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NWB Nr. 29 vom Seite 2043

BMF zu Einzelfragen der ertragsteuerrechtlichen Behandlung von virtuellen Währungen und von sonstigen Token

Eine kritische Analyse

Oliver Christian Schroen

[i]BMF, Schreiben v. 10.5.2022, BStBl 2022 I S. 668In seiner Pressemitteilung vom präsentiert das BMF sein Schreiben „Einzelfragen zur ertragsteuerrechtlichen Behandlung von virtuellen Währungen und von sonstigen Token“ vom (BStBl 2022 I S. 668) als eines, das den Praktikern in Verwaltung und Wirtschaft sowie dem einzelnen Steuerpflichtigen einen rechtssicheren und einfach anwendbaren Leitfaden an die Hand gibt. Ob und inwieweit ein 23-seitiges BMF-Schreiben das wirklich zu leisten vermag, soll nachfolgend untersucht werden.

S. 2044

I. Vorbemerkung

1. Anwendung auf alle noch offenen Fälle

Für Rechtsanwender ist es hilfreich, dass die Exekutive nunmehr vorgelegt hat, welche Tatbestände sie weshalb zu besteuern gedenkt. So können sich alle Rechtsanwender mit den dort explizierten Feststellungen auseinandersetzen. Bisher waren die Feststellungen der einzelnen Finanzbehörden durchaus divergierend.

[i]Rückwirkung bis ins Jahr 2009Bemerkenswert ist, dass – obwohl die Tatbestände rund um Kryptowährungen bereits seit 2009 vorliegen und spätestens seit 2017 auch allgemeine Beachtung fanden –, erst im Jahr 2022 erstmals eine bundesweit einheitliche Verwaltungsanweisung zu diesem Thema vorgelegt wurde. Dennoch sollen die Grundsätze dieses Schreibens auf alle offenen Fälle rückwirkend bis 2009 – also unter bestimmten Konstellationen auf bis zu 13 Jahre zurück – anzuwenden sein (). Da ein BMF-Schreiben die gesetzlichen Grundlagen nicht ändern kann, ist diese Rückwirkung zulässig. [i]Grundsatz Normenklarheit/-bestimmtheit verletzt?Allerdings könnte der grundgesetzlich gesicherte Grundsatz der Normenklarheit/-bestimmtheit durchaus verletzt sein, da es in der Praxis bislang nahezu unmöglich war, von den Bediensteten der Finanzämter verbindliche Auskünfte (§ 89 AO) zur Kryptobesteuerung zu erhalten; so hieß es beispielsweise in einem Schreiben eines Finanzamts mit Bezug auf eine Nacherklärung für 2017/2018 wörtlich: „Natürlich befinden sich Kryptoinvestoren in der misslichen Lage, dass sie in einem unklaren steuerlichen Umfeld agieren.“ Ganz offenbar reichten sogar in den Finanzämtern die gesetzlichen Grundlagen bislang nicht aus, um die steuerbegründenden Tatbestände klar zu identifizieren und zutreffend zu würdigen; wie soll ein normaler Steuerpflichtiger dies leisten können? Dies steht im Widerspruch zum Grundsatz der Tatbestandsmäßigkeit der Besteuerung, der „als Ausdruck des Rechtsstaatsprinzips im Bereich des Abgabenwesens fordert, dass steuerbegründende Tatbestände so bestimmt sein müssen, dass der Steuerpflichtige die auf ihn entfallende Steuerlast vorausberechnen kann (, BVerfGE 19 S. 253, 267; v.  - 2 BvL 7, 8/84, BVerfGE 73 S. 388, 400)“, so der (NWB SAAAB-36157, unter II.1.a).

2. Neueste Entwicklungen berücksichtigt das BMF-Schreiben nicht

[i]Grundkenntnisse der Blockchaintechnologie unentbehrlichSowohl um das BMF-Schreiben verstehen als auch um diesen Beitrag einordnen zu können, sind Grundkenntnisse der Funktionsweise von DLT-Systemen (Distributed Ledger Technology) in Ausprägung der sog. Blockchaintechnologie unentbehrlich. Der Komplexität der Materie war und ist es wohl geschuldet, dass im 23-seitigen BMF-Schreiben allein auf zehn Seiten mit 29 Randziffern die bis ca. 2018/2019 bekannten Tatbestände unter der Überschrift „Erläuterungen“ definiert bzw. technisch erläutert werden müssen. Im zweiten Teil ab Seite 11 erfolgt dann unter Bezugnahme auf das Definitionskonstrukt die „ertragsteuerrechtliche Einordnung“ mit 60 Randziffern (Rz. 30 bis 89), jeweils getrennt für das Betriebsvermögen und das Privatvermögen. Aber auch in diesem zweiten Teil erfolgen durch das BMF noch weitere Definitionen, die für die Besteuerung erheblich sind.

Auf neuere Tatbestände und Phänomene ab ca. 2020 (z. B. DeFi/Yield-Farming, NFT), aber auch auf die ertragsteuerrechtliche Behandlung von Token im Bereich von Krypto-Games wird nicht ausdrücklich eingegangen, obwohl all diese Tatbestände bereits heute die Steuerpflichtigen und Finanzämter beschäftigen und u. U. deklariert werden müssen.

