BFH Urteil v. - V R 27/06 BStBl 2009 II S. 325

Legen eines Hausanschlusses durch ein Wasserversorgungsunternehmen

Leitsatz

Die Verbindung des Wasser-Verteilungsnetzes mit der Anlage des Grundstückseigentümers (sog. Legen eines Hausanschlusses) durch ein Wasserversorgungsunternehmen gegen gesondert berechnetes Entgelt fällt auch dann unter den Begriff „Lieferungen von Wasser” i.S. von § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG i.V.m. Nr. 34 der Anlage zum UStG und ist deshalb mit dem ermäßigten Steuersatz zu versteuern, wenn die Anschlussleistung nicht an den späteren Wasserbezieher, sondern an einen Bauunternehmer oder Bauträger erbracht wird.

Gesetze: UStG 1993 § 12 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. Nr. 34 der Anlage zum UStGRichtlinie 77/388/EWG Art. 12 Abs. 3 Buchst. a Unterabs. 3 i.V.m. Anhang H Kategorie 2BMF Schreiben vom Tz. 92 (BStBl I 1983 567 581); vom (BStBl I 2000 1185) Tz. 92 (BStBl I 1983, 567, 581); vom (BStBl I 2000, 1185)

Instanzenzug: (EFG 2006, 938) (Verfahrensverlauf),

Gründe

I.

Streitig ist, ob das Legen von Hausanschlüssen zur Versorgung mit Wasser durch ein Wasserversorgungsunternehmen eine Leistung ist, die mit dem Regelsteuersatz oder mit dem ermäßigten Steuersatz zu versteuern ist, wenn die Anschlussleistung nicht an den späteren Wasserbezieher, sondern an einen Bauunternehmer oder Bauträger erbracht wird.

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist ein kommunales Wasser- und Energieversorgungsunternehmen in der Rechtsform einer GmbH. Neben der laufenden Versorgung mit Wasser übernimmt sie auch das Legen der Hausanschlüsse. Für das Legen der Hausanschlüsse erhebt die Klägerin Baukostenzuschüsse und Anschlussbeiträge.

Diese Leistungen (Legen der Hausanschlüsse) unterwarf die Klägerin in ihren Umsatzsteuererklärungen für die Jahre 1993 bis 1995 (Streitjahre) als unselbständige Nebenleistungen zu ihren Wasserlieferungen dem ermäßigten Steuersatz gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes 1993 (UStG) i.V.m. Nr. 34 der Anlage zum UStG, ohne danach zu differenzieren, ob die Hausanschlussleistungen gegenüber späteren Abnehmern von Wasserlieferungen oder gegenüber anderen Personen erbracht wurden.

Dabei stützte die Klägerin sich auf Tz. 92 Satz 1 Nr. 2 des Schreibens des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom IV A 1 -S 7220- 44/83 (BStBl I 1983, 567, 581), wonach das Legen und Unterhalten von Wasserleitungen einschließlich der Hausanschlüsse als unselbständige Nebenleistung zu Umsätzen von Wasser anzusehen ist, auch wenn dafür als Entgelt Wasseranschlussbeiträge erhoben oder Baukostenzuschüsse gefordert werden.

Im Rahmen einer Außenprüfung vertrat der Prüfer im Bericht vom die Ansicht, derartige Anschlussleistungen seien dann keine unselbständigen Nebenleistungen zu steuerbegünstigten Wasserlieferungen, wenn der Schuldner der Baukostenzuschüsse und Anschlussbeiträge nicht mit dem Empfänger der nachfolgenden Wasserlieferung identisch sei. Dies komme insbesondere bei Bauträgern und Bauunternehmen, aber auch bei Eigentümern vermieteter Ein- und Zweifamilienhäuser in Betracht, wenn Wasser unmittelbar an die Mieter geliefert werde.

Aufgrund von Unterlagen, die die Klägerin im Rahmen der Außenprüfung vorgelegt hatte, schätzte der Prüfer den Anteil der Anschlussleistungen, bei denen Identität zwischen dem Empfänger der Anschlussleistungen und dem Empfänger der Wasserlieferungen gegeben war (ermäßigter Steuersatz) auf 60 % und den Anteil der Anschlussleistungen, bei denen diese Identität nicht gegeben war (Regelsteuersatz), auf 40 % der Umsätze. Diese Schätzung wird von der Klägerin der Höhe nach nicht angegriffen.

