmachung von Versicherungsansprüchen für wertvolle Gegenstände und/oder wichtige Dokumente, deren Seriennummern bei der Klägerin registriert worden sind (Versicherungssumme ebenfalls 25 UKL für jeden Schadensfall);

- Vorkehrungen, damit Vertreter des Versicherers einen ganztägigen Telefondienst für die Beratung über den Zugang zu ärztlicher Behandlung bereitstellen, der die Vermittlung von Arztterminen im Ausland umfasst;

- Entschädigung durch Barvorschuß in Notfällen nach Kartenverlust, begrenzt auf 500 UKL für jeden Schadensfall und innerhalb von 14 Tagen rückzahlbar;

- Entschädigung zum Zweck der Besorgung von Flugscheinen von jedem Ort der Welt in die Heimat des Karteninhabers nach dem Verlust von Karten (Entschädigung von bis zu 1 500 UKL für jeden Schadensfall, rückzahlbar innerhalb von 14 Tagen).

10 Im übrigen umfasst der Plan im wesentlichen folgende Leistungen:

- Speicherung der Kreditkarten des Kunden im Computer der Klägerin;

- Bereitstellung einer ganztägigen Telefonverbindung, um einen Verlust zu melden und das Erforderliche zu veranlassen, um die Kreditkartenunternehmen zu unterrichten; Ausgabe von Aufklebern mit dieser Telefonnummer;

- im Falle eines Verlustes Unterstützung bei der Bestellung von Ersatzkarten;

- im Falle einer Adressenänderung Unterstützung bei der Unterrichtung der Kreditkartenunternehmen;

- Ausgabe von vorgedruckten Schlüsselanhängern, die deren Wiederauffinden im Falle eines Verlustes erlauben;

- Übersendung eines jährlichen Ausdrucks, den der Kunde überprüfen kann;

- Ausgabe einer Arztkarte, in der persönliche medizinische Daten eingetragen werden können;

- Rabatte bei der Kfz-Miete.

11 Die Commissioners betrachteten die Dienstleistungen der Klägerin seit 1983 als steuerfrei. 1990 unterwarfen sie einen zwischen der Klägerin und einem Kunden gegen einen Mitgliedsbeitrag von 16 UKL für einen Dreijahreszeitraum geschlossenen "Musterdienstleistungsvertrag" der Mehrwertsteuer zum Normalsatz. Diese Entscheidung stützte sich auf zwei Gründe: Zum einen umfasse der Plan ein "Dienstleistungspaket", dessen einzelne Dienstleistungen sämtlich der Steuer unterlägen und das im Kern die Registrierung von Kreditkarten durch die Klägerin und die Unterrichtung über einen Verlust betreffe, um jede weitere Haftung im Falle einer betrügerischen Verwendung auszuschließen; zum anderen bestehe keine vertragliche Beziehung zwischen dem Versicherer und den Kunden der Klägerin, die besondere Rechtsbeziehungen im Zusammenhang mit der Versicherungspolice geschaffen hätte, so daß es keine Versicherungsleistung gegenüber dem Kunden gebe.

12 Die Klägerin focht diesen Bescheid mit der Begründung an, eine solche Vertragsbeziehung bestehe sehr wohl; auch sei die Leistung ganz oder teilweise von der Steuer befreit. Die entsprechende Klage wies das VAT & Duties Tribunal, London, ab. Der High Court gab dem Rechtsmittel der Klägerin teilweise statt. Der Court of Appeal wies mit Urteil vom die Klage in vollem Umfang ab; der Plan sei eine "Kartenregistrierungsdienstleistung"; die Versicherungsbestandteile seien demgegenüber nebensächlich. Auf ein weiteres Rechtsmittel der Klägerin hin setzte das House of Lords das Verfahren aus und legte dem Gerichtshof die folgenden vier Fragen zur Vorabentscheidung vor:

1. Wovon hängt es nach den Bestimmungen der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie und insbesondere nach deren Artikel 2 Absatz 1 ab, ob ein Umsatz für die Zwecke der Mehrwertsteuer aus einer einzigen zusammengesetzten Leistung oder aus zwei oder mehr voneinander unabhängigen Leistungen besteht?

