Instanzenzug: Brandenburgisches Az: 4 U 34/20 Urteilvorgehend Az: 2 O 27/19
Tatbestand
1Die Klägerin nimmt die Beklagte hinsichtlich eines von ihr im April 2016 als Neuwagen von einem Autohaus erworbenen und von der Beklagten hergestellten Fahrzeugs Audi A4 Allroad 3.0 TDI in Anspruch. Für den Fahrzeugtyp wurde die Typgenehmigung nach der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 mit der Schadstoffklasse Euro 6 erteilt. Das Fahrzeug ist mit einem von der Beklagten hergestellten 3.0 l Dieselmotor ausgestattet und verfügt unter anderem über eine temperaturgesteuerte Abgasrückführung (Thermofenster).
2Die Klägerin hat die Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten für Schäden, die aus der Manipulation des Fahrzeugs resultieren (Berufungsantrag zu 2 nebst Hilfsantrag zu 2), und Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten (Berufungsantrag zu 4) verlangt. Höchst hilfsweise hat sie mit dem Antrag zu 2a) Zahlung von 78.363,44 € nebst Verzugszinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs sowie die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten begehrt. Die Klage hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin diese Anträge weiter.
Gründe
3Die Revision hat im tenorierten Umfang Erfolg.
I.
4Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung (Az. 4 U 34/20, veröffentlicht in juris), soweit für das Revisionsverfahren von Interesse, im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:
5Die mit dem Hauptantrag zu 2 und dem Hilfsantrag zu 2 erhobene Feststellungsklage sei mangels Feststellungsinteresses unzulässig. Die hilfsweise erhobene Leistungsklage (Antrag zu 2a)) sei unbegründet. Ein Anspruch aus § 826 BGB bzw. § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 263 StGB scheide aus. Die Klägerin habe zu einer Täuschung des Kraftfahrt-Bundesamts (KBA) über eine unzulässige Abschalteinrichtung nicht hinreichend vorgetragen. Hinsichtlich des unstreitig verbauten Thermofensters, das auf dem Prüfstand und außerhalb dessen in gleicher Weise funktioniere, fehle es jedenfalls an der Darlegung von Umständen, die für ein vorsätzliches Handeln der Beklagten sprächen. Ein Schadensersatzanspruch der Klägerin ergebe sich auch nicht aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 der EG-FGV, weil es sich dabei nicht um Schutzgesetze handele.
II.
6Die Revision der Klägerin ist nur im tenorierten Umfang begründet. Sie führt insoweit zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
71. Die Klägerin verfügt zwar über das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche, im Revisionsverfahren ebenfalls von Amts wegen zu überprüfende (vgl. , NJW 2018, 227 Rn. 10) Feststellungsinteresse für die gegen die Beklagte als Herstellerin gerichteten Feststellungsanträge. Nach ihrem Vortrag ist die Schadensentwicklung noch nicht abgeschlossen, weil künftige Aufwendungen möglich erscheinen, die im Rahmen des von der Klägerin gewählten sogenannten "großen" Schadensersatzes ersatzfähig sein können (vgl. , NJW 2022, 1093 Rn. 15 m.w.N.).
82. Die Feststellungsklage ist aber unbegründet. Einen Anspruch auf den großen Schadensersatz hat das Berufungsgericht zutreffend abgelehnt. Auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen begegnet es keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten gemäß §§ 826, 31 BGB oder § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB verneint hat. Die Revision zeigt nicht auf, dass dem Berufungsgericht bei der Würdigung der von ihm festgestellten Tatsachen und des von ihm als zutreffend unterstellten Sachvortrags der Klägerin ein Rechtsfehler unterlaufen wäre (vgl. zur eingeschränkten revisionsgerichtlichen Prüfung Rn. 32 m.w.N., WM 2022, 87). Sie legt auch nicht dar, dass das Berufungsgericht relevanten Sachvortrag oder Beweisantritte der darlegungs- und beweisbelasteten Klägerin (vgl. VIa ZR 51/21 Rn. 21, juris; Urteil vom - VI ZR 128/20 Rn. 14, VersR 2021, 1252; Beschluss vom - VI ZR 889/20 Rn. 29, NJW 2021, 1814; Beschluss vom - VI ZR 433/19 Rn. 19, NJW 2021, 921) übergangen hätte.
