Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),
Gründe
I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) betreibt in X in der Rechtsform der GmbH & Co. KG ein Bauunternehmen. Zur Ausführung der Bauvorhaben bediente sie sich zahlreicher Subunternehmen.
Eine Umsatzsteuersonderprüfung des Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt —FA—) kam zu dem Ergebnis, dass für die Streitjahre 1993 bis 1995 Vorsteuerabzüge aus Rechnungen von acht Subunternehmen nicht berücksichtigt werden könnten, da der tatsächlich leistende Unternehmer aus den Rechnungsangaben nicht hervorgehe. Es handele sich insoweit um sog. Service- bzw. Scheinunternehmen.
Das FA erkannte daraufhin die von der Klägerin aus Rechnungen dieser Unternehmen geltend gemachten Vorsteuerbeträge nicht als abziehbar an. Die Einsprüche der Klägerin blieben erfolglos.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Es führte zur Begründung im Wesentlichen aus:
Als Vorsteuerbeträge abziehen könne ein Unternehmer nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 des Umsatzsteuergesetzes 1993 (UStG) die in Rechnungen i.S. des § 14 UStG gesondert ausgewiesene Steuer für Lieferungen oder sonstige Leistungen, die von anderen Unternehmern für sein Unternehmen ausgeführt worden seien. Aus § 15 UStG folge, dass für den Vorsteuerabzug nur diejenige gesondert ausgewiesene Steuer in Betracht komme, die in einem vom leistenden Unternehmer erteilten Abrechnungspapier enthalten sei; d.h., es müsse Identität zwischen Rechnungsaussteller und leistendem Unternehmer bestehen.
Regelmäßig ergebe sich aus den abgeschlossenen zivilrechtlichen Vereinbarungen, wer bei einem Umsatz als Leistender anzusehen sei. Leistender sei in der Regel der, der die Lieferungen oder sonstigen Leistungen im eigenen Namen gegenüber einem anderen selbst oder durch einen Beauftragten ausführe. Ob eine Leistung dem Handelnden oder einem anderen zuzurechnen sei, hänge grundsätzlich davon ab, ob der Handelnde gegenüber Dritten im eigenen Namen oder berechtigterweise im Namen eines anderen bei Ausführung entgeltlicher Leistungen aufgetreten sei.
Leistender sei dagegen aber nicht, wer in die Leistungsbeziehung nur der Form halber einbezogen werde, indem er im eigenen Namen Rechnungen über Leistungen erteile, die tatsächlich von Dritten erbracht würden. Soweit sich die Funktion der Rechnungsaussteller auf sog. „Servicedienste” beschränke, nämlich Dritten —etwa Schwarzarbeiterkolonnen bzw. deren Anführern (sog. Kolonnenschiebern)— gegen „Provision” zu ermöglichen, unter fremden Namen Verträge abzuschließen, Rechnungen zu erstellen und Gelder zu vereinnahmen, sei der Vorsteuerabzug zu versagen, weil es in diesem Fall an der Identität zwischen Rechnungsaussteller und dem tatsächlich leistenden Unternehmer fehle.
Angesichts der insbesondere im Baugewerbe verbreiteten kriminellen Praktiken von sog. „Serviceunternehmen”, die —ohne eigene Leistungen zu erbringen—, lediglich zur Rechnungserteilung eingeschaltet würden, reiche bereits ein hinreichend konkreter Verdacht einer solchen Betätigung aus, den Vorsteuerabzug aus Rechnungen solcher Unternehmen zu verweigern, solange nicht nachgewiesen sei, dass die Leistungen tatsächlich vom Rechnungsaussteller erbracht worden seien.
Derartige —von der Klägerin nicht ausgeräumte— Verdachtsmomente lägen bei sämtlichen acht Subunternehmen vor.
Das Urteil des FG ist in Deutsches Steuerrecht/Entscheidungsdienst (DStRE) 2004, 530 abgedruckt.
Mit der Revision rügt die Klägerin, das FG sei von der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) abgewichen und habe deshalb unzureichende tatsächliche Feststellungen getroffen.
Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
II. Die Revision ist begründet; sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung —FGO—).
Das FG hat sein Urteil maßgebend darauf gestützt, bereits ein hinreichend konkreter Verdacht einer Betätigung als „Serviceunternehmen” reiche aus, den Vorsteuerabzug aus Rechnungen solcher Unternehmen zu verweigern, solange nicht nachgewiesen sei, dass die Leistungen tatsächlich vom Rechnungsaussteller erbracht worden seien.
Diese Auffassung, die das FG auch in seinem durch (BFHE 198, 208, BStBl II 2004, 622) aufgehobenem Beschluss vom 5 V 7603/00 A (U) (Entscheidungen der Finanzgerichte —EFG— 2001, 1626) vertreten hat, entspricht nicht der Rechtsprechung des BFH.
Zur Entscheidung des Streitfalles bedarf es weiterer Feststellungen.
