Keine Berücksichtigung als Ausbildungsplatz suchendes Kind, wenn das Kind wegen der Betreuung des eigenen Kindes sich nicht ernsthaft um einen Ausbildungsplatz bemüht
Leitsatz
Ein volljähriges Kind ist nicht nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG zu berücksichtigen, wenn es wegen der Betreuung eines eigenen Kindes keine ernsthaften Bemühungen um einen Ausbildungsplatz unternimmt.
Gesetze: EStG § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2c, GG Art. 3 Abs. 1
Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),
Gründe
1 I. Die 1981 geborene Tochter (T) der Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin) hatte im September 1999 geheiratet. Von Juli 2000 bis Juni 2001 nahm sie an einer Maßnahme „Arbeiten und Lernen” des Vereins X teil. Von Januar bis Juli 2002 war sie dort als Hilfskraft beschäftigt. Im Juli 2002 erwarb sie im Wege der Nichtschülerprüfung den Hauptschulabschluss. Für die Zeit von September 2002 bis August 2003 war sie für eine berufsvorbereitende Maßnahme beim .werk vorgesehen, war in der Zeit von September 2002 bis Juni 2003 allerdings als Langzeitpraktikantin in der Praxis eines Arztes beschäftigt, von dem sie auch die Zusage für einen Ausbildungsplatz ab September 2003 erhalten hatte. Im Hinblick hierauf wurde sie im Februar 2003 aus der Berufsberatung abgemeldet. Die Ausbildung als Arzthelferin trat T jedoch nicht an.
2 Seit Ende Dezember 2003 lebte T von ihrem Ehemann getrennt. Im April 2004 brachte sie eine Tochter zur Welt. Unterhalt erhält sie nur für diese.
3 Seit Januar 2001 befand sich T wegen . in Behandlung. Nach eigenen Angaben der T hat sich die Schwangerschaft positiv auf ihren Gesundheitszustand ausgewirkt – die . seien seither ausgeblieben.
4 Im August 2006 begann T eine Ausbildung als .. Ihren Angaben zufolge erhielt sie in den Jahren 2004 bis 2006 Sozialhilfe bzw. Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).
5 Auf den im April 2007 gestellten Antrag der Klägerin, ihr —auch für die Vergangenheit— Kindergeld zu gewähren, setzte die Beklagte und Revisionsklägerin (Familienkasse) im Mai 2007 Kindergeld ab August 2006 fest und lehnte den Antrag im Übrigen ab. Der hiergegen gerichtete Einspruch blieb erfolglos.
6 Das Finanzgericht (FG) gab der auf Festsetzung von Kindergeld für den Zeitraum ab März 2004 bis Juli 2006 gerichteten Verpflichtungsklage mit Urteil vom 10 K 64/08 (Entscheidungen der Finanzgerichte 2009, 190) statt und ließ die Revision zu.
7 Mit ihrer Revision rügt die Familienkasse eine Verletzung des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c in der für den Streitzeitraum geltenden Fassung (EStG).
8 Sie beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
9 Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
10 II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung —FGO—). Das FG ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass ein Kind auch dann nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG zu berücksichtigen ist, wenn es wegen der Betreuung eines eigenen Kindes keine ernsthaften Bemühungen um einen Ausbildungsplatz unternimmt.
11 1. Nach § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG besteht bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen für ein über 18 Jahre altes Kind, das, wie T, das 27. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, Anspruch auf Kindergeld, wenn es eine Berufsausbildung mangels Ausbildungsplatzes nicht beginnen oder fortsetzen kann.