Dadurch erhöhte sich die Umsatzsteuer für 1993 um . DM, für 1994 um . DM und für 1995 um . DM.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) änderte die Umsatzsteuerfestsetzungen für die Streitjahre durch Bescheide vom entsprechend.

Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte zur Begründung u.a. aus:

Bei den zu beurteilenden Entgelten handele es sich um Baukostenzuschüsse und Anschlussbeiträge, die solchen Auftraggebern berechnet worden seien, die von der Klägerin gar kein oder allenfalls sehr geringe Mengen Wasser bezogen hätten. Es habe sich dabei nahezu ausschließlich um Bauunternehmen und Bauträger gehandelt.

Die an die Bauunternehmer und Bauträger erbrachten Anschlussleistungen seien nicht mit dem ermäßigten Steuersatz gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG i.V.m. Nr. 34 der Anlage zum UStG zu versteuern, wonach ebenso wie nach Art. 12 Abs. 3 Buchst. a Unterabs. 3 der Sechsten Richtlinie des Rates vom zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) i.V.m. Kategorie 2 des Anhangs H dieser Richtlinie die Lieferung von Wasser dem ermäßigten Steuersatz unterliege.

Dabei brauche der Senat (des FG) vorliegend nicht darüber zu befinden, ob der Anschluss an das öffentliche Wasserversorgungsnetz einschließlich der Hauswasseranschlüsse in der Regel eine selbständige umsatzsteuerpflichtige Hauptleistung darstelle oder als unselbständige Nebenleistung zur Lieferung des Wassers anzusehen sei. Diese Frage stelle sich nur, wenn der Empfänger der Anschlussleistungen mit dem Empfänger der Wasserlieferungen identisch sei. Denn gegenüber verschiedenen Personen erbrachte Leistungen könnten zueinander generell nicht im Verhältnis von Haupt- und Nebenleistung stehen (Hinweis auf das , BFHE 200, 93, BStBl II 2003, 730). Nach den Ausführungen im Außenprüfungsbericht beträfen die vorliegend streitigen Entgelte aber Fälle, in denen die Empfänger der Anschlussleistungen kein Wasser bezogen hätten.

Die an die Bauunternehmer und Bauträger erbrachten Anschlussleistungen stellten aber auch dann keine Nebenleistung zu einer Hauptleistung „Lieferungen von Wasser” dar, wenn die Bauunternehmer und Bauträger geringfügige Wassermengen in Anspruch genommen haben sollten, wofür das Vorbringen der Klägerin in der mündlichen Verhandlung sprechen könne. Denn aus der maßgeblichen Sicht eines Durchschnittsverbrauchers hätten die Bauunternehmer und Bauträger die fraglichen Anschlüsse nicht legen lassen, um während der Bauzeit selbst Wasser beziehen zu können, sondern um ihren Kunden an das öffentliche Versorgungsnetz angeschlossene Häuser liefern zu können.

Die gegebenenfalls unterschiedliche steuerrechtliche Behandlung von Anschlussleistungen, die an Bauunternehmer und Bauträger erbracht werden, und solchen, die an die späteren Wasserbezieher erbracht werden, verstoße nicht gegen den Neutralitätsgrundsatz.

Jedenfalls im vorliegenden Verfahren könne die Klägerin sich nicht mit Erfolg auf Tz. 92 Satz 1 Nr. 2 des BMF-Schreibens in BStBl I 1983, 567, 581 berufen. Dabei könne dahinstehen, ob diese Verwaltungsanweisung unter dem (stillschweigenden) Vorbehalt stehe, dass die jeweiligen Leistungsempfänger identisch sein müssten. Denn allgemeinen Verwaltungsanweisungen komme auch unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben nicht die gleiche Wirkung zu, wie einer verbindlichen Zusage oder Auskunft für den Einzelfall. Auch die im (BStBl I 2000, 1185) enthaltene Übergangsregelung könne allenfalls unter Billigkeitsgesichtspunkten (§§ 163, 227 der Abgabenordnung —AO—) von Bedeutung sein.

Das Urteil ist in „Entscheidungen der Finanzgerichte” (EFG) 2006, 938 veröffentlicht.

