BFH Beschluss v. - VIII B 209/03

Rüge eines Verstoßes gegen § 76 FGO wegen vorweggenommener Beweiswürdigung; Feststellungslast und Rüge unzureichender tatsächlicher Feststellungen betreffen revisionsrechtlich das materielle Recht

Gesetze: FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3, §§ 76, 96

Instanzenzug:

Gründe

Die Beschwerde ist unbegründet. Soweit die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) überhaupt einen Zulassungsgrund i.S. des § 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) in einer den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO genügenden Weise dargelegt haben, liegt er jedenfalls nicht vor.

1. Die Kläger haben einen Verstoß gegen § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO, die Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 119 Nr. 3 FGO) und eine „Aktenwidrigkeit” nicht schlüssig gerügt. Ihrem jeweiligen Vorbringen ist nicht in nachvollziehbarer Weise zu entnehmen, dass das Finanzgericht (FG) ihren, der Kläger, Sachvortrag im finanzgerichtlichen Verfahren nicht zur Kenntnis genommen und bei seiner Überzeugungsbildung nicht berücksichtigt habe. Da der tatsächliche Sachverhalt zwischen den Beteiligten umstritten war, musste das FG alle Maßnahmen zur Aufklärung dieses Sachverhaltes ergreifen (§ 76 Abs. 1 FGO) und sodann nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung entscheiden (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO). Soweit die Überzeugung, die das FG aus dem Akteninhalt und dem Ergebnis der Beweisaufnahme gewonnen hat, nicht dem aus den Akten ersichtlichen Vortrag der Kläger entsprochen hat, rügen die Kläger bei zutreffender Würdigung ihres Vorbringens nicht einen Verstoß gegen den Inhalt der Akten und ihr Recht auf Gehör, sondern beanstanden in Wirklichkeit die Beweiswürdigung des FG. Gleiches gilt, soweit sie dem Inhalt von zu den Akten gereichten Schreiben oder sonstigen Unterlagen eine andere Bedeutung beimessen als das FG es getan hat.

Die Beweiswürdigung des FG ist revisionsrechtlich aber dem materiellen Recht und nicht dem Verfahrensrecht zuzuordnen und damit einer Prüfung im Verfahren über die Nichtzulassungsbeschwerde entzogen (vgl. z.B. , BFH/NV 2003, 1209, m.w.N.).

2. Auch die Rügen der Kläger gegen die Rechtsauffassung des FG, sie hätten gegen ihre Mitwirkungspflicht (§ 90 der AbgabenordnungAO 1977—) bei der Aufklärung des Sachverhalts verstoßen und deswegen sei ein geringeres Beweismaß ausreichend, rechtfertigen die Zulassung der Revision nicht. Denn das Beweismaß und die Feststellungslast (objektive Beweislast) sind revisionsrechtlich dem materiellen Recht und nicht dem Verfahrensrecht zuzuordnen (vgl. BFH-Beschlüsse vom VIII B 100/93, BFH/NV 1994, 805, m.w.N.; vom X B 170/00, BFH/NV 2002, 1481). Das FG hat seine Annahme, die Kläger hätten gegen ihre Mitwirkungspflicht verstoßen, entgegen der Rüge der Kläger auch nicht auf einen verfahrensfehlerhaft ermittelten Sachverhalt gestützt. Denn diese Auffassung folgt aus der dem materiellen Recht zuzurechnenden Würdigung der vorhandenen Unterlagen und Beweismittel einschließlich der Zeugenaussagen durch das FG dahin, dass der Kläger die verschiedenen Gesellschaften wie ein Einzelunternehmer beherrscht habe und er aufgrund dieses Umstandes zu einer weiteren Aufklärung des Sachverhaltes in der Lage gewesen wäre. Soweit die Kläger dies als eine Sachverhaltsunterstellung durch das FG ansehen und damit geltend machen, die (tatsächlichen) Urteilsfeststellungen trügen nicht die vom FG gezogenen Schlussfolgerungen, rügen sie keinen Verfahrensfehler i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO. Denn es handelt sich um einen materiell-rechtlichen Fehler, wenn eine vom FG ausgesprochene Rechtsfolge nicht durch ausreichende tatsächliche Feststellungen gedeckt ist (, BFHE 189, 255, BStBl II 1999, 670).

3. Die Kläger haben auch einen Verstoß gegen § 76 FGO wegen einer vorweggenommenen Beweiswürdigung („Beweisantizipation”) des FG nicht schlüssig gerügt. Eine gegen die Sachaufklärungspflicht verstoßende vorweggenommene Beweiswürdigung liegt vor, wenn eine Beweiserhebung mit der Begründung unterlassen oder abgelehnt wird, ihr zu erwartendes Ergebnis könne die Überzeugung des Gerichts nicht ändern (vgl. Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 76 Rn. 26). Ein derartiges Verhalten des FG haben die Kläger nicht behauptet und liegt auch nicht vor. Das Gericht hat die Zeugin Sch unstreitig lediglich deshalb nicht vernommen, weil diese von ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch gemacht hat.

