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NWB Nr. 34 vom Seite 2310

Nachweis des niedrigeren gemeinen Werts bei der Hauptfeststellung der Grundsteuerwerte auf den 1.1.2025?!

Umsetzung des Grundsteuer-Reformgesetzes vom 26.11.2019

Reinhard Stöckel

Das bisherige Bewertungsrecht (s. § 198 BewG) lässt den Nachweis des niedrigeren gemeinen Werts zu. Muss dieser auch für die Neubewertung des Grundvermögens zum Hauptfeststellungszeitpunkt zugelassen werden? Gelten auch hier die Maßstäbe des § 198 Abs. 2 BewG zum Nachweis des „niedrigeren Grundsteuerwerts“? Der BFH sieht dies als unverzichtbar an (BFH, Beschlüsse v.  - II B 78/23 [AdV], BStBl 2024 II S. 543, und II B 79/23 [AdV], BStBl 2024 II S. 546). [i]Koordinierte Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder v. 24.6.2024, BStBl 2024 I S. 1073Die elf Länder, die das Bundesgesetz umsetzen, haben dazu sehr schnell mit einem koordinierten Erlass v.  (BStBl 2024 I S. 1073) reagiert. Dazu nachfolgend einige grundsätzliche Erläuterungen, die sowohl die Möglichkeiten, aber auch die Risiken bzw. Erfolgsaussichten eines solchen Nachweises darlegen und als Entscheidungshilfe dienen sollen.

I. Ausgangslage

[i]Nachweis eines niedrigeren (gemeinen) Werts Die Bewertungsvorschriften der §§ 218 ff. BewG i.d.F. des Grundsteuer-Reformgesetzes vom (BGBl 2019 I S. 1794) enthalten keine mit § 198 BewG vergleichbare Vorschrift für die Feststellung des Grundsteuerwerts. Folgt man den Ausführungen des BFH in seinen Beschlüssen v.  - II B 78/23 (AdV; BStBl 2024 II S. 543) und II B 79/23 (AdV; BStBl 2024 II S. 546), müsste der Nachweis eines solchen niedrigeren (gemeinen) Werts auch in einem Massenverfahren (Millionen von neu zu bewertenden Grundstücken) möglich sein. Denn nach Auffassung des BFH sind die genannten Bewertungsvorschriften bei der im Aussetzungsverfahren gem. § 69 Abs. 3 FGO gebotenen summarischen Prüfung verfassungskonform dahin auszulegen, dass auf S. 2311 [i]Abweichung von mindestens 40 %der Ebene der Feststellung des Grundsteuerwerts im Einzelfall der Nachweis eines niedrigeren (gemeinen) Werts erfolgen kann. Hierfür ist regelmäßig der Nachweis erforderlich, dass der Wert der wirtschaftlichen Einheit den festgestellten Grundsteuerwert derart unterschreitet, dass sich der festgestellte Wert als erheblich über das normale Maß hinausgehend erweist. Der vom Finanzamt festgestellte Grundsteuerwert soll den nachgewiesenen gemeinen Wert um mindestens 40 % übersteigen. Diesen Nachweis kann der Steuerbürger (u. a. in Ermangelung eigener Wertermittlungskenntnisse) regelmäßig nicht selbst erbringen, d. h. der Nachweis erfolgt durch Vorlage eines Gutachtens. Ein Gutachten ist nicht kostenlos − lohnt der Nachweis des niedrigeren (gemeinen) Werts bei der Grundsteuer? Dazu werden nachfolgend die beiden Beschlüsse des BFH untersucht.

Hinweis:

[i]Außergerichtlicher RechtsbehelfDer Nachweis des niedrigeren gemeinen Werts ist nur möglich, wenn der Bescheid über die Feststellung des Grundsteuerwerts mit einem außergerichtlichen Rechtsbehelf angefochten wurde.

