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Steuerbefreiung für innergemeinschaftliches Verbringen
Praktische Herausforderungen im Zusammenspiel mit den Zusammenfassenden Meldungen
[i]Lippross/Janzen, UStAE Aktuell, Abschn. 1a.2. UStAE, NWB BAAAH-71436 Das innergemeinschaftliche Verbringen ist in der Praxis häufiger anzutreffen, als man vermuten mag. Es ist aber oftmals schwer zu erkennen, weil es sich meist nicht in der Buchhaltung niederschlägt. Nur ausgefeilte ERP-Systeme mit Abbildung von Umlagerungen können dem Verbringen auf die Spur kommen. Dabei ist das innergemeinschaftliche Verbringen umsatzsteuerlich kein ganz ungefährliches Thema. Im Grunde handelt es sich hierbei um eine (fiktive) innergemeinschaftliche Lieferung des Unternehmers an sich selbst, die nur unter bestimmten Voraussetzungen umsatzsteuerfrei ist. Eine der größten Herausforderungen ist die seit 2020 über § 4 Nr. 1 Buchst. b UStG zur materiellen Voraussetzung der Steuerbefreiung für innergemeinschaftliche Lieferungen erhobene korrekte Zusammenfassende Meldung. Bei nachträglich erkanntem Verbringen kann diese zum Stolperstein werden, zumindest nach Auffassung der Finanzverwaltung. Es bestehen aber ernstliche Zweifel an der unionsrechtlich korrekten Umsetzung, vor allem auch, weil das Neutralitätsprinzip der Umsatzsteuer verletzt sein kann.
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I. Was ist ein innergemeinschaftliches Verbringen?
1. Rechtsgeschäftsloses Verbringen zwischen EU-Mitgliedstaaten
[i](Fiktive) innergemeinschaftliche Lieferung des Unternehmers an sich selbstDas innergemeinschaftliche Verbringen ist in Art. 17 Abs. 1 Unterabs. 2 MwStSystRL definiert als die Versendung oder Beförderung eines im Gebiet eines Mitgliedstaats befindlichen beweglichen körperlichen Gegenstands durch den Steuerpflichtigen oder für seine Rechnung für die Zwecke seines Unternehmens nach Orten außerhalb dieses Gebiets, aber innerhalb der Gemeinschaft. Gemäß Art. 17 Abs. 1 MwStSystRL gilt ein solches innergemeinschaftliches Verbringen als Lieferung gegen Entgelt. In nationales Recht wurde dies umgesetzt in § 3 Abs. 1a Satz 1 UStG. In Abschnitt 1a.2 Abs. 1 bis 4 UStAE finden sich weitere Details und Abgrenzungskriterien.
Es handelt sich umsatzsteuerlich also im Grunde um eine (fiktive) innergemeinschaftliche Lieferung des Unternehmers von einem Mitgliedstaat an sich selbst in einen anderen Mitgliedstaat. Ohne diese Fiktion würde ein rechtsgeschäftsloses Verbringen S. 108vorliegen. Dieses wäre weder eine Lieferung i. S. des § 3 Abs. 1 UStG noch steuerbar nach § 1 Abs. 1 UStG, weil nicht die Verfügungsmacht an einem Gegenstand einem Abnehmer verschafft wird und auch kein entgeltlicher Vorgang vorliegt.
2. Ausnahme: vorübergehende Verwendung
[i]Art. 17 MwStSystRL ist zu beachtenVon dieser Fiktion ausgenommen sind die Fälle der sog. vorübergehenden Verwendung. Diese sind abschließend in Art. 17 Abs. 2 MwStSystRL aufgelistet. Im UStG finden sich neben der Regelung in § 3 Abs. 1a Satz 1 UStG, wonach bei vorübergehender Verwendung kein innergemeinschaftliches Verbringen vorliegen soll, keine weiteren Details. Lediglich Abschnitt 1a.2 Abs. 5 bis 13 UStAE gibt Interpretationshilfe. Besondere Bedeutung hat hierbei Abschnitt 1a.2 Abs. 9 Satz 2 UStAE, der feststellt, dass die Auslegung der Ausnahmeregelung der vorübergehenden Verwendung unter Beachtung von Art. 17 MwStSystRL zu erfolgen hat. Dies ist vor allem wichtig, weil die Fälle der vorübergehenden Verwendung in Abschnitt 1a.2 Abs. 10 und 12 UStAE nicht abschließend, sondern nur beispielhaft aufgelistet sind.
3. Beispiele für Verbringen ohne vorübergehende Verwendung
Die in der Praxis am häufigsten vorkommenden Fälle des innergemeinschaftlichen Verbringens sind (beispielhaft, nicht abschließend):
[i]AuslieferungslagerLieferungen an Kunden erfolgen aus einem Auslieferungslager in einem anderen Mitgliedstaat, z. B. weil es logistisch vorteilhafter ist, Produkte in einem Lager in der Nähe der potenziellen Kunden zu lagern. Das Bestücken des Lagers aus einem anderen Mitgliedstaat heraus wäre ein innergemeinschaftliches Verbringen, weil der anschließende Verkauf kein Fall der vorübergehenden Verwendung wäre. In diesen Fällen darf der jeweilige Kunde aber bei Beginn des Transports zum Lager noch nicht feststehen, weil eine Zwischenlagerung bei feststehendem Abnehmer umsatzsteuerlich unbeachtlich wäre (Abschnitt 3.12 Abs. 3 UStAE).
[i]Umlagerung in ein Fulfilment-LagerLieferungen an Kunden erfolgen bei Fernverkäufen i. S. des § 3c UStG über Fulfilment-Strukturen einer E-Commerce-Plattform. Die Umlagerung in ein Fulfilment-Lager in einem anderen Mitgliedstaat und zwischen solchen Lagern wäre ein innergemeinschaftliches Verbringen des Fernverkäufers, ungeachtet dessen, ob die Plattform den Fernverkäufer über die Umlagerung informiert oder nicht.
