BVerfG Urteil v. - 2 BvR 1264/90 BStBl 2000 II S. 155

Verfassungsmäßigkeit einer allein nach der Existenz berufsrechtlicher Regelungen unterscheidenden Umsatzsteuerbefreiung

Leitsatz

1. Das Gleichbehandlungsgebot (Art. 3 Abs. 1 GG) verbietet eine allein nach der Existenz berufsrechtlicher Regelungen unterscheidende Umsatzsteuerbefreiung.

2. Soweit das Umsatzsteuerrecht nach Umsatzarten und Unternehmern unterscheidet und daran unterschiedliche Rechtsfolgen knüpft, müssen diese ihre Rechtfertigung in besonderen sachlichen Gründen finden.

3. Der Befreiungstatbestand des § 4 Nr. 14 UStG zeichnet keinen berufsrechtlichen Lenkungszweck vor, der die Steuerbefreiung für Heil- und Heilhilfsberufe von ihrer beruflichen Qualifikation abhängig machen würde. Vielmehr ist erkennbarer Normzweck des § 4 Nr. 14 UStG allein die Entlastung der Sozialversicherungsträger von der Umsatzsteuer.

4. Das Fehlen einer berufsrechtlichen Regelung gibt für sich genommen noch keinen ausreichenden Anhalt dafür, bei einem Heileurythmisten eine Ähnlichkeit mit einem in § 4 Nr. 14 UStG genannten Beruf zu verneinen und die Berufstätigkeit von der umsatzsteuerlichen Begünstigung auszunehmen, wenn seine Leistungen in der Regel von den Sozialversicherungsträgern finanziert werden.

(Leitsätze 2, 3, 4 nicht amtlich)

Gesetze: GG Art. 3 Abs. 1UStG § 4 Nr. 14EStG § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Gründe

1. Das - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes. Es wird aufgehoben. Die Sache wird an den Bundesfinanzhof zurückverwiesen.

. . .

A.

§ 4 Nr. 14 UStG bestimmt in Verbindung mit § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG, dass die Umsätze aus der Tätigkeit als Arzt, Zahnarzt, Heilpraktiker, Krankengymnast, Hebamme oder aus einer ähnlichen heilberuflichen Tätigkeit i. S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG steuerfrei sind. Streitig ist, ob der Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG dadurch verletzt ist, dass seine Umsätze als selbständiger Heileurythmist nicht als steuerfrei behandelt worden sind.

I.

1. Gegen den Beschwerdeführer - einen selbständig tätigen Heileurythmisten - ergingen für die Jahre 1973 bis 1977 Umsatzsteuerbescheide. Das Finanzamt lehnte es ab, die Tätigkeit des Beschwerdeführers als umsatzsteuerbefreiten Heilhilfsberuf im Sinne des § 4 Nr. 14 UStG anzuerkennen; diese Tätigkeit bedürfe nicht, wie etwa die eines Krankengymnasten, der staatlichen Erlaubnis, unterliege weder der Aufsicht durch die Gesundheitsbehörden noch sei die Ausbildung gesetzlich geregelt.

2. Das Finanzgericht (EFG 1984, 580) gab der gegen die Umsatzsteuerbescheide erhobenen Klage statt. Ein Beruf sei dann als ,,ähnliche heilberufliche Tätigkeit'' im Sinne von § 4 Nr. 14 UStG anzuerkennen, wenn er in den wesentlichen Merkmalen mit einem der im Gesetz genannten Berufe verglichen werden könne. Es reiche nicht aus, dass die zu beurteilende Tätigkeit als Ausübung der Heilkunde zu qualifizieren sei; der ähnliche Beruf müsse vielmehr die Merkmale des Vergleichsberufs aufweisen. Hierzu zählten die Abhängigkeit der Berufsausübung von einer staatlichen Erlaubnis oder die Bindung an öffentlich-rechtliche Einschränkungen.

Danach sei der Beruf des Beschwerdeführers dem Beruf des Krankengymnasten ähnlich. Der Heileurythmist wie der Krankengymnast wende Bewegungstherapie auf ärztliche Anordnung an; dies sei eine Tätigkeit, die der Linderung von Krankheiten oder Leiden beim Menschen im Sinne des § 1 Abs. 2 des Heilpraktikergesetzes diene.

Die Ausbildung des Beschwerdeführers sei mit der eines Krankengymnasten vergleichbar, auch wenn die Ausbildungswege zum Krankengymnasten einerseits und zum Heileurythmisten andererseits sich dadurch unterschieden, dass beim Krankengymnasten diese durch Gesetz geregelt seien, beim Heileuryhtmisten der Ausbildungsgang privatrechtlich organisiert sei und mit einem von der Privatschule verliehenen Diplom abgeschlossen werde.

