Angabe einer ladungsfähigen Anschrift bei Verhaftungsgefahr keine Zulässigkeitsvoraussetzung für Klage
Leitsatz
Die Angabe einer ladungsfähigen Anschrift ist nicht Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Anfechtungsklage, wenn der Kläger sich bei Nennung der Anschrift der konkreten Gefahr einer Verhaftung aussetzen würde. Das gilt jedenfalls dann, wenn die Identität des Klägers feststeht und die Möglichkeit der Zustellung durch einen Zustellungs- oder Prozessbevollmächtigten sichergestellt ist (Abgrenzung zum , BFH/NV 1997, 585).
Gesetze: FGO § 65 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 2
Instanzenzug: FG Baden-Württemberg (Verfahrensverlauf),
Tatbestand
Die Klägerin, Revisionsbeklagte und Anschlussrevisionsklägerin (Klägerin) war in den Streitjahren (1987 bis 1995) als Zahnärztin selbständig tätig. Im Rahmen von Ermittlungen bei der A Bank AG gelangten die Finanzbehörden zu der Auffassung, dass die Klägerin in den Jahren 1992 und 1993 Geldbeträge in einer Gesamthöhe von 2,8 Mio. DM in Luxemburg angelegt habe, deren Herkunft aus den eingereichten Steuererklärungen nicht nachvollziehbar sei. Am wurde gegen die Klägerin das Steuerstrafverfahren eingeleitet. Der Aufenthaltsort der Klägerin war damals - und ist bis heute - unbekannt. Am erging gegen sie ein Haftbefehl, am ein internationaler Haftbefehl.
Am ordnete der Beklagte, Revisionskläger und Anschlussrevisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) zur Sicherung von erwarteten Steuernachforderungen für die Jahre 1987 bis 1994, die er auf insgesamt 1 190 485 DM bezifferte, den dinglichen Arrest in das Vermögen der Klägerin an. Die Arrestanordnung wurde durch die Eintragung einer Sicherungshypothek zu Lasten von zwei Grundstücken der Klägerin vollzogen. Gegen die Arrestanordnung wandte sich die Klägerin mit der beim Finanzgericht (FG) erhobenen Klage (Az. 4 K 317/96).
Am erließ das FA Einkommensteueränderungsbescheide für die Jahre 1987 bis 1993 und einen erstmaligen Einkommensteuerbescheid 1994. Die Klägerin stellte daraufhin ihre Anfechtungsklage gegen die Arrestanordnung auf eine Fortsetzungsfeststellungsklage um und beantragte nunmehr festzustellen, dass die Arrestanordnung rechtswidrig gewesen sei. Mit Schriftsatz vom beantragte die Klägerin festzustellen, dass die Arrestanordnung nichtig sei.
Gegen die Einkommensteuerbescheide 1987 bis 1995 (jener für 1995 war am ergangen) legte die Klägerin Einsprüche ein, über die noch nicht entschieden ist Außerdem erhob die Klägerin mit Schriftsatz vom Klage mit dem Antrag, die Nichtigkeit der Bescheide festzustellen (Az. 4 K 75/98). Unter dem Datum vom erließ das FA Einkommensteueränderungsbescheide für die Jahre 1987 bis 1995. Die Klägerin machte diese Bescheide zum Gegenstand des Verfahrens 4 K 75/98 und beantragte erneut die Feststellung der Nichtigkeit der Bescheide. Hilfsweise beantragte sie die Aufhebung aller aufgrund der Fahndungsprüfung ergangenen Einkommensteuerbescheide.
Der Berichterstatter des FG äußerte unter Hinweis auf das (BFH/NV 1997, 585) Bedenken an der Zulässigkeit der Klage wegen des Fehlens der ladungsfähigen Anschrift in der Klageschrift. Die Klägerin teilte daraufhin mit, sie sei zur Angabe ihres derzeitigen Aufenthaltsortes nicht verpflichtet. Die Zustellung gerichtlicher Schreiben an sie habe, da sie über einen inländischen Zustellungsbevollmächtigten verfüge, nie Schwierigkeiten bereitet. Einer persönlichen Ladung durch das FG werde sie nicht Folge leisten, solange in Deutschland ein Haftbefehl gegen sie bestehe.
Das FG hat in einem Zwischen-Gerichtsbescheid erkannt, dass die Klagen zulässig seien.
Hiergegen wendet sich das FA mit der vom FG zugelassenen Revision. Die Klägerin hat Anschlussrevision eingelegt.
Das FA beantragt sinngemäß, den angefochtenen Zwischen-Gerichtsbescheid aufzuheben und die Klagen abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
1. den Rechtsstreit an das Oberlandesgericht (OLG) zu verweisen;
2. hilfsweise: sämtliche Vollstreckungsmaßnahmen aufzuheben;
3. die Revision des FA zurückzuweisen.
