BFH Beschluss v. - V B 45/21

Instanzenzug:

Gründe

Die Beschwerde der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) gegen die Nichtzulassung der Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen.

1. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO).

a) Grundsätzliche Bedeutung i. S. von § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO kommt einer Rechtssache zu, wenn die für die Beurteilung des Streitfalls maßgebliche Rechtsfrage das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt. Außerdem muss die Rechtsfrage klärungsbedürftig und in einem künftigen Revisionsverfahren klärbar sein (vgl. Senatsbeschluss vom  – , BFH/NV 2019, 409, Rz 10, m. w. N.). Eine Rechtsfrage ist nicht klärungsbedürftig, wenn sie durch die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) bereits geklärt ist und keine neuen Gesichtspunkte vorgetragen werden, die eine erneute Prüfung und Entscheidung dieser Frage durch den BFH erforderlich machen würden (, BFH/NV 2021, 349, Rz 4, m. w. N.).

Die Klärungsbedürftigkeit einer Rechtsfrage fehlt auch, wenn der BFH zwar noch keinen Fall mit genau den den streitigen Sachverhalt charakterisierenden Umständen entschieden hat, sich indessen die Würdigung mit Hilfe der bisherigen höchstrichterlich entwickelten Rechtsgrundsätze vornehmen lässt (, BFH/NV 2014, 292, Rz 4).

b) Die von der Klägerin aufgeworfene Rechtsfrage, ob „eine Unterrichtsleistung zwingend den direkten, unmittelbaren, zeitgleichen persönlichen Kontakt zwischen Lehrer und Schülern oder Studenten [erfordert], damit sie als ‘unmittelbar dem Schul- und Bildungszweck dienende Tätigkeit’ i. S. des § 4 Nr. 21 Buchst. b UStG gilt [, …] mit anderen Worten: [Ob] eine Unterrichtsleistung auch dann unmittelbar dem Schul- und Bildungszweck [dient], wenn Schüler oder Studenten keinen direkten, unmittelbaren, persönlichen Kontakt zur lehrenden Person haben, sondern ihre Fragen nur mittels anderer Fernkommunikationsmedien (z. B. per E-Mail oder telefonisch) zeitversetzt stellen können”, ist nicht klärungsbedürftig.

Nach der Rechtsprechung des BFH bezieht sich das Tatbestandsmerkmal „unmittelbar” in § 4 Nr. 21 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) nicht auf den Inhalt der Leistungen, sondern beschreibt die Art und Weise, in der die Leistungen bei der Erfüllung des Schul- und Bildungszwecks der Einrichtung eingesetzt werden müssen. Danach dienen solche Leistungen unmittelbar dem Schul- und Bildungszweck, die ihn nicht nur ermöglichen, sondern ihn selbst bewirken ( , zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt, BStBl II 2022, 131, Rz 26; vom  – , BFHE 217, 59, BStBl II 2010, 999, unter II.2.a, und vom  – , BFHE 157, 458, BStBl II 1989, 815, unter II.1.a). Demgemäß hat der BFH bereits entschieden, dass von § 4 Nr. 21 Buchst. b Doppelbuchst. bb UStG nur die von selbständigen Lehrern persönlich erbrachten Unterrichtsleistungen an privaten Schulen und anderen allgemeinbildenden oder berufsbildenden Einrichtungen erfasst sind (Senatsurteil vom  – , BFHE 217, 332, unter II.2.c bb). Zudem hat der BFH ebenfalls schon entschieden, dass nicht der Verkauf von Lehr- und Lernmaterial, sondern erst deren Verwendung dem Schulzweck unmittelbar dient und die entgeltliche Überlassung sich lediglich als eine mittelbar dem Schul- und Bildungszweck dienende Leistung darstellt (Senatsurteil vom  – , BFHE 146, 181, BStBl II 1986, 499, unter II.1.).

