BFH Beschluss v. - XI B 129/02

Keine Aussetzung der Vollziehung trotz ernstlichem Zweifel an der Verfassungswidrigkeit einer Vorschrift

Gesetze: FGO § 69; EStG § 23

Instanzenzug: (E)

Gründe

I. Die Antragsteller und Beschwerdegegner (Antragsteller) sind Eheleute, die zusammen zur Einkommensteuer veranlagt werden. Im Streitjahr 2000 erzielten die Antragsteller Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit sowie hohe positive Einkünfte durch die Veräußerung von Aktien. Außerdem erwirtschafteten sie hohe negative Einkünfte aus Gewerbebetrieb, aus Kapitalvermögen und aus Vermietung und Verpachtung.

Der Antragsgegner und Beschwerdeführer (das Finanzamt —FA—) setzte die Einkommensteuer für 2000 unter Anwendung der sog. Mindestbesteuerung fest. Dem Bescheid vom sind u.a. folgende Beträge zu entnehmen:


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Summe der positiven Einkünfte
4 282 367 DM
Summe der negativen Einkünfte
4 167 434 DM
 
davon ausgleichsfähig
2 241 543 DM
Gesamtbetrag der Einkünfte
2 040 824 DM
zu versteuerndes Einkommen
1 967 266 DM
festgesetzte Einkommensteuer
962 132 DM

In der Summe der positiven Einkünfte enthalten sind sonstige Einkünfte aus der Veräußerung von Aktien in Höhe von 3 875 073 DM.

Nach Berücksichtigung der Abzugsteuern und der bereits geleisteten Zahlungen ergaben sich folgende Nachzahlungsbeträge:


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Einkommensteuer
828 524,10 DM
Solidaritätszuschlag
45 591,00 DM
evangelische Kirchensteuer Ehemann
1 788,00 DM
insgesamt
875 903,10 DM
entspricht
447 842,14  €

Die Antragsteller legten gegen die Einkommensteuerfestsetzung Einspruch ein, über den noch nicht entschieden wurde. Eine zunächst gewährte Aussetzung der Vollziehung (AdV) gegen Sicherheitsleistung hob das FA wieder auf. Einen erneuten Antrag auf AdV lehnte es ab.

Der beim Finanzgericht (FG) gestellte Antrag auf AdV hatte Erfolg. Das FG setzte die Vollziehung des Einkommensteuerbescheids 2000 gegen Sicherheitsleistung in Form einer Bankbürgschaft in Höhe von 448 000 € aus. Es hatte ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des § 2 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG).

Mit seiner —vom FG zugelassenen— Beschwerde trägt das FA im Wesentlichen vor, dass die Ausführungen des Bundesfinanzhofs (BFH) in seinem Beschluss vom XI B 151/00 (BFHE 195, 314, BStBl II 2001, 552) zur Verfassungsmäßigkeit der Mindestbesteuerung auch für „echte” Verluste gelten müssten.

Am ist der Einkommensteuerbescheid 2000 zuletzt geändert worden. Aus dem Änderungsbescheid ergibt sich u.a. folgende Berechnung:


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Summe der positiven Einkünfte
4 293 722 DM
Summe der negativen Einkünfte
2 645 548 DM
 
 davon ausgleichsfähig
2 254 530 DM
Gesamtbetrag der Einkünfte
2 039 192 DM
 
 
gezahlte Kirchensteuer
48 842 DM
Steuerberatungskosten
11 286 DM
Beiträge und Spenden
5 000 DM
Vorsorgepauschale
7 830 DM
Behinderten-Pauschbetrag
600 DM
 
 
zu versteuerndes Einkommen
1 965 634 DM
festgesetzte Einkommensteuer
961 306 DM
Solidaritätszuschlag
52 865 DM

Das FA beantragt, den Beschluss des FG aufzuheben und den Antrag auf AdV abzulehnen.

Die Antragsteller beantragen, die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen. Das FG habe die AdV zu Recht gewährt. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Veranlagung seien auch deshalb gegeben, weil Gewinne i.S. des § 17 EStG aus dem Verkauf von Gesellschaftsanteilen bis zum Veranlagungszeitraum 1998 und wieder ab dem Veranlagungszeitraum 2001 nur mit dem halben Steuersatz zu besteuern sind, nicht jedoch Verkäufe in den Jahren 1999 und 2000. Das verstoße gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 des Grundgesetzes (GG).

Im Hinblick auf den Änderungsbescheid vom beantragen sie, „vorsorglich” erneut eine AdV. Dazu tragen sie zusätzlich vor, das FA lege bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung fehlerhaft einen Verlust aus der Beteiligung an der X & Y GbR in Höhe von 349 486 DM zu Grunde. Das zuständige Betriebsstätten-FA habe aber den Feststellungsbescheid mit der Maßgabe ausgesetzt, dass bei der AdV der Folgebescheide von einem festgestellten Verlust in Höhe von 607 072 DM auszugehen sei.

II. Die Beschwerde des FA ist begründet. Entgegen der Auffassung des FG bestehen bei summarischer Prüfung keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Einkommensteuerbescheids 2000.

Der Senat entscheidet über die AdV des angefochtenen Einkommensteuerbescheids 2000 vom , in Gestalt des geänderten Bescheids vom .

