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NWB-EV Nr. 7 vom Seite 222

Die erbschaftsteuerliche Optimierung des Berliner Testaments durch das Supervermächtnis

Flexible Reaktion auf künftige Entwicklungen

Dr. Rüdiger Werner

Das Berliner Testament, bei dem Ehegatten gemeinsam testieren und der zweitversterbende Ehegatte zunächst Erbe und im Anschluss die gemeinsamen Kinder Schlusserben werden, ist nach wie vor eine verbreitete Form der Nachfolgeplanung. Mit einem Berliner Testament sind jedoch massive erbschaftsteuerliche Nachteile verbunden. Darüber hinaus eröffnet diese Gestaltung dem erbenden Ehegatten auch nicht die erforderliche Flexibilität, um auf seine sich im Laufe der Zeit verändernde Vermögenssituation reagieren zu können. Eine Möglichkeit, das Berliner Testament insoweit zu optimieren, ist dessen Ergänzung durch ein sogenanntes Supervermächtnis. Der nachfolgende Beitrag zeigt die zivilrechtlichen und steuerrechtlichen Rahmenbedingungen der Optimierung des Berliner Testaments durch ein solches Supervermächtnis auf.

Kernaussagen
  • Das „Supervermächtnis“ ist ein geeignetes Instrument, um die erbschaftsteuerlichen Nachteile des klassischen Berliner Testaments zu mindern, ohne dabei das Versorgungsinteresse des überlebenden Ehepartners zu sehr zu beeinträchtigen.

  • Ein solches Supervermächtnis ist grundsätzlich zivilrechtlich wirksam. Es funktioniert auch erbschaftsteuerlich, da § 6 Abs. 4 ErbStG in diesem Fall nicht anwendbar ist und das Supervermächtnis auch nicht als Gestaltungsmissbrauch i. S. von § 42 AO eingestuft werden kann.

  • Das Supervermächtnis eröffnet den testierenden Eheleuten die Möglichkeit einer zukunftsorientierten Testamentsgestaltung, indem sie einen Teil ihrer Nachfolgeplanung auf einen Zeitpunkt verschieben, zu dem feststeht, welche der gemeinsamen Vermögenswerte der überlebende Ehegatte benötigt und wie sich die persönlichen Verhältnisse und die Vermögenssituation der Abkömmlinge entwickelt hat.

I. Problemstellung

Der Gesetzgeber hat Eheleuten in den §§ 2265 ff. BGB die Möglichkeit eröffnet, ein gemeinschaftliches Testament zu errichten. Die verbreitetste Variante des gemeinschaftlichen Testaments ist das sogenannte Berliner Testament.

Beim Berliner Testament setzen sich die Ehegatten wechselseitig als Erben ein und legen darüber hinaus fest, dass Dritte – regelmäßig die gemeinsamen Kinder – Erben des längerlebenden Ehegatten sein sollen. Der überlebende Ehegatte kann nach dem Tod des Erstversterbenden entweder Vollerbe oder Vorerbe sein. Im letzteren Fall sind die Kinder Nacherben. Insoweit enthält § 2269 Abs. 1 BGB die Auslegungsregel, dass der Dritte im Zweifel für den gesamten Nachlass als Erbe des zuletzt versterbenden Ehegatten eingesetzt wird, der überlebende Ehegatte also Vollerbe des erstversterbenden Ehegatten sein soll.

1. Das Berliner Testament

Das Berliner Testament ist für Eheleute grundsätzlich eine geeignete Option zur Regelung der Vermögensnachfolge und erfordert zwei Eheleute mit gemeinsamen Kindern. Diese Familienkonstellation ist zwar in den letzten 100 Jahren in Deutschland zurückgegangen (Kanzleiter in FS Bengel/Reimann, 2012 S. 191, 195). Gleichwohl stellen Ehegatten mit nur gemeinsamen Kindern nach wie vor den Regelfall dar.

Der Grundgedanke des Berliner Testaments besteht darin, das gemeinsame Vermögen beim Tod eines Partners vollständig oder weitgehend auf den überlebenden Ehegatten übergehen zu lassen. Die Interessenlage wird nicht dadurch verändert, wenn Schlusserbe nicht die gemeinsamen Kinder, sondern eine dritte Person wird (Kanzleiter, ZEV 2014 S. 225).

Darüber hinaus haben sich die auf der Interessenlage eines testierenden Paares beruhenden Gesichtspunkte für das Berliner Testament in den letzten 100 Jahren sogar verstärkt. Die starke Zunahme der durchschnittlichen Lebenserwartung hat dazu geführt, dass durch eine Vererbung an Kinder das Vermögen regelmäßig nicht von der älteren an die jüngere Generation übergeht, sondern von sehr alten Personen auf Personen, die regelmäßig schon über 50 Jahre alt sind. Mit zunehmendem Alter wird auch das Bedürfnis des S. 223überlebenden Ehepartners größer, das wesentliche Vermögen des Paares für seinen Lebensunterhalt zur Verfügung zu haben. Auf der anderen Seite findet der Vermögensübergang von Todes wegen heute regelmäßig zu einem Zeitpunkt statt, zu dem die Kinder bereits eine wirtschaftlich sichere Position erlangt haben (Kanzleiter, ZEV 2014 S. 225, 226).

Etwas anderes gilt jedoch bei Vorhandensein größerer Vermögenswerte, so dass der Erbvorgang nicht bereits aufgrund der vom ErbStG vorgesehenen Freibeträge erbschaftsteuerfrei ist. In diesem Fall stellt sich das Berliner Testament aus erbschaftsteuerlicher Perspektive als veritabler „Schuss ins Knie“ dar. Zunächst unterliegt das Vermögen des Erstversterbenden zweimal der Erbschaftsteuerpflicht, das erste Mal beim Erwerb durch den überlebenden Ehegatten und das zweite Mal beim Erwerb durch die Kinder. Die Freibeträge der Kinder nach dem ersten Elternteil entfallen. Außerdem konzentriert sich das Vermögen beim überlebenden Ehegatten, so dass ein Progressionsnachteil entsteht, weil der Nachlass des Zweitversterbenden und daher auch der steuerliche Erwerb des Schlusserben i. S. der §§ 10, 19 ErbStG dadurch deutlich größer wird (v. Oertzen/Lindemann, ZEV 2020 S. 144, 145; Keim, ZEV 2016 S. 6).

Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass sich gerade für jüngere Paare mit minderjährigen Kindern häufig die Frage stellt, ob sie bereits Vermögenswerte übertragen sollen, da sie die Vermögensverhältnisse und den Versorgungsbedarf des überlebenden Ehegatten zum Zeitpunkt des Todes des zuerst Versterbenden noch nicht überblicken können. Ganz generell stellt sich das Problem der Kurzlebigkeit des Steuerrechts. Die Steuerrechtslage kann sich erheblich verändert haben, bis das Testament aktuell wird. Theoretisch kann dem zwar dadurch begegnet werden, dass das Testament ständig aktualisiert wird. In der Praxis unterbleibt dies jedoch häufig. Eine sinnvolle Regelung muss daher das Ziel verfolgen, die steuerliche Entlastung so herbeizuführen, dass der überlebende Ehegatte trotzdem möglichst flexibel sowohl über das eigene als auch über das ererbte Vermögen verfügen und abhängig von seiner Versorgungssituation darüber entscheiden kann, wie viel und was er davon an die Kinder abgeben will.

2. Das Supervermächtnis als Lösung