1. Ein Unternehmer kann nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG die in Rechnungen i.S. des § 14 UStG gesondert ausgewiesene Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen, die von anderen Unternehmern für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, als Vorsteuerbeträge abziehen.
a) Rechnungsaussteller und leistender Unternehmer müssen grundsätzlich identisch sein (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschluss in BFHE 198, 208, BStBl II 2004, 622, m.w.N.; , BFH/NV 2004, 233).
b) Wer bei einem Umsatz als Leistender anzusehen ist, ergibt sich regelmäßig aus den zugrunde liegenden Vereinbarungen. Leistender ist in der Regel derjenige, der die Lieferungen oder sonstigen Leistungen im eigenen Namen gegenüber einem anderen selbst ausführt oder durch einen Beauftragten ausführen lässt. Ob eine Leistung dem Handelnden oder einem anderen zuzurechnen ist, hängt deshalb grundsätzlich davon ab, ob der Handelnde gegenüber dem Leistungsempfänger im eigenen Namen oder berechtigterweise im Namen eines anderen bei Ausführung entgeltlicher Leistungen aufgetreten ist (vgl. BFH-Beschluss in BFHE 198, 208, BStBl II 2004, 622, m.w.N.).
aa) Maßgeblich ist hiernach, wer aus dem entsprechenden Rechtsgeschäft zu einer Leistung i.S. des § 1 Abs. 1 UStG an den Leistungsempfänger verpflichtet ist. Ohne Bedeutung ist insoweit, ob er seine Leistungsverpflichtung höchstpersönlich ausführt oder durch andere ausführen lässt und inwiefern ihm der wirtschaftliche Erfolg des Geschäfts endgültig verbleibt. Tritt deshalb jemand im Rechtsverkehr im eigenen Namen aber für Rechnung eines anderen auf, der aus welchen Gründen auch immer nicht selbst als berechtigter bzw. verpflichteter Vertragspartner in Erscheinung treten will, ist zivilrechtlich grundsätzlich nur der „Strohmann” aus dem Rechtsgeschäft berechtigt und verpflichtet; dementsprechend sind auch dem sog. Strohmann die Leistungen zuzurechnen, die der sog. Hintermann berechtigterweise im Namen des Strohmanns tatsächlich ausgeführt hat (ausführlich BFH in BFHE 198, 208, BStBl II 2004, 622, m.w.N.).
bb) Unbeachtlich ist das „vorgeschobene” Strohmanngeschäft —zivilrechtlich und (umsatz-)steuerrechtlich (vgl. auch § 41 Abs. 2 der Abgabenordnung —AO 1977—)— allerdings dann, wenn es nur zum Schein abgeschlossen worden ist, d.h. wenn die Vertragsparteien —der Strohmann und der Dritte (hier der Leistungsempfänger)— einverständlich oder stillschweigend davon ausgehen, dass die Rechtswirkungen des Geschäftes gerade nicht zwischen ihnen, sondern zwischen dem Dritten und dem Hintermann eintreten sollen (ausführlich BFH in BFHE 198, 208, BStBl II 2004, 622, m.w.N.; vgl. auch , BFH/NV 2004, 235).
cc) Ob im Einzelfall die vorstehend unter bb) beschriebenen Voraussetzungen vorliegen, kann in der Regel nur anhand einer Vielzahl in Betracht kommender Indizien nach dem Gesamtbild der Verhältnisse beurteilt werden. Diese Aufgabe obliegt nach ständiger Rechtsprechung in erster Linie dem FG als Tatsacheninstanz (vgl. § 96 FGO). Das FG kann dabei auch tatsächliche Feststellungen aus den Strafurteilen bei der Bildung seiner Überzeugung von dem tatsächlichen Geschehen und bei der Wertung der Ereignisse berücksichtigen (z.B. , BFH/NV 1999, 1103, m.w.N.; vom X B 92/96, BFH/NV 1998, 472; Urteil vom I R 112/93, BFHE 175, 489, BStBl II 1995, 198). Das FG ist grundsätzlich auch nicht gehindert, Feststellungen aus einem Strafurteil in einem Verfahren zu berücksichtigen, an dem der Betroffene des finanzgerichtlichen Verfahrens nicht beteiligt war (BFH-Entscheidungen vom VII R 124/85, BFHE 153, 463; in BFH/NV 1999, 1103).
c) Hat der Vertragspartner des Leistungsempfängers die Umsätze (hier: die Bauleistungen) ordnungsgemäß versteuert, besteht keine Veranlassung, die Person des Leistenden abweichend von den zivilrechtlichen Leistungsbeziehungen zu bestimmen (vgl. , BFH/NV 2000, 353).
2. Das FG ist bei seiner Entscheidung zwar davon ausgegangen, dass regelmäßig die zivilrechtlichen Vereinbarungen maßgeblich seien. Es hat dazu aber im Streitfall keine Feststellungen getroffen, sondern sich darauf beschränkt, zahlreiche Verdachtsmomente gegen die acht Subunternehmen zusammenzutragen, aus denen sich deren Eigenschaft als „Serviceunternehmen” ergeben soll.
Erkenntnisse, die in anderen Verfahren über die verschiedenen Subunternehmen gewonnen worden sind, dürfen gemäß der vorbezeichneten Rechtsprechung im Rahmen der vom FG vorzunehmenden tatsächlichen Würdigung zwar berücksichtigt werden. Entscheidend sind aber die im Streitfall gegebenen individuellen Vertrags- und Leistungsbeziehungen zwischen der Klägerin und den acht Subunternehmen.
Das FG hat auch nicht festgestellt, ob die acht Subunternehmen die von ihnen der Klägerin in Rechnung gestellten Leistungen umsatzversteuert haben.
Die Sache geht deshalb zur Nachholung entsprechender Feststellungen an das FG zurück.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2006 S. 139 Nr. 1
HFR 2006 S. 195 Nr. 2
NWB-Eilnachricht Nr. 20/2006 S. 56
UStB 2006 S. 35 Nr. 2
RAAAB-69756