Mit der Revision rügt die Klägerin Verletzung materiellen Rechts und macht im Wesentlichen geltend:

Die im BMF-Schreiben in BStBl I 2000, 1185 behauptete eigenständige Leistung „Verschaffung der Möglichkeit zum Anschluss an das Versorgungsnetz” gebe es nicht. Der BFH habe dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) durch Beschluss vom V R 61/03 (BFHE 212, 168, BStBl II 2006, 149) die Frage vorgelegt, ob das Legen von Hausanschlüssen als „Lieferungen von Wasser” im Sinne der Kategorie 2 des Anhangs H der Richtlinie 77/388/EWG zu betrachten sei. Falls der EuGH diese Frage bejahen sollte, so sei es nicht mehr von Bedeutung, wer Empfänger der Anschlussleistung sei. Denn aus dem , Kommission/Frankreich (Slg. 2003, I-4395, BFH/NV Beilage 2003, 161, Umsatzsteuer-Rundschau —UR— 2003, 408) ergebe sich, dass keine steuerrechtliche Abhängigkeit der Anschlussleistung von den späteren Wasserlieferungen bestehe. Dementsprechend könne es auch nicht darauf ankommen, ob Leistungs- und Lieferungsempfänger identisch seien oder nicht.

Unabhängig davon hätte das FG der Klage nach Auffassung der Klägerin schon wegen des durch das BMF-Schreiben in BStBl I 1983, 567, 581 geschaffenen Vertrauensschutzes stattgeben müssen.

Die Klägerin beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Umsatzsteuer um . DM (1993), . DM (1994) und . DM (1995) herabzusetzen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Es tritt dem Vorbringen der Klägerin entgegen.

II.

Die zulässige Revision der Klägerin ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur antragsgemäßen Festsetzung der Umsatzsteuer (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der FinanzgerichtsordnungFGO—).

Die Auffassung des FG, die streitigen Leistungen seien mit dem Regelsatz zu besteuern, kann nach dem , Zweckverband zur Trinkwasserversorgung und Abwasserbeseitigung Torgau-Westelbien (BFH/NV Beilage 2008, 212, UR 2008, 432) nicht aufrechterhalten werden.

1. Nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG in der in den Streitjahren 1993 bis 1995 geltenden Fassung ermäßigt sich die Steuer auf 7 % für die Lieferungen, die Einfuhr und den innergemeinschaftlichen Erwerb der in der Anlage bezeichneten Gegenstände.

Nr. 34 der Anlage zum UStG (jetzt: Anlage 2 zum UStG) lautet:

„Wasser, ausgenommen

- Trinkwasser, einschließlich Quellwasser und Tafelwasser, das

in zur Abgabe an den Verbraucher bestimmten Fertigpackungen

in den Verkehr gebracht wird,

- Heilwasser und

- Wasserdampf (aus Unterposition 2201 9000)”.

2. Die Steuerermäßigung nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG i.V.m. Nr. 34 der Anlage zum UStG für die „Lieferungen von Wasser” steht im Einklang mit Art. 12 Abs. 3 Buchst. a i.V.m. Anhang H Kategorie 2 der Richtlinie 77/388/EWG, wonach „Lieferungen von Wasser” mit einem ermäßigten Satz besteuert werden dürfen.

3. Der EuGH hat in dem Urteil in BFH/NV Beilage 2008, 212, UR 2008, 432 entschieden, dass Art. 12 Abs. 3 Buchst. a und Anhang H Kategorie 2 der Richtlinie 77/388/EWG dahin auszulegen sind, dass unter den Begriff „Lieferungen von Wasser” das Legen eines Hausanschlusses fällt, das wie im Streitfall in der Verlegung einer Leitung besteht, die die Verbindung des Wasserverteilungsnetzes mit der Wasseranlage eines Grundstücks ermöglicht (Leitsatz 2, Satz 1).

a) Zur Begründung hat der EuGH in Rdnr. 40 seines Urteils ausgeführt, da der Hausanschluss, wie sich aus Rdnr. 34 des Urteils ergebe, für die Wasserversorgung der Allgemeinheit unentbehrlich sei, falle er unter den Begriff „Lieferungen von Wasser” in Anhang H Kategorie 2 der Richtlinie 77/388/EWG. In Rdnr. 34 des Urteils heißt es, es stehe fest, dass ohne den Hausanschluss dem Eigentümer oder Bewohner des Grundstücks kein Wasser bereitgestellt werden könnte; der Anschluss sei also für die Wasserbereitstellung unentbehrlich.

