BFH Beschluss v. - V R 35/08 BStBl 2010 II S. 376

EuGH-Vorlage zur Abgrenzung von Restaurationsleistungen (Dienstleistungen) und Lieferungen von Nahrungsmitteln; Leistungen des Betreibers eines Imbiss-Standes

Leitsatz

Dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften werden folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Handelt es sich um eine Lieferung i.S. von Art. 5 der Richtlinie 77/388/EWG, wenn zum sofortigen Verzehr zubereitete Speisen oder Mahlzeiten abgegeben werden?

2. Kommt es für die Beantwortung der Frage 1 darauf an, ob zusätzliche Dienstleistungselemente erbracht werden (Bereitstellung von Verzehrvorrichtungen)?

3. Falls die Frage zu 1 bejaht wird: Ist der Begriff „Nahrungsmittel” im Anhang H Kategorie 1 der Richtlinie 77/388/EWG dahin auszulegen, dass darunter nur Nahrungsmittel „zum Mitnehmen” fallen, wie sie typischerweise im Lebensmittelhandel verkauft werden, oder fallen darunter auch Speisen oder Mahlzeiten, die —durch Kochen, Braten, Backen oder auf sonstige Weise— zum sofortigen Verzehr zubereitet worden sind?

Gesetze: UStG § 1 Abs. 1, UStG § 12 Abs. 2 Nr. 1, Richtlinie 77/388/EWG Art. 2 Nr. 1, Richtlinie 77/388/EWG Art. 5 Abs. 1, Richtlinie 77/388/EWG Art. 6 Abs. 1, Richtlinie 77/388/EWG Art. 12 Abs. 3a, Richtlinie 2006/112/EG Art. 129 Abs. 1

Instanzenzug: ,

Tatbestand

I. Sachverhalt

Streitig ist, ob die Umsätze des Klägers und Revisionsbeklagten (Kläger) dem ermäßigten Umsatzsteuersatz unterliegen.

Der Kläger verkaufte im Streitjahr (2004) auf Wochenmärkten in drei gleichartigen Imbisswagen verzehrfertig zubereitete Speisen (insbesondere verschiedene Würste, Pommes frites) und Getränke. Die Imbisswagen verfügen über eine Verkaufstheke mit Spritzschutz aus Glas und ein darunter angebrachtes umlaufendes „Brett” aus Resopal, das zum Verzehr der Speisen an Ort und Stelle genutzt werden kann. Seitlich befindet sich über der Deichsel eine herausklappbare „Zunge”, die nach Art eines Tisches in gleicher Höhe und aus dem gleichen Material hergestellt ist wie die umlaufende „Verzehrtheke”. Der Bereich, in dem sich Kunden zum Verzehr aufhalten können, ist durch ein herausklappbares Dach vor Regen geschützt.

In seiner Umsatzsteuererklärung für das Streitjahr unterwarf der Kläger die Umsätze aus dem Verkauf von Getränken dem Regelsteuersatz, die Umsätze aus dem Verkauf von Speisen dagegen dem ermäßigten Steuersatz. Im Rahmen einer Umsatzsteuer-Sonderprüfung kam der Prüfer zu dem Ergebnis, dass die Kunden des Klägers die Waren in der Regel an Ort und Stelle verzehrten. Da der Kläger keine Angaben zum Umfang des Verzehrs an den Imbisswagen gemacht habe, seien die Umsätze zum Regelsteuersatz auf 70 % geschätzt worden.

Aufgrund des Ergebnisses der Außenprüfung erließ der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) am einen geänderten Umsatzsteuerbescheid für 2004, der auf § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung beruhte und setzte die Umsatzsteuer auf 3.919,05 € fest. Der Einspruch des Klägers blieb ohne Erfolg.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Zur Begründung seines in Entscheidungen der Finanzgerichte 2009, 144 veröffentlichten Urteils führte es im Wesentlichen aus: Entscheidend sei für die Abgrenzung, ob das Dienstleistungselement qualitativ überwiege.