Entgegen der Auslegung durch die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs könne weder aus dem Wortlaut des § 4 Nr. 14 UStG noch aus dessen Sinn und Zweck gefolgert werden, dass es für die Ähnlichkeit entscheidend auf eine gesetzliche Regelung des Berufs ankomme. Denn Zweck der Vorschrift sei, die Sozialversicherungsträger von der Belastung mit Umsatzsteuer freizustellen; dieser werde aber nur erreicht, wenn die Therapieleistungen, bei denen Zahlungen der Sozialversicherungsträger in Betracht kämen, von der Umsatzsteuer befreit seien. Dem Gesetzeszweck werde deshalb eine einschränkende Auslegung des Begriffs der ähnlichen heilberuflichen Tätigkeit nicht gerecht. Unerheblich sei, ob die Heileurythmie zu den wissenschaftlich allgemein anerkannten Behandlungsmethoden gehöre; für die umsatzsteuerliche Betrachtung sei vielmehr entscheidend, ob für solche Behandlungen Leistungen der Sozialversicherungsträger gewährt würden.

3. Auf die Revision hob der Bundesfinanzhof die Entscheidung des Finanzgerichts auf und wies die Klage ab. Gemäß § 4 Nr. 14 UStG seien die Umsätze aus der Tätigkeit als Arzt, Zahnarzt, Heilpraktiker oder aus einer ähnlichen heilberuflichen Tätigkeit im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes steuerfrei. Ein Beruf sei einem Katalogberuf ähnlich, wenn er in wesentlichen Punkten mit ihm verglichen werden könne. Dies sei der Fall, wenn das typische Bild des Katalogberufs mit allen seinen Merkmalen dem Gesamtbild des zu beurteilenden Berufs vergleichbar sei. Zur Anerkennung einer Ähnlichkeit genüge nicht, dass die jeweils ausgeübten Tätigkeiten vergleichbar seien, etwa durch Behandlung und Linderung von Leiden. Zum maßgeblichen Berufsbild gehörten sämtliche Berufsmerkmale, zu denen neben der Ausbildung auch die gesetzlichen Bedingungen für die Ausübung des Berufs zu rechnen seien. Wesentlich sei hierbei, ob die Ausübung einer Erlaubnis bedürfe und der Überwachung durch die Gesundheitsämter unterliege.

Im Ergebnis könne dahinstehen, ob die Tätigkeit des Beschwerdeführers mit der des Arztes oder Heilpraktikers oder mit dem Heilhilfsberuf des Krankengymnasten zu vergleichen sei. Sowohl für den zum Vergleich in Betracht kommenden Heilberuf des Heilpraktikers als auch für den Heilhilfsberuf des Krankengymnasten sei kennzeichnend, dass die Berufsausübung der staatlichen Erlaubnis bedürfe und der Aufsicht durch die Gesundheitsbehörden gemäß § 1 Abs. 1 Heilpraktikergesetz, § 1 des Gesetzesüber die Ausübung der Berufe des Masseurs, des Masseurs und medizinischen Bademeisters und des Krankengymnasten (MMBKG) unterliege. Weiterhin sei das Berufsbild des Krankengymnasten durch den gesetzlichen Schutz der Berufsbezeichnung sowie durch die gesetzliche Regelung von Umfang und Art der Ausbildung gekennzeichnet. Daher sei der Beruf des Beschwerdeführers weder mit dem Beruf des Heilpraktikers noch mit dem des Krankengymnasten vergleichbar. Auch eine mittelbare Beaufsichtigung der Tätigkeit des Beschwerdeführers durch die Gesundheitsbehörde, der gegenüber sich der die Therapie anordnende Arzt verantworten müsse, mache den Beruf des Beschwerdeführers nicht mit einem Katalogberuf vergleichbar.

Für die Annahme der Ähnlichkeit der Heilberufe gemäß § 4 Nr. 14 UStG reiche es nicht aus, dass die zu beurteilende Tätigkeit als Ausübung der Heilkunde qualifiziert werden könne. Nach dem Wortlaut des § 4 Nr. 14 UStG seien - anders als etwa gemäß § 4 Nr. 11 UStG 1951 - nicht Tätigkeiten, sondern Berufe zu vergleichen. Soweit das Gesetz von einer ,,ähnlichen Tätigkeit'' spreche, nehme es Bezug auf § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG und damit auf den Begriff der ,,freiberuflichen Tätigkeit''. In Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung zu § 4 Nr. 14 UStG und § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG sei die Regelung der Berufserlaubnis und der Berufsaufsicht ein wesentliches Berufsmerkmal. Diese diene dem Zweck, die Qualität einer medizinischen Behandlung zu gewährleisten. Ein Beruf könne daher nur ,,ähnlich'' sein, wenn er auch dieses prägende Merkmal aufweise.

