Leitsatz
Dem Erlass eines Verlustfeststellungsbescheides nach § 10d EStG steht solange keine Feststellungsverjährung entgegen, als diese Feststellung für künftige Einkommensteuerfestsetzungen oder Verlustfeststellungen nach § 10d EStG von Bedeutung ist.
Gesetze: AO 1977 § 181 Abs. 1, 5AO 1977 § 182 Abs. 2AO 1977 EStG a.F. § 10d Abs. 3 (heute: § 10d Abs. 4)
Instanzenzug: (EFG 2001, 1532) (Verfahrensverlauf),
Tatbestand
I.
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) betrieb von 1985 bis Oktober 1990 einen Gewerbebetrieb. Im Veranlagungszeitraum 1989 betrug der Gesamtbetrag der Einkünfte des Klägers ./. 625 974 DM, wovon der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) gemäß § 10d Abs. 1 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) 77 474 DM auf die Veranlagungszeiträume 1987 und 1988 zurücktrug. Die Einkommensteuer 1989 wurde zuletzt mit Bescheid vom auf 0 DM festgesetzt.
Die Einkommensteuer 1990 wurde aufgrund geschätzter Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von 1 000 DM auf 0 DM festgesetzt. Eine gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs zum nach § 10d Abs. 3 EStG unterblieb. Für die Jahre 1991 bis 1996 wurden keine Einkommensteuerveranlagungen durchgeführt.
Am beantragte der Kläger Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs zur Einkommensteuer zum . Dies lehnte das FA unter Hinweis auf den Ablauf der Feststellungsfrist am ab. Auch dem Antrag des Klägers vom auf Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs zur Einkommensteuer zum entsprach es nicht; es fehle an einer Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs zum . Die gegen die Ablehnungsbescheide erhobenen Einsprüche blieben erfolglos.
Der auf Verlustfeststellung zum und gerichteten Klage gab das Finanzgericht (FG) statt (Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 2001, 1532).
Mit seiner Revision rügt das FA Verletzung der §§ 181 Abs. 5, 171 Abs. 3 der Abgabenordnung (AO 1977) und beantragt, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Klage als unbegründet abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Gründe
II.
Die Revision ist als unbegründet zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Das FG hat das FA zu Recht dazu verpflichtet, den verbleibenden Verlustabzug zur Einkommensteuer zum und gesondert festzustellen.
1. Gemäß § 10d Abs. 3 Satz 1 EStG in der in den Streitjahren 1990 und 1991 geltenden Fassung ist der am Schluss eines Veranlagungszeitraums verbleibende Verlustabzug i.S. des § 10d Abs. 3 Satz 2 EStG gesondert festzustellen. Hierzu ist das FA von Amts wegen verpflichtet (vgl. z.B. , BFHE 195, 545, BFH/NV 2001, 1627; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, Vor § 179 AO 1977 Tz. 6; Söhn in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 179 AO 1977 Rdnr. 11). In die (erstmalige) Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs zum ist auch der aus dem Veranlagungszeitraum 1989 verbliebene, wenn auch seinerzeit nicht festgestellte Verlustabzug, mit einzubeziehen (vgl. , BFH/NV 1997, 180).
2. Der zum verbliebene Verlustabzug kann trotz eines möglichen Ablaufs der gemäß § 181 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 169 ff. AO 1977 geltenden Feststellungsfristen (vgl. z.B. Tipke/Kruse, a.a.O., § 181 AO 1977 Tz. 5 ff., 19) noch gesondert festgestellt werden.
a) Nach § 181 Abs. 5 AO 1977 kann eine gesonderte Feststellung auch nach Ablauf der für sie geltenden Feststellungsfrist insoweit erfolgen, als die gesonderte Feststellung für eine Steuerfestsetzung von Bedeutung ist, für die die Festsetzungsfrist im Zeitpunkt der gesonderten Feststellung noch nicht abgelaufen ist. Das Gleiche gilt, wenn die gesonderte Feststellung Grundlagenbescheid für einen weiteren Feststellungsbescheid ist. Denn gemäß § 181 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 gelten für die gesonderte Feststellung die Vorschriften über die Durchführung der Besteuerung und damit auch § 181 Abs. 5 AO 1977 sinngemäß (, BFHE 189, 309, BStBl II 1999, 747).
