Revisionszulassung: Einschränkung der Prüfungskompetenz des Revisionsgerichts hinsichtlich der Prozessvoraussetzungen
Leitsatz
Das Berufungsgericht kann die Prüfungskompetenz des Revisionsgerichts nicht einschränken, soweit Prozessvoraussetzungen von Amts wegen zu prüfen sind (Anschluss an BGH, Beschlüsse vom , I ZB 53/07, BGHZ 182, 325 Rn. 15 und vom , I ZB 54/07, juris Rn. 14).
Gesetze: § 256 Abs 1 ZPO, § 543 Abs 1 Nr 1 ZPO
Instanzenzug: Az: 8 U 948/15 Urteilvorgehend LG Mainz Az: 5 O 100/14
Tatbestand
1Die Parteien streiten um die Wirksamkeit des Widerrufs der auf den Abschluss von zwei Verbraucherdarlehensverträgen gerichteten Willenserklärungen der Klägerin.
2Die Klägerin schloss mit der Beklagten zwecks Finanzierung einer Immobilie zwei Darlehensverträge, einmal am über 83.000 € mit einem auf 20 Jahre festen Zinssatz von nominal 4,49% p.a. und zum anderen am über 47.000 € zu einem auf zehn Jahre festen Zinssatz von nominal 4,10% p.a. Die Beklagte belehrte die Klägerin bei Abschluss der Darlehensverträge über ihr Widerrufsrecht zum einen und zum anderen wie folgt:
3Mit Schreiben ihres vorinstanzlichen Prozessbevollmächtigten vom , der Beklagten zugegangen am , erklärte die Klägerin den Widerruf ihrer auf den Abschluss des Darlehensvertrags vom gerichteten Willenserklärung. Die Beklagte wies den Widerruf zurück. Die Klägerin äußerte mit der Beklagten am selben Tag zugegangenem Telefaxschreiben vom , sie stelle klar, dass sich der Widerruf auch auf ihre auf Abschluss des Darlehensvertrags vom gerichtete Willenserklärung beziehe.
4Ihre Klage zuletzt auf Feststellung, dass der Darlehensvertrag vom aufgrund des Widerrufs vom und der Darlehensvertrag vom aufgrund des Widerrufs vom jeweils mit dem Tag des Zugangs der Schreiben "beendet" und rückabzuwickeln seien, außerdem auf Erstattung vorgerichtlich verauslagter Anwaltskosten, hat das Landgericht abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Berufungsgericht unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen das landgerichtliche Urteil teilweise abgeändert und den Feststellungsbegehren entsprochen. In der Entscheidungsformel hat es dahin erkannt, es werde die "Revision gegen dieses Urteil" zugelassen. In den Gründen hat es ausgeführt, es habe "die Revision zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung […] im Hinblick auf divergierende obergerichtliche Entscheidungen zur Frage der Verwirkung bzw. der rechtsmissbräuchlichen Geltendmachung von Verbraucherwiderrufsrechten zugelassen". Dagegen komme eine "Revisionszulassung - wie von der Beklagten begehrt - hinsichtlich der allgemeinen Zulässigkeitsvoraussetzungen einer Feststellungsklage" nicht in Betracht. Mit ihrer Revision erstrebt die Beklagte die vollständige Zurückweisung der klägerischen Berufung.
Gründe
5Die Revision der Beklagten hat Erfolg.
I.
6Das Berufungsgericht (, juris) hat zur Begründung seiner Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung - im Wesentlichen ausgeführt:
7Die Feststellungsklage sei zulässig. Zwar genieße eine Leistungsklage grundsätzlich Vorrang. Bei einer Bank sei indessen davon auszugehen, dass sie auf ein rechtskräftiges Feststellungsurteil leisten werde, auch wenn die Beklagte das Gegenteil erklärt habe.