Nach diesen gesetzlichen Vorgaben könnten neue medizinische Berufe erst in den Genuss der Umsatzsteuerbefreiung kommen, wenn der Gesetzgeber sie entweder in den Katalog des § 4 Nr. 14 UStG aufnehme oder ihnen durch eine Berufsregelung die Ähnlichkeit mit einem Katalogberuf gebe.

Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers seien daher die ähnlichen heilberuflichen Tätigkeiten in § 4 Nr. 14 UStG nicht danach abzugrenzen, ob sie auf ärztlicher Verordnung beruhten, unter ärztlicher Verordnung durchgeführt und von Krankenkassen honoriert worden seien. Das vom Finanzgericht angeführte Argument, nach den Gesetzesmaterialien sei die Befreiungsvorschritt maßgeblich zur Entlastung der Sozialversicherungsträger geschaffen worden, erlaube es dem Richter nicht, die von den Sozialversicherungsträgern finanzierten Leistungen den tatbestandsmäßigen Leistungen gleichzustellen und dadurch den gesetzlichen Tatbestand entgegen Art. 20 Abs. 3 GG auszuweiten.

II.

Der Beschwerdeführer wendet sich mit der Verfassungsbeschwerde gegen die Revisionsentscheidung des Bundesfinanzhofs und rügt die Verletzung seines Grundrechts aus Art. 12 Abs. 1 GG. Zur Begründung nimmt er im Wesentlichen Bezug auf die Ausführungen des Finanzgerichts, wonach die Tätigkeit des Beschwerdeführers mittelbar auch der Aufsicht durch die Gesundheitsbehörde unterliege und es unzulässig sei, eine heilberufsähnliche Tätigkeit nur bei gesetzlicher Regelung des Berufs anzuerkennen, wenn der Vergleichsberuf gesetzlich geregelt sei.

Zu Unrecht habe sich der Bundesfinanzhof auf die Kammerentscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Umsatzsteuerbefreiung von Atem-, Sprech- und Stimmlehrern vom (UR 1989, 92) berufen. Denn der Bundesfinanzhof habe übersehen, dass diese Tätigkeit nicht umfassend als heilberuflich qualifiziert werden könne.

Die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs, wonach Berufe und nicht Tätigkeiten zu vergleichen seien, löse sich vom Wortlaut des § 4 Nr. 14 UStG - der von der ,,Tätigkeit als Arzt'' und von der ,,heilberuflichen Tätigkeit'' spreche - und missachte die grammatikalische Logik der Bestimmung, wonach das Substantiv ,,Tätigkeit'' dasjenige sei, auf das es hauptsächlich ankomme. Die Auslegungspraxis des Bundesfinanzhofs fordere statt Ähnlichkeit Identität mit den Katalogberufen und schließe damit eine Steuerbefreiung für solche heilberuflichen Tätigkeiten aus, die sich erst nach Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens herausbildeten. Die Heileurythmie sei auch erlaubnisbedürftig; die heilberufliche Tätigkeit werde auf Anordnung und unter Verantwortung eines Arztes ausgeübt.

Der Beschwerdeführer verweist weiterhin auf ein Schreiben des Bundesministers der Finanzen, wonach die nicht ärztliche Tätigkeit als Psychotherapeut und Psychagoge als steuerbefreite ,,ähnliche heilberufliche Tätigkeit'' im Sinne des § 4 Nr. 14 UStG angesehen werden könne, wenn die Tätigkeit die Zuweisung eines Arztes voraussetze. Diese Verwaltungsübung wende § 4 Nr. 14 UStG bei Psychotherapeuten in wort- und sinngemäßer Weise an, grenze andere Heilberufe aber unter Anwendung der Auslegungskriterien des Bundesfinanzhofs aus dem umsatzsteuerfreien Bereich aus. Im Ergebnis setze die Finanzverwaltung sich über die vom Bundesfinanzhof entwickelten Auslegungskriterien bei gegebenem Anlass hinweg, bediene sich ihrer jedoch in anderen Fällen.

