BFH Urteil v. - VIII R 64/06

Pflicht zur Vornahme der linearen Normal-AfA bei betrieblich genutzten Pkw; realisierbarer Wiederverkaufswert mindert nicht die Bemessungsgrundlage für die AfA

Leitsatz

Die nach § 7 Abs. 1 EStG vorzunehmende Absetzung für Abnutzung (AfA) auf einen betrieblich genutzten Pkw richtet sich nach dessen betriebsgewöhnlicher Nutzungsdauer. Es besteht eine Pflicht zur Vornahme der Normal-AfA.

Gesetze: EStG § 7 Abs. 1, EStG § 6 Abs. 1, EStG § 4 Abs. 3

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Gründe

I. Im Streit ist, ob bei einem betrieblich genutzten PKW die Absetzungen für Abnutzung (AfA) kontinuierlich linear bis auf einen Erinnerungswert vorgenommen werden müssen und ob die Steuerpflichtige die Möglichkeit hat, zuvor willentlich unterlassene AfA im Streitjahr (1999) nachzuholen.

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine Sozietät aus Rechtsanwälten, Wirtschaftsprüfern und Steuerberatern, ermittelt ihren Gewinn nach § 4 Abs. 3 des EinkommensteuergesetzesEStG—. Im Juli 1991 schaffte sie einen Mercedes-Benz 230 TE für 60 987,20 DM an und stellte ihn dem Sozius L zur Verfügung. Auf die Anschaffungskosten nahm die Klägerin für 1991 bis 1993 AfA vor nach Maßgabe einer vierjährigen Nutzungsdauer, und zwar 7 623,20 DM für das zweite Halbjahr 1991 und jeweils 15 246 DM für die beiden Folgejahre. Für 1994 erfolgte nur noch eine Absetzung von 12 872 DM. Den somit verbleibenden, noch nicht abgesetzten Betrag von 10 000 DM führte die Klägerin als „Restwert” fort und machte ihn als Betriebsausgabe erst geltend, als der PKW 1999 aus dem Betriebsvermögen entnommen wurde zu einem erklärten Entnahmewert von ebenfalls 10 000 DM.

Nach Durchführung einer steuerlichen Außenprüfung änderte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) den Bescheid über die einheitliche und gesonderte Feststellung der Besteuerungsgrundlagen der Klägerin für das Streitjahr nach § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO); u.a. legte das FA dabei anstelle eines Restwertes des PKW von 10 000 DM nur einen Erinnerungswert von 1 DM zugrunde und erhöhte den Gewinn entsprechend.

Der Einspruch der Klägerin blieb in diesem Punkt erfolglos.

Das Finanzgericht (FG) hat die Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2006, 1659 veröffentlichten Gründen abgewiesen.

Mit der vom FG zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts. Sie ist der Ansicht, dass die AfA nur bis zu einem Anhaltewert zu erfolgen habe, wenn in Höhe dieses Wertes nicht mit einem Wertverzehr zu rechnen sei, weil der betreffende PKW einen Wiederverkaufswert habe.

Die Klägerin beantragt sinngemäß, die Vorentscheidung aufzuheben und die einheitliche und gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für 1999 dahin zu ändern, dass der Gewinn um 10 000 DM gemindert wird.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

II. Die Revision ist begründet. Die Vorentscheidung wird aufgehoben; der von der Klägerin im Streitjahr erzielte Gewinn wird abweichend vom Feststellungsbescheid vom in Gestalt der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidung festgestellt (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der FinanzgerichtsordnungFGO—). Dabei kann dem Antrag nur teilweise entsprochen werden.

1. Zutreffend hat das FG entschieden, dass sich die nach § 7 Abs. 1 EStG vorzunehmende AfA auf den streitbefangenen PKW nach dessen betriebsgewöhnlicher Nutzungsdauer richtet und demzufolge die Anschaffungskosten linear auf die Jahre der Nutzungsdauer zu verteilen sind bis auf einen Erinnerungswert.

Damit folgt das FG der einschlägigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH), aus der sich —entgegen der Auffassung der Klägerin— nicht entnehmen lässt, dass im Streitfall die AfA-Bemessungsgrundlage für den Pkw um einen „Restwert”, „Anhaltewert”, „Wiederverkaufswert” oder „Schrottwert” zu mindern wäre.