9a) Das unstreitig im Klägerfahrzeug verbaute Thermofenster ordnet das Berufungsgericht zwar als unzulässige Abschalteinrichtung ein. Wie das Berufungsgericht zutreffend angenommen hat, ist der darin liegende Gesetzesverstoß für sich genommen aber nicht geeignet, den Einsatz dieser Steuerungssoftware durch die für die Beklagte handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen zu lassen. Hierfür bedürfte es vielmehr weiterer Umstände. So setzt die Annahme von Sittenwidrigkeit in diesen Fällen jedenfalls voraus, dass diese Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen. Fehlt es hieran, ist bereits der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit nicht erfüllt (vgl. Rn. 16 m.w.N., WM 2021, 2108). Ein solches Vorstellungsbild der für die Beklagte handelnden Personen hat das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei verneint. Anhaltspunkte für wissentlich unterbliebene oder unrichtige Angaben der Beklagten im Typgenehmigungsverfahren, die noch dazu auf ein heimliches und manipulatives Vorgehen oder eine Überlistung des KBA und damit auf einen bewussten Gesetzesverstoß hindeuten würden (vgl. Rn. 24, ZIP 2021, 297), zeigt die Revision nicht auf.
10b) Auch im Übrigen erachtet der Senat die von der Revision erhobenen Rügen von Verfahrensmängeln nicht für durchgreifend (§ 564 Satz 1 ZPO).
113. Im Lichte der nach Erlass der Entscheidung des Berufungsgerichts ergangenen neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der sich der Senat angeschlossen hat (Urteile vom - VII ZR 306/21 und VII ZR 619/21, juris), kann allerdings eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV auf Ersatz des Differenzschadens nicht ausgeschlossen werden (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245). Dafür ist auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses abzustellen und der Schaden beläuft sich auf einen gemäß § 287 ZPO zu schätzenden Betrag innerhalb eines Rahmens zwischen 5 % und 15 % des gezahlten Kaufpreises (vgl. VIa ZR 335/21 Rn. 42, 72 ff., BGHZ 237, 245). Das Berufungsgericht hätte die Berufung der Klägerin bei richtiger rechtlicher Bewertung mithin nicht zurückweisen dürfen, ohne ihr Gelegenheit zu geben, den von ihr geltend gemachten Schaden im Sinne des Differenzschadens zu berechnen. Die Stellung eines an die Geltendmachung des Differenzschadens angepassten, unbeschränkten Zahlungsantrags ohne Vorbehalt einer Zug um Zug zu erbringenden Leistung ist der Klägerin möglich.Denn dem von ihr in erster Linie auf §§ 826, 31 BGB gestützten großen Schadensersatz einerseits und einem Differenzschaden nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGVandererseits liegen lediglich unterschiedliche Methoden der Schadensberechnung zugrunde, die im Kern an die Vertrauensinvestition des Käufers bei Abschluss des Kaufvertrags anknüpfen ( VIa ZR 335/21 Rn. 45, BGHZ 237, 245).
124. Die Entscheidung erweist sich indes aus anderen Gründen als richtig, § 561 ZPO, soweit das Berufungsgericht den Antrag zu 4 auf Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten zurückgewiesen hat. Die Zurückweisung hat das Berufungsgericht selbständig tragend damit begründet, dass die Klägerin ein vorgerichtliches Tätigwerden ihrer späteren Prozessbevollmächtigten gegenüber der Beklagten nicht dargetan habe. Dagegen wendet sich die Revision nicht.
III.
13Das angefochtene Urteil ist danach im tenorierten Umfang aufzuheben und die Sache insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Eine Entscheidung in der Sache durch den Senat ist nicht veranlasst, weil der Rechtsstreit nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO).
14Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird die Klägerin Gelegenheit haben, den Differenzschaden geltend zu machen und einen solchen Schaden darzulegen. Dabei wird sie zu beachten haben, dass bei der Wahl des Differenzschadens eine Feststellungsklage wegen des Vorrangs der Leistungsklage mangels Feststellungsinteresses der Klägerin (§ 256 Abs. 1 ZPO) unzulässig wäre, weil sie den Differenzschaden beziffern kann (vgl. VIa ZR 1083/22, juris; Urteil vom - VIa ZR 37/21, WM 2023, 2191 Rn. 19; zum "kleinen" Schadensersatz vgl. , NJW-RR 2022, 23 Rn. 15).
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:150224UVIIZR905.21.0
Fundstelle(n):
RAAAJ-63235