2. Stellt die Erbringung einer Dienstleistung oder mehrerer Dienstleistungen von der Art, wie sie die Card Protection Plan (CPP) im Rahmen des von ihr angebotenen Kartenschutzplans erbringt, für die Zwecke der Mehrwertsteuer eine einzige zusammengesetzte Dienstleistung oder zwei oder mehr voneinander unabhängige Dienstleistungen dar? Spielen besondere Merkmale des vorliegenden Falles, etwa die Zahlung eines einheitlichen Preises durch den Kunden oder die Beteiligung der Continental Assurance Company of London plc neben der CPP, bei der Beantwortung dieser Frage eine Rolle?

3. Stellt eine solche Dienstleistung oder stellen solche Dienstleistungen "Versicherungsumsätze... einschließlich der dazugehörigen Dienstleistungen, die von... Versicherungsvertretern erbracht werden", im Sinne von Artikel 13 Teil B Buchstabe a der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie dar? Namentlich:

a) Umfasst "Versicherung" im Sinne von Artikel 13 Teil B Buchstabe a der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie für die Zwecke der Beantwortung dieser Frage die Arten von Tätigkeiten, insbesondere die Leistung von "Beistand", die im Anhang der Richtlinie 73/239/EWG des Rates (der Ersten Richtlinie des Rates über die Direktversicherung mit Ausnahme der Lebensversicherung) in der durch die Richtlinie 84/641/EWG des Rates geänderten Fassung aufgeführt sind?

b) Sind die "dazugehörigen Dienstleistungen, die von... Versicherungsvertretern erbracht werden", in Artikel 13 Teil B Buchstabe a der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie die Tätigkeiten, die in Artikel 2 der Richtlinie 77/92/EWG des Rates aufgeführt sind, oder schließen sie diese Tätigkeiten ein?

4. Ist es mit Artikel 13 Teil B Buchstabe a der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie vereinbar, wenn ein Mitgliedstaat den Geltungsbereich der Steuerbefreiung für "Versicherungsumsätze" auf Dienstleistungen beschränkt, die von Personen erbracht werden, die für die Durchführung der Versicherungstätigkeit nach dem Recht dieses Mitgliedstaats zugelassen sind?

Die dritte Frage

13 Die dritte Frage ist vorab zu erörtern; sie geht dahin, ob Dienstleistungen, wie sie die Klägerin nach dem Plan ihren Kunden erbringt, Versicherungsumsätze oder dazugehörige Dienstleistungen, die von Versicherungsvertretern erbracht werden, im Sinne des Artikels 13 Teil B Buchstabe a der Sechsten Richtlinie sind.

14 Die Klägerin bringt vor, alles, was der Kunde nach dem Plan erhalte, falle unmittelbar unter den Begriff des Versicherungsumsatzes im Sinne des Artikels 13 Teil B Buchstabe a der Sechsten Richtlinie. Die Bundesregierung, die Regierung des Vereinigten Königreichs und die Kommission räumen ein, daß der Plan gewisse Versicherungsleistungen zumindest einschließe. Die Regierung des Vereinigten Königreichs trägt vor, es sei Sache des nationalen Gerichts, zu entscheiden, ob die Klägerin als Versicherungsvertreter handele. Für die Kommission steht hingegen fest, daß die Tätigkeiten der Klägerin nicht die eines Versicherungsvertreters im strengen oder technischen Sinne seien.

15 Nach ständiger Rechtsprechung sind die in Artikel 13 der Sechsten Richtlinie vorgesehenen Steuerbefreiungen autonome gemeinschaftsrechtliche Begriffe, die eine von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterschiedliche Anwendung des Mehrwertsteuersystems vermeiden sollen (siehe Urteil vom in der Rechtssache 348/87, Stichting Uitvöring Financiële Acties, Slg. 1989, 1737, Randnr. 11).