Der Kläger habe zwar Verzehrvorrichtungen bereitgestellt, die dazu geeignet und bestimmt gewesen seien, Kunden den Verzehr der Speisen an Ort und Stelle zu ermöglichen. Sie seien auch tatsächlich von einer Vielzahl der Kunden des Klägers zum Verzehr an Ort und Stelle genutzt worden. Es könne aber nicht darauf ankommen, inwieweit „Verzehrvorrichtungen” an einem Imbisswagen tatsächlich von der Kundschaft zum Verzehr an Ort und Stelle genutzt würden, weil dann die Höhe des Steuersatzes von einem Verhalten des Kunden nach Ausführung des Umsatzes abhänge.

Im Streitfall handele es sich um Lieferungen, denn neben der Zubereitung der Speisen habe der Kläger nur überdachte Ablageflächen an seinem Imbissstand bereitgehalten, auf denen die Speisen zum Verzehr abgestellt werden könnten und Abfalleimer zur Verfügung gestellt. Andere Dienstleistungselemente, die bei einem Restaurantbesuch das Gesamtbild der angebotenen Leistungen des Gastwirts prägten (Bedienung, Sitzgelegenheit, geschlossene und temperierte Räume bzw. ansprechende Verzehrgelegenheiten im Freien, Vorhandensein von Garderobe und Toiletten usw.) fehlten dagegen.

Mit der vom FG zugelassenen Revision macht das FA geltend, das FG habe § 12 Abs. 2 Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) verletzt, weil die Lieferungen mit Leistungen (Zubereitung der Nahrungsmittel zu Speisen und Vorhalten von überdachten Verzehrvorrichtungen) verbunden gewesen seien, die über die bloße Vermarktung hinausgegangen seien.

Das FA beantragt sinngemäß, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Er verteidigt die Vorentscheidung.

Gründe

II. Entscheidungsgründe

Der Senat legt dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) die im Leitsatz bezeichneten Fragen zur Auslegung des Gemeinschaftsrechts vor und setzt das Verfahren bis zur Entscheidung des EuGH aus.

1. Zur Rechtslage nach nationalem Recht.

§ 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 UStG 1999 bestimmt:

„Der Umsatzsteuer unterliegen die folgenden Umsätze:

1. die Lieferungen und sonstigen Leistungen, die ein Unternehmer im Inland gegen Entgelt im Rahmen seines Unternehmens ausführt.”

Die Höhe des Regelsteuersatzes ergibt sich aus § 12 Abs. 1 UStG. Dieser beträgt im Streitjahr 16 % der Bemessungsgrundlage.

Nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG ermäßigt sich die Steuer auf 7 % u.a. für die Lieferungen der in der Anlage zu § 12 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 UStG bezeichneten Gegenstände, darunter z.B. Zubereitungen von Fleisch, Fischen usw. (Nr. 28), aus Getreide, Mehl, Stärke oder Milch sowie Backwaren (Nr. 31), Zubereitungen von Gemüse, Früchten usw. (Nr. 32) oder „verschiedene Lebensmittelzubereitungen” (Nr. 33). Die Anlage verweist auf die jeweiligen Kapitel, Positionen und Unterpositionen des Zolltarifs (ZT).

2. Die Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts

Art. 2 Nr. 1 der Sechsten Richtlinie des Rates vom zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) lautet:

„Der Mehrwertsteuer unterliegen:

1. Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Inland gegen Entgelt ausführt;”

Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG regelt:

„Als Lieferung eines Gegenstands gilt die Übertragung der Befähigung, wie ein Eigentümer über einen körperlichen Gegenstand zu verfügen.”

Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG bestimmt:

„Als Dienstleistung gilt jede Leistung, die keine Lieferung eines Gegenstandes im Sinne des Artikels 5 ist.”

Art. 12 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 77/388/EWG sieht vor:

„Der Normalsatz der Mehrwertsteuer wird von jedem Mitgliedstaat als ein Prozentsatz der Besteuerungsgrundlage festgelegt, der für Lieferungen von Gegenständen und für Dienstleistungen gleich ist. ...

