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Steuerstrafverfahren, Steuerordnungswidrigkeitsverfahren
I. Definition
1. Steuerstrafverfahren
Für das Strafverfahren wegen Steuerstraftaten gelten grundsätzlich die Regelungen der Strafprozessordnung und des Gerichtsverfassungsgesetzes, allerdings modifiziert durch die besonderen Vorschriften der §§ 385 ff. AO. Grund für diese Spezialregelung sind die Besonderheiten, die sich daraus ergeben, dass Steuerhinterziehung als Blankettnorm durch das formelle und materielle Steuerrecht ausgefüllt werden muss.
Steuerstraftaten (§ 369 Abs. 1 AO) sind:
die Steuerhinterziehung (§ 370 AO ) , deren Versuch strafbar ist (§ 370 Abs. 2 AO ),
der gewerbsmäßige, gewaltsame und bandenmäßige Schmuggel (§ 373 AO), dessen Versuch ebenfalls strafbar ist (§ 373 Abs. 3 AO),
die Steuerhehlerei (§ 374 AO), deren Versuch ebenfalls strafbar ist (§ 374 Abs. 3 AO),
der Bannbruch (§ 369 Abs. 1 Nr. 2 AO, § 372 AO) einschließlich der entsprechenden Begehung als Schmuggel i.S. des § 373 AO,
die Steuerzeichenfälschung (§ 369 Abs. 1 Nr. 3 AO, §§ 148 ff. StGB),
die Begünstigung eines Steuerstraftäters (§ 369 Abs. 1 Nr. 4 AO, § 257 StGB).
die gewerbs- und bandenmäßige Schädigung des Umsatzsteueraufkommens (§ 26c UStG).
2. Steuerordnungswidrigkeitenverfahren
Für das Verfahren wegen Steuerordnungswidrigkeiten gelten die Vorschriften der Abgabenordnung (§§ 409 ff. AO) und des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten.
Steuerordnungswidrigkeiten (§ 377 Abs. 1 AO)sind:
Leichtfertige Steuerverkürzung (§ 378 AO),
Unzulässiger Erwerb von Steuererstattungs- und Vergütungsansprüchen (§ 383 AO),
Schädigung des Umsatzsteueraufkommens (§ 26b UStG),
Tatbestände nach verschiedenen Verbrauchsteuergesetzen (§ 126 BranntwMonG, § § 64 EnergieStG, § 24 BierStG, § 18 KaffeeStG, § 29 SchaumwZwStG, § 30 TabStG).
3. Anweisungen für das Straf- und Bußgeldverfahren (Steuer) – AStBV (St) 2008
Zur einheitlichen Handhabung des Gesetzes und zur Gewährleistung der reibungslosen Zusammenarbeit der zur Verfolgung von Steuerstraftaten und Steuerordnungswidrigkeiten berufenen Stellen der Finanzbehörden untereinander, mit anderen Stellen der Finanzbehörden sowie mit den Gerichten und Staatsanwaltschaften ordnen die Anweisungen für das Straf- und Bußgeldverfahren (Steuer) – AStBV (St) 2011 (BStBl I 2010, 1434) wichtige Grundsätze an, die als interne Dienstanweisungen für die Bediensteten der Finanzverwaltung, soweit sie betroffen sind, verbindlich sind. Auf Bilsdorfer, Die Anweisungen für das Straf- und Bußgeldverfahren (Steuer) 2006, NWB F. 13 S. 1127 wird verwiesen.
Zugmaier/Nöcker/Steinberg, § 369 AO, NWB
Zugmaier/Nöcker/Duda, § 377 AO, NWB
Müller, Die Stufen des Tatverdachts bei der Hinterziehungstat und deren Konsequenzen, AO-StB 2011 S. 276
Jesse, Das Nebeneinander von Besteuerungs- und Steuerstrafverfahren, DB 2013, 1803
Tormöhlen, Pflichtverteidigung im Steuerstrafverfahren, AO-StB 2015, 207
II. Steuerstrafverfahren
1. Strafverfolgungsbehörden
Grundsätzlich ist im Steuerstrafverfahren die Staatsanwaltschaft Herrin des Ermittlungsverfahrens (§§ 160, 161 StPO).
Bei der Verfolgung von Steuerstraftaten ermittelt die Finanzbehörde (Hauptzollamt, Finanzamt, Bundesamt für Finanzen, Familienkasse, § 386 Abs. 1 S. 2 AO) anstelle der Staatsanwaltschaft, deren Rechte und Pflichten sie wahrnimmt (§ 386 Abs. 1 AO). Sachlich zuständig ist die Finanzbehörde, welche die betroffene Steuer verwaltet (§ 387 Abs. 1 AO) die örtliche Zuständigkeit regelt § 388 AO.
Im Bereich der Steuerverwaltung werden die sog. Straf- und Bußgeldsachenstellen (StraBu) oder Bußgeld- und Strafsachenstellen (BuStra) tätig. Diese sind, meist für mehrere Finanzämter zusammengefasst, als Teile (Sachgebiete) von Finanzämtern organisiert, in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen in den Finanzämtern für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung.
Die Steuerfahndung als Steuerkriminalpolizei wird dagegen als Vollzugsorgan für die Straf- und Bußgeldsachenstellen tätig. Sie hat keine staatsanwaltschaftlichen Befugnisse.
Die Finanzbehörde ermittelt selbständig und ohne Weisungsgebundenheit gegenüber der Staatsanwaltschaft (§ 386 Abs. 2 AO), wenn
die Tat ausschließlich eine Steuerstraftat darstellt (§ 386 Abs. 2 Nr. 1 AO),
die Tat zugleich andere Strafgesetze verletzt und deren Verletzung Kirchensteuern oder andere öffentlich-rechtliche Abgaben betrifft, die an Besteuerungsgrundlagen, Steuermessbeträge oder Steuerbeträge anknüpfen (§ 386 Abs. 2 Nr. 2 AO),
die Tat Vorspiegelungstat i.S. des § 385 Abs. 2 AO ist oder
auf sie kraft Verweisung die §§ 385 ff. AO für anwendbar erklärt worden sind, wie z.B. in § 8 InvZulG 1999, § 14 Abs. 3 S. 2 5. VermBG, § 15 Abs. 2 EigZulG.
Ist die Tat nicht ausschließlich eine Steuerstraftat (s. § 386 Abs. 2 AO) oder ist gegen den Beschuldigten wegen der Tat ein Haft- oder Unterbringungsbefehl erlassen worden (§ 386 Abs. 3 AO), ist die Staatsanwaltschaft für das Ermittlungsverfahren funktionell zuständig.
Die Staatsanwaltschaft kann Strafsachen, deren Verfolgung in die Zuständigkeit der Finanzbehörde fallen, jederzeit an sich ziehen (§ 386 Abs. 4 S. 2 AO, sog. Evokationsrecht), die Finanzbehörde kann die Strafsache an die Staatsanwaltschaft abgeben (§ 386 Abs. 4 S. 1 AO). In beiden Fällen kann die Staatsanwaltschaft die Strafsache im Einvernehmen mit der Finanzbehörde an die Finanzbehörde zurückgeben (§ 386 Abs. 4 S. 3 AO).