b) Der EuGH verwendet somit zur Begründung seiner Entscheidung nicht Begriffe wie „Hauptleistung” oder „unselbständige Nebenleistung”, sondern subsumiert das Legen des Hausanschlusses unter den Begriff „Lieferungen von Wasser” (vgl. auch Wagner, Umsatzsteuer- und Verkehrsteuer-Recht 2008, 189 f.).

c) Da der nationale Gesetzgeber in § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG i.V.m. Nr. 34 der Anlage zum UStG ebenfalls den Begriff „Lieferungen von Wasser” verwendet und dieser Begriff gemeinschaftsrechtlich ausgelegt werden muss, fällt das Legen eines Hausanschlusses somit unter den Begriff „Lieferungen von Wasser” im Sinne dieser Vorschrift, so dass auf diese Leistung der ermäßigte Steuersatz anzuwenden ist (zutreffend Tehler, EU-Umsatzsteuer-Berater 2008, 38).

Auf die vom FG für maßgebend erachteten Voraussetzungen einer Nebenleistung —insbesondere die Identität des Empfängers der Hauptleistung und der (fraglichen) Nebenleistung— kommt es nach dem EuGH-Urteil nicht an. Vielmehr fällt danach das Legen von Hausanschlüssen (ohne weiteres) unter den Begriff „Lieferungen von Wasser” i.S. von § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG i.V.m. Nr. 34 der Anlage zum UStG.

Deshalb ist unerheblich, ob die Voraussetzungen zur Annahme einer Nebenleistung vorliegen, insbesondere, ob der Empfänger des Hausanschlusses identisch ist mit dem Empfänger der Wasserlieferungen (vgl. Tehler, EU-Umsatzsteuer-Berater 2008, 38).

d) Allerdings hat der EuGH in dem Urteil in BFH/NV Beilage 2008, 212, UR 2008, 432 ferner entschieden, die Mitgliedstaaten könnten konkrete und spezifische Aspekte der „Lieferungen von Wasser” —wie das im Streitfall fragliche Legen eines Hausanschlusses— mit einem ermäßigten Mehrwertsteuersatz belegen, vorausgesetzt, sie beachteten den Grundsatz der steuerlichen Neutralität, der dem gemeinsamen Mehrwertsteuersystem zugrunde liege (Leitsatz 2, Satz 2).

Diese Ausführungen rechtfertigen aber keine andere Entscheidung des vorliegenden Streitfalls. Denn ein Ausschluss des Legens eines Hausanschlusses durch „die Mitgliedstaaten” von der für Wasserlieferungen geltenden Steuerermäßigung (Art. 12 Abs. 3 Buchst. a und Anhang H Kategorie 2 der Richtlinie 77/388/EWG, § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG i.V.m. Nr. 34 der Anlage zum UStG) kann nur aufgrund einer gesetzlichen Regelung geschehen (zutreffend Tehler, EU-Umsatzsteuer-Berater 2008, 38, 39). Diese fehlt.

Zur Begründung verweist der Senat auf sein Urteil vom V R 61/03 (Nachfolgeentscheidung zum EuGH-Urteil in UR 2008, 432, BFH/NV Beilage 2008, 212).

Fundstelle(n):
BStBl 2009 II Seite 325
BFH/NV 2009 S. 517 Nr. 3
BFH/PR 2009 S. 182 Nr. 5
BStBl II 2009 S. 325 Nr. 9
DB 2009 S. 382 Nr. 8
DStRE 2009 S. 436 Nr. 7
DStZ 2009 S. 141 Nr. 5
KÖSDI 2009 S. 16400 Nr. 3
NWB-Eilnachricht Nr. 7/2009 S. 437
SJ 2009 S. 14 Nr. 9
StB 2009 S. 61 Nr. 3
StBW 2009 S. 5 Nr. 4
StC 2009 S. 11 Nr. 5
StuB-Bilanzreport Nr. 3/2009 S. 122
UR 2009 S. 165 Nr. 5
CAAAD-03687