[i]Verkauf direkt nach VermietungEin Gegenstand wird zunächst an einen Kunden in einem anderen Mitgliedstaat vermietet und direkt anschließend an diesen Kunden oder an einen anderen Abnehmer verkauft. Das Verbringen in den anderen Mitgliedstaat zur Vermietung erfolgt zunächst im Rahmen einer vorübergehenden Verwendung (Art. 17 Abs. 2 Buchst. g MwStSystRL; Abschnitt 1a.2 Abs. 10 Nr. 2 UStAE). Im Zeitpunkt des Verkaufs endet jedoch die vorübergehende Verwendung und es liegt dann ein innergemeinschaftliches Verbringen vor (Abschnitt 1a.2 Abs. 11 Satz 3 UStAE).
Das Verbringen könnte vermieden werden, wenn der Gegenstand vor dem Verkauf in den Ausgangsmitgliedstaat zurücktransportiert und von hier aus an den Kunden geliefert wird. Die Kosten für Rücktransport und erneuten Versand könnten niedriger sein als der Aufwand für die Registrierung im Ausland und die Deklaration des Verbringens.
[i]Untergang nach VermietungEin Gegenstand wird zunächst an einen Kunden in einem anderen Mitgliedstaat vermietet und geht dann unter, z. B. weil er beschädigt/zerstört wird (Abschnitt 1a.2 Abs. 11 Satz 2 UStAE). Das Verbringen in den anderen Mitgliedstaat zur Vermietung erfolgt zunächst im Rahmen einer vorübergehenden Verwendung (Art. 17 Abs. 2 Buchst. g MwStSystRL; Abschnitt 1a.2 Abs. 10 Nr. 2 UStAE). Im Zeitpunkt des Untergangs endet jedoch die vorübergehende Verwendung und es liegt dann ein innergemeinschaftliches Verbringen vor. S. 109
Das Verbringen könnte auch hier vermieden werden, wenn der noch vorhandene, aber beschädigte Gegenstand in den Ausgangsmitgliedstaat zurücktransportiert wird. Sollte der Gegenstand völlig zerstört und wertlos sein, könnte die Bemessungsgrundlage für das Verbringen gem. § 10 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 UStG bei null liegen und damit ebenfalls keine Deklaration erforderlich sein.
[i]Verbleib nach Vermietung mit unbekannter VerwendungEin Gegenstand wird zunächst an einen Kunden in einem anderen Mitgliedstaat vermietet und nach Ablauf der Mietdauer nicht in den Ausgangsmitgliedstaat zurückverbracht, sondern verbleibt im anderen Mitgliedstaat, ohne dass eine weitere Vermietung angestrebt wird bzw. dessen weitere Verwendung bekannt ist. Das Verbringen in den anderen Mitgliedstaat zur Vermietung erfolgt zunächst im Rahmen einer vorübergehenden Verwendung (Art. 17 Abs. 2 Buchst. g MwStSystRL; Abschnitt 1a.2 Abs. 10 Nr. 2 UStAE). Mit Beendigung der Vermietung dürfte jedoch die vorübergehende Verwendung enden und dann ein innergemeinschaftliches Verbringen vorliegen, weil der Gegenstand dann nicht mehr zum Zweck der Erbringung von Dienstleistungen genutzt wird.
[i]Unternehmer nicht im Mitgliedstaat des Beginns der Versendung oder Beförderung ansässigEin Gegenstand wird aus einem Mitgliedstaat, in dem der Unternehmer nicht ansässig ist, in einen anderen Mitgliedstaat verbracht und dort an einen Kunden vermietet. Das Verbringen erfolgt nicht im Rahmen einer vorübergehenden Verwendung, da Art. 17 Abs. 2 Buchst. g MwStSystRL die Ansässigkeit des Unternehmers im Mitgliedstaat des Beginns der Versendung oder Beförderung voraussetzt (EuGH, Urteil v. 11.6.2020 - C-242/19 „CHEP Equipment Pooling“, NWB VAAAH-52941).
[i]Robisch, NWB 4/2022 S. 234Lieferungen an einen Kunden in einem anderen Mitgliedstaat erfolgen über ein Konsignationslager an dessen Standort, wobei die Voraussetzungen der Vereinfachungsregelung nach § 6b Abs. 1 UStG nicht erfüllt werden, z. B. erfolgt keine Deklaration in der Zusammenfassenden Meldung nach § 18a Abs. 6 Nr. 3 und Abs. 7 Satz 1 Nr. 2a UStG. Das Bestücken des Lagers aus einem anderen Mitgliedstaat heraus wäre ein innergemeinschaftliches Verbringen, weil der anschließende Verkauf kein Fall der vorübergehenden Verwendung wäre.
[i]Konsignationslager: Nichteinhaltung der ZwölfmonatsfristLieferungen an einen Kunden in einem anderen Mitgliedstaat erfolgen über ein Konsignationslager an dessen Standort, wobei die Voraussetzungen der Vereinfachungsregelung nach § 6b Abs. 1 UStG zunächst erfüllt werden, die Zwölfmonatsfrist des § 6b Abs. 3 UStG wird aber nicht eingehalten oder es erfolgt eine schädliche Verwendung i. S. des § 6b Abs. 6 UStG. Am Tag nach Ablauf der Zwölfmonatsfrist bzw. am Tag des schädlichen Ereignisses (oder dessen Feststellung, Abschnitt 6b.1 Abs. 22 Satz 2 UStAE) gelten die betreffenden Gegenstände als innergemeinschaftlich verbracht.