Besitzen Sie diesen Inhalt bereits,
melden Sie sich an.
oder schalten Sie Ihr Produkt zur digitalen Nutzung frei.
Überblick zur neuen Rechtslage bei den steuerlichen Zinsen
Handlungsbedarf bei den Zinsbescheiden
Es [i]Rätke, Reaktion des BMF auf Verfassungswidrigkeit des Zinssatzes von 6 %, BBK 20/2021 S. 963 NWB ZAAAH-90729 ist nicht ohne Ironie, dass sich der Gesetzgeber erst am Ende der langjährigen Niedrigzinsphase nach einer Entscheidung des BVerfG gezwungen sah, die Zinsen für die steuerliche Vollverzinsung von 6 % p. a. auf 1,8 % p. a. zu senken. Denn gleichzeitig hat sich der Gesetzgeber selbst damit beauftragt, die Angemessenheit des Zinssatzes regelmäßig zu evaluieren. Wenn der Gesetzgeber aber sogar in einer Phase von Negativzinsen steuerliche Zinsen von 1,8 % p. a. für angemessen hält, lässt dies in einem Umfeld steigender Zinsen für die Zukunft deutlich steigende steuerliche Zinsen erwarten. Immerhin hat der Gesetzgeber die Vorgaben des BVerfG – anders als noch beim ErbStG – fristgerecht umgesetzt. Derzeit sieht sich die Finanzverwaltung aber technisch nicht in der Lage, den neuen Zinssatz schon anzuwenden. Dies ist gleichermaßen erstaunlich und ärgerlich, da eigentlich unter allen Beteiligten auch vor der Entscheidung des BVerfG Einigkeit darüber bestand, dass die bisherige Regelung nicht mehr verfassungskonform ist. Es war nur die Frage, wie die Neuregelung aussehen würde. Es gab daher sowohl Anlass als auch Gelegenheit, Vorbereitungen für die administrative Umsetzung der anstehenden Neuregelung zu treffen. Immerhin gibt das BMF mit sehr umfassenden und regelmäßig aktualisierten Schreiben Unterstützung bei der Bewältigung der so entstandenen offenen Fragen. Der folgende Beitrag skizziert die gegenwärtige rechtliche Situation, um anschließend die praxisrelevanten Fallkonstellationen mit Handlungsempfehlungen darzustellen.
.
I. Langjährige Untätigkeit des Gesetzgebers und des Bundesverfassungsgerichts
1. Späte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
[i]BVerfG, Beschluss v. 8.7.2021 - 1 BvR 2237/14 und 1 BvR 2422/17 NWB TAAAH-87096 Vor dem Bundesverfassungsgericht war schon seit dem Jahr 2014 ein Verfahren zur Höhe der Zinsen anhängig. Aber erst mit einem am veröffentlichten Beschluss vom hat das BVerfG die Unvereinbarkeit der Höhe der Vollverzinsung mit dem S. 898Gleichheitsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG ab dem festgestellt, zugleich aber angeordnet, dass die verfassungswidrige Verzinsung für Verzinsungszeiträume bis weiter anzuwenden ist.
Grundsätzlich [i]Unvereinbarkeit mit dem GG und Fortgeltung ist eine mit dem Grundgesetz nicht zu vereinbarende gesetzliche Regelung nichtig und darf – auch mit Wirkung für die Vergangenheit – nicht angewendet werden. Entscheidungen des BVerfG haben insoweit gem. § 31 Abs. 2 BVerfGG Gesetzeskraft. Das BVerfG beschränkt sich daher insbesondere in Steuerstreitigkeiten bewusst auf die Feststellung der „Unvereinbarkeit“ einer Regelung mit dem Grundgesetz, um sich damit die Möglichkeit offen zu halten, zugunsten des Fiskus eine Übergangsregelung anzuordnen.
2. Rückwirkende gesetzliche Neuregelung der Vollverzinsung
[i]Rückwirkende Änderung der Verzinsung von Steuernachzahlungen und -erstattungenFür Verzinsungszeiträume ab dem hat das BVerfG den Gesetzgeber aufgefordert, bis zum eine rückwirkende Neuregelung für die Vollverzinsung zu schaffen. Der Gesetzgeber hat die Vorgabe des BVerfG erfüllt und mit einem am in Kraft getretenen Gesetz vom für Verzinsungszeiträume ab dem eine rückwirkende Änderung der Vollverzinsung geregelt. Der neue Zinssatz der Vollverzinsung beträgt 1,8 % p. a. (zu den Einzelheiten siehe Abschnitt II).
Die neue Zinshöhe von 1,8 % p. a. gilt nur für die sog. Vollverzinsung gem. § 233a AO, also die Verzinsung von Steuernachzahlungen und Steuererstattungen. Im Übrigen bleibt es beim Zinssatz von 6 % p. a.
3. Reaktionen der Finanzverwaltung
[i]BMF-Schreiben für die ÜbergangsphaseDeutlich schneller als der Gesetzgeber hat die Finanzverwaltung reagiert, um in der Übergangsphase eine gleichmäßige Bearbeitung der offenen Zinsfestsetzungen zu ermöglichen. Diese BMF-Schreiben sind zwar mit der gesetzlichen Neuregelung überholt. Die aufgrund der BMF-Schreiben ergangenen Bescheide können aber Einfluss darauf haben, ob die gesetzliche Neuregelung tatsächlich rückwirkend anzuwenden ist.