16 Die Sechste Richtlinie definiert weder den Begriff der "Versicherungsumsätze" noch den der "Versicherungsvertreter" in Artikel 13 Teil B Buchstabe a.

17 Auch die Richtlinie 73/239 definiert, was den Begriff der "Versicherungsumsätze" angeht, den Begriff der Versicherung nicht. Wie jedoch der Generalanwalt in Nummer 34 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, ist es nach allgemeinem Verständnis das Wesen eines Versicherungsumsatzes, daß der Versicherer sich verpflichtet, dem Versicherten gegen vorherige Zahlung einer Prämie beim Eintritt des Versicherungsfalls die bei Vertragsschluß vereinbarte Leistung zu erbringen.

18 Die Leistung, zu deren Erbringung im Versicherungsfall der Versicherer sich verpflichtet, braucht nicht in der Zahlung eines Geldbetrags, sondern kann auch in Beistandsleistungen entweder durch Geldzahlung oder Sachleistungen bestehen, wie sie im Anhang der Richtlinie 73/239 in der Fassung der Richtlinie 84/641 aufgeführt sind. Es gibt nämlich keinen Grund, den Begriff "Versicherung" in der Sechsten Richtlinie anders als in der Versicherungsrichtlinie zu verstehen.

19 Ausserdem steht fest, daß der Ausdruck "Versicherungsumsätze" in Artikel 13 Teil B Buchstabe a zumindest den Fall erfasst, in dem der fragliche Umsatz von dem Versicherer, der die Deckung des versicherten Risikos übernommen hat, selbst getätigt wird. Wie die Regierung des Vereinigten Königreichs zu Recht vorgetragen hat, ist es Sache des nationalen Gerichts, zu entscheiden, ob die Klägerin selbst Verpflichtungen eines Versicherers übernommen hat.

20 Die Klägerin trägt jedoch vor, daß sie den Kunden nur zugesagt habe, das Erforderliche zu veranlassen, damit ein Dritter ihnen Versicherungsleistungen erbringe, und sich nicht selbst verpflichtet habe, den Versicherungsschutz zu erbringen. Die Kommission hat hierzu betont, daß die Klägerin eine Gruppenpolice für ihre Kunden halte.

21 Unter diesen Umständen ist die Klägerin Nehmerin einer Gruppenversicherung; ihre Kunden sind die Versicherten. Sie verschafft diesen, soweit es um die Dienstleistungen geht, die in der Police des Versicherers aufgeführt sind, gegen Entgelt im eigenen Namen und für eigene Rechnung Versicherungsschutz durch Einschaltung eines Versicherers. Unter dem Gesichtspunkt der Mehrwertsteuer findet somit der Leistungsaustausch einerseits zwischen dem Versicherer und der Klägerin, andererseits zwischen der Klägerin und ihren Kunden statt, wobei der Umstand ohne Belang ist, daß der Versicherer nach dem mit der Klägerin geschlossenen Vertrag deren Kunden den Versicherungsschutz unmittelbar gewährt.

22 Eine Dienstleistung, wie sie die Klägerin erbringt, ist ein Versicherungsumsatz im Sinne des Artikels 13 Teil B Buchstabe a. Zwar sind die in Artikel 13 der Sechsten Richtlinie aufgeführten Steuerbefreiungen eng auszulegen (siehe Urteil Stichting Uitvöring Financiële Acties, Randnr. 13). Jedoch ist der Ausdruck "Versicherungsumsätze" grundsätzlich weit genug, um die Gewährung von Versicherungsschutz durch einen Steuerpflichtigen zu umfassen, der nicht selbst der Versicherer ist, der aber im Rahmen einer Gruppenversicherung seinen Kunden einen solchen Schutz durch Inanspruchnahme der Leistungen eines Versicherers, der das versicherte Risiko zu decken übernimmt, verschafft.

