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Wann geht eine E-Mail im Geschäftsverkehr zu?
BGH schafft mit Urteil vom 6.10.2022 Klarheit
[i]BGH, Urteil v. 6.10.2022 - VII ZR 895/21 NWB YAAAJ-25465 Der BGH hat die juristisch streitige Frage, ab wann eine E-Mail im Geschäftsverkehr als zugegangen gilt, mit Urteil vom nun entschieden. Die Entscheidung sowie deren praktische Folgen beleuchtet dieser Beitrag.
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I. Bisherige Unklarheit
E-Mails [i]Vielzahl geschäftlicher Willenserklärungen per E-Mailsind aus der geschäftlichen Kommunikation nicht mehr wegzudenken. Der Großteil der geschäftlichen Erklärungen, solange diese keine Schriftform oder strengere Form erfordern, wird heutzutage elektronisch getätigt: Per E-Mail werden Verträge geschlossen, Informationen schnell und unkompliziert übermittelt oder sonstige rechtsverbindliche Erklärungen abgegeben. Die Tatsache, dass E-Mail-Postfächer über das Smartphone überall und immer einsehbar und nutzbar sind, tut ihr Übriges.
[i]Zeitpunkt des Zugangs bisher ungeklärt Bisher war es in der juristischen Literatur und Rechtsprechung allerdings nicht geklärt, zu welchem Zeitpunkt eine E-Mail im Geschäftsverkehr einem Empfänger als zugegangen gilt. Vertreten wurden diverse Ansichten, die von der potenziellen Abrufbarkeit der E-Mail vom E-Mail-Server bis hin zur tatsächlichen Abrufung und Kenntnisnahme der E-Mail gefächert waren.
[i]BGH schafft Klarheit Der BGH, der bislang zu der Frage nie Stellung beziehen musste, hat diese Frage nun mit einem Urteil vom entschieden. Danach gilt:
Wird eine E-Mail im unternehmerischen Geschäftsverkehr innerhalb der üblichen Geschäftszeiten auf dem Mailserver des Empfängers abrufbereit zur Verfügung gestellt, ist sie dem Empfänger grundsätzlich in diesem Zeitpunkt zugegangen. Dass die E-Mail tatsächlich abgerufen und zur Kenntnis genommen wird, ist für den Zugang nicht erforderlich. Eine E-Mail, die ein Angebot enthält, kann aufgrund des sofortigen Zugangs nicht mehr widerrufen werden.
II. Entscheidung des BGH im Detail
Der Entscheidung des BGH lag folgender Sachverhalt aus dem Werkvertragsrecht zugrunde:S. 331
1. Sachverhalt
[i]Bosse, Nach dem Klick auf die Senden-Taste gibt es kein Zurück mehr – BGH (VII ZR 895/21) zum Zeitpunkt des Zugangs einer E-Mail im unternehmerischen Rechtsverkehr, NWB 11/2023 S. 777 NWB HAAAJ-35331 Die Klägerin, eine Werkunternehmerin, begehrt einen ausstehenden Differenzbetrag i. H. von 7.825,94 € für die Erbringung von Metall- und Fassadenbegrünungsarbeiten.
Die Parteien verhandelten über den Werklohn für Bauarbeiten, die die Klägerin für die Beklagte durchgeführt hatte. Mit E-Mail vom , 9:19 Uhr, teilte der anwaltliche Vertreter der Klägerin gegenüber der Beklagten mit, dass sich die Forderung aus der Schlussrechnung noch auf 14.347,23 € belaufe und Anwaltskosten von 1.029,35 € als Verzugsschaden fällig seien. Eine weitere Forderung werde nicht erhoben.
Am selben Tag um 9:56 Uhr erklärte der anwaltliche Vertreter der Klägerin gegenüber der Beklagten per weiterer E-Mail, dass eine abschließende Prüfung der Forderungshöhe durch die Klägerin noch nicht erfolgt sei und die E-Mail von 9:19 Uhr daher unberücksichtigt bleiben solle.
Die Klägerin legte der Beklagten letztendlich am eine Schlussrechnung über 22.173,17 € vor.
Am überwies die Beklagte der Klägerin den mit der E-Mail vom , 9:19 Uhr, geforderten Betrag von 14.347,23 € auf die Hauptforderung sowie weitere 1.029,35 € auf die Rechtsanwaltskosten.
Mit ihrer Klage macht die Klägerin den Differenzbetrag zu ihrer Schlussrechnung (22.173,17 € abzüglich 14.347,23 €) i. H. von 7.825,94 € geltend.