Aus heilkundlicher Sicht sei der Beruf des Heileurythmisten ein Heilhilfsberuf; auch der Gesetzgeber gehe in § 1 Abs. 2 des Heilpraktikergesetzes davon aus, dass der Begriff des Heilhilfsberufs nach sachlichen Gesichtspunkten zu bestimmen sei. Demgegenüber folge die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs rein formalen Gesichtspunkten der berufsrechtlichen Regelung, deren Erforderlichkeit vom Gesetzgeber eingeschätzt und beim seltenen Beruf des Heileurythmisten derzeit wohl verneint werde (Hinweis auf BT-Drucks 7/5091, S. 5 ff.). Im Ergebnis lege die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs den Begriff der Heilhilfsberufe nicht nach sachlichen Kriterien aus, sondern allein nach der Zahl der schon vorhandenen Berufsausübenden. Wenn die heilberufliche Tätigkeit sachlich bestimmbar sei, fordere der Zweck des § 4 Nr. 14 UStG - die Entlastung der Sozialversicherungsträger von der Mehrwertsteuer - die Umsatzsteuerfreiheit, wenn für den betreffenden Heilhilfsberuf die Behandlungskosten durch die Sozialversicherungsträger zu erstatten seien.

. . .

B.

Die Verfassungsbeschwerde ist begründet.

I.

1. Art. 3 GG verlangt die Gleichbehandlung ,,aller Menschen'' vor dem Gesetz. Der Gleichheitssatz ist umso strikter, je mehr er den Einzelnen als Person betrifft, und umso mehr für gesetzgeberische Gestaltungen offen, als allgemeine, für rechtliche Gestaltungen zugängliche Lebensverhältnisse geregelt werden (vgl. BVerfGE 96, 1 [5 f.] [1]; 99, 88 [94]).

2. Im Sachbereich des Steuerrechts hat der Gesetzgeber bei der Auswahl des Steuergegenstandes und bei der Bestimmung des Steuersatzes einen weitreichenden Gestaltungsraum. Nach Regelung dieses Ausgangstatbestandes aber hat er die einmal getroffene Belastungsentscheidung folgerichtig im Sinne der Belastungsgleichheit umzusetzen (ständige Rechtsprechung; zuletzt BVerfGE 93, 121 [136] [2]; 99, 88 [95]). Das Gebot der folgerichtigen Umsetzung der einmal getroffenen Belastungsentscheidung betrifft auch den Gesetzesvollzug und die Rechtsprechung, wenn für vergleichbare Sachverhalte und künftige Entwicklungen offene steuerliche Tatbestandsmerkmale durch Auslegung zu konkretisieren sind.

3. Die Umsatzsteuer erfasst die Kaufkraft, den Markterfolg des Konsumenten. Nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG belastet die Umsatzsteuer die entgeltliche unternehmerische Leistung im Inland. Sie ist darauf angelegt, auf den Endverbraucher überwälzt zu werden; Umsatzsteuerbelastungen einer Leistung an einen Unternehmer werden durch Vorsteuerabzug zurückgenommen (§ 15 UStG). Dieser umsatzsteuerliche Grundtatbestand stellt alle unternehmerischen Tätigkeiten gleich. Die frühere unterschiedliche Belastung von freiberuflichen und gewerblichen Betätigungen im Steuersatz ist durch das 2. Haushaltsstrukturgesetz vom (BGBl I S. 1523) aufgehoben worden. Eine Steuerermäßigung für Umsätze freier Berufe widerspricht dem System der Umsatzsteuer, das eine Begünstigung bestimmter Unternehmer nach der Konzeption der Überwälzbarkeit nicht erlaubt. Systemgerecht sind nur Vergünstigungen im Interesse der Verbraucher, nicht einzelner Unternehmergruppen (vgl. Begründung zum 2. Haushaltsstrukturgesetz, BT-Drucks 9/842, S. 74).

4. Soweit das Umsatzsteuerrecht nach Umsatzarten und Unternehmern unterscheidet und daran unterschiedliche Rechtsfolgen knüpft, müssen diese ihre Rechtfertigung in besonderen sachlichen Gründen finden (vgl. BVerfGE 84, 348 [363 f.]; 96, 1 [6] [3]; 99, 88 [95]).

Nach diesem Maßstab verstößt die angegriffene Entscheidung des Bundesfinanzhofs, die einer beruflichen Tätigkeit als Heileurythmist die Umsatzsteuerbefreiung nur zuspricht, wenn der Gesetzgeber sie entweder in den Katalog des § 4 Nr. 14 UStG aufgenommen oder ihre Ähnlichkeit mit einem Katalogberuf durch eine Berufsregelung bestätigt hat, gegen das Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG.