12 a) Erforderlich ist, dass sich das Kind ernsthaft um einen Ausbildungsplatz bemüht hat. Das Bemühen ist glaubhaft zu machen. Als Nachweise kommen z.B. eine Bescheinigung des Arbeitsamtes (jetzt Agentur für Arbeit), dass das Kind als Bewerber um eine berufliche Ausbildungsstelle registriert ist, Suchanzeigen in der Zeitung oder direkte schriftliche Bewerbungen an Ausbildungsstätten und ggf. darauf erhaltene Zwischennachrichten oder Absagen in Betracht (z.B. Senatsurteil vom III R 66/05, BFHE 222, 343, BFH/NV 2008, 1740, m.w.N.). Danach ist ein Kind nicht nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG zu berücksichtigen, wenn es sich nicht entsprechend bemüht, weil es ein eigenes Kind betreut (ebenso z.B. Pust in Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, § 32 EStG Rz 432; Helmke/Bauer, Familienleistungsausgleich, Fach A, I. Kommentierung, § 32 EStG Rz 35, 83; Blümich/Selder, Einkommensteuergesetz, Körperschaftsteuergesetz, Gewerbesteuergesetz, Kommentar, § 32 EStG Rz 78; Schmidt/Loschelder, Einkommensteuergesetz, 27. Aufl., § 32 Rz 28, 33; Jachmann in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, Einkommensteuergesetz, § 32 Rz C 12, 26; Jechnerer in Lademann/Söffing, Einkommensteuergesetz, § 32 Rz 138; Felix, Kindergeldrecht, § 63 EStG Rz 67 und 87; Dürr in Frotscher, EStG, 6. Aufl., Freiburg 1998 ff., § 32 Rz 63; Stache in Bordewin/Brandt, § 32 EStG Rz 106; Grönke-Reimann in Herrmann/Heuer/Raupach, § 32 EStG Rz 95; Seewald/Felix, Kindergeldrecht, EStG § 63 Rz 204; a.A. Korn/Greite, Einkommensteuergesetz, § 32 Rz 45, und Finanz-Rundschau 2003, 1292).
13 b) Die Änderung des § 2 des Bundeskindergeldgesetzes (BKGG) mit der Einführung des steuerlichen Familienleistungsausgleichs ab dem bestätigt diese Auslegung. Nach § 2 Abs. 4 Satz 3 i.V.m. Satz 1 Nr. 1 BKGG in der bis dahin geltenden Fassung war ein Kind, das eine Berufsausbildung mangels Ausbildungsplatzes nicht beginnen oder fortsetzen konnte, auch dann als Kind zu berücksichtigen, wenn es von der Bewerbung um einen Ausbildungsplatz mit Rücksicht darauf vorläufig absah, weil es unter den Voraussetzungen des § 1 und im zeitlichen Rahmen des § 15 des Bundeserziehungsgeldgesetzes (BErzGG) ein Kind zu betreuen und erziehen beabsichtigte oder betreute und erzog. Mit Wirkung ab dem ist diese Regelung entfallen. Die Gesetzesbegründung macht deutlich, dass diese zum Zweck der Anpassung an das Einkommensteuerrecht vorgenommene Änderung zur Folge hat, dass ein Kind während der Zeiten des Erziehungsurlaubs (seit : Elternzeit) ebenso wie im EStG auch im Rahmen des BKGG nicht als Kind berücksichtigt wird (BTDrucks 13/1558, S. 164).
14 c) Dem steht auch nicht entgegen, dass nach zutreffender Auffassung der Finanzverwaltung das Kind als Ausbildungsplatz suchend berücksichtigt werden kann, wenn es infolge Erkrankung oder wegen eines Beschäftigungsverbots nach den §§ 3, 6 des Gesetzes zum Schutz der erwerbstätigen Mutter (MuSchG) daran gehindert ist, seine Berufsausbildung zu beginnen oder fortzusetzen, sofern der Wille des Kindes, die Ausbildung zum frühest möglichen Zeitpunkt zu beginnen oder fortzusetzen, glaubhaft gemacht wird (Dienstanweisung zur Durchführung des Familienleistungsausgleichs nach dem X. Abschnitt des Einkommensteuergesetzes —DA-FamEStG— DA 63.3.4 Abs. 4). Denn in diesen Fällen ist das Kind ausbildungswillig, aber aus objektiven Gründen wegen Erkrankung oder wegen des Beschäftigungsverbots nach dem MuSchG daran gehindert, eine Ausbildung zu beginnen oder fortzusetzen. Demgegenüber beruht die Entscheidung, eine Ausbildung nicht zu beginnen bzw. fortzuführen, um das eigene Kind zu betreuen, auf dem eigenen, der Förderung des Eltern-Kind-Verhältnisses dienenden Entschluss des Kindes.
15 d) Entgegen der Auffassung des FG bestehen gegen diese Auslegung selbst dann keine verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn das Kind sich vor Beginn des Mutterschutzes ernsthaft um einen Ausbildungsplatz bemüht hat und entsprechende Bemühungen (erst) unmittelbar nach Beendigung der Elternzeit wieder aufnehmen will.
