BAG Urteil v. - 10 AZR 360/10

Keine Jahressonderzahlung für Auszubildende nach § 9 MTV für das Gaststätten- und Hotelgewerbe des Landes Nordrhein-Westfalen

Gesetze: § 1 TVG

Instanzenzug: ArbG Gelsenkirchen Az: 5 Ca 2439/08 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Hamm (Westfalen) Az: 15 Sa 44/10 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten über den Anspruch auf eine tarifliche Jahressonderzahlung.

2Die Beklagte führt einen Hotel- und Restaurantbetrieb. Der Kläger war bei ihr seit dem als Auszubildender zum Konditor beschäftigt. Die Ausbildungsvergütung belief sich auf 693,00 Euro brutto. Auf das Ausbildungsverhältnis fand der für allgemeinverbindlich erklärte Manteltarifvertrag für das Gaststätten- und Hotelgewerbe des Landes Nordrhein-Westfalen vom idF vom (MTV) Anwendung.

Der MTV lautet auszugsweise:

4Die Beklagte zahlte an die bei ihr beschäftigten Arbeitnehmer im Dezember 2007 eine Jahressonderzahlung in Höhe von 50 % des tariflichen Monatseinkommens nach Maßgabe des § 9.1 MTV. Auszubildende nahm sie von dieser Zahlung aus.

5Der Kläger hat die Auffassung vertreten, auch ihm als Auszubildenden stehe die tarifliche Jahressonderzahlung zu. Der in § 9.1 MTV genannte Begriff „Arbeitnehmer“ erfasse auch Auszubildende.

Der Kläger hat beantragt,

7Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Sie hat die Auffassung vertreten, die Tarifvertragsparteien hätten Auszubildende bewusst von der Jahressonderzahlung ausgenommen.

Der vom Kläger angerufene Ausschuss zur Schlichtung von Lehrlingsstreitigkeiten hat das Scheitern des Schlichtungsverfahrens festgestellt. Ein gemäß § 19 MTV durchgeführtes Schiedsverfahren ist ohne Ergebnis beendet worden. Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht der Klage stattgegeben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

Gründe

9Die Revision der Beklagten ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Urteils des Landesarbeitsgerichts und zur Wiederherstellung des klageabweisenden Urteils des Arbeitsgerichts.

10I. Die Klage ist unbegründet. Der Kläger hat als Auszubildender keinen Anspruch auf die tarifliche Jahressonderzahlung für das Jahr 2007. Der Kläger ist kein „Arbeitnehmer“ iSv. § 9.1 MTV. Dies ergibt die Auslegung der tariflichen Regelungen.

111. Bereits der Wortlaut der Tarifnorm, von dem vorrangig auszugehen ist, spricht dafür, dass Auszubildende nicht als anspruchsberechtigte Arbeitnehmer gelten.

12a) Verwendet ein Tarifvertrag einen Rechtsbegriff, der vom Gesetzgeber in anderem Zusammenhang gebraucht wird, und bedienen die Tarifvertragsparteien sich damit der juristischen Fachsprache, ist dieser Begriff in seiner allgemeinen rechtlichen Bedeutung auszulegen, sofern sich nicht aus dem Tarifvertrag etwas anderes ergibt ( - Rn. 13, AP TVG § 1 Tarifverträge: Brotindustrie Nr. 9 = EzA TVG § 4 Brot- und Backwarenindustrie Nr. 2; vgl. auch - 3 AZR 468/01 - zu II 3 der Gründe, AP TVG § 1 Auslegung Nr. 184 = EzA TVG § 1 Auslegung Nr. 36).