II. Beschlüsse des

[i]Verletzung des ÜbermaßverbotsDer II. Senat des BFH hat einfachrechtliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit von zwei Bescheiden in Bezug auf die Höhe des festgestellten Grundsteuerwerts. Die Zweifel ergeben sich daraus, dass dem Steuerpflichtigen bei verfassungskonformer Auslegung der Bewertungsvorschriften die Möglichkeit eingeräumt werden muss, bei einer Verletzung des Übermaßverbots einen niedrigeren gemeinen Wert nachzuweisen. Hinzu treten ernstliche Bedenken bezüglich der für die Ermittlung der Bodenrichtwerte notwendigen [i]DatengrundlageDatengrundlage, weil in den zur Ableitung der Bodenrichtwerte geführten Kaufpreissammlungen der Gutachterausschüsse in erheblichem Umfang Datenlücken zu befürchten sind, [i]Verzerrungen bei der Ermittlung der Bodenrichtwertedie zu deutlichen Verzerrungen bei der Ermittlung der Bodenrichtwerte führen können. Der Gesetzgeber hat zudem in § 247 Abs. 3 BewG festgelegt, dass das Finanzamt für unbebaute Grundstücke, für die kein Bodenrichtwert ermittelt wurde, den Wert aus vergleichbaren Flächen abzuleiten hat.

1. Erster Fall: Einfamilienhaus (BFH II B 78/23)

[i]SachverhaltDie Antragstellerin im Verfahren II B 78/23 ist Eigentümerin eines 351 qm großen Grundstücks, das mit einem 72 qm großen Einfamilienhaus bebaut ist. Das Haus wurde im Jahr 1880 errichtet, ist seit Jahrzehnten unrenoviert und noch mit einer Einfachverglasung der Fenster versehen. Der Bodenrichtwert für das Grundstück betrug (zum ) 125 € pro qm.

[i]Umrechnungskoeffizent 1,10Das Finanzamt erließ für dieses Objekt einen Bescheid über die Feststellung des Grundsteuerwerts zum Hauptfeststellungszeitpunkt in Höhe von 91.600 €. Dabei wandte es den gesetzlich normierten Mietwert an und ermittelte den Grundsteuerwert (§ 250 Abs. 1 und 2 Nr. 1, § 252 Satz 1, § 230 BewG) aus der Summe des kapitalisierten Reinertrags des Grundstücks und des abgezinsten Bodenwerts. Als Umrechnungskoeffizent setzte das Finanzamt 1,10 (Anlage 36) an, obwohl die Grundstücksfläche 350 qm überstieg. Dies wurde bisher von der Antragstellerin im Rechtsbehelf nicht gerügt.

[i]Umrechnungskoeffizient nach Einspruch 1,06Die Antragstellerin erhob form- und fristgerecht Einspruch und beantragte die Feststellung eines niedrigeren Werts, weil der gesetzlich normierte Mietwert pro Quadratmeter für das Einfamilienhaus überhöht sei. Im Rahmen des Rechtsbehelfs kann nun auch der vom Gesetzgeber vorgesehene Umrechnungskoeffizient mit 1,06 angesetzt werden. Danach ergibt sich folgende Berechnung (Anlage 36 – Umrechnungskoeffizient 1,06 für 351 qm): S. 2312

Bodenwert 351 qm x 125 €/qm x 1,06 = 46.507,50 € x [Anlage 41] 0,5529 = 25.714 €; Grundsteuerwert 64.998,81 € + 25.714 € = (abgerundet) 90.700 €.

Zur Ermittlung des niedrigeren (gemeinen) Werts:

Das pauschalierte Wertermittlungsverfahren (Ertragswertverfahren) enthält bei der Feststellung des Grundsteuerwerts bereits eine Reduzierung auf den Restwert (Restnutzungsdauer 24 Jahre = 30 %).

[i]Minderung des MietwertsEin Gutachten könnte noch einmal eine Herabsetzung des kapitalisierten Reinertrags (Minderung des Mietwerts) beinhalten.