...

Die Mitgliedstaaten können außerdem einen oder zwei ermäßigte Sätze anwenden. Diese ermäßigten Sätze werden als ein Prozentsatz der Besteuerungsgrundlage festgelegt, der nicht niedriger als 5 % sein darf, und sind nur auf Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen der in Anhang H genannten Kategorien anwendbar.”

Anhang H („Verzeichnis der Gegenstände und Dienstleistungen, auf die ermäßigte MWSt.-Sätze angewandt werden können”) der Richtlinie 77/388/EWG nennt als Kategorie 1 u.a. „Nahrungs- und Futtermittel” sowie „üblicherweise für die Zubereitung von Nahrungs- und Futtermitteln verwendete Zutaten”.

Gemäß Art. 129 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem —MwStSystRL— (ABlEU Nr. L 347, 1) darf Slowenien bis zum oder bis zur Einführung der in Art. 402 MwStSystRL genannten endgültigen Regelung —je nachdem welcher Zeitpunkt der frühere ist— einen ermäßigten Satz von mindestens 8,5 % auf die Zubereitung von Mahlzeiten beibehalten.

3. Rechtliche Würdigung

Im Streitfall ist entscheidungserheblich, ob die Abgabe von Speisen oder Mahlzeiten zum sofortigen Verzehr als Lieferung i.S. des Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG oder als Dienstleistung i.S. des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 77/388/EWG zu beurteilen ist und für den Fall der Beurteilung als Lieferung, ob hierfür nach Art. 12 Abs. 3 Buchst. a i.V.m. Anhang H Kategorie 1 der Richtlinie 77/388/EWG ein ermäßigter Steuersatz angewendet werden darf.

a) Bei der Abgrenzung zwischen Lieferung und Dienstleistung ist auf die Sicht des Durchschnittsverbrauchers abzustellen. Maßgebend ist eine Gesamtbetrachtung aller Umstände, unter denen der Umsatz erfolgt. Im Rahmen dieser Gesamtbetrachtung ist das überwiegende Element des besteuerten Umsatzes zu ermitteln (, Hermann, Slg. 2005, I-2025; vom Rs. C-231/94, Faaborg-Gelting-Linien, Slg. 1996, I-2395, BStBl II 1998, 282 Rdnrn. 13 und 14). Zur Abgrenzung von Lieferung und Dienstleistung bei der Abgabe von Speisen und Getränken hat der EuGH im Urteil „Faaborg-Gelting-Linien” in Slg. 1996, I-2395, BStBl II 1998, 282 Rdnrn. 13 und 14, das die Frage des zutreffenden Leistungsortes von Restaurationsleistungen auf einem Fährschiff betraf, unterschieden zwischen Restaurationsumsätzen und Umsätzen, die sich auf „Nahrungsmittel zum Mitnehmen” beziehen.

aa) Restaurationsumsätze sind danach durch „eine Reihe von Dienstleistungen und Vorgängen vom Zubereiten bis zum Darreichen der Speisen” gekennzeichnet, von denen nur ein Teil in der Lieferung von Nahrungsmitteln besteht, während die Dienstleistungen bei weitem überwiegen. Sachverhaltsbezogen erwähnt der EuGH im Urteil „Faaborg-Gelting-Linien” in Slg. 1996, I-2395, BStBl II 1998, 282 Rdnr. 13 als Dienstleistungen die Zurverfügungstellung einer organisatorischen Gesamtheit, die sowohl einen Speisesaal mit Nebenräumen (Garderoben u.a.) als auch das Mobiliar und das Geschirr umfasst, und Bedienungsleistungen, und —ebenfalls sachverhaltsbezogen— im Urteil „Hermann” in Slg. 2005, I-2025 Rdnr. 26 eine Infrastruktur, die Beratung und Information der Kunden hinsichtlich der servierten Getränke, die Darbietung der Speisen in einem geeigneten Gefäß, die Bedienung bei Tisch, das Abdecken der Tische sowie die Reinigung nach dem Verzehr.