8Zwischen den Parteien seien Verbraucherdarlehensverträge zustande gekommen, so dass der Klägerin das Recht zugestanden habe, ihre auf Abschluss der Darlehensverträge gerichteten Willenserklärungen zu widerrufen. Durch die Verwendung des Wortes "frühestens" bei der Beschreibung der Voraussetzungen für das Anlaufen der Widerrufsfrist habe die Beklagte die Klägerin über die Bedingungen des Widerrufs undeutlich unterrichtet. Auf die Gesetzlichkeitsfiktion des Musters für die Widerrufsbelehrung nach der maßgeblichen Fassung der BGB-Informationspflichten-Verordnung könne sich die Beklagte nicht berufen, weil die Widerrufsbelehrung der Beklagten dem Muster nicht vollständig entsprochen habe. Mangels ordnungsgemäßer Belehrung sei die Widerrufsfrist nicht angelaufen, so dass die Klägerin den Widerruf noch 2014 habe erklären können. Die Klägerin habe ihr Widerrufsrecht nicht verwirkt.
II.
9Diese Ausführungen halten einer revisionsrechtlichen Nachprüfung in einem wesentlichen Punkt nicht stand. Zu Unrecht hat das Berufungsgericht die Feststellungsklage für zulässig erachtet.
101. Der Senat hat die Zulässigkeit der Feststellungsklage unter dem Aspekt des Vorhandenseins eines Feststellungsinteresses von Amts wegen zu prüfen (Senatsurteil vom - XI ZR 467/15, WM 2017, 906 Rn. 14 mwN). Dem steht nicht entgegen, dass das Berufungsgericht in den Gründen des Berufungsurteils ausdrücklich ausgeführt hat, es lasse die Revision nur zur Begründetheit und nicht auch zur Zulässigkeit der Feststellungsklage zu. Das Berufungsgericht kann die Prüfungskompetenz des Revisionsgerichts nicht einschränken, soweit Prozessvoraussetzungen von Amts wegen zu prüfen sind (vgl. BGH, Beschlüsse vom - I ZB 53/07, BGHZ 182, 325 Rn. 15 und - I ZB 54/07, juris Rn. 14). Auch der Revisionsführer könnte mittels einer Beschränkung seines Angriffs auf die materielle Rechtfertigung des Anspruchsgrunds eine solche Prüfung nicht ausschließen. Insoweit gilt entgegen der Rechtsmeinung der Revisionserwiderung anderes als in Fällen einer Beschränkung der Zulassung auf die Frage der Zulässigkeit der Klage (vgl. Senatsurteil vom - XI ZR 341/08, WM 2011, 1437 Rn. 10; BGH, Beschlüsse vom - VI ZR 140/11, NJW-RR 2012, 759 Rn. 5 und vom - IV ZB 25/16, WM 2017, 1124 Rn. 19).
112. Die Feststellungsanträge zielen auf die positive Feststellung, dass sich die Darlehensverträge vom und aufgrund der Widerrufserklärungen der Klägerin in Rückgewährschuldverhältnisse umgewandelt haben. Die von der Revisionserwiderung gewünschte Auslegung als negative Feststellungsklage kommt mangels eines in diesem Sinne auslegungsfähigen anspruchsleugnenden Zusatzes nicht in Betracht (einen anderen Fall betraf Senatsurteil vom - XI ZR 586/15, WM 2017, 1258 Rn. 10 ff., 16).
12Als positive Feststellungsklage sind die Feststellungsanträge unzulässig. Wie der Senat nach Erlass des Berufungsurteils näher ausgeführt hat (, WM 2017, 766 Rn. 11 ff., vom - XI ZR 467/15, WM 2017, 906 Rn. 13 ff., vom - XI ZR 442/16, WM 2017, 849 Rn. 19, vom - XI ZR 586/15, WM 2017, 1258 Rn. 16 und vom - XI ZR 741/16, WM 2017, 1602 Rn. 16), muss ein Kläger, der die Umwandlung eines Verbraucherdarlehensvertrags in ein Rückgewährschuldverhältnis geltend macht, vorrangig mit der Leistungsklage auf der Grundlage der § 357 Abs. 1 Satz 1 BGB in der bis zum geltenden Fassung in Verbindung mit §§ 346 ff. BGB gegen die Beklagte vorgehen. Ist dem Kläger eine Klage auf Leistung möglich und zumutbar und erschöpft sie das Rechtsschutzziel, fehlt ihm das Feststellungsinteresse, weil er im Sinne einer besseren Rechtsschutzmöglichkeit den Streitstoff in einem Prozess klären kann.
