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NWB Nr. 33 vom Seite 2431

Vom BEPS-Projekt der OECD zum ATAD-Umsetzungsgesetz

Überblick über die Neuregelungen sowie die Vorarbeiten auf OECD-/EU-Ebene

Albert Schlund

Bereits 2016 hat die EU die Richtlinie (EU) 2016/1164 v.  (ATAD-Richtlinie, ABl EU 2016 Nr. L 193 S. 1) veröffentlicht. Ein Jahr später kam dann noch die Richtlinie (EU) 2017/952 v.  (ABl EU 2017 Nr. L 144 S. 1) hinzu, die mit ihrem Art. 1 die vorgenannte Richtlinie geändert hat. Gleichsam auf den letzten Drücker hat es der Gesetzgeber nun doch noch geschafft, die in der ATAD-Richtlinie vorgegebenen Regeln in der laufenden Legislaturperiode umzusetzen. Nach den Vorgaben der Richtlinie war das zumindest teilweise zu spät. Der Beitrag stellt die mit dem Gesetz zur Umsetzung der Anti-Steuervermeidungsrichtlinie (ATAD-Umsetzungsgesetz – ATADUmsG; BGBl 2021 I S. 2035) beschlossenen neuen Regelungen vor und gibt zunächst einen Kurzüberblick über die Vorarbeiten auf OECD-Ebene sowie auf EU-Ebene über die relevanten Artikel der ATAD-Richtlinie.

I. Arbeiten auf OECD-Ebene und deren Umsetzung auf EU-Ebene im Allgemeinen

[i]BEPS-AktionsplanNach der Finanzkrise und dem erhöhten Bedarf an Steuereinnahmen startete die OECD, unterstützt von der G20, das BEPS-Projekt (Base Erosion and Profit Shifting), das im S. 2432Oktober 2015 abgeschlossen wurde. Der OECD-Bericht „Addressing Base Erosion and Profit Shifting“ zeigte, dass die Wurzeln von BEPS nicht in einzelnen Regeln oder Bestimmungen zu finden sind, sondern im Zusammenspiel verschiedener nationaler Steuerregeln.

[i]Vorgeschlagene MaßnahmenDas Abschlusspaket schlug vor, Schlüsselbereiche des (internationalen) Steuersystems zu reformieren, um sicherzustellen, dass Steuern dort gezahlt werden, wo wirtschaftliche Aktivität stattfindet. Eine erste Reihe von Maßnahmen konzentrierte sich auf die Verbesserung der Kohärenz des internationalen Steuerrahmens. Beispiele hierfür sind die Besteuerung von beherrschten ausländischen Unternehmen, die Begrenzung der Abzugsfähigkeit von Zinsen oder die Bedingungen für die Anwendung präferenzieller Steuerregelungen für geistiges Eigentum („Patentboxen“). Ein zweites Bündel von Maßnahmen zielte auf die Verbesserung der Transparenz ab, indem multinationale Unternehmen bspw. verpflichtet werden, länderspezifische Aufschlüsselungen der wichtigsten für die Besteuerung relevanten Posten vorzulegen („country-by-country reporting“) oder Informationen über eine Reihe von Rulings auszutauschen. Das dritte Maßnahmenpaket zielte darauf ab, die inhaltlichen Anforderungen z. B. im Bereich der Verrechnungspreisregeln zu stärken.

[i]Maßnahmenpaket der EUDie EU legte sodann im Jahr 2016 ein Paket zur Bekämpfung der Steuervermeidung vor. Teil dieses Pakets war auch die ATAD-Richtlinie. Mit dieser griff sie Teile der von der OECD identifizierten Punkte auf. Dabei handelte es sich um Regelungen zur Zinsschranke, Vorschriften zur Übertragung von Vermögenswerten und zur Wegzugsbesteuerung, allgemeine Missbrauchsverhinderungsvorschriften, Vorschriften für beherrschte ausländische Unternehmen und Vorschriften zu hybriden Gestaltungen. Die Änderungsrichtlinie erweiterte den Anwendungsbereich auf Nicht-EU-Länder und ersetzte die Vorschriften zu hybriden Gestaltungen mit zahlreichen Ergänzungen.

II. Entstrickungs- und Wegzugsbesteuerung − Neuregelungen bzw. Ergänzungen in den §§ 4, 4g, 6, 9, 36 EStG; § 12 KStG und § 6 AStG

Art. 5 ATAD verpflichtet die EU-Staaten zur Aufdeckung und (auf Antrag ratierlichen) Besteuerung stiller Reserven bei grenzüberschreitender Überführung von Wirtschaftsgütern, der Verlagerung von Betrieben oder dem Wegzug von Körperschaften (Entstrickungsbesteuerung). Die Mitgliedstaaten sind im Fall der Überführung von Wirtschaftsgütern ins Inland oder bei Zuzug von Körperschaften zudem verpflichtet, die im Rahmen der ausländischen Entstrickungsbesteuerung angesetzten Werte anzuerkennen, sofern diese dem Marktwert entsprechen.