b) Gemäß § 181 Abs. 5 AO 1977 steht einer Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs zum Feststellungsverjährung nicht entgegen.
aa) Die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs zum ist - zumindest - von Bedeutung i.S. des § 181 Abs. 5 AO 1977 für die gesonderten Feststellungen des verbleibenden Verlustabzugs zum sowie der Folgejahre. Im Streitfall kann daher offen bleiben, ob, ggf. inwieweit die Verlustfeststellung zum für die Festsetzung der Einkommensteuer 1991 ff. (hier: keine Veranlagungen für 1991 ff.) von Bedeutung ist.
Dass eine Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs zum für spätere Verlustfeststellungsbescheide von Bedeutung ist, ergibt sich aus der Definition des verbleibenden Verlustabzugs in § 10d Abs. 3 Satz 2 EStG. Danach ist verbleibender Verlustabzug der bei der Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte nicht ausgeglichene Verlust, vermindert um die nach § 10d Abs. 1 und 2 EStG abgezogenen Beträge und vermehrt um den auf den Schluss des vorangegangenen Veranlagungszeitraums festgestellten verbleibenden Verlustabzug. Ein auf den Schluss eines Veranlagungszeitraums festgestellter verbleibender Verlustabzug ist damit von - teils unmittelbarer, teils mittelbarer - Bedeutung für die Einkommensteuerfestsetzungen und Feststellungen des verbleibenden Verlustabzugs künftiger Veranlagungszeiträume i.S. des § 182 Abs. 1 Satz 1, § 181 Abs. 5 AO 1977.
bb) "Von Bedeutung" i.S. des § 181 Abs. 5 AO 1977 sind Feststellungsbescheide nicht nur für Steuerfestsetzungs- oder Feststellungsbescheide desselben oder des unmittelbar anschließenden Veranlagungszeitraums. Eine solche Einschränkung enthält weder § 181 Abs. 5 AO 1977 noch der die Bindungswirkung der Feststellungsbescheide umschreibende § 182 Abs. 1 Satz 1 AO 1977. In diesem Sinne ist für den vergleichbaren Fall eines nach § 180 Abs. 1 Nr. 2 a AO 1977 einheitlich und gesondert festgestellten Verlusts - jedenfalls für die Zeit vor Einführung der gesonderten Feststellung nach § 10d Abs. 3 EStG - die Verlustfeststellung nicht nur für das Jahr der Entstehung des Verlustes, sondern auch für die folgenden Jahre hinsichtlich des Verlustvortrags bindend (vgl. § 10d Satz 4 EStG a.F.; , BFHE 73, 441, BStBl III 1961, 427; vom VIII R 217/84, BFHE 157, 427, BStBl II 1989, 792; vom III R 38/88, BFH/NV 1990, 369). Auch diese Bindung ist nur eine mittelbare, denn die Höhe des endgültigen Verlustvortrags bestimmt sich nicht unmittelbar aus der Verlustfeststellung, sondern danach, ob, ggf. inwieweit der festgestellte Verlust im Jahr der Feststellung bei der Veranlagung ausgeglichen oder in Vorjahren nach § 10d EStG abgezogen wurde. Eine entsprechende mittelbare Bindung entfaltet ein Verlustfeststellungsbescheid nach § 180 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 - auch nach Einführung des gesonderten Feststellungsverfahrens nach § 10d Abs. 3 EStG - für den zweijährigen Verlustrücktrag (, BFH/NV 2001, 1026).
cc) Weder Sinn und Zweck des § 181 Abs. 5 AO 1977 noch des § 10d Abs. 3 EStG schließen es aus, die gleichermaßen mittelbare Bindung der Feststellung eines verbleibenden Verlustabzugs für spätere Veranlagungszeiträume unberücksichtigt zu lassen.
