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BBK Nr. 12 vom Seite 565

Fortbestehensprognose im Insolvenz- und Bilanzrecht

Teil 1: Rechtsgrundlagen, Ausgestaltung sowie Haftungs- und Strafbarkeitsrisiken

Karl Sikora

Die [i]Sikora, Erstellung einer bilanzrechtlichen Going-concern-Prognose, BBK 12/2018 S. 577 NWB YAAAG-85661 sog. Fortbestehensprognose ist das Kernelement der insolvenzrechtlichen Überschuldungsprüfung (§ 19 InsO) und als solches zugleich auch ein wichtiger Faktor bei der Jahresabschlusserstellung von Krisenunternehmen. Trotz dieser hohen praktischen Bedeutung besteht jedoch nach wie vor erhebliche Unklarheit darüber, wie diese Prognose auszugestalten ist. Dies ist insolvenz- wie bilanzrechtlich überaus problematisch, weil mit der Prognose vor allem für Geschäftsleiter und Berater erhebliche Haftungs- und auch Strafbarkeitsrisiken verbunden sind. Eine vierteilige Beitragsreihe greift diese Problematik auf und erläutert, welchen rechtlichen und betriebswirtschaftlichen Anforderungen die Prognose genügen muss. Zum Auftakt werden die rechtliche Einbettung der Fortbestehensprognose, ihre grundsätzliche Ausgestaltung und die bestehenden Haftungs- und Strafbarkeitsrisiken dargestellt. Teil 2 wird die juristischen Prognosekriterien erläutern, Teil 3 die betriebswirtschaftliche Prognoseerstellung. Teil 4 schließlich wird typische Fehler aufzeigen, praktische Hilfsmittel enthalten und Einzelfragen abklären.

I. Insolvenzrechtliche Stellung und Bedeutung der Prognose

Die [i]Fortbestehensprognose als Kernelement der Überschuldungsprüfungsog. Fortbestehensprognose – auch als Fortführungsprognose bezeichnet – ist das zentrale Element der insolvenzrechtlichen Überschuldungsprüfung (§ 19 InsO). Als solches entscheidet sie nicht nur über das Vorliegen einer Überschuldung, sondern ist zugleich auch Anknüpfungspunkt für die Insolvenzantragspflicht (§ 15a InsO) sowie das Zahlungsverbot ab Insolvenzreife (§ 15b InsO). S. 566

1. Stellung und Bedeutung in der Überschuldungsprüfung

Der [i]Begriff der ÜberschuldungInsolvenzgrund der Überschuldung (§ 19 InsO) liegt vor, wenn kumulativ eine negative Fortbestehensprognose und ein negativer Überschuldungsstatus unter Liquidationsprämisse verwirklicht sind. Der Überschuldungsstatus dient der Prüfung der Frage, ob im Verwertungsfall eine Schuldendeckungsfähigkeit besteht, während die Fortbestehensprognose auf die Frage nach der Schuldendeckungsfähigkeit im Fortführungsfall gerichtet ist. Erst wenn weder im Verwertungs- noch im Fortführungsfall eine Schuldendeckungsfähigkeit besteht, liegt insgesamt eine Überschuldung vor.

Hinweis:

Dies [i]Positive Prognose schließt Überschuldung aus!bedeutet umgekehrt, dass allein mit dem Nachweis eines positiven Prüfungselements das Vorliegen einer Überschuldung widerlegt werden kann. Damit schließt insbesondere bereits eine positive Fortbestehensprognose für sich genommen das Vorliegen einer Überschuldung aus (sog. überschuldungsausschließende Wirkung der Fortbestehensprognose).

Zwischen [i]Keine feste Prüfungsreihenfolgeden beiden Prüfungselementen besteht keine feste Prüfungsreihenfolge. Demnach kann frei gewählt werden, ob man die Prüfung mit der Fortbestehensprognose oder dem Überschuldungsstatus beginnt. Unabhängig davon gilt aber grundsätzlich:

  • Ein positives Prüfungselement schließt das Vorliegen einer Überschuldung aus;

  • zwei negative Prüfungselemente verwirklichen die Überschuldung.

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Hinweis:

Welche [i]Fortbestehensprognose i. d. R. entscheidend für ÜberschuldungsprüfungPrüfungsreihenfolge sinnvoller ist, hängt grundsätzlich vom Einzelfall ab. I. d. R. empfiehlt sich jedoch der Beginn mit der Fortbestehensprognose, weil der Überschuldungsstatus wegen der Liquidationsprämisse nur in den seltensten Fällen positiv ausfallen wird. Damit ist die Fortbestehensprognose i. d. R. das entscheidende Prüfungskriterium: Fällt sie negativ aus, liegt praktisch so gut wie immer eine Überschuldung vor.

2. Bedeutung für die Insolvenzantragspflicht und das Zahlungsverbot ab Insolvenzreife

Der [i]Prognose entscheidet über Antragspflicht und ZahlungsverbotInsolvenzgrund der Überschuldung (§ 19 InsO) ist mit der Insolvenzantragspflicht sowie dem Zahlungsverbot ab Insolvenzreife verknüpft. So gilt, dass bei vorliegender Überschuldung die Geschäftsleiter

  • haftungs- und strafbewehrt ohne schuldhaftes Zögern, spätestens aber sechs Wochen nach Eintritt der Überschuldung einen zulässigen Insolvenzantrag beim zuständigen Insolvenzgericht stellen müssen (sog. Insolvenzantragspflicht, § 15a InsO);

  • haftungsbewehrt keine Zahlungen mehr vornehmen dürfen, die nicht mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar sind (sog. Zahlungsverbot ab Insolvenzreife, § 15b InsO).

Damit ist die Fortbestehensprognose nicht nur für die Überschuldungsprüfung an sich von zentraler Relevanz, sondern auch – und hierin liegt ihre praktische Hauptbedeutung – für das Bestehen der Insolvenzantragspflicht und des Zahlungsverbots. Ist die Prognose negativ, bestehen i. d. R. beide Pflichten, während bei positivem Prognoseergebnis beides (unter dem Gesichtspunkt der Überschuldung) ausgeschlossen ist.

Hinweis:

Zudem [i]Fortbestehensprognose ist haftungs- und strafbewehrt!hat diese Verknüpfung zur Folge, dass die Fortbestehensprognose so auch haftungsbewehrt und bezüglich der Insolvenzantragspflicht sogar strafbewehrt ist. Wird also schuldhaft zu Unrecht eine positive Fortbestehensprognose erstellt und auf deren Grundlage die Insolvenzantragspflicht bzw. das Zahlungsverbot nicht pflichtgemäß erfüllt, haften die Geschäftsleiter zivil- bzw. strafrechtlich für den daraus entstandenen Schaden.

II. Bilanzrechtliche Stellung und Bedeutung der Prognose

Aufgrund [i]Eggert, Beurteilung der Going Concern-Annahme in der Corona-Krise, BBK 10/2020 S. 467 NWB GAAAH-48154 ihrer zentralen Stellung in der insolvenzrechtlichen Überschuldungsprüfung weist die Fortbestehensprognose auch bilanzrechtlich erhebliche Bedeutung auf. So fungiert sie bei Krisenunternehmen i. d. R. als Grundlage für die bilanzrechtliche Going-concern-Prognose, die bei zweifelhafter Fortführung zur Prüfung der Zulässigkeit einer Going-concern-Bilanzierung (§ 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB) zu erstellen ist, und findet so Eingang in die bilanzrechtliche Beurteilung.