Gründe
Die Revision des FA ist nicht begründet. Die Anschlussrevision der Klägerin ist unzulässig.
I. Revision des FA
1. Die ordnungsgemäße Klageerhebung gemäß § 65 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) erfordert regelmäßig die Bezeichnung des Klägers unter Angabe der ladungsfähigen Anschrift (BFH-Urteil in BFH/NV 1997, 585, m. w. N.). Nach dem Wortlaut dieser Vorschrift gehört zu den Essentialien einer zulässigen Klage auch die Bezeichnung der Beteiligten. In welcher Weise die Beteiligten zu bezeichnen sind, schreibt § 65 Abs. 1 Satz 1 FGO allerdings nicht vor. Rückschlüsse auf die zur Klägerbezeichnung erforderlichen Angaben lassen sich indes aus der Bedeutung der Klageschrift für das finanzgerichtliche Verfahren ziehen (BFH-Urteil in BFH/NV 1997, 585).
a) Zum einen dient die Angabe der ladungsfähigen Anschrift (d. h. des tatsächlichen Wohnorts) der Identifizierung des Klägers. Dieser Zweck kann aber auch auf andere Weise erfüllt werden (vgl. etwa Bayerischer Verwaltungsgerichtshof - BayVGH - Beschluss vom 12 CE 92.1201, BayVBl 1992, 594; Verwaltungsgerichtshof - VGH - Kassel, Beschluss vom 12 TH 1658/89, Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1990, 140; Oberverwaltungsgericht - OVG - Münster, Urteil vom 8 A 1447/90, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht-Rechtsprechungs-Report - NVwZ-RR - 1994, 124). Zum anderen dient die Angabe des tatsächlichen Wohnortes dazu, den mit dem Prozess verbundenen Schriftverkehr zuzustellen. Auch zur Erfüllung dieses Zwecks ist indessen die Angabe der Anschrift nicht unerlässlich. Ihm kann weitestgehend durch die Bestellung eines Prozessbevollmächtigten Rechnung getragen werden (Beschluss des VGH Kassel in NJW 1990, 140). Allerdings gehört es zu einer sachgerechten Prozessführung auch, dass das FG die Möglichkeit hat, das persönliche Erscheinen des Klägers anzuordnen und durchzusetzen. Hierzu muss das Gericht die Anschrift des Klägers kennen (BFH-Urteil in BFH/NV 1997, 585). Des Weiteren ist die Anschrift nach § 105 FGO im Rubrum der gerichtlichen Entscheidung anzugeben, die gemäß § 151 Abs. 2 FGO auch als Vollstreckungstitel Bedeutung erlangen kann. Schließlich ist die Klägeranschrift zumindest deshalb regelmäßig erforderlich, weil anders nicht sichergestellt werden kann, dass sich der Kläger bei etwaigem Unterliegen seiner Kostenpflicht nicht durch Unerreichbarkeit entzieht ( IV b ZR 4/87, NJW 1988, 2114). Für das verwaltungsgerichtliche - und mithin auch für das finanzgerichtliche - Verfahren ist jedoch umstritten, ob dieser letzte Gesichtspunkt nicht nur eine ganz untergeordnete Rolle spielt (so VGH Kassel in NJW 1990, 140; a. A.: OVG Münster in NVwZ-RR 1994, 124).
b) Selbst die Gerichte, die abweichend vom BayVGH (in BayVBl 1992, 594) und vom VGH Kassel (in NJW 1990, 140) die Angabe einer ladungsfähigen Anschrift auch dann für erforderlich halten, wenn der Identifizierungsfunktion und dem Zustellungszweck Genüge getan ist, halten es für möglich, dass bestimmte Umstände den Kläger berechtigen können, seine Anschrift ausnahmsweise nicht mitzuteilen (BGH-Urteil in NJW 1988, 2114; OVG Münster in NVwZ-RR 1994, 124). Auch der VII. Senat des BFH geht in seinem Urteil in BFH/NV 1997, 585 davon aus, dass lediglich im Regelfall ein schutzwürdiges Interesse des Klägers an der Geheimhaltung des Wohnortes nicht anzuerkennen ist.