Feststellungsbescheide haben keinen Selbstzweck. § 181 Abs. 5 AO 1977 ist Ausfluss ihrer dienenden Funktion (vgl. Gesetzesbegründung BTDrucks VI/1982, S. 157; vgl. z.B. auch , BFHE 193, 392, BStBl II 2001, 156). Nach § 181 Abs. 5 AO 1977 hat die verfahrensmäßige Verselbständigung des Feststellungsverfahrens hinter der materiellen Richtigkeit der Folgebescheide zurückzutreten, für die noch keine Festsetzungs- oder Feststellungsverjährung eingetreten ist. Durch die Technik der separaten Feststellung von Besteuerungsgrundlagen dürfen dem Steuerpflichtigen weder Vorteile noch Nachteile entstehen (vgl. z.B. , BFHE 170, 336, BStBl II 1994, 381, m.w.N.; Söhn in Hübschmann/Hepp/Spitaler, a.a.O., § 181 AO 1977 Rdnr. 39; Tipke/Kruse, a.a.O., § 181 AO 1977 Tz. 19, m.w.N.). Dieses gesetzliche Vorverständnis von Sinn und Zweck der Feststellungsbescheide verbietet es, die "Bedeutung" der gesonderten Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs nach § 10d Abs. 3 EStG auf den folgenden Veranlagungszeitraum zu beschränken und auf diese Weise vortragsfähige Verluste allein wegen der Feststellungsverjährung untergehen zu lassen.
Wollte man - wie das FA - dem Bescheid über die Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs nur "Bedeutung" für die Bescheide des folgenden Veranlagungszeitraumes zukommen lassen, wäre zudem das mit der Änderung des § 10d EStG verfolgte gesetzgeberische Ziel ins Gegenteil verkehrt. Vor Einführung einer gesonderten Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs entsprach es ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung, über den Verlustabzug jeweils im Jahr des Verlustrück- oder -vortrags zu entscheiden (vgl. z.B. , BFH/NV 2001, 757, m.w.N.). Ab dem Veranlagungszeitraum 1990 sollte durch den Wegfall der zeitlichen Begrenzung des Verlustvortrages die Möglichkeit des Verlustabzugs mit dem Ziel der Verbesserung der Liquidität der Unternehmen erweitert werden (vgl. Bericht des Finanzausschusses BTDrucks 11/2536, S. 78). Mit diesem gesetzgeberischen Anliegen wäre es nicht zu vereinbaren, vortragsfähige Verluste bereits mit Ablauf der Verjährung des Feststellungsbescheides für den der Verlustentstehung folgenden Veranlagungszeitraum untergehen zu lassen.
Darin lag auch nicht Sinn und Zweck der Einführung der gesonderten Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs ab 1990. Diese sollte lediglich den zeitlich unbegrenzten Verlustvortrag praktikabel machen. Dabei ist auch zu bedenken, dass die Finanzbehörden zur Feststellung nach § 10d Abs. 3 Satz 1 EStG von Amts wegen verpflichtet sind und die Folgen einer pflichtwidrigen Unterlassung nicht den Steuerpflichtigen treffen dürfen. Mit einer pflichtgemäßen zeitnahen Nachholung der Feststellung nach § 10d Abs. 3 Satz 1 EStG hätte das FA zudem jederzeit den vom ihm befürchteten praktischen Schwierigkeiten begegnen können.
dd) Die Urteile des erkennenden Senats vom XI R 62/97 (BFHE 187, 523, BStBl II 2000, 3) und in BFHE 195, 545, BFH/NV 2001, 1627 sind im Streitfall nicht einschlägig. Sie betrafen Fälle, in denen der Steuerpflichtige in Abweichung von dem im Einkommensteuerbescheid ermittelten positiven Gesamtbetrag der Einkünfte im gesonderten Feststellungsverfahren nach § 10d Abs. 3 EStG die Feststellung eines Verlustes begehrte.
3. Mit der Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs zum steht auch der beantragten Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs zum nichts mehr entgegen (vgl. auch § 56 Satz 2 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Verwaltungsanweisungen:
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BStBl 2002 II Seite 681
BB 2002 S. 2058 Nr. 40
BFH/NV 2002 S. 1506 Nr. 11
BFHE S. 395 Nr. 198
BStBl II 2002 S. 681 Nr. 18
DB 2002 S. 2089 Nr. 40
DStRE 2002 S. 1345 Nr. 21
FR 2002 S. 1193 Nr. 21
KÖSDI 2002 S. 13459 Nr. 10
TAAAA-89317