bb) „Nahrungsmittel zum Mitnehmen” (Lieferung) liegen dagegen vor, wenn neben der Lieferung der Nahrungsmittel „keine Dienstleistungen erbracht werden, die den Verzehr an Ort und Stelle in einem geeigneten Rahmen ansprechend gestalten sollen” (EuGH-Urteil „Faaborg-Gelting-Linien” in Slg. 1996, I-2395, BStBl II 1998, 282 Rdnr. 14).

cc) In dem —nicht die Mehrwertsteuer betreffenden— Urteil in der Rechtssache „Hermann” in Slg. 2005, I-2025 hat der EuGH unter Hinweis auf das Urteil „Faaborg-Gelting-Linien” in Slg. 1996, I-2395, BStBl II 1998, 282 Rdnrn. 13 und 14 die Kriterien für die Abgrenzung konkretisiert. „Minimale Dienstleistungen”, die notwendig mit der Vermarktung der Ware verbunden sind, wie z.B. das Darbieten der Waren in Regalen und das Ausstellen einer Rechnung, dürfen bei der Beurteilung des Dienstleistungsanteils nicht berücksichtigt werden (EuGH-Urteil „Hermann” in Slg. 2005, I-2025 Rdnrn. 22, 23).

dd) Im Anschluss daran ist der Bundesfinanzhof (BFH) bisher davon ausgegangen, dass es nicht auf ein quantitatives Überwiegen der Dienstleistungselemente der Bewirtung gegenüber den Elementen der Speisenherstellung und -lieferung, sondern darauf ankommt, ob bei der gebotenen Gesamtwürdigung die eine Bewirtung kennzeichnenden Dienstleistungen qualitativ überwiegen (, BFHE 225, 210, BFH/NV 2009, 1551; vom XI R 3/08, BFH/NV 2009, 1469; vom V R 55/04, BFHE 214, 474, BStBl II 2007, 480; vom V R 38/05, BFHE 214, 480, BStBl II 2007, 482; vom V R 59/04, BFHE 215, 360, BStBl II 2007, 487; vom V R 36/04, BFHE 215, 356, BStBl II 2007,485). Eine quantitative Betrachtung würde nach Auffassung des Senats wegen der Vielgestaltigkeit der Sachverhalte (sowohl wegen der Verschiedenartigkeit und Komplexität der Speisen als auch der Darreichungsformen) zu nicht praktikablen Abgrenzungsproblemen führen.

ee) Den Vorgang der Zubereitung von Speisen oder Mahlzeiten zu einem —vom jeweiligen Kunden— bestimmten Zeitpunkt hat der BFH als ein wesentliches Dienstleistungselement berücksichtigt, das jedenfalls zusammen mit einem zusätzlichen Dienstleistungselement —wie im Streitfall die Bereitstellung von Verzehrvorrichtungen wie eine umlaufende Verzehrtheke aus Resopal und ein Spritzschutz aus Glas, ein herausklappbarer Tisch sowie ein herausklappbares Dach als Wetterschutz—— die Beurteilung erlaubt, dass die Dienstleistungen qualitativ überwiegen. Die Parallelwertung aus der Sicht des Durchschnittsverbrauchers bestätigt das Gewicht der Zubereitung und den Unterschied zum Verkauf von Nahrungsmitteln zum Mitnehmen im Lebensmittelhandel, der dort „zum Einkaufen” und im Übrigen „zum Essen” geht.

ff) Bestätigt wird die Bedeutung der Zubereitung zum sofortigen Verzehr durch eine —durch die Erweiterung der Gemeinschaft veranlasste— Übergangsregelung. Art. 129 Abs. 1 MwStSystRL erlaubt Slowenien die Anwendung eines ermäßigten Steuersatzes für die Zubereitung von Mahlzeiten. Der Gemeinschaftsgesetzgeber geht folglich offenbar davon aus, dass Letztere dem Regelsteuersatz unterliegt.