Nach dem Gesetzeswortlaut des § 7 Abs. 1 Satz 1 EStG ist die AfA vorzunehmen, so dass nach allgemeiner Auffassung eine Pflicht zur Vornahme der Normal-AfA besteht (statt vieler: Schmidt/Kulosa, EStG, 27. Aufl., § 7 Rz 6; Kirchhof in Kirchhof, EStG, 7. Aufl., § 7 Rz 30). Dabei sind die Absetzungen so zu bemessen, dass die Anschaffungs- oder Herstellungskosten nach Ablauf der betriebsgewöhnlichen Nutzungsdauer des Wirtschaftsguts bis auf einen Erinnerungswert von 1 DM (bzw. heute: 1 €) verteilt sind (s. Beschluss des Großen Senats des , BFHE 91, 93, BStBl II 1968, 268).

Von diesem Grundsatz ist nur dann eine Ausnahme zu machen, wenn erfahrungsgemäß auch nach Beendigung der Nutzungsdauer eines Wirtschaftsguts ein im Verhältnis zu den Anschaffungs- oder Herstellungskosten beträchtlicher Restwert bestehen bleibt (s. Beschluss des Großen Senats des BFH in BFHE 91, 93, BStBl II 1968, 268, 270). Nur in diesen Fällen ist die Bemessungsgrundlage für die AfA um einen solchen Restwert zu mindern. Ein Restwert in diesem Sinne ist vom BFH konkret bejaht worden in Fällen eines erheblichen Schrottwerts bei Schiffen (Beschluss des Großen Senats des BFH in BFHE 91, 93, BStBl II 1968, 268, 270; s. auch , Deutsches Steuerrecht/Entscheidungsdienst —DStRE— 2000, 787, rechtskräftig) und des Schlachtwerts bei Milchkühen (, BFHE 169, 397, BStBl II 1993, 276). Dem Großen Senat gefolgt ist im Ausgangspunkt auch das (BFHE 103, 63, BStBl II 1971, 800) das allerdings im konkreten Fall, in dem es um verschiedene Boots- und Schiffstypen (u.a. Motorschlepper, Barkassen, Leichter und Schuten) ging, jeweils die Bedeutsamkeit des Restwertes und damit die Ausnahme von der grundsätzlich gebotenen Verteilung des Gesamtaufwands verneint hat.

Die Klägerin kann ihre Auffassung, für den PKW sei ein Restwert verblieben, nicht auf einzelne Sätze aus den Begründungen dieser Entscheidungen stützen. Diese Entscheidungen setzen in tatsächlicher Hinsicht voraus, dass das betreffende Wirtschaftsgut auch nach dem Ende seiner bestimmungsgemäßen Nutzung noch über einen erheblichen Restwert verfügt. Ein von der Klägerin mit dem Wiederverkaufswert des PKW begründeter Restwert, der die AfA während der Phase der anhaltenden Nutzung des Wirtschaftsgutes PKW zu seinem bestimmungsgemäßen Zweck —nämlich als Fahrzeug zu dienen— teilweise unterbindet, steht nicht im Einklang mit dieser Rechtsprechung. Einen Wiederverkaufswert hat ein PKW regelmäßig vielmehr gerade wegen seiner weiteren Tauglichkeit zur funktionsgerechten Nutzung als Fahrzeug. Ein Schrottwert kann bei einem PKW ausgeschlossen werden, wie dies das FG auch für den Streitfall mit bindender Wirkung festgestellt hat (§ 118 Abs. 2 FGO).

2. Jedoch endete die betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer i.S. von § 7 Abs. 1 Satz 2 EStG, die der Berechnung der jährlichen AfA zugrunde zu legen ist, erst im Streitjahr; deshalb ist der zuvor noch nicht als AfA geltend gemachte Teil der Anschaffungskosten des streitbefangenen Fahrzeugs zeitanteilig zu berücksichtigen.