13Im konkreten Fall hat das Berufungsgericht ausdrücklich festgestellt, die Beklagte habe angekündigt, auf ein Feststellungsurteil nicht freiwillig leisten zu wollen. Damit steht fest, dass der Rechtsstreit die Meinungsverschiedenheiten der Parteien nicht endgültig bereinigen wird. Die Feststellungsklage ist damit auch nicht nach den Maßgaben des Senatsurteils vom (XI ZR 183/15, WM 2017, 766 Rn. 16) ausnahmsweise zulässig.
III.
14Das Berufungsurteil ist daher aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Eine eigene Sachentscheidung zugunsten der Beklagten (§ 563 Abs. 3 ZPO) kann der Senat nicht fällen. Die Feststellungsanträge sind nicht abweisungsreif.
151. Der Senat kann auf die Revision der Beklagten die Feststellungsklage nicht als unzulässig abweisen. Denn der Klägerin müsste zunächst Gelegenheit gegeben werden, zu einem zulässigen Klageantrag überzugehen (Senatsurteil vom - XI ZR 741/16, WM 2017, 1602 Rn. 34).
162. Der Senat kann aber auch nicht auf die Unbegründetheit der Feststellungsklage erkennen. Zwar ist das Feststellungsinteresse gemäß § 256 Abs. 1 ZPO nur für ein stattgebendes Urteil echte Prozessvoraussetzung. Ein Feststellungsbegehren, das das Berufungsgericht für zulässig erachtet hat, kann bei tatsächlich fehlendem Feststellungsinteresse in der Revisionsinstanz aus sachlichen Gründen abgewiesen werden (st. Rspr., zuletzt etwa Senatsurteil vom - XI ZR 741/16, WM 2017, 1602 Rn. 31). Aufgrund der vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen ist die Klage indessen nicht in der Sache abweisungsreif.
17a) Das Berufungsgericht hat richtig erkannt, der Klägerin sei gemäß § 495 Abs. 1 BGB zunächst das Recht zugekommen, ihre auf Abschluss der Darlehensverträge gerichteten Willenserklärungen nach § 355 Abs. 1 und 2 BGB in der hier nach Art. 229 § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 22 Abs. 2, §§ 32, 38 Abs. 1 Satz 1 EGBGB maßgeblichen, zwischen dem und dem geltenden Fassung zu widerrufen.
18b) Ebenfalls zutreffend ist die Auffassung des Berufungsgerichts, die Widerrufsfrist sei bei Abgabe der Widerrufserklärungen am und noch nicht abgelaufen gewesen. Die der Klägerin erteilten Widerrufsbelehrungen informierten mittels des Einschubs "frühestens" unzureichend deutlich über den Beginn der Widerrufsfrist (vgl. Senatsurteil vom - XI ZR 564/15, BGHZ 211, 123 Rn. 18). Auf die Gesetzlichkeitsfiktion des Musters für die Widerrufsbelehrung gemäß Anlage 2 zu § 14 BGB-InfoV in der hier maßgeblichen, zwischen dem und dem geltenden Fassung kann sich die Beklagte, die unter der Überschrift "Finanzierte Geschäfte" den Gestaltungshinweis 9 nicht vollständig umgesetzt hat, schon deshalb nicht berufen (Senatsurteil vom - XI ZR 482/15, WM 2016, 2295 Rn. 27, zur Veröffentlichung bestimmt in BGHZ).
19c) Der tatrichterlichen Würdigung der nach § 242 erheblichen Umstände kann der Senat abgesehen davon, dass die Revision durchgreifende Rechtsfehler nach Maßgabe des im Revisionsverfahren eröffneten Prüfungsumfangs (vgl. , BGHZ 211, 105 Rn. 18 sowie - XI ZR 564/15, BGHZ 211, 123 Rn. 43 und vom - XI ZR 442/16, WM 2017, 849 Rn. 27) nicht aufzeigt, nicht vorgreifen.
IV.
20Da die Sache, soweit das Berufungsgericht zum Nachteil der Beklagten entschieden hat, nicht zur Endentscheidung reif ist, ist sie insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2017:101017UXIZR456.16.0
Fundstelle(n):
NJW 2017 S. 10 Nr. 49
NJW 2018 S. 227 Nr. 4
WM 2017 S. 2254 Nr. 47
ZIP 2018 S. 900 Nr. 18
OAAAG-62393