Erhöhung des laufenden Gewinns durch Änderung nach § 174 Abs. 4 AO (Widerstreitende Steuerfestsetzung) nach erfolgreicher Klage gegen Feststellung eines Aufgabegewinns, wenn Betriebseinnahmen zuvor als Teil des Aufgabegewinns behandelt wurden
Leitsatz
1. Wird bei einer Klage gegen einen Gewinnfeststellungsbescheid die dem Grunde nach angefochtene Feststellung eines Aufgabegewinns aufgehoben, weil im Streitjahr keine Betriebsaufgabe vorlag, so ist der laufende Gewinn zu erhöhen, wenn Betriebseinnahmen des Streitjahres zuvor als Teil des Aufgabegewinns festgestellt waren.
2. Unterlässt das FG die Erhöhung des laufenden Gewinns, weil es der Auffassung ist, hierzu sei nur das FA nach Maßgabe der Vorschriften über widerstreitende Steuerfestsetzungen befugt, so kann das FA eine derartige Änderung nach § 174 Abs. 4 AO 1977 durchführen.
Gesetze: FGO § 65 Abs. 1AO 1977 § 174 Abs. 4
Instanzenzug: FG München (EFG 1999, 1166) (Verfahrensverlauf),
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine GmbH & Co. KG, ist Rechtsnachfolgerin der im Streitjahr bestehenden X OHG.
Die OHG meldete zum ein Gewerbe ,,Kunstmühle und Transportunternehmen'' an. Den Mühlenbetrieb stellte sie zum ein. In den Kalenderjahren 1980 und 1981 veräußerte sie die Restbestände an Mehlerzeugnissen, die zum Zeitpunkt der Produktionseinstellung noch vorhanden waren.
Am meldete die OHG den Betrieb ,,Getreidemühle'' bei der Gemeinde rückwirkend zum ab. Zum meldete die OHG bei der Gemeinde das Gewerbe ,,Baustoffhandel'' an. Sämtliche Gewerbezweige wurden auf einem Grundstück betrieben, das einem der beiden Gesellschafter der OHG gehörte und in einer Sonderbilanz als Betriebsvermögen bilanziert war. Das auf dem Grundstück stehende Gebäude diente zur Hälfte dem Mühlenbetrieb. Der dem Mühlenbetrieb dienende Gebäudeteil wurde im Jahr 1985 als Abgang im Streitjahr 1983 verbucht.
Im Mai 1983 wurde das Mühlengebäude durch einen Brand beschädigt. Die Einrichtungsgegenstände (Buchwert 9 DM) wurden nahezu vollständig zerstört. Die anteilige Versicherungsentschädigung für die Mühleneinrichtung betrug nach der - der Höhe nach unstreitigen - Berechnung des Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA -) 79 318 DM. Nach der Reparatur der Gebäudeschäden wurde die eine Hälfte des Gebäudes weiterhin für das Fuhrunternehmen genutzt.
Für das Streitjahr 1983 stellte das FA mit Bescheid vom zunächst den Gewinn entsprechend einer Schätzung des Steuerpflichtigen mit 52 664 DM fest. Dieser Bescheid erging unter Vorbehalt der Nachprüfung.
Mit Änderungsbescheid vom setzte das FA die laufenden Gewinneinkünfte entsprechend der zwischenzeitlich eingereichten ,,endgültigen Steuererklärung'' auf 51 898 DM herab. Der Vorbehalt der Nachprüfung blieb bestehen.
Im Rahmen der Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung stellte das FA mit Änderungsbescheid vom die Einkünfte auf 186 503 DM fest. Darin ist ein laufender Gewinn von 51 898 DM und ein tarifbegünstigter Aufgabegewinn wegen der Aufgabe des Mühlenbetriebs in Höhe von 134 605 DM enthalten. Der Aufgabegewinn umfasste u. a. die auf die Mühleneinrichtung entfallende anteilige Versicherungsentschädigung in Höhe von 79 318 DM. Dieser Feststellung lag die Wertung des FA zugrunde, der Mühlenbetrieb sei ein Teilbetrieb gewesen, den die OHG im Jahr 1983 nach dem Brand aufgegeben habe.
Gegen diesen Änderungsbescheid legte der Kläger mit der Begründung erfolglos Einspruch ein, ein etwaiger Aufgabegewinn aus dem Mühlenbetrieb sei im Kalenderjahr 1982 zu erfassen, da die OHG ihren Mühlenbetrieb bereits in diesem Jahr aufgegeben habe.