16 Der Gesetzgeber ist in typisierender Betrachtungsweise davon ausgegangen, dass die steuerliche Leistungsfähigkeit wegen bestehender Unterhaltspflichten bei Eltern mit volljährigen Kindern nur noch in besonderen Fällen gemindert ist. Dass der Gesetzgeber einen Spielraum für generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen hat, ist anerkannt. Er darf atypische Fälle unberücksichtigt lassen, wenn eine Einbeziehung nur unter Schwierigkeiten zu bewältigen wäre und hiervon nur eine verhältnismäßig kleine Zahl von Personen betroffen ist (, BFHE 203, 106, BStBl II 2003, 848, m.w.N.).
17 Eine solche Situation ist im Fall der Unterbrechung bzw. des Absehens von ernsthaften Bemühungen um einen Ausbildungsplatz zum Zweck der Betreuung des eigenen Kindes gegeben. So ist zunächst der Vater des Kindeskindes vorrangig unterhaltspflichtig (vgl. §§ 1360, 1361 Abs. 1, § 1608 und § 1615l Abs. 2 Satz 2 f., Abs. 3 des Bürgerlichen Gesetzbuchs). Selbst wenn —wie das FG annimmt— die Väter der Kinder junger Mütter regelmäßig ebenfalls noch jung und deshalb zu entsprechenden Unterhaltszahlung nicht in der Lage sein sollten, führte dies, wie der vorliegende Fall zeigt, nicht typischerweise zu einer Belastung der Eltern der jungen Mutter mit Unterhaltszahlungen für diese. Die Situation, bei der die Eltern des Kindes diesem gegenüber in der Zeit unterhaltspflichtig sind, in der es das eigene Kind betreut, ist daher ein Ausnahmefall, den der Gesetzgeber vernachlässigen durfte, zumal eine steuerliche Entlastung der Eltern im Rahmen von § 33a Abs. 1 EStG möglich ist (vgl. BFH-Urteile in BFHE 203, 106, BStBl II 2003, 848, und vom VIII R 56/01, BFHE 203, 472, BStBl II 2004, 123).
18 2. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus gemeinschaftsrechtlichen Regelungen. Art. 13 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGV) verankert weder einen allgemeinen Gleichheitssatz noch ein direkt anwendbares Diskriminierungsverbot, auf das sich der Einzelne berufen könnte (z.B. Epiney, in Callies/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 13 EGV Rz 1). Auch das gemeinschaftsrechtliche Sekundärrecht fordert keine Berücksichtigung eines Kindes, das ein eigenes Kind betreut, als Ausbildungsplatz suchendes Kind i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG. Ein entsprechender Anspruch ergibt sich insbesondere nicht aus der Richtlinie 79/7/EWG des Rates vom zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Nr. L 6 vom , S. 24), denn diese Richtlinie gilt —ungeachtet der Frage ihrer unmittelbaren Wirkung— nach ihrem Art. 3 Abs. 2 nicht für Regelungen betreffend Familienleistungen, sofern diese nicht als Zuschläge zu den Leistungen aufgrund der Risiken von Krankheit, Invalidität, Alter, Arbeitsunfall und Berufskrankheit und Arbeitslosigkeit gewährt werden.
19 3. Die Sache ist nicht spruchreif.
20 a) Das FG hat —aus seiner Sicht zu Recht— keine Feststellungen dazu getroffen, ab wann T sich ernsthaft um einen Ausbildungsplatz bemüht hat und nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG berücksichtigt werden kann. Diese sind nun nachzuholen.
21 b) Das angegriffene Urteil stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 126 Abs. 4 FGO). Zu Recht ist das FG insbesondere davon ausgegangen, dass T sich im Streitzeitraum März 2004 bis Juli 2006 weder in einer Übergangszeit zwischen zwei Ausbildungsabschnitten befand (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG) noch wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung außerstande war, sich selbst zu unterhalten (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG). Sie war auch für die Monate März bis Juni 2004 nicht bereits deshalb nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG zu berücksichtigen, weil sie sich in dieser Zeit im Mutterschutz nach den §§ 3, 6 MuSchG befand. Denn eine Berücksichtigung in dieser Zeit setzt voraus, dass das Kind die Ausbildung zum frühest möglichen Zeitpunkt nach Ende des Mutterschutzes beginnen oder fortsetzen will und dies auch glaubhaft macht. Daran fehlt es im vorliegenden Fall.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2010 S. 619 Nr. 4
EStB 2010 S. 139 Nr. 4
HAAAD-38262