2. Entscheidungsgründe
[i]BGH geht von einem rechtswirksamen Vergleich aus Der BGH geht in seiner Entscheidung davon aus, dass zwischen den Parteien ein Vergleich des Inhalts wirksam zustande gekommen ist, dass weitere Forderungen, über die am bewirkte Zahlung hinaus, nicht bestehen.
[i]Wirksames Vergleichsangebot Mit der E-Mail des anwaltlichen Vertreters der Klägerin vom , 9:19 Uhr, unterbreitete die Klägerin der Beklagten ein wirksames Angebot auf Abschluss eines Vergleichs i. S. des § 779 BGB mit dem Inhalt, dass für den Fall der Zahlung des restlichen Werklohns von 14.347,23 € sowie der genannten Anwaltskosten weitere Forderungen nicht erhoben werden würden.
[i]Stillschweigende Annahme des Vergleichsangebots Dieses Angebot habe die Beklagte per Überweisung der insgesamt 15.376,58 € am gem. § 147 Abs. 2 BGB wirksam stillschweigend angenommen.
Dabei war die Klägerin nach wie vor gem. § 145 BGB an ihr Angebot aus der E-Mail vom 14.12., 9:19 Uhr, gebunden. Der BGH führt aus, dass das Angebot der Klägerin der Beklagten gem. § 130 Abs. 1 BGB zu diesem Zeitpunkt wirksam zugegangen ist und damit Bindungswirkung entfaltete. Dies sei nicht der Fall, wenn der Beklagten gem. § 130 Abs. 1 Satz 2 BGB vorher oder gleichzeitig ein Widerruf der Klägerin zugegangen sei.
Der Zugang einer Willenserklärung unter Abwesenden setzt voraus, dass sie so in den Machtbereich des Empfängers gelangt ist, dass dieser unter normalen Verhältnissen die Möglichkeit hat, vom Inhalt der Erklärung Kenntnis zu nehmen.
[i]Abrufbereite Zurverfügungstellung auf dem E-Mail-Server zu den üblichen Geschäftszeiten genügt für den ZugangDer BGH bejaht den Zugang jedenfalls dann, wenn die E-Mail im unternehmerischen Geschäftsverkehr innerhalb üblicher Geschäftszeiten auf dem Mailserver des Empfängers abrufbereit zur Verfügung gestellt wird. Mit der Abrufmöglichkeit auf dem Mailserver gelangt die E-Mail dergestalt in den Machtbereich des Empfängers, dass er sie unter gewöhnlichen Umständen zur Kenntnis nehmen kann. Unerheblich für die Frage des Zugangs ist, ob die E-Mail auch tatsächlich abgerufen und zur Kenntnis genommen wird.
Der BGH bringt zum Ausdruck, dass der vom Empfänger für den E-Mail-Nachrichten-Empfang genutzte Mailserver als sein Machtbereich anzusehen ist, wenn der Empfänger im Geschäftsverkehr zum Ausdruck bringt, Rechtsgeschäfte mittels elektronischer Erklärungen in Form von E-Mails abzuschließen. Da der Empfänger über den Eingang S. 332der E-Mail auf dem Mailserver unterrichtet wird, ist er ab diesem Zeitpunkt in der Lage, die E-Mail-Nachricht abzurufen und auf seinem Endgerät anzeigen zu lassen.
[i]Widerruf des Vergleichsangebots war verspätet Damit war der per E-Mail vom um 9:56 Uhr erklärte Widerruf verspätet. Da das Vergleichsangebot der Klägerin der Beklagten am , 9:19 Uhr, und damit innerhalb üblicher Geschäftszeiten wirksam zugegangen war, konnte die Klägerin dieses um 9:56 Uhr nicht mehr gem. § 130 Abs. 1 Satz 2 BGB wirksam widerrufen.
Schließlich hat die Beklagte durch Überweisung der 15.376,58 € das Vergleichsangebot rechtzeitig i. S. von § 147 Abs. 2 BGB konkludent angenommen, weil die antragende Klägerin zu diesem Zeitpunkt noch den Eingang einer Antwort unter regelmäßigen Umständen erwarten durfte.
Nach der Entscheidung des BGH gehen E-Mails im unternehmerischen Rechtsverkehr während der Geschäftszeiten sofort zu.
III. Praxishinweise
1. Beschränkter Anwendungsbereich der Entscheidung
[i]Entscheidung betrifft nur den unternehmerischen Geschäftsverkehr Die Entscheidung des BGH hat zunächst nur einen begrenzten Anwendungsbereich: Sie gilt nur für E-Mails im unternehmerischen Geschäftsverkehr.