Mit Urteil vom hob das Finanzgericht (FG) München im 1. Rechtsgang den Änderungsbescheid vom und die Einspruchsentscheidung vom insoweit auf, als hierin ein Aufgabegewinn von 134 605 DM festgestellt wurde. Zur Begründung führte das FG an, es könne dahingestellt bleiben, ob die Getreidemühle die Voraussetzungen eines Teilbetriebs erfülle. Jedenfalls sei ein etwaiger Teilbetrieb nicht im Streitjahr 1983 aufgegeben worden. Eine Teilbetriebsaufgabe erfordere die Entnahme der wesentlichen Betriebsgrundlagen. Wesentliche Betriebsgrundlage sei das Betriebsgrundstück gewesen, das erst im Jahr 1985 durch die Ausbuchung entnommen worden sei. Entnahmeverhandlungen seien tatsächliche Handlungen, die keine Rückwirkung entfalten könnten.
Da die OHG im Jahr 1983 keinen Teilbetrieb aufgegeben habe, sei die Feststellung eines Aufgabegewinns in diesem Jahr aufzuheben. Entgegen der Ansicht der Klägerin sei auch im Jahr 1982 keine Aufgabe eines etwaigen Teilbetriebs ,,Getreidemühle'' erfolgt. Das FA hätte daher richtigerweise die Versicherungsentschädigung abzüglich des Buchwerts als laufenden Gewinn versteuern müssen. Eine Saldierung zwischen einem Aufgabegewinn und einem laufenden Gewinn sei dem FA verwehrt. Da die OHG nur die Feststellung des Aufgabegewinns angegriffen habe, könne das FG nur hierüber entscheiden. Es sei dem FA aber unbenommen, in Änderungsbescheiden gemäß § 174 Abs. 4 der Abgabenordnung (AO 1977) für die Jahre 1983 und 1985 die zutreffenden Besteuerungsgrundlagen festzustellen.
Vor der Entscheidung im Vorprozess hatte das FG die Klägerin darüber in Kenntnis gesetzt, dass es die dem Urteil zu Grunde liegende rechtliche Würdigung in Betracht ziehe und eine Klagerücknahme anheimgestellt.
Das FA erließ daraufhin am einen geänderten Feststellungsbescheid 1983, in dem der laufende Gewinn einschließlich der den Buchwert übersteigenden anteiligen Versicherungsentschädigung für das Mühleninventar auf 131 207 DM festgesetzt wurde.
Einspruch und Klage gegen den Änderungsbescheid blieben erfolglos. Der Gerichtsbescheid des FG ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1999, 1166 veröffentlicht.
Mit der vom FG wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine fehlerhafte Anwendung des § 174 Abs. 4 AO 1977 und eine Divergenz zu dem (BFHE 168, 231, BStBl II 1992; 867).
Gründe
Die Revision ist unbegründet. Sie war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
Das FG hat im Ergebnis zutreffend erkannt, dass das FA befugt war, den angefochtenen Änderungsbescheid nach § 174 Abs. 4 AO 1977 zu erlassen.
Nach § 174 Abs. 4 Satz 1 AO 1977 können, wenn aufgrund irriger Beurteilung eines bestimmten Sachverhalts ein Steuerbescheid ergangen ist, der aufgrund eines Rechtsbehelfs oder sonst auf Antrag des Steuerpflichtigen durch die Finanzbehörde zu seinen Gunsten aufgehoben oder geändert wird, aus dem Sachverhalt nachträglich durch Erlass oder Änderung eines Steuerbescheides die richtigen steuerlichen Folgerungen gezogen werden. Dies gilt auch dann, wenn der Steuerbescheid durch das Gericht aufgehoben oder geändert wird (§ 174 Abs. 4 Satz 2 AO 1977).
Diese Voraussetzungen für den Erlass eines Änderungsbescheides sind im Streitfall erfüllt.
1. Durch die am erfolgte Änderung des Feststellungsbescheides hat das FA gemäß § 174 Abs. 4 Satz 1 und 2 AO 1977 aus dem Sachverhalt innerhalb der Frist des Satzes 3 nachträglich die richtigen steuerlichen Folgerungen aus dem gezogen.