Das Finanzgericht (FG) ist von diesen Rechtsgrundsätzen ausgegangen und hat im Ergebnis persönlich erbrachte Unterrichtsleistungen der Klägerin in Bezug auf die Erstellung der Lehrbriefe, Übungsaufgaben und Kurzvideos verneint. Es hat nach seiner nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen, nach § 118 Abs. 2 FGO bindenden Würdigung angenommen, die Klägerin habe mit der Erstellung dieser Materialien, die sie einer GmbH überließ, die Fern- und Präsenzlehrgänge zur Vorbereitung auf die Steuerberater- und Steuerfachwirtprüfung anbot, keine Unterrichtsleistung erbracht, weil es an der für eine Unterrichtsleistung charakteristischen Möglichkeit einer Einflussnahme durch den persönlichen Kontakt mit den Studenten fehle.

c) Dass die Klägerin die von ihr aufgeworfene Rechtsfrage darauf stützt, dass sie zeitversetzt für Rückfragen zu den Lehrbriefen, Übungsaufgaben und Kurzvideos den Lehrgangsteilnehmern per E-Mail oder telefonisch zur Verfügung gestanden habe, führt nicht zur Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung.

Denn das FG hat insoweit die Klageabweisung auch darauf gestützt, dass die zeitversetzte Beantwortung in lediglich abrundender, untergeordneter Bedeutung zu den Lehrbriefen stehe und als Nebenleistung das Schicksal der als Hauptleistung anzusehenden, nicht steuerbefreiten Erstellung der Lehrbriefe teile. Ist das Urteil des FG aber --wie hier-- kumulativ auf mehrere Begründungen gestützt, von denen jede für sich das Entscheidungsergebnis trägt, muss für jede dieser Begründungen ein Zulassungsgrund i. S. des § 115 Abs. 2 FGO schlüssig dargelegt werden (, BFH/NV 2016, 1250, Rz 25, m. w. N.). Daran fehlt es hier in Bezug auf die Würdigung des FG, wonach der zeitversetzte Kontakt zwischen der Klägerin und den Lehrgangsteilnehmern lediglich unselbständige Nebenleistung ist.

Diese Würdigung beruht auf der ständigen Rechtsprechung des BFH und des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH). Danach ist bei einem wirtschaftlichen Vorgang, der ein Leistungsbündel darstellt, eine Gesamtbetrachtung erforderlich, um zu ermitteln, ob sich ihm eine oder mehrere Leistungen entnehmen lassen, wobei jede Leistung in der Regel als eigene, selbständige Leistung zu betrachten ist. Abweichend von dieser Regel liegt allerdings eine einheitliche Leistung dann vor, wenn mehrere Einzelleistungen oder Handlungen des Steuerpflichtigen für den Kunden so eng miteinander verbunden sind, dass sie objektiv eine einzige untrennbare wirtschaftliche Leistung bilden, deren Aufspaltung wirklichkeitsfremd wäre. Zudem stellt ein wirtschaftlicher Vorgang dann eine einheitliche Leistung dar, wenn ein oder mehrere Teile als die Hauptleistung, andere Teile dagegen als Nebenleistungen anzusehen sind, die das steuerliche Schicksal der Hauptleistung teilen. Dabei ist eine Leistung als Nebenleistung zu einer Hauptleistung anzusehen, wenn sie aus der Sicht des Durchschnittsverbrauchers für die Kundschaft keinen eigenen Zweck, sondern das Mittel darstellt, um die Hauptleistung des Leistungserbringers unter optimalen Bedingungen in Anspruch zu nehmen. Dabei kann auch der jeweilige Wert jeder der Leistungen, aus denen sich der wirtschaftliche Vorgang zusammensetzt, zu berücksichtigen sein, wobei sich der eine im Verhältnis zum anderen als gering oder gar marginal herausstellt (z. B. , EU:C:2021:167, Rz 37 ff.; z. B. Senatsurteil vom  – , BFHE 266, 430, BStBl II 2020, 356, Rz 28 ff.).