gg) Der Umstand, dass der ZT auch „Zubereitungen” erwähnt, kann wegen des unterschiedlichen Regelungsgegenstandes für die Frage, ob umsatzsteuerrechtlich eine Lebensmittellieferung vorliegt oder ob es sich um eine Verpflegungsdienstleistung handelt, keine Bedeutung haben. Zwar sind dort u.a. „Zubereitungen von Fleisch ...” (Nr. 28 der Anlage zu § 12 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 UStG) und „verschiedene Lebensmittelzubereitungen” (Nr. 33 der Anlage zu § 12 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 UStG) genannt. Entscheidende Kriterien für die zollrechtliche Tarifierung sind grundsätzlich die objektiven Merkmale und Eigenschaften der Waren. Auf die Art und Weise der Herstellung kommt es nur an, wenn die betreffende Tarifposition dies ausdrücklich vorschreibt ( und C-209/06, Medion und Canon, BFH/NV Beilage 2008, 52; , BFH/NV 2008, 1560).

b) Zu Frage 1: Der Senat hat aufgrund einer Änderung der Richtlinie Zweifel, ob nicht bereits die Zubereitung von Speisen oder Mahlzeiten zum sofortigen Verzehr den Umsatz wesentlich prägt, und es deshalb unerheblich ist, ob noch weitere Dienstleistungen hinzukommen.

aa) Aufgrund der Richtlinie 2009/47/EG des Rates vom zur Änderung der Richtlinie 2006/112/EG in Bezug auf ermäßigte Mehrwertsteuersätze (ABlEU Nr. L 116, 18 bis 20) können die Mitgliedstaaten einen ermäßigten Steuersatz für Restaurant- und Verpflegungsdienstleistungen einführen (Erweiterung von Anhang III MwStSystRL). Auch in Art. 55 und 57 der Richtlinie 2006/112/EG i.d.F. der Richtlinie 2008/8/EG des Rates vom zur Änderung der Richtlinie 2006/112/EG bezüglich des Ortes der Dienstleistung (ABlEU Nr. L 44, 11 bis 12) mit Wirkung ab dem werden „Restaurant- und Verpflegungsdienstleistungen” genannt.

bb) Der Begriff „Verpflegungsdienstleistungen” ist in diesen Richtlinien nicht definiert. Es können möglicherweise damit Speisen oder Mahlzeiten gemeint sein, die zum sofortigen Verzehr zubereitet worden sind und außerhalb von Restaurants überlassen werden, bei deren Abgabe außer der Zubereitung von Nahrungsmitteln zu Speisen oder Mahlzeiten zum sofortigen Verzehr keine weiteren Dienstleistungselemente vorliegen. Träfe diese Auffassung zu, wäre die Klage im Streitfall in vollem Umfang abzuweisen, unabhängig davon, ob die Kunden die zubereiteten Speisen „zum Mitnehmen” erworben haben oder von den bereitgestellten Verzehrvorrichtungen Gebrauch machen.

c) Zu Frage 2: Wäre die Abgabe von Speisen oder Mahlzeiten nur als Dienstleistung zu beurteilen, wenn zusätzlich zur Zubereitung zum sofortigen Verzehr noch weitere Dienstleistungen hinzukommen —wie z.B. die Bereitstellung von Verzehrmöglichkeiten—, handelte es sich nach Auffassung des Senats im Streitfall um Dienstleistungen; denn der Kläger hat Nahrungsmittel zum sofortigen Verzehr zubereitet und zusätzlich Verzehrvorrichtungen bereitgestellt, die überdacht und mit einem Spritzschutz versehen sind.