c) Der erkennende Senat vertritt die Auffassung, dass für die Zulässigkeit einer Klage die Angabe der ladungsfähigen Anschrift nicht verlangt werden kann, wenn der Kläger sich bei ihrer Nennung der konkreten Gefahr einer Verhaftung aussetzen würde. Das gilt jedenfalls dann, wenn die Identität des Klägers feststeht und die Möglichkeit der Zustellung durch einen Zustellungs- oder Prozessbevollmächtigten sichergestellt ist. Man mag Bedenken haben, insoweit von einem ,,schutzwürdigen'' Geheimhaltungsinteresse des Klägers zu sprechen. Für die Auffassung des Senats sprechen jedoch folgende Überlegungen:
Aus § 258 Abs. 5 des Strafgesetzbuchs (StGB) folgt, dass es niemandem zugemutet wird, sich selbst der Strafvollziehung auszuliefern. Daraus ist zu schließen, dass auch das Recht auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes - GG -) nicht davon abhängig gemacht werden kann, dass sich der Kläger der konkreten Gefahr der Verhaftung aussetzt. Demgegenüber ist es von untergeordneter Bedeutung, dass eine mögliche Vollstreckung, die Beitreibung der Gerichtskosten und die Durchsetzung des persönlichen Erscheinens erschwert werden. Das wird deutlich, wenn man unterstellt, dass sich der Kläger, um der Verhaftung aufgrund eines nationalen Haftbefehls zu entgehen, ins Ausland absetzt. Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass auch ein Steuerpflichtiger mit Wohnsitz im Ausland eine Klage vor dem FG erheben kann. Auch wenn er seine Anschrift ordnungsgemäß angibt, wären Vollstreckung, Beitreibung der Gerichtsgebühren und zwangsweise Durchsetzung des persönlichen Erscheinens unmöglich oder zumindest erheblich erschwert. Es kann unter dem Gesichtspunkt des Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz jedoch keinen Unterschied machen, ob es dem Kläger gelingt, seinen Wohnsitz ins Ausland zu verlegen. Befindet er sich im Ausland, so kann es nach dem vorstehend Ausgeführten keinen Unterschied machen, ob er seinen Wohnort genau bezeichnet, oder - etwa wegen Bestehens eines internationalen Haftbefehls - verschweigt.
2. Unter Zugrundelegung der vorstehenden Erwägungen ist es nicht zu beanstanden, dass das FG die Klagen der Klägerin für zulässig gehalten hat. Gegen die Klägerin besteht ein internationaler Haftbefehl. Durch die Nennung ihrer gegenwärtigen Anschrift würde sie sich der konkreten Gefahr einer Verhaftung aussetzen. An ihrer Identität besteht andererseits kein Zweifel. Auch sind in der Kommunikation mit dem Gericht bisher keine Schwierigkeiten aufgetreten, da die Klägerin durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten ist, dessen Kontakt mit ihr offenbar reibungslos funktioniert. Wenn die Klägerin beabsichtigt, nicht selbst vor dem FG zu erscheinen, so mindert sie zwar möglicherweise infolge einer damit verbundenen Verletzung ihrer Mitwirkungspflicht (§ 96 Abs. 1 FGO i. V. m. § 162 Abs. 2 der Abgabenordnung - AO 1977 -) die Erfolgschancen ihrer Klagen, sie verliert - entgegen der Auffassung des FA - jedoch nicht schlechthin ihr Interesse an einer gerichtlichen Überprüfung der streitigen Verwaltungsakte.
II. Die Anschlussrevision der Klägerin ist unzulässig.
1. Der Zwischen-Gerichtsbescheid des FG enthält keine Entscheidung, die für die Klägerin auch nur teilweise ungünstig wäre. Für die Zulässigkeit der Anschlussrevision fehlt es mithin am Rechtsschutzbedürfnis.
Die Zulässigkeit des Finanzrechtswegs hat das unanfechtbar bejaht. Die hiergegen gerichtete außerordentliche Beschwerde hat der erkennende Senat mit Beschluss vom IV B 146/99 (BFH/NV 2000, 413) als unzulässig verworfen. In diesem Beschluss hat der Senat auch darauf hingewiesen, aus welchen Gründen die von der Klägerin vertretene Auffassung, für die Klagen gegen die von ihr angefochtenen Verwaltungsakte (Arrestanordnung und Steuerbescheide) seien die ordentlichen Gerichte zuständig, falsch ist.
2. Unzulässig ist auch der Antrag der Klägerin, sämtliche Vollstreckungsmaßnahmen aufzuheben. Vorläufiger Rechtsschutz in der Hauptsache kann mit der Anschlussrevision gegen ein Zwischen-Urteil (oder einen Zwischen-Gerichtsbescheid) nicht begehrt werden. Auch als Antrag gemäß § 69 Abs. 3 FGO kann der Antrag der Klägerin nicht gewertet werden. Der BFH ist - solange es an einer die Instanz abschließenden Sachentscheidung des FG fehlt - nicht Gericht der Hauptsache im Sinne dieser Vorschrift (vgl. hierzu den in der Parallelsache IV S 13/99 ergangenen Beschluss des Senats vom BFH/NV 2000, 481).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BStBl 2001 II Seite 112
BB 2001 S. 139 Nr. 3
BFH/NV 2001 S. 385 Nr. 3
BFHE S. 52 Nr. 193
DStRE 2001 S. 275 Nr. 5
CAAAA-88812