Die betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer entspricht der voraussichtlichen Nutzungsdauer und umfasst den Zeitraum, in dem das Wirtschaftsgut unter Berücksichtigung der Verhältnisse seines konkreten Einsatzes seiner Zweckbestimmung entsprechend genutzt werden kann. Maßgebend ist deshalb nicht die tatsächliche Dauer der betrieblichen Nutzung durch den einzelnen Unternehmer, sondern die objektive Nutzbarkeit des Wirtschaftsguts, ggf. unter Berücksichtigung einer die gewöhnliche Nutzungsdauer verkürzenden besonderen betriebstypischen Beanspruchung (s. , BFHE 191, 125, BStBl II 2001, 311, 314; vom X R 78/94, BFHE 184, 522, BStBl II 1998, 59, 60 f.). Demzufolge bleiben der Umstand der Veräußerung oder Entnahme eines der AfA unterliegenden Wirtschaftsguts und sein Zeitpunkt ohne Auswirkung auf die Höhe der jährlichen AfA (s. BFH-Urteile in BFHE 184, 522, BStBl II 1998, 59, 61; vom VI R 82/89, BFHE 165, 378, BStBl II 1992, 1000, 1002, m.w.N.; vom VI R 133/72, BFHE 115, 313, BStBl II 1975, 478, 480; ebenso im Ergebnis , BFH/NV 2006, 1267, 1269; Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, Kommentar, § 7 Rz 146; Schmidt/Kulosa, a.a.O., § 7 Rz 72, m.w.N).

Abweichend von der Erklärung der Klägerin wie auch vom Urteil des FG und der zugrunde liegenden Verwaltungsentscheidung ist im Streitfall von einer betriebsgewöhnlichen Nutzungsdauer von acht Jahren auszugehen. Die Nutzungsdauer ist durch Schätzung zu ermitteln (s. BFH-Urteile in BFHE 165, 378, BStBl II 1992, 1000, 1002; in BFHE 191, 125, BStBl II 2001, 311, 314). Dabei hat sich diese regelmäßig an den Erfahrungen zu orientieren, die mit Wirtschaftsgütern gleicher oder ähnlicher Art gemacht worden sind (s. BFH-Urteil in BFHE 165, 378, BStBl II 1992, 1000, 1002 f., m.w.N.). Unabhängig von insoweit nicht bindenden abweichenden Verwaltungserlassen geht der BFH seit seiner Entscheidung in BFHE 165, 378, BStBl II 1992, 1000 grundsätzlich von einer betriebsgewöhnlichen Nutzungsdauer eines PKW von acht Jahren aus (s. die Urteile vom VI R 88/89, BFH/NV 1992, 300; vom VI R 12/92, BFH/NV 1993, 362; , BFHE 212, 561, BStBl II 2006, 368). Der Senat sieht im Streitfall keinen Grund, von dieser Schätzung abzuweichen. Da keine Gründe vorgetragen sind, die für eine kürzere Nutzungsdauer sprechen und auch nach den vom FG festgestellten Umständen des Sachverhalts eine kürzere betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer als acht Jahre auszuschließen ist, bedarf es insoweit keiner weiteren Sachverhaltsaufklärung.

Andererseits bietet der Streitfall keinen Anlass, die betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer von PKW generell mit einer noch höheren Anzahl von Jahren zu schätzen, was grundsätzlich zu Lasten betroffener Steuerpflichtiger ginge. Von einer abweichenden Schätzung der Nutzungsdauer im konkreten Einzelfall der Klägerin, der insoweit keine Besonderheiten im Vergleich zu anderen Steuerpflichtigen erkennen lässt, ist schon aus Gründen gleichmäßiger Besteuerung abzusehen. Der Umstand, dass die technische Nutzungsdauer von PKW mittlerweile auch über acht Jahren liegen kann, hat der BFH in seinem Urteil in BFHE 165, 378, BStBl II 1992, 1000 mitbedacht. Dabei hat er der Tatsache keine weitere Bedeutung beigemessen, dass der durchschnittliche Restwert von Kfz nach damals angestellten Untersuchungen (nur) noch 14 % der Anschaffungskosten betrug (BFH-Urteil in BFHE 165, 378, BStBl II 1992, 1000, 1004). Der Senat folgt dieser Rechtsprechung auch insoweit. Der Streitfall weicht im Tatsächlichen nicht signifikant von dem angesprochenen Untersuchungsergebnis ab: der von der Klägerin zugrunde gelegte Entnahmewert entspricht 16,4 % der Anschaffungskosten.

