Befugnis zur Klage auf Steuererlass nach § 50 Abs. 7 EStG
Gesetze: EStG § 50 Abs. 7; FGO § 48
Instanzenzug: 11 K 7372/01E (Verfahrensverlauf),
Gründe
I. Die Beteiligten streiten darüber, ob der Beklagte, Revisionsbeklagte und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) verpflichtet ist, im Zusammenhang mit dem Auftritt ausländischer Tänzer in Deutschland deren Einkommensteuer gemäß § 50 Abs. 7 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zu erlassen. Als Klägerin, Revisionsklägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist im erstinstanzlichen Urteil ein Schweizer Tanzensemble namens M bezeichnet, das unter diesem Namen sowohl vom FA als Revisionsbeklagter benannt ist als auch selbst Revision eingelegt hat. Damit hat es folgende Bewandtnis:
Im Streitjahr (1999) gaben mehrere in der Schweiz ansässige Tänzer unter dem Namen „M” in Deutschland drei Vorstellungen. Dabei wurde jeweils ein Stück aufgeführt, in dem ausweislich des Programmheftes ein Solotänzer und zwei „Special Guests” auftraten. Als Entgelt für die drei Aufführungen waren insgesamt ... DM zuzüglich Übernachtungs-, Verpflegungs- und Reisekosten vereinbart. Die Vorstellungen waren Bestandteil einer Veranstaltungsreihe, an der u.a. verschiedene ausländische Tanzgruppen teilnahmen.
Die Kosten für die Veranstaltungen wurden vom „Kultursekretariat ...”, von einzelnen Städten sowie von der Stiftung S getragen. Bei dem „Kultursekretariat ...” handelt es sich um einen Zusammenschluss theater- und orchestertragender Großstädte in ...; die S wurde vom Schweizer Staat finanziert.
Am beantragte das Kultursekretariat ..., die auf die Schweizer Tanzensembles entfallenden Einkommensteuer gemäß § 50 Abs. 7 EStG zu erlassen. Diesen Antrag lehnte das FA mit der Begründung ab, dass dem Vergütungsschuldner kein Antragsrecht auf Freistellung gemäß § 50 Abs. 7 EStG zustehe und dass Vollmachten der Vergütungsgläubiger nicht beigebracht worden seien. In dem daraufhin eingeleiteten Einspruchsverfahren legte das Kultursekretariat eine Vollmachtsurkunde vor, die von einer Person unterzeichnet ist. Oberhalb der Unterschrift befindet sich ein Stempel mit dem Namen „M”.
Das FA wies den Einspruch zurück. Die Einspruchsentscheidung, in der „M” als Einspruchsführerin bezeichnet ist, wurde mit einer Klage angefochten; als Klägerin ist in der Klageschrift die Stadt W „in Vertretung für das Ensemble M” und in der Klagebegründung das „Ensemble M” benannt. Das Finanzgericht (FG) entschied über die Klage in der Weise, dass es den Ablehnungsbescheid des FA aufhob, ohne aber das FA zur Erteilung eines anderweitigen Bescheids zu verpflichten. Gegen dieses Urteil, das in Entscheidungen der Finanzgerichte 2003, 1551 abgedruckt ist, wenden sich sowohl die „M” als auch das FA mit ihren vom FG zugelassenen Revisionen.
Die Klägerin beantragt sinngemäß, das Urteil des FG sowie die Einspruchsentscheidung aufzuheben und das FA zum Erlass der Steuerabzugsbeträge zu verpflichten.
Das FA beantragt, die Revision der Klägerin zurückzuweisen, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision des FA zurückzuweisen.
II. Die Revisionen sind begründet. Sie führen aus verfahrensrechtlichen Gründen zur Aufhebung des FG-Urteils und zur Zurückverweisung des Verfahrens an das FG. Dessen Entscheidung lässt keine abschließende Antwort auf die Frage zu, wer im vorliegenden Verfahren Kläger und ob dessen Klage zulässig ist.
