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Die Fortführungsprämisse in Rechnungslegung und Abschlussprüfung
Neuere Entwicklungen auf internationaler Ebene
Sowohl nach den handelsrechtlichen Regelungen als auch nach den IFRS ist der Rechnungslegung die Fortführung der Unternehmenstätigkeit zugrunde zu legen, solange dem keine Fortführungshindernisse entgegenstehen (§ 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB, IAS 1.25 f.). Nicht erst seit dem Auftreten von SARS-CoV-2 ist dieses Thema von erheblicher Relevanz, hat aber durch die wirtschaftlichen Einschränkungen infolge der Corona-Krise erheblich an Bedeutung in der alltäglichen Praxis der Rechnungslegung gewonnen. Bedeutsame Insolvenzen, wie etwa im Fall „Wirecard“, haben das Thema besonders in den Fokus gerückt. Hierdurch ausgelöst ergeben sich neue Aspekte für die künftige Ausweitung der Beschäftigung mit der Fortführungsannahme sowohl aus einem Diskussionspapier des IAASB als auch nachfolgend aus einem Positionspapier von Accountancy Europe. Beide Organisationen befassen sich auch mit dem eng verbundenen Thema „Fraud“, worauf in diesem Beitrag nicht eingegangen wird.
Auf internationaler Ebene wird im Berufsstand eine erhebliche Ausdehnung von Pflichten insbesondere zu Risikomanagement, Berichterstattung und Prüfung diskutiert.
Eine sinnvolle Diskussion setzt die sorgfältige Analyse der Ursachen für Insolvenzen und „Bilanzskandale“ voraus.
Einiges spricht für eine Nachschärfung und Klärung einzelner Regularien, ggf. auch für eine generelle Aussage zu Fortführungshindernissen und bestandsgefährdenden Risiken im Testat. Eine Ausweitung der Unternehmens- und Prüferpflichten erfordert eine sorgfältige Kosten-Nutzen-Abwägung.
I. Diskussionsfelder aus Sicht des IAASB
1. Die Erwartungslücke aus Sicht des IAASB
Das International Auditing and Assurance Standards Board (IAASB) hat ein Diskussionspapier u. a. zum Thema der Unternehmensfortführung herausgebracht. Das Diskussionspapier zielt auf einen Abbau der Erwartungslücke bei den Stakeholdern eines Unternehmens im Hinblick auf die Tätigkeit des Prüfers im Zusammenhang mit der Fortführungsprämisse und Verstößen in der Rechnungslegung (Fraud). Gerade prominente Bilanzskandale bzw. Insolvenzen in den letzten Jahren, wie Toshiba, Steinhoff, Carillian, Luckin Coffee und zuletzt Wirecard, werfen bei den unternehmensexternen Adressaten der Abschlussprüfung die Frage nach dem Wert der Prüfungsleistungen und Testate auf. Deren Wert besteht doch gerade darin, das Vertrauen in den Abschluss zu stärken.
Die Ursachen für die Lücke zwischen den Erwartungen der Adressaten und der Prüfungsrealität lässt sich insbesondere in vier Komponenten differenzieren (siehe Übersicht 1). Dabei fokussiert sich das IAASB in seinem Diskussionspapier auf die Punkte 1, 2 und 4. Die Leistungslücke (Var. 2) ist für den internationalen Normgeber weniger beeinflussbar.
Tabelle in neuem Fenster öffnen
Übersicht 1: Ursachen
für die Erwartungslücke | |
1. | Wissenslücke der Adressaten
über die Aufgabe und Tätigkeit des Prüfers |
2. | Leistungslücke (Var. 1) der
Prüfung im Vergleich zu den Anforderungen der
Standards oder zu anderen
(rechtlichen/behördlichen) Anforderungen aufgrund deren
Komplexität oder unterschiedlicher
Auslegungen |
3. | Leistungslücke (Var. 2) der
Prüfung, weil Prüfer aufgrund unzureichender
Prüfungsqualität die Anforderungen von Normen oder
Vorschriften nicht erfüllen |
4. | Entwicklungslücke bei der
Prüfung aufgrund der Erwartungen der Öffentlichkeit, des technologischen
Fortschritts und der Frage, wie der gesamte Prüfungsprozess zur Wertsteigerung
verbessert werden könnte |
* In Anlehnung an IAASB,
Discussion Paper: Fraud and Going Concern in an Audit of Financial Statements,
S. 11. Zu weiteren Ansatzpunkten für die Erklärung der Erwartungslücke vgl.
ebenda, S. 12. |
Die Wissenslücke kann danach auf Unklarheiten bezüglich Art, Umfang und Grenzen der Verantwortlichkeiten des S. 117Abschlussprüfers beruhen oder der Begriff einer wesentlichen Unsicherheit in Bezug auf die Fortführbarkeit eines Unternehmens ist den Adressaten unklar. Die zweite Ursache kann darin begründet liegen, dass Normen unklar sind oder nur unzureichende Begleitmaterialien vorliegen. Die Entwicklungslücke kann etwa auf gestiegenen Erwartungen der Stakeholder an die Berichterstattung über die künftige Entwicklung des Unternehmens oder auf einer – bisher nicht vorgeschriebenen – Transparenz der Prüfer basieren. Die Erwartungen an die Prüfungstätigkeit selbst können zudem gestiegen sein.