13b) Die Tarifvertragsparteien verwenden im MTV mehrfach den Begriff „Arbeitnehmer“, ohne hierfür jedoch eine eigenständige Definition aufzustellen. Nach allgemeinem juristischen Sprachgebrauch ist ein Arbeitsverhältnis einem Berufsausbildungsverhältnis nicht gleichzusetzen, weil beide Vertragsverhältnisse ganz unterschiedliche Pflichtenbindungen aufweisen ( - zu 2 a bb der Gründe, BAGE 107, 72). Inhalt eines Arbeitsverhältnisses ist nach § 611 BGB die Erbringung der vertraglich geschuldeten Leistung gegen Zahlung eines Entgelts. Demgegenüber schuldet der Auszubildende, sich ausbilden zu lassen, während die Hauptpflicht des Ausbildenden nach § 14 BBiG darin besteht, dem Auszubildenden die zum Erreichen des Ausbildungsziels erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten zu vermitteln (vgl.  - Rn. 21, EzA BGB 2002 § 611 Ausbildungsbeihilfe Nr. 9; - 6 AZR 348/02 - zu 2 a bb der Gründe, BAGE 107, 72; - 8 AZR 578/99 - zu 2 b der Gründe, AP BBiG § 3 Nr. 7 = EzA BBiG § 16 Nr. 3). Der Auszubildende schuldet im Gegensatz zu einem Arbeitnehmer keine Arbeitsleistung gegen Zahlung eines Entgelts, sondern hat sich nach § 13 Satz 1 BBiG zu bemühen, die berufliche Handlungsfähigkeit zu erwerben, die zum Erreichen des Ausbildungsziels erforderlich ist ( - zu II 3 b bb (2) der Gründe, AP BBiG § 15 Nr. 13 = EzA BBiG § 15 Nr. 14).

14c) Hinzu kommt, dass § 9.1 MTV das Bestehen eines „ungekündigten Arbeitsverhältnisses“ am Stichtag verlangt. Auch die Begriffe Arbeitsverhältnis und (Berufs-)Ausbildungsverhältnis sind im allgemeinen juristischen Sprachgebrauch nicht gleichzusetzen. Nach § 10 Abs. 2 BBiG sind auf den Berufsausbildungsvertrag die für den Arbeitsvertrag geltenden Rechtsvorschriften und Rechtsgrundsätze (nur) anzuwenden, wenn sich aus seinem Wesen und Zweck sowie aus dem BBiG nichts anderes ergibt.

152. Deutliche Anhaltspunkte dafür, dass die Tarifvertragsparteien dem Begriff „Arbeitnehmer“ in § 9 MTV eine weitergehende Bedeutung beimessen und hiervon auch Auszubildende erfasst sehen wollten, ergeben sich nicht aus dem tariflichen Gesamtzusammenhang.

16Die Tarifvertragsparteien haben bei der Festlegung des persönlichen Geltungsbereichs in § 1 Ziff. 3 MTV zwischen Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen einerseits und Auszubildenden andererseits differenziert. Sie haben damit ihrer Tarifregelung die grundsätzliche Unterscheidung zwischen Arbeitnehmern und Auszubildenden zugrunde gelegt. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts lässt sich aus § 1 Ziff. 3 MTV nicht der Schluss ziehen, dass die Tarifnormen grundsätzlich für alle Arbeitnehmer und Auszubildenden gleichermaßen gelten sollten, soweit der Tarifvertrag keine Sonderregelungen enthalte oder eine sinnvolle und sachgerechte Anwendung auf Auszubildende nach Sinn und Zweck der jeweiligen Regelung ausgeschlossen sei. Dies berücksichtigt nicht ausreichend, dass der MTV gerade keinen einheitlichen Arbeitnehmerbegriff kennt und sich aus der Festlegung des Geltungsbereichs nicht ohne Weiteres die Adressaten der einzelnen Tarifnorm ableiten lassen.

17Innerhalb des MTV haben die Tarifvertragsparteien dem Begriff des „Arbeitnehmers“ unterschiedliche Bedeutungen beigemessen, so dass der Bedeutungsgehalt für den jeweiligen Regelungsgegenstand gesondert zu ermitteln ist. Teilweise wird der Arbeitnehmerbegriff ausdrücklich unter Einschluss der Auszubildenden benutzt (so in § 3.4 MTV), teilweise ergibt sich dies aus dem Regelungszweck (so zB in § 12 MTV oder § 16 Abs. 2 MTV). An anderer Stelle wird hingegen ausdrücklich zwischen Arbeitnehmern auf der einen und Auszubildenden auf der anderen Seite differenziert. Dies geschieht beispielsweise in § 7.4 MTV, der eine unterschiedliche Berechnung des Urlaubsgelds für Arbeitnehmer und Auszubildende anordnet, und in § 3.5 MTV im Hinblick auf Ruhetage.