[i]BMF-Schreiben für Steuerpflichtige und Judikative nicht bindendAls einen „rechtssicheren [...] Leitfaden“ kann man dieses BMF-Schreiben allein formell schon nicht bezeichnen, selbst wenn dies – auch in steuerrechtlichen Veröffentlichungen – immer wieder so behauptet wird. Es handelt sich hier, wie bei allen BMF-Schreiben, lediglich um eine Darstellung der Exekutive, die weder für Steuerpflichtige S. 2045noch die Judikative bindend ist. Soweit diese Darstellung gegen geltendes Recht verstößt, sei es zugunsten oder aber auch zuungunsten der Steuerpflichtigen, muss damit gerechnet werden, dass ein Finanzgericht oder der BFH Gegenteiliges entscheiden wird und ggf. eine Remonstrationspflicht für die beamteten Bediensteten in den Finanzämtern besteht.

II. Mitwirkungs- und Aufzeichnungspflichten

[i]Keine Mitwirkungs- und Aufzeichnungspflichten?In diesem BMF-Schreiben bleibt das Thema „Mitwirkungs- und Aufzeichnungspflichten“, für welches im Entwurf des BMF-Schreibens noch die Rz. 51 bis 53 vorgesehen waren, vollständig unerwähnt. In der o. g. Pressemitteilung wird lediglich ein bereits in Arbeit befindliches ergänzendes Schreiben zu den Mitwirkungs- und Aufzeichnungspflichten angekündigt. Somit könnten Zweifel an der Qualifizierung des aktuellen BMF-Schreibens als einem einfach anwendbaren Leitfaden entstehen, da die Dokumentation der einzelnen Tatsachen, die zusammen erst den Tatbestand ergeben, an den das Gesetz ggf. eine Steuer-Leistungspflicht knüpft (§ 3 AO), entscheidend ist, ob und wie zutreffend (§ 85 AO) die Steuer gleichmäßig erhoben werden kann. Der Umstand, dass zu den Mitwirkungs- und Aufzeichnungspflichten bislang nichts von der Exekutive veröffentlicht wurde, könnte auch darauf beruhen, dass für nicht betriebliche und zugleich nichtunternehmerische Bereiche keine expliziten gesetzlichen Aufzeichnungspflichten bzw. Aufbewahrungspflichten mit Ausnahme von § 147a AO existieren.

[i]Daten ohne Aufbewahrungspflicht dürfen gelöscht werdenDarüber hinaus ist zu beachten, dass das, was für die Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG gilt, für die Überschusseinkunftsarten erst recht gelten muss. So führt der BFH zu § 4 Abs. 3 EStG aus: „Der Aufbewahrungspflicht nach § 147 Abs. 1 AO und dem Datenzugriff nach § 147 Abs. 6 AO unterliegen danach − ungeachtet der Aufzählung in § 147 Abs. 1 Nr. 1 bis Nr. 5 AO − grundsätzlich alle Unterlagen und Daten, die zum Verständnis und zur Überprüfung der gesetzlich vorgeschriebenen Aufzeichnungen von Bedeutung sind. Nicht dazu gehören dagegen Unterlagen und Daten, die z. B. private, nicht aufzeichnungspflichtige Vorgänge betreffen, aber auch Unterlagen und Daten, die „freiwilligen“, also über die gesetzliche Pflicht hinaus reichenden Aufzeichnungen zuzuordnen sind. Soweit sich für sie eine Aufbewahrungspflicht nicht aus anderen Gesetzen ergibt, können sie vom Steuerpflichtigen jederzeit vernichtet oder gelöscht werden [....]“ (, BStBl 2010 II S. 452, unter II.1.b.cc).

[i]AußenprüfungBezüglich der zum Zeitpunkt einer Außenprüfung noch vorhandenen Unterlagen gilt nach § 200 Abs. 1 Satz 2 AO, dass diese ggf. vorzulegen sind. Der BFH hat hierzu ganz aktuell entschieden, dass die Finanzbehörde nach pflichtgemäßem Ermessen zu prüfen hat, ob und in welcher Form sie den Steuerpflichtigen auf Herausgabe der nicht aufbewahrungspflichtigen steuererheblichen Unterlagen in Anspruch nimmt (vgl. , NWB KAAAI-61522, Rz. 9).

Es bleibt insoweit weiter spannend, was die Exekutive aus den bestehenden gesetzlichen Regelungen zu den Mitwirkungs- und Aufzeichnungspflichten – insbesondere für das nichtunternehmerische Privatvermögen – für die Vergangenheit extrahiert, und ob dieses Extrakt dann tatsächlich gerichtsfest sein wird.

III. Analyse des Gliederungspunkts „Erläuterungen“ des

[i]Worüber muss eigentlich entschieden werden?Zutreffende relevante technische Erläuterungen sind notwendig, um dem Anspruch des FG Nürnberg zu entsprechen, welches fordert: „Letztlich sollte bei der Qualifizierung einer 'Kryptowährung' als Wirtschaftsgut schon möglichst klar sein, [...] worüber man eigentlich entscheidet“ (s. , NWB HAAAH-48829, Rz. 36). S. 2046