Die koordinierten Ländererlasse führen dazu aus:

„Als Nachweis des niedrigeren gemeinen Werts kann in entsprechender Anwendung des § 198 Abs. 2 BewG regelmäßig ein Gutachten des zuständigen Gutachterausschusses i. S. der §§ 192 ff. BauG oder von Personen, die von einer staatlichen, staatlich anerkannten oder nach DIN EN ISO/IEC 17024 akkreditierten Stelle als Sachverständige oder Gutachter für die Wertermittlung von Grundstücken bestellt oder zertifiziert worden sind, dienen.

Als Nachweis des niedrigeren gemeinen Werts kann darüber hinaus in entsprechender Anwendung des § 198 Abs. 3 BewG ein im gewöhnlichen Geschäftsverkehr innerhalb eines Jahres vor oder nach dem Hauptfeststellungszeitpunkt zustande gekommener Kaufpreis über den zu bewertenden Grundbesitz dienen, wenn die maßgeblichen Verhältnisse der wirtschaftlichen Einheit gegenüber den Verhältnissen am Hauptfeststellungszeitpunkt unverändert sind.

Im Hinblick auf die Beschlüsse des (AdV) und II B 79/23 ist ab sofort Anträgen auf Aussetzung der Vollziehung von Bescheiden über die Feststellung des Grundsteuerwerts zu entsprechen, wenn und soweit schlüssig dargelegt wird, dass der Grundsteuerwert den Verkehrswert um mindestens 40 % übersteigt.

Bei der Gewährung der Aussetzung der Vollziehung ist die Vorlage eines Verkehrswertgutachtens noch nicht erforderlich. Substantiierten Angaben des Steuerpflichtigen zur Höhe des Verkehrswerts ist zu folgen. Es bestehen keine Bedenken, als Ergebnis der summarischen Prüfung vorbehaltlich anderweitiger Erkenntnisse 50 % des Grundsteuerwerts von der Vollziehung auszusetzen. Die Aussetzung der Vollziehung soll angemessen befristet und der Steuerpflichtige zum Nachweis des niedrigeren gemeinen Werts (z. B. durch Vorlage eines Gutachtens) innerhalb dieser Frist aufgefordert werden. Infolge der Aussetzung der Vollziehung des Grundsteuerwertbescheids ist auch die Vollziehung des hierauf beruhenden Grundsteuermessbescheids (ggf. anteilig) auszusetzen (§ 361 Abs. 3 Satz 1 AO).“

Das Gutachten geht unter eingehender Würdigung der ortsüblichen Miete und des baulichen Zustands des Gebäudes von einem Mietwert in Höhe von 3,00 €/qm (statt 5,61 € /qm − s. Wertermittlung des Finanzamts im angefochtenen Bescheid über den Grundsteuerwert) aus. Dieser Wert wird vom Finanzamt auch nicht bezweifelt.

[i]Verstoß gegen das Übermaßverbot?Nun aber ist zu prüfen, ob der vom Finanzamt festgestellte Grundsteuerwert den nachgewiesenen gemeinen Wert um mindestens 40 % übersteigt. Dazu nachstehende Wertermittlung: S. 2313

3,00 €/qm x 72 qm x 12 = 2.592 € - 25 % Bewirtschaftungskosten = 1.944 € x 17,88 = 34.758,72 € + 25.714 € = (abgerundet) 60.400 € (Ermäßigung rd. 34 %). Damit ist der Ansatz von 60.400 € ausgeschlossen − da kein Verstoß gegen das Übermaßverbot vorliegt.

[i]Korrektur des Ansatzes des UmrechnungskoeffizientenAufgrund der Korrektur des Ansatzes des Umrechnungskoeffizienten von 1,10 auf 1,06 ist der Bescheid über den Grundsteuerwert jedoch auf 90.700 € zu korrigieren.

2. Zweiter Fall: Einfamilienhaus (BFH II B 79/23)