2. Die Revision ist nicht nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO wegen Divergenz (Erfordernis einer Entscheidung des BFH zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung) zuzulassen.

a) Die Zulassung der Revision wegen Divergenz setzt voraus, dass das FG in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen Gerichts abgewichen ist, dass dabei über dieselbe Rechtsfrage entschieden wurde und diese für beide Entscheidungen rechtserheblich war, dass die Entscheidungen zu gleichen oder vergleichbaren Sachverhalten ergangen sind, dass die abweichend beantwortete Rechtsfrage im Revisionsverfahren geklärt werden kann und dass eine Entscheidung des BFH zur Wahrung der Rechtseinheit erforderlich ist. Ferner muss das Urteil des FG im Grundsätzlichen von der Divergenzentscheidung abweichen (, BFH/NV 2019, 515, Rz 12, m. w. N.). Es genügt nicht, wenn das FG Rechtsprechungsgrundsätze auf die Besonderheiten des Einzelfalls fehlerhaft angewendet hat (, BFH/NV 2016, 1293, Rz 16).

b) Das FG-Urteil weicht nicht von den bezeichneten Divergenzentscheidungen (Senatsurteile in BFHE 157, 458, BStBl II 1989, 815, und in BFHE 217, 59, BStBl II 2010, 999) ab.

Entgegen der Darlegung der Klägerin hat das FG schon nicht konkludent den tragenden Rechtssatz aufgestellt, dass „eine Unterrichtsleistung […] nur dann unmittelbar dem Schul- und Bildungszweck [diene], wenn Lehrer durch persönlichen, nicht zeitlich nachgelagerten Kontakt zu den Schülern Einfluss nehmen können”. Vielmehr ist es ausgehend von den Rechtsgrundsätzen der genannten Urteile (s. a. unter 1.b) zu dem Schluss gekommen, die Erstellung der Lehrbriefe, Übungsaufgaben und Kurzvideos stelle keine unmittelbar dem Schul- und Bildungszweck dienende Unterrichtsleistung dar, weil die für eine Unterrichtsleistung charakteristische Möglichkeit einer Einflussnahme durch den persönlichen Kontakt mit den Studenten fehle. Die Erstellung des Unterrichtsmaterials stellte sich dem FG danach als nur mittelbar dem Schul- und Bildungszweck dienende Leistung dar (vgl. Senatsurteil in BFHE 146, 181, BStBl II 1986, 499, unter II.1.).

Hinsichtlich der zeitversetzten Beantwortung von Fragen zum Lernmaterial verneinte das FG einen unmittelbaren Zusammenhang mit einem Unterrichtsgeschehen und stellte zudem darauf ab, dass die Beantwortung nur „mittelbar über den Server (Postfach) der GmbH” erfolgte und dass die Beantwortung lediglich Nebenleistung zur Erstellung der Materialien als nicht steuerbefreite Hauptleistung war. In Bezug auf diese kumulative Begründung des FG fehlt es an einer Darlegung eines Zulassungsgrunds (s. unter 1.c).

3. Die Revision ist nicht nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO wegen eines (qualifizierten) Rechtsfehlers zuzulassen.

a) Dieser Zulassungsgründ ist nur gegeben, wenn die Entscheidung des FG in einem solchen Maße fehlerhaft ist, dass das Vertrauen in die Rechtsprechung nur durch eine höchstrichterliche Korrektur der finanzgerichtlichen Entscheidung wiederhergestellt werden kann; die Entscheidung muss objektiv willkürlich erscheinen oder greifbar gesetzwidrig sein. Greifbare Gesetzwidrigkeit ist anzunehmen, wenn das Urteil jeglicher gesetzlichen Grundlage entbehrt oder auf einer offensichtlich Wortlaut und Gesetzeszweck widersprechenden Gesetzesauslegung beruht. Eine Entscheidung ist dann (objektiv) willkürlich, wenn die fehlerhafte Rechtsanwendung bei verständiger Würdigung nicht mehr verständlich ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass sie auf sachfremden Erwägungen beruht. Von Willkür kann dagegen nicht gesprochen werden, wenn das Gericht sich mit der Rechtslage eingehend auseinandergesetzt hat und seine Auffassung nicht jedes sachlichen Grundes entbehrt. Unterhalb dieser Schwelle liegende (auch erhebliche) Rechtsfehler reichen dagegen nicht aus, um eine greifbare Gesetzwidrigkeit oder eine Willkürlichkeit der angefochtenen Entscheidung anzunehmen. Fehler in der Anwendung des materiellen Rechts im konkreten Einzelfall rechtfertigen für sich genommen nicht die Zulassung der Revision. Die Voraussetzungen eines qualifizierten Rechtsanwendungsfehlers sind in der Beschwerdeschrift darzulegen, insbesondere der schwerwiegende Fehler, seine Offensichtlichkeit sowie seine Korrekturmöglichkeit im Revisionsverfahren (z. B. , BFH/NV 2019, 545, Rz 33, m. w. N.).

