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Grundlagen - Stand: 10.08.2022

Aussetzung der Vollziehung

Peter Gerlach

I. Definition der Aussetzung der Vollziehung

Grundsätzlich erfolgt trotz eines Rechtsbehelfs (Einspruch oder gerichtliches Verfahren) die Erhebung der festgesetzten Steuer bzw. die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsaktes, z.B. ist ein streitiger Steuerbetrag trotz Einspruchseinlegung grundsätzlich zu entrichten (§ 361 Abs. 1 AO, § 69 Abs. 1 FGO).

Das Finanzamt oder das Finanzgericht bzw. der Bundesfinanzhof können jedoch Aussetzung der Vollziehung anordnen. § 361 AO regelt die Aussetzung der Vollziehung durch die Finanzbehörde während eines Einspruchsverfahrens, § 69 Abs. 2 FGO während eines gerichtlichen Verfahrens. Die Aussetzung der Vollziehung durch das Finanzgericht – unter bestimmten Voraussetzungen auch schon vor Erhebung einer Anfechtungsklage – ergibt sich aus § 69 Abs. 3, 4, 6 und 7 FGO.

Beim BFH war ein Verfahren anhängig, in dem es um die Frage ging, ob die Aussetzung der Vollziehung gegen den Willen des Steuerpflichtigen regelmäßig ermessensfehlerhaft ist. Das Verfahren wurde beim BFH unter dem geführt. Das FG Köln als Vorinstanz () hatte entschieden, dass eine dem Steuerpflichtigen aufgezwungene Aussetzung und Aufhebung der Vollziehung grundsätzlich ermessensfehlerhaft ist, wenn nicht besondere Gründe ausnahmsweise die Finanzbehörde berechtigen, die tendenziell auf den Rechtsschutz des Bürgers ausgerichtete Aussetzung der Vollziehung in objektiv belastender Weise gegen den Willen des Bürgers einzusetzen. Der BFH hat allerdings entschieden, dass ein gerichtlicher Feststellungsausspruch des Inhalts, dass eine Aussetzungsverfügung rechtswidrig ist, mangels eines berechtigten Interesses i.S.v. § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO ausgeschlossen ist. Die Frage nach der Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit einer Aussetzungsanordnung kann sowohl im Rahmen des Zinsfestsetzungs- als auch des Zinsverzichtsverfahrens eigenständig überprüft werden, ohne dass es eines vorangehenden entsprechenden formellen Ausspruchs des FG in einem gegen die Anordnung gerichteten Klageverfahren bedarf.

Durch die Aussetzung wird die Vollziehbarkeit des Verwaltungsaktes gehemmt. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, kommt unter den gleichen Voraussetzungen die Aufhebung der Vollziehung, d.h. die Rückgängigmachung bereits durchgeführter Vollziehungsmaßnahmen in Betracht.

Wenn der Steuerpflichtige Aussetzung der Vollziehung beantragt, soll dem Antrag stattgegeben werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Steuerpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

Wird infolge eines eingelegten Einspruchs die Vollziehung des angefochtenen Steuerbescheids ausgesetzt, so schafft das Finanzamt dadurch keinen Vertrauenstatbestand, der es hinderte, den Einspruch später als unzulässig zu verwerfen.

Die Aussetzung der Vollziehung kann von einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht werden.

Soweit ein Rechtsbehelf endgültig erfolglos geblieben ist, sind ausgesetzte und geschuldete Beträge mit 0,5 v.H. pro vollem Monat zu verzinsen (AEAO zu § 237). Der Zinssatz ist auch nach der Änderung hinsichtlich der Erstattungs- und Nachzahlungszinsen (§ 233a AO) unverändert geblieben.

II. Voraussetzungen

1. Vollziehbarer Verwaltungsakt

Vollziehbar und damit aussetzungsfähig sind Verwaltungsakte, die dem Steuerpflichtigen eine Leistungspflicht auferlegen, z.B. Steuerbescheid mit Leistungsgebot, Prüfungsanordnung, Ablehnung eines Antrags auf einen Lohnsteuer-Freibetrag (AEAO zu § 361).

Nicht vollziehbar sind dagegen Verwaltungsakte, durch die der Erlass oder die Korrektur eines Verwaltungsaktes abgelehnt wird, z.B. Ablehnung eines Änderungsbescheides, Ablehnung einer Stundung oder eines Erlasses, Ablehnung der Herabsetzung von Vorauszahlungen. Vorläufiger Rechtschutz ist insoweit nur durch einstweilige Anordnung möglich (AEAO zu § 361).

Auch außersteuerliche Verwaltungsakte (z.B. Bescheide für Investitionszulagen, Wohnungsbauprämien, Arbeitnehmer-Sparzulagen) können aussetzungsfähig sein (AEAO zu § 361).

2. Angefochtener Verwaltungsakt

Aussetzung der Vollziehung setzt voraus, dass der auszusetzende Verwaltungsakt durch Einspruch, Klage oder Revision – nicht Verfassungsbeschwerde – angefochten (Ausnahme: Aussetzung eines Folgebescheides, siehe unter III.4.) und das Rechtsbehelfsverfahren noch nicht abgeschlossen ist.

Anträge auf Änderung (z.B. nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO oder § 164 Abs. 2 AO) außerhalb eines förmlichen Rechtsbehelfsverfahrens ermöglichen dagegen keine Aussetzung der Vollziehung (AEAO zu § 172, AEAO vor § 347).

3. Ernstliche Zweifel/Unbillige Härte

Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen,

  • wenn neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige dagegen sprechende Gründe zu Tage treten; die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung der Tatfragen bewirken;

  • dabei muss der Erfolg des Steuerpflichtigen nicht wahrscheinlicher sein als Misserfolg,

  • z.B. bei Abweichung der Behörde von der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes; ausstehender Entscheidung des Bundesfinanzhofes zu einer Rechtsfrage, die von den Finanzgerichten unterschiedlich beurteilt wird; unklarer Gesetzeslage und Bedenken im Schrifttum gegen Rechtsauslegung des Finanzamtes oder des Finanzgerichts, nicht aber z.B. bei unzulässigem Rechtsbehelf,

  • auch bei Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit einer angewandten Rechtsnorm, wenn berechtigtes Interesse des Antragstellers besteht. In Ausnahmefällen kann allerdings öffentliches Interesse an einer geordneten Haushaltsführung höher zu bewerten sein als Interesse des Antragstellers. In einigen sog. Massenrechtsbehelfsverfahren sind die Finanzämter angewiesen worden, angefochtene Steuerbescheide auf Antrag von der Vollziehung auszusetzen, Einsprüche sind zu diesem Zweck trotz Vorläufigkeitsvermerk nicht zurückzuweisen.

  • Ein von der EU-Kommission eingeleitetes Vertragsverletzungsverfahren ist regelmäßig kein Grund für eine Aussetzung der Vollziehung.

Als alternativer, selbständiger Aussetzungsgrund kommt Aussetzung der Vollziehung wegen unbilliger Härte in Betracht, wenn folgende Voraussetzungen vorliegen: (AEAO § 361 Nr. 2.6)

  • Gefahr schwerer wirtschaftlicher Nachteile (insbesondere Bedrohung der wirtschaftlichen Existenz) für den Steuerpflichtigen , die im Einzelfall durch die Vollziehungsmaßnahme (Kausalität!) verursacht sein muss,

  • keine entgegenstehenden überwiegende öffentliche Interessen,

  • Rechtsbehelf in der Hauptsache darf nicht offensichtlich erfolglos sein oder der Verwaltungsakt bereits unanfechtbar.

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