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Die Business Judgement Rule: Entscheidungen und Privathaftung der Geschäftsführung
Beratungsmöglichkeiten für Steuerberater
Die Geschäftsführung wird dafür bezahlt, qualitativ hochwertige Entscheidungen zu treffen. Diese Forderung wird durch die Business Judgement Rule (im folgenden BJR) im Aktiengesetz (vgl. § 93 Abs. 1 AktG) kodifiziert, gilt aber auch für andere Gesellschaftsformen. Demnach haftet die Geschäftsführung nicht, wenn die zukünftigen Entwicklungen eine Entscheidung als nachteilig hindrehen („Pech“), sondern dann, wenn eine Entscheidung nicht auf Grundlage angemessener Informationen zum Wohle der Gesellschaft getroffen wurde. Für Steuerberater ergeben sich hier Beratungsmöglichkeiten. Ihr großer Vorteil: Sie werden als externe Personen weniger durch kognitive Verzerrungen beeinflusst und haben zugleich einen sehr guten Zugang zu Informationen über die Lage des Unternehmens.
Unternehmerische Entscheidungen bestimmen den zukünftigen Erfolg eines jeden Unternehmens und müssen daher von hoher Qualität sein.
Für die Geschäftsführung von Kapitalgesellschaften gilt die Business Judgement Rule: Entscheidungen müssen daher nachweislich von hoher Qualität sein; ansonsten kann die Privathaftung der Geschäftsführung folgen.
Für Personengesellschaften ist die Qualität von Entscheidungen ähnlich wichtig wie für Kapitalgesellschaften: Durch schlechte Entscheidungen hervorgerufene Verluste vernichten das Kapital der Eigentümer direkt.
Die Praxis zeigt, dass Entscheidungen häufig auf unzureichenden Informationen basieren und diverse kognitive Aspekte die Urteilsbildung verzerren.
Steuerberater können als außenstehende Person einen wertvollen Beitrag zur besseren Entscheidungsfindung leisten.
I. Unternehmerische Entscheidungen
1. Nicht alles kann von der Geschäftsführung direkt beeinflusst werden
„Das teuerste im Unternehmen sind Personen, die falsche Entscheidungen treffen“ – so lautet ein Zitat von Claus Henninger (Politiker). Dieser Aussage kann man nur zustimmen, wenn man bedenkt, welche Tragweite Entscheidungen für Unternehmen haben. Denn der zukünftige Erfolg eines Unternehmens hängt insbesondere von der Qualität der Entscheidungen ab. Es mag an dieser Stelle befremdlich vorkommen, dass dieser Beitrag auf die „Qualität der Entscheidung“ eingeht, so ist doch das Endresultat einer Entscheidung das wirklich Wesentliche. Dieser Gedankengang ist auch absolut richtig. Doch das Endresultat kann nicht direkt bestimmt werden, da unternehmerische Entscheidungen typischerweise Entscheidungen unter Unsicherheit sind und wir nicht in die Zukunft schauen können. Es ist uns verwehrt zu wissen, wie sich das Unternehmensumfeld entwickeln wird. Man redet dann von Zufall, also den Launen des Unternehmensumfeldes, welche in das Endresultat einfließen, aber von der Geschäftsführung nicht direkt oder eher nur schwach beeinflusst werden können.
Ein mittelständisches Unternehmen investiert in eine neue Maschine zur Erhöhung der Kapazität. Auch wenn die diversen Alternativen sorgfältig abgewägt wurden, kann eine Rezession oder ein Verlust des wichtigsten Abnehmers diese Entscheidung im Nachhinein als nachteilig hindrehen.
2. Wer trägt die Schuld?
Aus Sicht der Geschäftsführung ist darauf zu achten, sich nicht schuldhaft zu verhalten.
Trägt ein Geschäftsführer aus der Automotive-Branche, z. B. ein Zulieferer von Zündkerzen, Schuld daran, wenn er die verfügbaren Informationen zur Entwicklung von Elektromotoren ignoriert und dennoch eine Investition unter der Annahme eines boomenden Absatzmarktes getroffen hat?
Man kann in diesem Fall der Frage nachgehen, warum er diese Investition getätigt hat und die verfügbaren Informationen ignorierte. Waren es andere Gründe, die ihn zu dieser Entscheidung verleiteten? War es ein Prestige-Objekt für sein Ego? War er von seinen eigenen Fähigkeiten zu stark überzeugt? Dafür verlassen wir für einen Augenblick die Betriebswirtschaftslehre und gehen zur Biologie rüber, genauer gesagt zur Neurowissenschaft.S. 105
3. Erkenntnisse der Neurowissenschaft
Der Ort, an dem unternehmerische Entscheidungen getroffen werden, ist das menschliche Gehirn. Die Psychologie hat uns in den letzten Jahrzenten eindrucksvoll gezeigt, dass dieser Entscheidungsapparat systematische Fehler macht, welche als kognitive Verzerrungen bezeichnet werden. Aufgrund ihrer Wichtigkeit für Entscheidungen werden diese im Folgenden noch näher erläutert.
Das Problem ist jedoch, dass die Qualität unserer Entscheidungen unter diesen Verzerrungen leidet; wir treffen Entscheidungen in einer Art und Weise, wie wir es eigentlich nicht wollen. Insbesondere sind es Bauchentscheidungen, die auf nicht angemessenen Informationen basieren, welche die Qualität verschlechtern. Zudem kommt erschwerend hinzu, dass insbesondere die Geschäftsführung eine Entscheidung vielleicht eher zum eigenen Interesse und nicht zum Interesse des Unternehmens trifft. In der Betriebswirtschaftslehre wird dieses Phänomen auch unter der Prinzipal-Agenten-Theorie untersucht, die aber hier nicht weiter behandelt wird.
4. Die Business Judgement Rule
Die Problematik ist, dass die Geschäftsführung fremdes Kapital (sei es von den Eigentümern oder den Fremdkapitalgebern) verwaltet. Dass Entscheidungen der Geschäftsführung nachweislich eine hohe Qualität aufweisen müssen, wird vom Gesetzgeber in § 93 AktG aufgegriffen. Nota bene: Dieser Paragraf hat eine Ausstrahlwirkung auch auf andere Gesellschaftsformen (insbesondere GmbHs). Der Paragraf wird auch als Business Judgement Rule (BJR) bezeichnet; durch diesen werden zum einen Regeln abstrakt vorgeschrieben, zum anderen aber auch zeitgleich ein Schutz vor „Pech“ ausgesprochen.