Im Streitfall hat ein Teil der Kunden die im Sachverhalt genannten zubereiteten Speisen/Mahlzeiten jedoch nur „zum Mitnehmen” erworben und die bereitgestellten Verzehrmöglichkeiten nicht benutzt. In welchem Verhältnis die Speisen zum Mitnehmen abgegeben worden sind, ist zwischen den Beteiligten streitig. Ist die Abgabe von Speisen und Mahlzeiten zum sofortigen Verzehr nur dann eine Lieferung, wenn zusätzliche Dienstleistungen hinzukommen, handelt es sich bei den Umsätzen „zum Mitnehmen” um Lieferungen. Ob die Klage insoweit Erfolg haben kann, hängt dann von der Beantwortung der Frage 3 ab. Sind zum sofortigen Verzehr zubereitete Mahlzeiten oder Speisen „Nahrungsmittel” i.S. von Anhang H Kategorie 1 zu Art. 12 der Richtlinie 77/388/EWG, wären diese Umsätze ermäßigt zu besteuern und hätte die Klage insoweit Erfolg. Sind zum sofortigen Verzehr zubereitete Speisen keine „Nahrungsmittel” i.S. von Anhang H Kategorie 1 der Richtlinie 77/388/EWG, hat die Klage im vollen Umfang keinen Erfolg.

d) Zu Frage 3: Sind die zum sofortigen Verzehr zubereiteten Speisen oder Mahlzeiten keine „Nahrungsmittel” i.S. des Anhangs H Kategorie 1 der Richtlinie 77/388/EWG, wären die Mitgliedstaaten nicht ermächtigt, derartige Speisen dem ermäßigten Steuersatz zu unterwerfen. § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG 1999 i.V.m. der Anlage zum Gesetz wäre einschränkend dahin auszulegen, dass die Leistungen des Betreibers eines Imbissstands auf jeden Fall, also unabhängig davon, ob die Kunden die Speisen oder Mahlzeiten an Ablagebrettern oder Stehtischen verzehren oder „zum Mitnehmen” erwerben, dem Regelsteuersatz unterlägen. Im Streitfall wäre die Klage abzuweisen.

aa) Die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes ist eine —grundsätzlich eng auszulegende— Sonderregelung, so dass es nach dem Zweck der Bestimmung nicht zwingend erscheint, als Nahrungsmittel i.S. des Anhangs H Kategorie 1 der Richtlinie 77/388/EWG auch Speisen oder Mahlzeiten anzusehen, die —anders als z.B. zum Verkauf im Lebensmittelhandel zubereitete und zur Mitnahme verpackte Speisen (z.B. Tiefkühlkost)— zum sofortigen Verzehr zu einem bestimmten Zeitpunkt zubereitet worden sind.

bb) Auch die Slowenien in Art. 129 Abs. 1 MwStSystRL erteilte Erlaubnis, für die Zubereitung von Mahlzeiten einen ermäßigten Steuersatz anzuwenden, kann möglicherweise so verstanden werden, dass zum sofortigen Verzehr zubereitete Mahlzeiten nicht nach Anhang H Kategorie 1 der Richtlinie 77/388/EWG begünstigt sind.

cc) Gleiches gilt, soweit in der Richtlinie 2009/47/EG in ABlEU Nr. L 116, 18 bis 20 und in Art. 55 und 57 der Richtlinie 2006/112/EG i.d.F. der Richtlinie 2008/8/EG in ABlEU Nr. L 44, 11 bis 12 mit Wirkung ab dem die „Restaurant- und Verpflegungsdienstleistungen” genannt werden.

4. Rechtsgrundlage für die Anrufung des EuGH ist Art. 234 Satz 3 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft.

5. Die Aussetzung des Verfahrens beruht auf § 121 Satz 1 i.V.m. § 74 der Finanzgerichtsordnung.

Fundstelle(n):
BStBl 2010 II Seite 376
BFH/NV 2010 S. 133 Nr. 1
BFH/PR 2010 S. 63 Nr. 2
BStBl II 2010 S. 376 Nr. 6
DStRE 2010 S. 27 Nr. 1
KÖSDI 2010 S. 16798 Nr. 1
RIW 2010 S. 576 Nr. 8
StB 2010 S. 4 Nr. 1
UR 2010 S. 68 Nr. 2
XAAAD-33138