1. Überlegungen auf EU-Ebene − Art. 5 ATAD

[i]Sicherung der SteuerhoheitMit den Regeln zur Besteuerung der Übertragung von Vermögenswerten und zur Wegzugsbesteuerung möchte die EU sicherstellen, dass, wenn ein Steuerpflichtiger Vermögenswerte aus dem Steuergebiet eines Staats abzieht oder seinen Steuersitz aus diesem verlegt, der betreffende Staat die in seinem Hoheitsgebiet entstandene Wertsteigerung besteuern kann, selbst wenn diese zum Zeitpunkt der Übertragung oder des Wegzugs noch nicht realisiert worden ist.

2. Umsetzung in Deutschland

a) Ergänzung des § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG und neuer Satz 9 sowie Änderungen in § 6 EStG

[i]Verstrickung bislang nur bei Begründung des BesteuerungsrechtsDie Begründung eines Besteuerungsrechts Deutschlands hinsichtlich der Veräußerung eines Wirtschaftsguts steht nach § 4 Abs. 1 Satz 8 Halbsatz 2 EStG einer Einlage gleich. Der Ansatz erfolgt grundsätzlich mit dem gemeinen Wert, § 6 Abs. 1 Nr. 5a EStG. Dadurch wird erreicht, dass die vom Besteuerungsrecht des anderen Staats erfassten stillen S. 2433Reserven nicht in Deutschland steuerverstrickt werden. Hat bereits ein beschränktes inländisches Besteuerungsrecht bestanden (z. B. Wirtschaftsgüter einer Anrechnungsbetriebsstätte), fehlt es bisher an einer vergleichbaren Regelung.

[i]Anerkennung des von einem anderen Staat zugrunde gelegten Werts, ...Artikel 5 Abs. 5 ATAD fordert sowohl in Fällen einer Begründung als auch eines Wegfalls der Beschränkung des Besteuerungsrechts (= Verstärkung) Deutschlands die grundsätzliche Anerkennung des vom anderen Staat im Rahmen einer Entstrickungsbesteuerung zugrunde gelegten Wertes, sofern dieser dem Marktwert entspricht.

[i]... begrenzt auf den gemeinen Wert, bei einer dortigen EntstrickungsbesteuerungFällt die Beschränkung deutscher Besteuerungsrechte weg (z. B. Überführung eines Wirtschaftsguts aus einer Anrechnungsbetriebsstätte in eine inländische Betriebsstätte), wird dies dergestalt umgesetzt, dass auf Antrag zunächst eine Entnahme nach § 4 Abs. 1 Satz 3 Halbsatz 2 EStG und sodann eine Einlage nach dem neuen Satz 9 fingiert wird. Für die Bewertung kommt es nach § 6 Abs. 1 Nr. 5b EStG auf den vom anderen Staat zugrunde gelegten Wert (begrenzt auf den gemeinen Wert) an. Für den Fall der Begründung von Besteuerungsrechten ordnet dies § 4 Abs. 1 Satz 8 Halbsatz 2 EStG i. V. mit § 6 Abs. 1 Nr. 5a Halbsatz 2 EStG an.

[i]Voraussetzungen des § 34c EStG prüfenZur Vermeidung einer Doppelbesteuerung kann in diesen Fällen, unter den Voraussetzungen des § 34c EStG, die ausländische Steuer angerechnet oder abgezogen werden. Durch die (Neu-)Bewertung im Zuge der Einlagefiktion entsteht zudem zusätzliches Abschreibungspotential.

Macht der Steuerpflichtige von dem Wahlrecht keinen Gebrauch, wird der Buchwert des bereits in Deutschland steuerverstrickten Wirtschaftsguts fortgeführt. Es kommt zu keiner Aufdeckung stiller Reserven, wenn der abgebende Staat [i]Erstmalige Anwendung bereits für nach dem 31.12.2019 endende Wirtschaftsjahreseiner Entstrickungsbesteuerung einen höheren Wert als den deutschen Buchwert zugrunde legt.

§ 4 Abs. 1 Satz 9 EStG und die Ergänzungen in § 6 Abs. 1 EStG sind erstmals für nach dem endende Wirtschaftsjahre anzuwenden.