23 Für diese Auslegung spricht auch der Zweck der Sechsten Richtlinie, die die Versicherungsumsätze von der Steuer befreit, in Artikel 33 aber den Mitgliedstaaten die Befugnis belässt, Abgaben auf Versicherungsverträge beizubehalten oder einzuführen. Erfasste also der Ausdruck "Versicherungsumsätze" nur Umsätze der Versicherer selbst, so könnte der Endverbraucher nicht nur mit dieser Abgabe, sondern im Fall von Gruppenversicherungen auch mit der Mehrwertsteuer belastet werden. Das widerspräche dem Zweck der in Artikel 13 Teil B Buchstabe a vorgesehenen Steuerbefreiung.

24 Unter diesen Voraussetzungen braucht nicht mehr geprüft zu werden, ob die Klägerin eine der in Artikel 13 Teil B Buchstabe a der Sechsten Richtlinie erwähnten Tätigkeiten als Versicherungsvertreter ausgeuebt hat.

25 Auf die dritte Frage ist somit zu antworten, daß ein Steuerpflichtiger, der kein Versicherer ist und der im Rahmen einer Gruppenversicherung, deren Versicherungsnehmer er ist, seinen Kunden als Versicherten durch Einschaltung eines Versicherers, der das versicherte Risiko übernimmt, Versicherungsschutz verschafft, einen Versicherungsumsatz im Sinne des Artikels 13 Teil B Buchstabe a der Sechsten Richtlinie tätigt. Der Ausdruck "Versicherung" in dieser Bestimmung umfasst die im Anhang der Richtlinie 73/239 in der Fassung der Richtlinie 84/641 aufgeführten Beistandsleistungen.

Die erste und die zweite Frage

26 Die ersten beiden Fragen sind zusammen zu prüfen. Es geht darum, wovon es bei einem Plan, wie ihn die Klägerin ihren Kunden liefert, im Hinblick auf die Mehrwertsteuer abhängt, ob ein Umsatz, der aus mehreren Teilen besteht, als einheitliche Leistung oder als zwei oder mehrere voneinander unabhängige Leistungen zu betrachten ist.

27 Die Frage nach dem Umfang eines Umsatzes hat aus mehrwertsteuerlicher Sicht sowohl für die Lokalisierung des Ortes von Dienstleistungen als auch für die Anwendung des Steuersatzes oder, wie im vorliegenden Fall, der in der Sechsten Richtlinie vorgesehenen Befreiungen besondere Bedeutung. Wegen der Vielfalt gewerblicher Umsätze kann die Frage nach der richtigen Vorgehensweise dabei nicht für alle Fälle erschöpfend beantwortet werden.

28 Wie der Gerichtshof im Urteil vom in der Rechtssache C-231/94 (Faaborg-Gelting Linien, Slg. 1996, 2395, Randnrn. 12 bis 14) jedoch für Restaurationsleistungen entschieden hat, ist bei einem Umsatz, der ein Leistungsbündel darstellt, eine Gesamtbetrachtung erforderlich.

29 Da sich zum einen aus Artikel 2 Absatz 1 der Sechsten Richtlinie ergibt, daß jede Dienstleistung in der Regel als eigene, selbständige Leistung zu betrachten ist, und da zum anderen eine wirtschaftlich einheitliche Dienstleistung im Interesse eines funktionierenden Mehrwertsteuersystems nicht künstlich aufgespalten werden darf, ist das Wesen des fraglichen Umsatzes zu ermitteln, um festzustellen, ob der Steuerpflichtige dem Verbraucher mehrere selbständige Hauptleistungen oder eine einheitliche Leistung erbringt, wobei auf die Sicht des Durchschnittsverbrauchers abzustellen ist.

30 Eine einheitliche Leistung liegt insbesondere vor, wenn ein oder mehrere Teile die Hauptleistung, ein oder mehrere andere Teile aber Nebenleistungen darstellen, die das steuerliche Schicksal der Hauptleistung teilen. Eine Leistung ist als Nebenleistung zu einer Hauptleistung anzusehen, wenn sie für die Kundschaft keinen eigenen Zweck, sondern das Mittel darstellt, um die Hauptleistung des Leistungserbringers unter optimalen Bedingungen in Anspruch zu nehmen (Urteil vom in den Rechtssachen C-308/96 und C-94/97, Madgett und Baldwin, Slg. 1998, I-0000, Randnr. 24).