1. Sowohl das Rubrum als auch Tatbestand und Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils bezeichnen als Klägerin die „M”. Ferner heißt es in den Entscheidungsgründen u.a., dass die Einkünfte „der Mitglieder der Klägerin” beschränkt steuerpflichtig und dass „die Mitglieder des Ensembles” Steuerschuldner seien. Das FG hat hiernach ersichtlich als Klägerin i.S. des § 57 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) eine aus den einzelnen Angehörigen der Tanzgruppe bestehende Personenvereinigung angesehen. Diese Beurteilung stimmt damit überein, dass auch in der Klageschrift und insbesondere in der Klagebegründung das „Ensemble M” als Klägerin bezeichnet ist.
2. Das FG hat zur Unternehmensform der „M” zwar keine Feststellungen getroffen. Jedoch geben weder der Vortrag der Beteiligten noch die sonstige Aktenlage Anlass, an seiner Annahme zu zweifeln, dass es sich bei der unter der Bezeichnung „M” auftretenden Tanzgruppe um eine aus den einzelnen Künstlern bestehende Personenvereinigung (Gesellschaft oder Gemeinschaft) handelt. Der Senat geht deshalb in Übereinstimmung mit dem FG von einer solchen Gestaltung aus. Bei dieser Sachlage war die „M” indessen nicht berechtigt, die hier zu beurteilende Klage zu erheben:
Die Klage richtete sich auf einen Erlass von Einkommensteuer gemäß § 50 Abs. 7 EStG. Einen solchen kann, auch wenn die dem Steuerabzug unterliegenden Einkünfte im Rahmen einer Personenvereinigung erzielt worden sind, die Personenvereinigung als solche nicht im Klagewege erstreiten. Eine dahin gehende Klagebefugnis ergibt sich insbesondere nicht aus § 48 Abs. 1 FGO, da diese Vorschrift sich ihrem eindeutigen Wortlaut nach nur auf die einheitliche und gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen bezieht, eine Maßnahme nach § 50 Abs. 7 EStG aber nicht Gegenstand einer solchen Feststellung sein kann. Es handelt sich hierbei vielmehr um eine Billigkeitsmaßnahme (ebenso BStBl I 1995, 336), über die —außerhalb des Steuerfestsetzungs- und -feststellungsverfahrens— durch einen Bescheid auf der Grundlage des § 163 der Abgabenordnung (AO 1977) zu befinden ist. Das hat der Senat für die abweichende Steuerfestsetzung nach Maßgabe des § 34c Abs. 3 EStG a.F. (§ 34c Abs. 5 EStG n.F.) entschieden (Senatsurteil vom I R 80/97, BFH/NV 2001, 1541); im Zusammenhang mit § 50 Abs. 7 EStG, der in systematischer Hinsicht mit § 34c Abs. 3 EStG a.F. übereinstimmt, gilt dasselbe. Daraus folgt, dass eine auf § 50 Abs. 7 EStG gestützte Klage einer Personenvereinigung regelmäßig mangels Klagebefugnis unzulässig ist.
3. Das FG durfte mithin nicht einerseits eine Personenvereinigung als Klägerin ansehen und andererseits über die von dieser erhobene Klage sachlich entscheiden. Es hätte vielmehr, wenn —seiner Einschätzung entsprechend— das Ensemble „M” Klägerin war, die Klage aus verfahrensrechtlichen Gründen abweisen müssen. Gleichwohl kann der Senat nicht in diesem Sinne im Revisionsverfahren durcherkennen.