183. Die Tarifentwicklung spricht gegen ein umfassendes Verständnis der Begriffe „Arbeitnehmer“ und „Arbeitsverhältnis“ im Rahmen des § 9 MTV.

19Bis zum Jahr 1997 wurde die Höhe der Jahressonderzahlung gestaffelt nach der jeweiligen Betriebszugehörigkeit berechnet. Erst ab 1998 wurde die Höhe der Jahressonderzahlung auf 50 % eines tariflichen Monatseinkommens vereinheitlicht, der Wortlaut der Vorschrift blieb im Übrigen unverändert. Dass die Tarifvertragsparteien einem Auszubildenden bei Verlängerung des Berufsausbildungsverhältnisses wegen Nichtbestehens der Abschlussprüfung oder gar einer ersten Wiederholungsprüfung (vgl. dazu  - EzA BBiG § 14 Nr. 11; - 5 AZR 622/98 - BAGE 94, 66) eine erhöhte Jahressonderzuwendung infolge längerer Betriebszugehörigkeit zukommen lassen wollten, ist nicht erkennbar. Dem steht auch die Wertung in § 7.5.2 MTV entgegen, wonach der Anspruch auf das zusätzliche Urlaubsgeld für das laufende Ausbildungsjahr entfällt, wenn der Auszubildende vor Ablauf der Ausbildungszeit ohne Abschluss aus dem Ausbildungsverhältnis ausscheidet.

204. Sinn und Zweck der Jahressonderzahlung geben keine Anhaltspunkte dafür, den Zahlungsanspruch auf Auszubildende zu erstrecken.

21a) Bei der tariflichen Jahressonderzahlung handelt es sich um eine Sondervergütung mit Mischcharakter. Eine Sonderleistung kann vergangenheits- und zukunftsbezogene Elemente miteinander verknüpfen und sowohl die Belohnung bisheriger Dienste und erwiesener Betriebstreue bezwecken als auch als Anreiz für künftige Betriebstreue dienen. Bei einer solchen Sondervergütung wird die Belohnung künftiger Betriebstreue in der Regel dadurch sichergestellt, dass der Anspruch auf die Sonderzahlung den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses über einen Stichtag hinaus bis zum Ende eines dem Arbeitnehmer noch zumutbaren Bindungszeitraums voraussetzt ( - Rn. 18, AP BGB § 611 Gratifikation Nr. 265 = EzA BGB 2002 § 611 Gratifikation, Prämie Nr. 21). So verhält es sich bei der in § 9 MTV geregelten Sonderzahlung. Die in § 9.4 MTV angeordnete Rückzahlungspflicht zeigt, dass die Sonderzahlung nicht lediglich der Belohnung bisheriger Dienste dient, sondern auch einen Anreiz für künftige Betriebstreue darstellen soll. Dass die Tarifvertragsparteien diesen Zweck auch im Hinblick auf die Auszubildenden verfolgt haben, bei denen eine Kündigung regelmäßig ausscheidet, hat im MTV keinen Niederschlag gefunden.

22b) Eine derartige Zwecksetzung ergibt sich auch nicht aus dem Wesen der Ausbildungsvergütung. Im Gegensatz zur tariflichen Jahressonderzahlung kommt der Ausbildungsvergütung im Allgemeinen keine Anreizfunktion für die Zukunft zu. Eine Ausbildungsvergütung hat regelmäßig drei Funktionen. Sie soll den Auszubildenden und seine unterhaltsverpflichteten Eltern bei der Lebenshaltung finanziell unterstützen, die Heranbildung eines ausreichenden Nachwuchses an qualifizierten Fachkräften gewährleisten und die Leistungen des Auszubildenden in gewissem Umfang „entlohnen“ ( - Rn. 31 unter Bezugnahme auf BT-Drucks. V/4260 S. 9 und die st. Rspr., BAGE 125, 285).

II. Der Kläger hat gemäß § 97 Abs. 1, § 91 ZPO die Kosten der Berufung und der Revision zu tragen.

Fundstelle(n):
DB 2011 S. 2728 Nr. 48
VAAAD-86964