31 Dem Umstand, daß ein Gesamtpreis in Rechnung gestellt wird, kommt damit keine entscheidende Bedeutung zu. Freilich kann es für das Vorliegen einer einheitlichen Leistung sprechen, wenn ein Leistungserbringer seinen Kunden eine aus mehreren Teilen zusammengesetzte Dienstleistung gegen Zahlung eines Gesamtpreises erbringt. Sollte sich aber aus den in den Randnummern 7 bis 10 beschriebenen Umständen ergeben, daß die Kunden trotz des einheitlichen Preises aus ihrer Sicht zwei gesonderte Dienstleistungen erwerben, nämlich eine Versicherungsdienstleistung und eine Kartenregistrierungsdienstleistung, so wäre der Teil des einheitlichen Preises, der sich auf die Versicherungsdienstleistung bezieht und jedenfalls von der Steuer befreit bliebe, herauszurechnen. Hierbei wäre die einfachstmögliche Berechnung- oder Bewertungsmethode zu verwenden (in diesem Sinne Urteil Madgett und Baldwin, Randnrn. 45 f.).

32 Auf die ersten beiden Fragen ist daher zu antworten, daß es Sache des vorlegenden Gerichts ist, im Lichte der vorstehenden Auslegungshinweise zu entscheiden, ob Umsätze der von der Klägerin getätigten Art im Hinblick auf die Mehrwertsteuer aus zwei selbständigen Leistungen - einer steuerfreien Versicherungsleistung und einer steuerpflichtigen Kartenregistrierungsleistung - zusammengesetzt sind oder ob eine dieser beiden Leistungen die Hauptleistung, die andere aber die Nebenleistung darstellt, so daß die letztere das steuerliche Schicksal der Hauptleistung teilt.

Die vierte Frage

33 Für den Fall, daß das nationale Gericht zu dem Schluß kommt, die Klägerin habe als Versicherer gehandelt, der das versicherte Risiko übernommen und damit Umsätze getätigt habe, die nach nationalem Recht rechtswidrig wären, ist auf den Grundsatz der steuerlichen Neutralität der Sechsten Richtlinie hinzuweisen. Dieser Grundsatz verbietet es, wie der Gerichtshof bereits entschieden hat, von hier nicht einschlägigen Ausnahmen abgesehen, unerlaubte Geschäfte im Hinblick auf die Mehrwertsteuer anders zu behandeln als erlaubte (siehe Urteil vom in der Rechtssache C-283/95, Fischer, Slg. 1998, I-3369, Randnr. 22).

34 Die Regierung des Vereinigten Königreichs hat jedoch geltend gemacht, daß die Beschränkung der Steuerbefreiung auf Umsätze zugelassener Versicherer im Hinblick auf den einleitenden Satzteil des Artikels 13 Teil B der Sechsten Richtlinie gerechtfertigt sei.

35 Entsprechend dem Grundsatz der steuerlichen Neutralität bewirkt diese Bestimmung jedoch hinsichtlich der dort vorgesehenen Steuerbefreiung von Versicherungsumsätzen keine Unterscheidung zwischen erlaubten Geschäften und solchen, die nach nationalem Recht rechtswidrig sind. Diese beiden Gruppen von Geschäften sind daher gleich zu behandeln.

36 Auf die vierte Frage ist somit zu antworten, daß Artikel 13 Teil B Buchstabe a der Sechsten Richtlinie es einem Mitgliedstaat nicht erlaubt, die Steuerbefreiung für Versicherungsumsätze auf die Leistungen von Versicherern zu beschränken, die die nach nationalem Recht hierfür erforderliche Zulassung haben.

Kostenentscheidung:

Kosten

37 Die Auslagen der Regierung des Vereinigten Königreichs und der Bundesregierung sowie der Kommission, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Fundstelle(n):
FAAAC-43256

1Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg