Bereits erdiente Tantieme bei vorzeitiger Auflösung eines Dienstverhältnisses keine Entschädigung; Beurteilung einer Entschädigung als außerordentlich
Leitsatz
Wird in einem Anstellungsvertrag sowohl die Zahlung eines Festgehalts als auch einer erfolgsabhängigen Vergütung (Tantieme) vereinbart und wird der Vertrag vorzeitig gegen Zahlung einer Abfindung aufgelöst, ist die Abfindung insoweit nicht steuerbegünstigt, als sie bereits erdiente Tantiemen abgilt. Zahlungen für bereits erdiente erfolgsabhängige Vergütungen sind Erfüllung des ursprünglichen Anstellungsvertrages und keine Entschädigung für entgehende Einnahmen i. S. des § 24 Nr. 1 Buchst. a i. V. mit § 34 Abs. 2 EStG, wenn die vertraglichen Voraussetzungen für einen Tantiemeanspruch im Zeitpunkt der Aufhebung des Anstellungsvertrags erfüllt sind. Ob im Zeitpunkt der Vertragsaufhebung (noch) Erfüllungsansprüche bestehen, richtet sich ausschließlich nach zivilrechtlichen Grundsätzen.
Gesetze: EStG § 24 Nr. 1a, EStG § 34 Abs. 2, EStG § 19 Abs. 1 Nr. 1
Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),
Gründe
I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) schloss am einen Anstellungsvertrag als Vorstand mit der X-AG (Arbeitgeberin) für die Zeit vom bis zum . Vereinbart war die Zahlung eines Festgehaltes und einer erfolgsabhängigen Vergütung (Tantieme). Die Grundlage der Tantieme war vom Aufsichtsrat festzulegen; dies konnte jährlich geschehen. Die Tantieme konnte sich entweder nach dem Jahresüberschuss oder nach einem vorgegebenen Planergebnis bemessen und sollte am Ende des Monats fällig werden, in dem die ordentliche Hauptversammlung stattfand (§ 2 des Anstellungsvertrages). In den Jahren 1998, 1999 und 2000 erzielte der Kläger einschließlich Tantieme und Kraftfahrzeugnutzung Bruttoarbeitslöhne von 399 056 DM bzw. 428 294 DM bzw. 696 513 DM.
Durch Beschluss des Aufsichtsrats vom wurde der Kläger mit sofortiger Wirkung als Mitglied des Vorstandes abberufen. Verbunden damit war die Beendigung des Anstellungsvertrages zum . Nach der Aufhebungsvereinbarung vom wurden sämtliche Verträge hinsichtlich der Vorstandstätigkeit des Klägers im beiderseitigen Einvernehmen aufgehoben. Für den Verlust des Arbeitsplatzes erhielt der Kläger eine einmalige Abfindung in Höhe von 550 000 DM. Insgesamt erzielte er im Streitjahr 2001 Einnahmen aus nichtselbständiger Tätigkeit in Höhe von 584 693 DM.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) beließ im Einkommensteuerbescheid vom einen Teilbetrag der Abfindung von 16 000 DM nach § 3 Nr. 9 des Einkommensteuergesetzes (EStG) steuerfrei und versagte für den übersteigenden Betrag die Tarifbegünstigung nach § 34 EStG. Es fehle am zusammengeballten Zufluss der Entschädigung, denn die in 2001 gezahlte Entschädigung übersteige nicht den Betrag der entgehenden Einnahmen, die unter Berücksichtigung der tatsächlichen Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit des Vorjahres mit 661 987 DM zu schätzen seien. Daran hielt das FA auch im Änderungsbescheid vom und in der Einspruchsentscheidung vom fest.
Die Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) änderte den Einkommensteuerbescheid vom und die dazu ergangene Einspruchsentscheidung dahin ab, dass die Einkommensteuer unter Anwendung des § 34 EStG auf die vom Kläger erhaltene Abfindung herabgesetzt wurde. Es sei zwischen den Beteiligten unstreitig, dass es sich bei der im Streitjahr 2001 gezahlten Abfindung um eine Entschädigung i.S. des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG handele. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) sei eine Entschädigung aber nur dann tarifbegünstigt, wenn die zu begünstigenden Einkünfte in einem Veranlagungszeitraum zu erfassen seien und durch die Zusammenballung von Einkünften erhöhte steuerliche Belastungen entstünden. Beide Voraussetzungen seien im Streitfall erfüllt. Auszugehen sei entsprechend dem (BFHE 185, 429, BStBl II 1998, 787) von den in den Vorjahren bezogenen Bruttoarbeitslöhnen. Im Streitfall liege das Durchschnittsgehalt sowohl bei Einbeziehung zweier als auch dreier Vorjahre unter den Einkünften aus nichtselbständiger Tätigkeit im Streitjahr. Zu Unrecht gehe das FA davon aus, dass das bei Fortsetzung des Dienstverhältnisses zu erwartende Entgelt für 2001 unter Berücksichtigung der bisherigen Gehaltssteigerungen hochzurechnen sei. Dies gelte insbesondere bei erfolgsabhängigen Vergütungen. Im Streitfall könne auch nicht davon ausgegangen werden, dass dem Kläger bei ungestörter Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses im Streitjahr überhaupt eine Tantieme ausgezahlt worden wäre, die die Höhe der im Jahr 2000 ausgezahlten Tantieme erreicht hätte. Nach den Vereinbarungen habe der Aufsichtsrat nämlich die Bemessungsgrundlage für die Tantieme jährlich neu festlegen können. Die Berücksichtigung nur des im Jahr 2000 gezahlten Gehaltes sei daher nicht sachgerecht, denn es sei durch besondere Umstände, wie die nachträgliche Erhöhung des Festgehaltes und der Tantiemen für das Jahr 1999 beeinflusst.
Mit seiner Revision rügt das FA Verletzung des § 34 Abs. 2 Nr. 2, § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG. Das FG habe zu Unrecht die bereits erdiente Tantieme für das Jahr 2000 nicht aus der Abfindung herausgerechnet. Nur über bürgerlich-rechtliche Erfüllungsansprüche hinausgehende Zahlungen könnten Entschädigungen i.S. des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG sein. Maßgeblich für die Frage, ob auf alter oder neuer Rechtsgrundlage geleistet worden sei, sei der Zeitpunkt der wirksamen Beendigung des Arbeitsverhältnisses.
Die Auffassung des FG, auch bei ungestörter Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses im Streitjahr 2001 hätte nicht mit einer erfolgsabhängigen Vergütung wie für 1999 gerechnet werden können, sei nicht nachvollziehbar. Die Tantieme bemesse sich hier nach dem Jahresüberschuss oder an einem vorgegebenen Planergebnis. Gründe für eine Absenkung der für das Jahr 2000 erdienten Tantieme seien nicht ersichtlich, zumal diese für 1999 sogar von 130 000 DM auf 180 000 DM und das Festgehalt 2 Monate später von 255 000 DM auf 400 000 DM rückwirkend für 13 Monate erhöht worden sei. Solche Gehaltssteigerungen seien nur bei einer entsprechend positiven wirtschaftlichen Situation des Arbeitgebers denkbar.
Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kläger beantragen sinngemäß, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Zu Unrecht gehe das FA davon aus, der Kläger hätte im Streitjahr 2001 wieder eine Tantieme in Höhe der im Jahr 2000 ausgezahlten erhalten. Nach § 2 des Anstellungsvertrages „könne” nur der Jahresüberschuss oder ein vorgesehenes Planergebnis Bemessungsgrundlage für die Tantieme sein. Die vage Formulierung des § 2 des Anstellungsvertrages habe letztlich für jedes Jahr die Höhe der Tantieme in das Belieben des Aufsichtsrats gestellt, wie auch die Bemessung der Tantieme für 1999 zeige. Die hypothetisch mathematischen Berechnungen des FA könnten eine tatsächlich zu erwartende Tantieme in der von ihm behaupteten Höhe nicht belegen. Aus einer Unterlage für die Aufsichtsratssitzung am gehe hervor, dass entgegen den Mutmaßungen des FA sich das für das Jahr 2000 geplante Ergebnis vor Steuern von einem Gewinn von 302 259 DM auf einen Verlust von 1 521 085 DM verschlechtert habe. Im Rahmen der Auflösungsverhandlungen habe der Aufsichtsrat klar zum Ausdruck gebracht, dass für 2000 keine Tantiemezahlung zu erwarten sei. Die Berechnungen des FA seien zudem neuer Tatsachenvortrag.
II. Die Revision ist begründet. Das Urteil des FG ist aufzuheben. Die Sache ist an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung —FGO—).
1. Die Vorentscheidung ist aufzuheben, weil das FG die Frage, ob mit der „Abfindung” auch Ansprüche aus dem aufgehobenen Anstellungsvertrag erfüllt wurden, nicht geprüft hat.
a) Nach § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG sind Entschädigungen nur solche Leistungen, die als Ersatz für entgangene oder entgehende Einnahmen gewährt werden. Zahlungen, die nicht an die Stelle weggefallener oder wegfallender Einnahmen treten, sondern bürgerlich-rechtlich noch in Erfüllung des Arbeitsvertrages geleistet werden, sind nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung keine Ersatzleistungen und damit keine Entschädigung
(vgl. z.B. , BFH/NV 2006, 928; vom XI R 17/02, BFHE 203, 490, BStBl II 2004, 264; vom IX R 29/98, BFH/NV 2003, 21; vom III R 53/89, BFHE 172, 349).
Ob im Zeitpunkt der Vertragsaufhebung (noch) Erfüllungsansprüche bestehen, richtet sich ausschließlich nach zivilrechtlichen Grundsätzen (, BFHE 126, 408, BStBl II 1979, 176). Daher sind Zahlungen für bereits erdiente erfolgsabhängige Vergütungen grundsätzlich Erfüllung des ursprünglichen Anstellungsvertrages und keine Entschädigung für entgehende Einnahmen (vgl. z.B. , BFH/NV 2003, 745, m.w.N.).
b) Dies setzt allerdings voraus, dass die vertraglichen Voraussetzungen für einen Tantiemeanspruch im Zeitpunkt der Aufhebung des Anstellungsvertrages erfüllt waren. Ob dies trotz Vertragsauflösung der Fall war, ist vom FG als Tatsacheninstanz insbesondere anhand des ursprünglichen Anstellungsvertrages, ggf. der Absprachen anlässlich der Vertragsaufhebung unter Berücksichtigung der gesetzlichen Auslegungsregeln in tatsächlicher Hinsicht festzustellen (vgl. z.B. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 118 Rz 24, m.w.N.). Allein die Tatsache, dass im Streitfall das Vorliegen einer „Entschädigung” im Klageverfahren zwischen dem FA und den Klägern unstreitig war, entbindet das FG nicht von der Prüfung, ob mit der Abfindung (auch) bereits entstandene Ansprüche aus dem Anstellungsvertrag erfüllt wurden.
Der erkennende Senat kann diese Frage auch nicht ausnahmsweise selbst beantworten (vgl. z.B. , BFHE 205, 96, BStBl II 2004, 493, unter II.4. der Entscheidungsgründe, m.w.N.; Gräber/Ruban, a.a.O., § 118 Rz 24, m.w.N.). Obwohl der Kläger trotz Unkündbarkeit seines bis befristeten Anstellungsvertrages (§ 620 des Bürgerlichen Gesetzbuchs —BGB—; Palandt/Weidenkaff, Bürgerliches Gesetzbuch, 66. Aufl., § 620 Rz 10) am „mit sofortiger Wirkung” (Präambel des Aufhebungsvertrages) von seinem Posten als Mitglied des Vorstandes abberufen wurde und „sämtliche Verträge” hinsichtlich der Vorstandstätigkeit aufgehoben und das Anstellungsverhältnis zum beendet wurden, schließt dies nicht aus, dass der Kläger für das Jahr 2000 noch eine Tantieme erdient hatte (vgl. , BFH/NV 2003, 745, m.w.N.). Dies lässt sich allerdings allein anhand des § 2 des Anstellungsvertrages nicht feststellen, da weder der Jahresüberschuss noch das vorgegebene Planergebnis, die im Vertrag als alternative Bemessungsgrundlagen für eine Erfolgsvergütung genannt werden, noch der daran anzulegende Prozentsatz bekannt sind und auch nicht festzustellen ist, wie die in der Vergangenheit gezahlten Erfolgsvergütungen vom Aufsichtsrat berechnet wurden.
Andererseits lässt sich aber auch nicht —wie das FA meint— feststellen, dass die Arbeitgeberin aufgrund der Zahlung von Tantiemen oder eines Bonus in der Vergangenheit zur Zahlung einer Erfolgsvergütung auch für das Jahr 2000 verpflichtet war. Insbesondere kann allein aus der Tatsache, dass der Aufsichtsrat im Juni 2000 eine Tantieme von 180 000 DM beschlossen und im August 2000 rückwirkend das Festgehalt erhöhte, nicht geschlossen werden, dass der Kläger auch für das Jahr 2000 eine Erfolgsvergütung erdient hatte. Tantiemeansprüche entstehen nur, wenn die hierfür vorgesehenen vertraglichen Voraussetzungen, d.h. der hierfür vertraglich vorgesehene „Erfolg” tatsächlich eintritt. Insoweit hat der Kläger im Revisionsverfahren auf eine Unterlage für die Aufsichtsratssitzung vom hingewiesen, wonach sich das für das Jahr 2000 geplante Ergebnis vor Steuern von einem Gewinn in Höhe von 302 259 DM auf einen Verlust von 1 521 085 DM verschlechtert hat.
2. Aus prozessökonomischen Gründen weist der erkennende Senat für den zweiten Rechtsgang auf Folgendes hin:
a) Eine Entschädigung ist nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nur dann gemäß § 34 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. Abs. 1 EStG ermäßigt zu besteuern, wenn sie dem Steuerpflichtigen zusammengeballt in einem Veranlagungszeitraum zufließt (vgl. z.B. , BFHE 206, 544, BStBl II 2004, 1055; vom XI R 33/02, BFHE 205, 125, BStBl II 2004, 715; , BFH/NV 1990, 772). Das war hier der Fall.
Darüber hinaus hat der erkennende Senat eine tarifbegünstigte Besteuerung einer Entschädigung im Hinblick auf die in § 34 EStG bezweckte Progressionsglättung dann nicht für sachgerecht gehalten, wenn die anlässlich der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses gezahlte Entschädigung die bis zum Ende des Veranlagungszeitraums entgehenden Einnahmen nicht übersteigt und der Steuerpflichtige keine weiteren Einnahmen bezieht, die er bei Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht bezogen hätte (BFH-Urteil in BFHE 185, 429, BStBl II 1998, 787). In der genannten Entscheidung hat der erkennende Senat es zwar für zutreffend gehalten, der Berechnung der Einkünfte, die der Steuerpflichtige bei Fortbestand des Arbeitsverhältnisses im Jahr der Entlassung erhalten hätte, die Vorjahreseinkünfte zugrunde zu legen, was auch die Vorinstanz im Streitfall getan hat. Gegen die Schätzung des FG bestehen im Streitfall aber deswegen Bedenken, weil regelmäßig davon auszugehen ist, dass ein einmal vereinbartes Festgehalt auch in Zukunft gezahlt wird, und in die Durchschnittsberechnung des FG auch die vor der Erhöhung des Festgehaltes im Jahr 2000 gezahlten niedrigeren Festgehälter eingegangen sind.
Soweit der erkennende Senat im Urteil vom XI R 19/00 (BFH/NV 2001, 431) ausgeführt hat, dass eine Entschädigung auch dann als außerordentlich i.S. des § 34 Abs. 2 EStG zu beurteilen ist, wenn sie für entgangene oder entgehende Einnahmen, die sich bei normalem Ablauf auf mehrere Jahre verteilt hätten, vollständig in einem Betrag gezahlt wird, bleibt darauf hinzuweisen, dass es sich insoweit um ein obiter dictum handelt und es nach den Ausführungen des Senats im Urteil in BFHE 185, 429, BStBl II 1998, 787 (unter II.3. der Entscheidungsgründe) ohne Bedeutung ist, ob die Entschädigung entgehende Einnahmen mehrerer Jahre abdecken soll. Entscheidend ist danach vielmehr, ob es unter Einschluss der Entschädigung infolge der Beendigung des Arbeitsverhältnisses in dem jeweiligen Veranlagungszeitraum insgesamt zu einer über die normalen Verhältnisse hinausgehenden Zusammenballung von Einkünften kommt. Nur in diesem Fall kann eine progressionsbedingte Härte eintreten. Dabei sind die jeweiligen Bruttoeinnahmen ohne Abzug eines evtl. nach § 3 Nr. 9 EStG a.F. steuerfreien Betrages zu vergleichen, denn es ist nicht Zweck dieser Vorschrift, der über den steuerfreien Betrag hinausgehenden Entschädigung die Tarifbegünstigung des § 34 EStG zu entziehen.
b) Der Einkommensteuerbescheid 2001 vom , den das FG in seinem Urteil abgeändert hat, wurde bereits mit Bescheid vom abgeändert. Der zuletzt ergangene Einkommensteueränderungsbescheid ist nach § 68 FGO Gegenstand dieses Verfahrens geworden.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2008 S. 361 Nr. 3
EStB 2008 S. 98 Nr. 3
HFR 2008 S. 449 Nr. 5
NWB-Eilnachricht Nr. 18/2008 S. 11
PAAAC-68105