1. Die angegriffene Entscheidung führt im Ergebnis dazu, dass der Beschwerdeführer allein deshalb von der Umsatzsteuerbefreiung für heilberufliche Tätigkeiten im Sinne des § 4 Nr. 14 UStG ausgenommen ist, weil keine berufsrechtlichen Regelungen für die Heileurythmie bestehen.

a) Die berufsrechtliche Regelung ist kein eigenständiger Differenzierungsgrund, von dessen Vorliegen die Ähnlichkeit mit einer ,,heilberuflichen Tätigkeit'' im Sinne des § 4 Nr. 14 UStG allein abhängig gemacht werden könnte. Eine berufsrechtliche Regelung mag geeignet sein, die berufliche Qualifikationshöhe einzuschätzen. Das Fehlen einer berufsrechtlichen Regelung gibt jedoch für sich genommen noch keinen ausreichenden Anhalt dafür, eine Ähnlichkeit mit einem in § 4 Nr. 14 UStG genannten Beruf zu verneinen und die Berufstätigkeit von der umsatzsteuerlichen Begünstigung auszunehmen. Der umsatzsteuerliche Belastungsgrund erfasst die entgeltliche unternehmerische Leistung unabhängig von der beruflichen Qualifikation des Unternehmers. Der Befreiungstatbestand des 4 Nr. 14 UStG zeichnet auch keinen berufsrechtlichen Lenkungszweck vor, der die Steuerbefreiung für Heil- und Heilhilfsberufe von ihrer beruflichen Qualifikation abhängig machen würde. Vielmehr ist erkennbarer Normzweck des § 4 Nr. 14 UStG allein die Entlastung der Sozialversicherungsträger von der Umsatzsteuer (vgl. Weymüller, in: Sölch/Ringleb/List, Umsatzsteuergesetz, Kommentar [Stand: 1. Oktober 1997] § 4 Nr. 14 Rz. 1; Birkenfeld, Das große Umsatzsteuerhandbuch, 3. Aufl. 1998, II Rz. 453 [Stand: September 1994]; Plückebaum-Malitzky, Umsatzsteuergesetz, Kommentar, Loseblatt [Stand: Januar 1983] § 4 Nr. 14 Rn. 4 [449/2]; Bericht des Finanzausschusses zum Entwurf eines Umsatzsteuergesetzes, zu BT-Drucks V/1581, S. 5, 12).

b) Auch die Verwaltungspraxis der Umsatzbesteuerung von Heil- und Heilhilfsberufen bestimmte die umsatzsteuerlichen Rechtsfolgen nicht allein nach berufsrechtlichen Vorgaben. Die Finanzverwaltung behandelte die Tätigkeit der nicht ärztlichen Psychagogen und Psychotherapeuten ohne Heilpraktikererlaubnis trotz fehlender berufsrechtlicher Regelung als ähnliche heilberufliche Tätigkeit im Sinne des § 4 Nr. 14 UStG und befreite sie deshalb von der Umsatzsteuer, wenn die Tätigkeit aufgrund einer Zuweisung des Patienten durch einen Arzt und unter dessen Verantwortung ausgeübt wurde (vgl. , BStBl I 1981, 29; Abschnitt 90 Abs. 3 Umsatzsteuerrichtlinien 1996); erst mit Gesetz vom (BGBl I S. 1311) wurde die schon seit mehreren Legislaturperioden angekündigte berufsrechtliche Regelung für Psvchotherapeuten geschaffen (vgl. BT-Drucks 12/5890, 13/8035).

c) Schließlich deutet auch das vom Beschwerdeführer im finanzgerichtlichen Verfahren vorgelegte Schreiben des Gesundheitsministeriums Baden-Württemberg vom zu den Gründen einer bisher unterbliebenen berufsrechtlichen Regelung weniger auf eine Entscheidung des Gesetzgebers gegen eine Umsatzsteuerbefreiung für Heileurythmisten als lediglich auf ein mangelndes Bedürfnis zur gesetzlichen Regelung angesichts der relativ geringen Zahl der als Heileurythmisten Tätigen.

2. Im Ergebnis ist deshalb kein sachlich rechtfertigender Grund ersichtlich, dem Beschwerdeführer die Steuerbefreiung des § 4 Nr. 14 UStG zu versagen, wenn Leistungen eines Heileurythmisten in der Regel von den Sozialversicherungsträgern finanziert werden. Dies wird im erneuten fachgerichtlichen Verfahren zu prüfen sein.

. . .

Fundstelle(n):
BStBl 2000 II Seite 155
INF 2000 S. 159 Nr. 5
SAAAA-88594

1BStBl II 1997, 518

2BStBl II 1995, 655

3BStBl II 1997, 518