Somit reichte die betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer des streitbefangenen PKW ein halbes Jahr in das Streitjahr hinein. Die rechnerisch hierauf entfallende AfA beträgt 1/16 der Anschaffungskosten, also 3 811,70 DM. Dieser Betrag ist im Rahmen der Feststellung der Besteuerungsgrundlagen der Klägerin gewinnmindernd zu berücksichtigen, gleich, ob nach dem nicht genau festgestellten, aber im Streitjahr liegenden Zeitpunkt der Entnahme als AfA oder als sonstige Betriebsausgabe in Höhe des rechnerischen Restbuchwerts.

Dem steht nach den Umständen des Streitfalls keine Treubindung der Klägerin entgegen. Eine derartige Bindung erwächst nicht daraus, dass die Klägerin die AfA zunächst wie bei einer vierjährigen Nutzungsdauer berechnete und erklärte und das FA dem gefolgt ist. Da es sich insoweit nur um eine Schätzung handeln konnte und nicht um die Ausübung eines Wahlrechts, wäre das FA nicht gehindert gewesen, diese Erklärung auf ihre Richtigkeit hin zu überprüfen. Im Unterschied zu dem Sachverhalt, der dem BFH-Urteil in BFHE 115, 313, BStBl II 1975, 478 zugrunde lag, ist im Streitfall in der Hinnahme der für die Jahre 1991 bis 1994 erklärten AfA-Beträge keine die Beteiligten grundsätzlich bindende tatsächliche Verständigung zu erblicken, umso weniger, als die von der Klägerin vorgenommene AfA ab dem Feststellungszeitraum 1994 insgesamt unschlüssig wurde, denn nach ihrer eigenen Argumentation hätte sie keine jährliche AfA auf der Grundlage der ungeschmälerten Anschaffungskosten in Anspruch nehmen können.

3. Da im Anschluss an die hinsichtlich der AfA unzutreffenden, aber in Bestandskraft erwachsenen Bescheide der Jahre 1991 bis 1994 tatsächlich keine fehlerausgleichende lineare Verteilung des noch nicht ausgeschöpften AfA-Volumens von 10 000 DM in den Jahren ab 1995 erfolgt ist, ist der bei achtjähriger betriebsgewöhnlicher Nutzungsdauer rechnerisch auf das Streitjahr entfallende Anteil der Anschaffungskosten dort noch zu berücksichtigen. In diesem Umfang handelt es sich nicht um die Nachholung von AfA.

Hingegen ist eine Nachholung der materiell-rechtlich nicht auf das Streitjahr, sondern auf andere Jahre entfallenden AfA in Höhe des verbleibenden Differenzbetrags (10 000 DM ./. 3 811,70 DM = 6 188,30 DM) nicht zuzulassen, weil die Klägerin die AfA willentlich unterlassen hat und zudem willkürlich, da sie sich hierbei weder auf Gesetz, noch auf Rechtsprechung oder Verwaltungsauffassung berufen konnte, und nicht ausgeschlossen ist, dass sich daraus steuerliche Vorteile ergeben haben (vgl. , BFHE 93, 431, BStBl II 1968, 819).

Der Streitfall unterscheidet sich schließlich maßgeblich von solchen Sachverhalten, in denen die Rechtsprechung im Hinblick auf die Grundsätze des Bilanzzusammenhangs bei bilanziell erfassten Wirtschaftsgütern eine Nachholung gar nicht oder nicht in ausreichender Höhe in Anspruch genommener AfA —unter weiteren Voraussetzungen— zugelassen hat (vgl. , BFHE 197, 105, BStBl II 2002, 75), soweit dies etwa auf unzutreffender Schätzung der Nutzungsdauer oder sonstiger fehlerhafter Einschätzung der zutreffenden Höhe der jährlichen AfA beruhte.

4. Bei Berücksichtigung weiterer Betriebsausgaben in Höhe von 3 811,70 DM errechnen sich festzustellende Einkünfte aus selbständiger Arbeit für das Streitjahr in der tenorierten Höhe. Die Übertragung der daran anknüpfenden Änderung der Zurechnung auf die betroffenen Feststellungsbeteiligten erfolgt gemäß § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO.

Fundstelle(n):
BBK-Kurznachricht Nr. 1/2009 S. 8
BFH/NV 2008 S. 1660 Nr. 10
NWB-Eilnachricht Nr. 38/2008 S. 3546
NWB-Eilnachricht Nr. 43/2008 S. 8
StuB-Bilanzreport Nr. 21/2008 S. 845
WAAAC-87366