Das FG hätte nämlich bei zutreffender Beurteilung der Klagebefugnis weiter prüfen müssen, ob die ihrem Wortlaut nach namens der „M” erhobene Klage dahin ausgelegt oder umgedeutet werden kann, dass als Kläger einzelne oder alle Mitglieder der Gruppe „M” anzusehen sind (vgl. , BFHE 135, 267, BStBl II 1982, 385, 386; vom IX R 106/84, BFH/NV 1986, 109; , BFH/NV 1999, 146). Dazu wäre es geboten gewesen, die Klägerseite auf diese Frage hinzuweisen und ihr Gelegenheit zur Äußerung zu geben (vgl. , BFHE 125, 486, BStBl II 1978, 648; vom I R 87/79, BFHE 131, 1, BStBl II 1980, 586). Ggf. hätte das FG sodann auf die Beibringung von Prozessvollmachten derjenigen Personen hinwirken müssen, die auf eine entsprechende Anfrage hin als Kläger benannt worden wären. Erst im Anschluss daran hätte es darüber befinden dürfen, wer im vorliegenden Verfahren letztendlich als Kläger anzusehen ist. Soweit diese Prüfung zu dem Ergebnis geführt hätte, dass es sich um eine Klage einzelner Ensemblemitglieder handelt, hätte das FG in der Sache entscheiden müssen.
Dass das FG die hiernach gebotenen entscheidungsvorbereitenden Schritte unterlassen hat, darf nicht zu Lasten der Klägerseite gehen. Andererseits können diese Schritte im Revisionsverfahren nicht nachgeholt werden (Senatsurteil in BFHE 131, 1, BStBl II 1980, 586; , BFH/NV 1996, 52). Angesichts dessen muss das Verfahren zu diesem Zweck an das FG zurückverwiesen werden (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).
4. Der Senat weicht mit dieser Entscheidung nicht i.S. des § 11 Abs. 2 FGO von der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung ab. Zwar hat der VIII. Senat des BFH entschieden, dass eine unzulässigerweise namens einer vollbeendeten Personengesellschaft erhobene Klage nicht als von einem klagebefugten früheren Gesellschafter erhoben ausgelegt werden könne (, BFH/NV 2000, 1074). Er hat jedoch eine Umdeutung der Klage in dem von ihm zu beurteilenden Fall allein deshalb abgelehnt, weil dort die Klage von einem Angehörigen der rechts- und steuerberatenden Berufe eingelegt worden war (ebenso zur Auslegung , BFH/NV 2003, 742). Eine solche Gestaltung liegt im Streitfall nicht vor.
5. Im zweiten Rechtsgang wird das FG zugleich über den Antrag der Klägerseite befinden müssen, die als Haftungsschuldnerin in Anspruch genommene Stadt W zum Verfahren beizuladen. Eine Beiladung der Stadt W im Revisionsverfahren ist nicht zulässig (§ 123 Abs. 1 Satz 1 FGO), da kein Fall einer notwendigen Beiladung (§ 60 Abs. 3 FGO) vorliegt (vgl. Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 60 Rz. 83, m.w.N.).
6. Schließlich weist der Senat für den zweiten Rechtsgang vorsorglich und ohne Bindungswirkung für das FG darauf hin, dass die angefochtene Entscheidung auch in einem weiteren Punkt nicht bedenkenfrei erscheint: Das FG hat das (BStBl I 1983, 382), auf das die Klage gestützt war, für von § 50 Abs. 7 EStG nicht gedeckt erachtet. Es hat daraus aber weder die Konsequenz gezogen, die Ablehnung des Erlassantrags durch das FA zu bestätigen, noch das FA zum Erlass des beantragten Bescheids verpflichtet (§ 101 Satz 1 FGO) oder ihm eine erneute Entscheidung über den Antrag aufgegeben (§ 101 Satz 2 FGO). Nur diese drei Möglichkeiten hätten indessen richtigerweise bestanden. Für den vom FG beschrittenen Weg, einerseits den vom FA erlassenen Ablehnungsbescheid aufzuheben und andererseits den mit der Klage verfolgten Verpflichtungsantrag abzuweisen, gibt es keine verfahrensrechtliche Grundlage.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2005 S. 26
BFH/NV 2005 S. 26 Nr. 1
JAAAB-35833