Auch das Vorbringen der Kläger, das FG habe zu ihrem Nachteil Schlüsse aus der Aussageverweigerung der Zeugin Sch gezogen, führt nicht zur Zulassung der Revision. Selbst wenn man zugunsten der Kläger annähme, dass es einen Verfahrensfehler begründen würde, wenn das FG eine Aussageverweigerung fehlerhaft bewertet, ist dies hier nicht geschehen. Denn das FG hat aus der Aussageverweigerung der Zeugin keine Schlüsse auf das Verhalten des Klägers gezogen, sondern darauf hingewiesen, dass dem Gericht angesichts der Aussageverweigerung dieser Zeugin eine weitere Aufklärung des Sachverhalts nicht möglich sei.

4. Die Revision ist auch nicht gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2, 2. Alternative FGO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen.

a) Die Vorentscheidung weicht nicht von dem (BFHE 198, 506, BStBl II 2003, 50) ab. Die Kläger haben nicht dargelegt, dass das FG seiner Entscheidung einen tragenden abstrakten Rechtssatz zugrunde gelegt hat, der von abstrakten Rechtssätzen des zitierten BFH-Urteils abweicht. Soweit es für die schlüssige Bezeichnung einer Divergenz ausreicht, dass die benannte BFH-Entscheidung zu einem vergleichbaren Sachverhalt ergangen ist und diesem Sachverhalt eine andere Rechtsfolge beigemessen hat, als das FG es in der angefochtenen Entscheidung getan hat (vgl. , BFHE 162, 483, BStBl II 1991, 106), sind diese Voraussetzungen hier nicht erfüllt. Denn die Sachverhalte der Vorentscheidung und der angeblichen Divergenzentscheidung sind nicht vergleichbar, sondern unterscheiden sich in entscheidungserheblicher Weise.

Der BFH hat zu dem von ihm zu beurteilenden Sachverhalt und der Ablehnung eines Missbrauchs i.S. des § 42 der Abgabenordnung (AO 1977) ausgeführt, dass sich die ausländische Konzern-Finanzierungsgesellschaft versierter Fachkräfte bedient habe, die nicht der inländischen Gesellschaft zugerechnet werden könnten, und dass das Letztentscheidungsrecht der ausländischen Konzern-Finanzierungsgesellschaft oblegen habe (vgl. BFH-Urteil in BFHE 198, 506, BStBl II 2003, 50, unter B.II.2.b bb der Gründe). Dagegen hat das FG im Streitfall nach Durchführung der Beweisaufnahme durch Anhörung von Zeugen die Überzeugung gewonnen, dass die ausländischen Gesellschaften über kein versiertes Fachpersonal verfügt hätten, dass die technische Durchführung der Aufträge vom deutschen Technikerstab unter vollständiger und umfassender Kontrolle durch den Kläger im Inland gesteuert und erledigt worden sei und dass im Ausland eingeschaltete Techniker nur im Einvernehmen mit dem Kläger eingesetzt worden seien (S. 29 des Urteils).

b) Das angefochtene Urteil weicht auch nicht von den von der Klägerin im Einzelnen zitierten BFH-Urteilen ab, nach denen —wenn auch nur im Wege des Indizienbeweises— das Vorliegen einer Missbrauchs- und Umgehungsabsicht festzustellen ist (vgl. z.B. , BFHE 166, 356, BStBl II 1992, 532, unter II.D.5.a der Gründe). Die Kläger haben insoweit keine einander widersprechenden abstrakten Rechtssätze der BFH-Entscheidungen einerseits und des angefochtenen Urteils andererseits herausgearbeitet. Das FG ist auch nicht etwa stillschweigend von einer abweichenden Rechtsauffassung ausgegangen, sondern hat das Vorliegen einer Steuerumgehungsabsicht i.S. des § 42 AO 1977 aufgrund der nach seiner Überzeugung vom Kläger gewählten Gestaltung („Steueroasen-Modell-Labuan”) als evident angesehen. Dies ergibt sich zweifelsfrei auch daraus, dass es zum Tatbestand der Steuerhinterziehung gemäß § 370 AO 1977 ausgeführt hat, es sei auch der subjektive Tatbestand erfüllt, da es keinem Zweifel unterliege, dass der Kläger vorsätzlich, zumindest aber mit bedingtem Vorsatz ausländische Basisgesellschaften zur Verlagerung von Einkünften in niedrig besteuerndes Ausland eingeschaltet habe.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2005 S. 1123 Nr. 7
XAAAB-52821