Das FA hatte die auf die Mühleneinrichtung entfallende anteilige Versicherungsentschädigung in dem Feststellungsbescheid vom als Teil eines Aufgabegewinns behandelt, da es der Ansicht war, im Streitjahr 1983 sei ein Teilbetrieb ,,Kunstmühle'' aufgegeben worden. Wie das FG im 1. Rechtsgang durch rechtskräftiges Urteil vom 13 K 3517/93 erkannte, war diese Beurteilung fehlerhaft, da im Jahr 1983 kein Teilbetrieb ,,Getreidemühle'' aufgegeben wurde. Das FG hatte deshalb im 1. Rechtsgang zugunsten der Klägerin den Gewinnfeststellungsbescheid für das Streitjahr insoweit aufgehoben, als hierin ein Aufgabegewinn festgestellt war. Wie das FG erkannte, war ein etwaiger Teilbetrieb - entgegen der Ansicht der Klägerin - auch nicht im Jahr 1982, sondern allenfalls im Jahr 1985 aufgegeben worden. Die Differenz zwischen der anteiligen Versicherungsentschädigung für die Mühleneinrichtung und deren Buchwert war daher bei richtiger steuerlicher Beurteilung ein Teil des laufenden Gewinns des Jahres 1983.
2. Die Änderung des Feststellungsbescheides war nicht dadurch ausgeschlossen, dass der geänderte Bescheid bereits Gegenstand einer gerichtlichen Nachprüfung war.
a) Der Wortlaut des § 174 Abs. 4 Satz 1 i. V. m. Satz 2 AO 1977 lässt die Auslegung zu, dass der nämliche Bescheid, der Gegenstand der gerichtlichen Nachprüfung war, nochmals geändert werden kann. Die einschränkende Auslegung, die § 174 Abs. 4 AO 1977 durch das Urteil des XI. Senats in BFHE 168, 231, BStBl II 1992, 867 gefunden hat, steht einer Anwendung dieser Norm im Streitfall nicht entgegen. Maßgebend für die Entscheidung des XI. Senats war die abschließende Entscheidungskompetenz der Gerichte über die Rechtmäßigkeit von Steuerbescheiden. § 174 AO 1977 bietet keine Rechtsgrundlage dafür, einen durch das Gericht geänderten Bescheid zu Lasten des Steuerpflichtigen erneut zu ändern, wenn die Rechtsfolgen vom Gericht bereits in Betracht gezogen, aber aufgrund der Teilbestandskraft des angefochtenen Gewinnfeststellungsbescheides bewusst nicht berücksichtigt wurden.
Der Streitfall ist mit dem Sachverhalt, der dem Urteil in BFHE 168, 231, BStBl II 1992, 867 zu Grunde gelegen hat, nicht vergleichbar. Insbesondere verletzt der streitige Änderungsbescheid nicht die Entscheidungskompetenz des FG im Vorprozess. Das FG hatte in seinem Urteil vom keine abschließende Entscheidung über die Höhe des laufenden Gewinns getroffen.
b) Das stellt nicht etwa deshalb von Rechts wegen eine abschließende Entscheidung über den dem Vorprozess zu Grunde liegenden Gewinnfeststellungsbescheid dar, weil hinsichtlich der Höhe des laufenden Gewinns durch die isolierte Anfechtung des Aufgabegewinns Bestandskraft eingetreten wäre.
Allerdings können die Höhe des laufenden Gewinns einerseits und die eines etwaigen Veräußerungs- oder Aufgabegewinns andererseits verschiedene Streitgegenstände bilden (vgl. z. B. , BFHE 110, 453, BStBl II 1974, 121; vom IV R 3/75, BFHE 122, 2, BStBl II 1977, 509; vom IV R 124/92, BFHE 176,15, BStBl II 1995, 253). So ist die Qualifikation eines Gewinns als laufender oder als steuerbegünstigter Veräußerungs- oder Aufgabegewinn gesondert anfechtbar, wenn die Höhe des Gewinns nicht umstritten ist (Senatsurteil in BFHE 176, 15, BStBl II 1995, 253). Wenn das FA einen Veräußerungsgewinn zu hoch angesetzt hat, kann die mit der Herabsetzung des Veräußerungsgewinns verbundene Herabsetzung des Gesamtgewinns nicht durch Saldierung mit anderweitigen Fehlern bei der Ermittlung des laufenden Gewinns kompensiert werden (Senatsurteil in BFHE 110, 453, BStBl II 1974, 121).