1. Gemäß § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) soll das Gericht die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes ganz oder teilweise aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an dessen Rechtmäßigkeit bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Ernstliche Zweifel sind anzunehmen, wenn bei summarischer Prüfung des Verwaltungsaktes neben Umständen, die für die Rechtmäßigkeit sprechen, gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unklarheiten in der Beurteilung der Tatfragen auslösen. Dies gilt auch für ernstliche Zweifel i.S. des § 69 Abs. 2 und 3 FGO an der verfassungsrechtlichen Gültigkeit einer dem angefochtenen Verwaltungsakt zugrunde liegenden Norm (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. , BFHE 194, 157, BStBl II 2001, 411). An die Zweifel hinsichtlich der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes sind, wenn die Verfassungswidrigkeit von Normen geltend gemacht wird, keine strengeren Anforderungen zu stellen als im Falle der Geltendmachung fehlerhafter Rechtsanwendung (, BFHE 140, 396, BStBl II 1984, 454).

2. Mit Beschluss in BFHE 195, 314, BStBl II 2001, 552 hat der Senat ernstliche Zweifel an der Regelung der Mindestbesteuerung in § 2 Abs. 3 EStG insoweit verneint, als es sich bei den negativen Einkünften um solche aus Vermietung und Verpachtung handelt, die dort —in hohem Maße— durch nach dem Fördergebietsgesetz begünstigte Investitionen und entsprechende Sonderabschreibungen entstanden sind. Mit Beschlüssen vom XI B 7/02 (BFHE 202, 141, BStBl II 2003, 516) und XI B 76/02 (BFHE 202, 147, BStBl II 2003, 523) hat der Senat ernstliche Zweifel lediglich dann bejaht, wenn aufgrund des begrenzten Verlustausgleichs eine Einkommensteuer auch dann festzusetzen ist, wenn dem Steuerpflichtigen von seinem im Veranlagungszeitraum Erworbenen nicht einmal das Existenzminimum verbleibt. Der Senat verweist insoweit auf die betreffenden Beschlüsse.

3. Unter Beachtung dieser Grundsätze bestehen im Streitfall bei summarischer Betrachtung keine ernstlichen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des § 2 Abs. 3 EStG.

a) Den Antragstellern verblieb aus dem von ihnen im Streitjahr 2000 Erworbenen in Höhe von netto 1 648 174 DM (4 293 722 DM - 2 645 548 DM) nach Abzug der Sonderausgaben und außergewöhnlichen Belastungen von 73 558 DM sowie der Einkommensteuerschuld und des Solidaritätszuschlages in Höhe von zusammen 1 014 171 DM (961 306 DM + 52 865 DM) noch ein Betrag von 560 445 DM. Dieser Betrag genügte bei weitem zur Abdeckung des Existenzminimums. Das Existenzminimum bleibt auch dann noch abgedeckt, wenn man davon ausgeht, dass der Verlust aus der Beteiligung an der X & Y GbR nicht 349 486 DM, sondern tatsächlich 607 072 DM betragen hat. Zur Deckung des Existenzminimums stand den Antragstellern dann immer noch ein Betrag von 302 859 DM (560 445 DM - 257 586 DM) zur Verfügung.

b) Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der sog. Mindestbesteuerung des § 2 Abs. 3 EStG ergeben sich bei summarischer Betrachtung auch nicht aus dem Umstand, dass im Streitfall die negativen Einkünfte nicht auf der Inanspruchnahme von Sonderabschreibungen beruhten. Wie der Senat bereits in seinem Beschluss in BFHE 202, 141, BStBl II 2003, 516 ausgeführt hat, hält er an seiner Entscheidung fest, dass gegen die sog. Mindestbesteuerung des § 2 Abs. 3 EStG in Bezug auf eine Verletzung des allgemeinen Prinzips der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit i.S. des Art. 3 Abs. 1 GG keine ernstlichen Zweifel bestehen. Der Verlustausgleich als solcher wird zwischen verschiedenen Einkunftsarten nicht versagt, sondern lediglich zeitlich gestreckt.

Selbst wenn ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des § 23 Abs. 1 Nr. 2 EStG auch für das Streitjahr 2000 zu bejahen wären (vgl. hierzu , BFH/NV 2004, 37; , BGBl I 2004, 591, und , Der Betrieb 2005, 29), so könnte dies im Streitfall nicht zu einer AdV des Einkommensteuerbescheids 2000 wegen des Ansatzes der Spekulationsgeschäfte bei den sonstigen Einkünften führen. Denn bei Verfassungswidrigkeit der genannten Vorschrift im Streitjahr 2000 hätte auch § 23 Abs. 2 Satz 2 EStG keine Geltung; die Gewinne des Antragstellers aus der Veräußerung der Aktien wären wegen der Höhe seiner Beteiligung an der Aktiengesellschaft nach § 17 EStG zu erfassen. Da ab dem Veranlagungszeitraum 2001 der Veräußerungsgewinn i.S. des § 17 EStG —im Hinblick auf § 3 Nr. 40 Buchst. c EStG— nicht mehr tarifbegünstigt ist, können Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Veranlagung auch nicht daraus abgeleitet werden, dass in den Jahren 1999 und 2000 —anders als in den Veranlagungszeiträumen davor— auf diese Veräußerungsgewinne lediglich die sog. Fünftelregelung und nicht der durchschnittliche halbe Steuersatz anzuwenden war.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



Fundstelle(n):
BFH/NV 2005 S. 1105 Nr. 7
MAAAB-52012