b) Ein derartiger (qualifizierter) Rechtsfehler liegt nicht vor, auch wenn die Klägerin meint, das FG unterliege einem Zirkelschluss und verstoße damit gegen die Grundsystematik der Umsatzsteuer sowie gegen Denkgesetze, weil es im Hinblick auf die Möglichkeit der Studenten, mit der Klägerin in Kontakt zu treten, zuerst unterstellt habe, die Lehrbrieferstellung sei als Hauptleistung nicht steuerbefreit, und dann angenommen habe, der Kontakt mit den Studenten teile als Nebenleistung das steuerliche Schicksal der Hauptleistung, obwohl zuerst festzustellen sei, ob überhaupt eine einheitliche Leistung vorliege. Damit greift die Klägerin lediglich die materiell-rechtliche Auffassung des FG an, ohne einen (qualifizierten) Rechtsfehler des FG zu begründen. Das FG hat im Übrigen unter Hinweis auf die BFH-Rechtsprechung angenommen, dass im Streitfall die Möglichkeit zur zeitversetzten Beantwortung von Fragen der Lehrgangsteilnehmer als Nebenleistung anzusehen sei (s. a. unter 1.c).

4. Die Revision ist nicht zur Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO) zuzulassen.

Die von der Klägerin zur Rechtsfortbildung aufgeworfene Rechtsfrage, ob „eine unterrichtende Person immer dann bereits als ‘Privatlehrer’ i. S. des Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL tätig [wird], wenn sie für eigene Rechnung und in eigener Verantwortung handelt, oder [ob] an das Merkmal ’Privatlehrer’ weitere Anforderungen zu stellen [sind]”, ist nicht klärbar.

Der EuGH hat in seinem Urteil Eulitz vom  –  (EU:C:2010:47, Leitsatz 2) entschieden, dass Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. j der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage, der Art. 132 Abs. 1 Buchst. j der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem entspricht, dahin auszulegen ist, dass eine Person, die als Lehrkraft im Rahmen der von einer dritten Einrichtung angebotenen Lehrveranstaltungen Leistungen erbringt, unter Umständen wie den im Ausgangsverfahren gegebenen nicht als „Privatlehrer” im Sinne dieser Bestimmung angesehen werden kann. Erforderlich ist danach, dass der Unternehmer Träger der Bildungseinrichtung ist, an der die Bildungsmaßnahmen erbracht werden (vgl. EuGH-Urteil Eulitz, EU:C:2010:47, Rz 52 ff.).

Nach diesen Grundsätzen kann die Klägerin bereits schon deshalb nicht als „Privatlehrerin” gelten, weil nach den gemäß § 118 Abs. 2 FGO bindenden Feststellungen des FG nicht sie, sondern die GmbH die Fernlehrgänge den Teilnehmern anbietet, und insoweit die Umstände des Streitfalls denen des EuGH-Urteils Eulitz (EU:C:2010:47) vergleichbar sind (vgl. auch , BFHE 257, 471, Rz 39).

5. Von einer Darstellung des Sachverhalts sowie einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 116 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 FGO).

6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BFH:2022:B.010222.VB45.21.0

Fundstelle(n):
NWB-Eilnachricht Nr. 47/2022 S. 3308
PAAAJ-15894