Einzelne Feststellungen sind allerdings nur insoweit gesondert anfechtbar, als sie eine rechtlich selbständige Würdigung beinhalten und eines rechtlich selbständigen Schicksals fähig sind (vgl. insbesondere , BFHE 152, 414, BStBl II 1988, 544). Soweit dagegen die Änderung einer gesondert festgestellten Besteuerungsgrundlage zwangsläufig Auswirkungen auf andere Besteuerungsgrundlagen hat, z. B. indem die beantragte Herabsetzung eines Veräußerungsgewinns zur Erhöhung des laufenden Gewinns führt, erstreckt sich die Anfechtung des Feststellungsbescheides auch auf die materiell-rechtlich hiervon ebenfalls betroffene Besteuerungsgrundlage. Insoweit wird der Feststellungsbescheid nicht teilbestandskräftig (v. Wedelstädt, Teilanfechtung und ihre Folgen, Der Betrieb - DB - 1997, 696, 698; vgl. auch , BFH/NV 1988, 791).
Im Streitfall betraf der Rechtsstreit im Vorprozess die Frage, ob im Jahre 1983 dem Grund nach ein Aufgabegewinn zu erfassen war. Die Qualifikation der den Buchwert übersteigenden anteiligen Versicherungsentschädigung für die Mühleneinrichtung als Teil des laufenden Gewinns war notwendige Folge der Wertung durch das FG, dass weder vor 1983 noch im Streitjahr der Mühlenbetrieb aufgegeben worden sei. Soweit die Höhe von laufendem und etwaigem Aufgabegewinn untrennbar miteinander verknüpft waren, war die Feststellung des Aufgabegewinns im Vorprozess nicht isoliert von den Feststellungen des laufenden Gewinns anfechtbar.
c) Das steht auch nicht etwa deshalb einer Änderung des dem Vorprozess zu Grunde liegenden Gewinnfeststellungsbescheids durch das FA entgegen, weil das FG selbst die Konsequenzen aus der Verneinung eines Aufgabegewinns hätte ziehen müssen, indem es den laufenden Gewinn erhöhte. Wenn das FG stattdessen in seinem Urteil ausdrücklich dem FA anheim stellte, im Wege einer Änderung nach § 174 Abs. 4 AO 1977 die zutreffenden Besteuerungsgrundlagen festzustellen, hat es bewusst über die Höhe des laufenden Gewinns nicht entschieden. Demzufolge entfaltet das was die Höhe des laufenden Gewinns angeht - nach § 110 FGO keine Bindungswirkung. Es kommt insoweit allein darauf an, worüber das FG tatsächlich entschieden hat, nicht dagegen, worüber hätte entschieden werden sollen (, BFH/NV 1990, 650; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 110 FGO Tz. 8; Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung, § 110 Anm. 15). Soweit das keine Bindungswirkung entfaltet, kann es auch nicht die im BFH-Urteil in BFHE 168, 231, BStBl II 1992, 867 betonte ,,abschließende Entscheidungskompetenz'' beanspruchen.
d) Es kann dahinstehen, ob das FG wegen des Verböserungsverbots nur in beschränktem Umfang zu einer Erhöhung des laufenden Gewinns berechtigt gewesen wäre, insbesondere, ob es dem Umstand hätte Rechnung tragen müssen, dass der Aufgabegewinn einem begünstigten Steuersatz unterlegen hätte. Das Verböserungsverbot betrifft naturgemäß nicht die Änderung durch das FA nach § 174 Abs. 4 AO 1977.
Die Belange des Steuerpflichtigen werden in derartigen Fällen dadurch gewahrt, dass das FG unter Beachtung des Verbots von Überraschungsentscheidungen einen Hinweis auf die in Aussicht genommene Erhöhung des laufenden Gewinns gibt und dem Kläger somit ermöglicht, durch Klagerücknahme eine höhere Steuerbelastung zu vermeiden. So ist das FG im Streitfall verfahren.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BStBl 2001 II Seite 89
BB 2000 S. 2244 Nr. 44
BFH/NV 2000 S. 1517 Nr. 12
DB 2000 S. 2355 Nr. 47
DStR 2000 S. 1824 Nr. 43
DStRE 2000 S. 1218 Nr. 22
FR 2000 S. 1235 Nr. 22
IAAAA-89082