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NWB Nr. 23 vom Seite 1714

Zweifelsfragen der Anlaufhemmung nach § 170 Abs. 2 AO

Beginn der Festsetzungsverjährung bei Verpflichtung zur Abgabe einer Steuererklärung oder Erstattung einer Anzeige

Dr. Kai Tiede

[i]Gerlach, Festsetzungsverjährung, infoCenter, NWB EAAAA-88431 Das Ende der Festsetzungsfrist für Steueransprüche hängt zunächst davon ab, wann die Frist zu laufen beginnt. Besteht eine Erklärungspflicht, sieht die Abgabenordnung eine Anlaufhemmung vor, die maximal drei Jahre dauert, aber im Regelfall schon vorher endet, nämlich wenn die Steuererklärung abgegeben wird. Dann beginnt die Festsetzungsverjährung mit Ablauf des Jahres, in dem der Steuerpflichtige die Erklärung abgegeben hat. Die Rechtsprechung hat zu der Frage, unter welchen Voraussetzungen die Einreichung einer Steuererklärung zum Beginn der Festsetzungsfrist führt, bereits vielfach Stellung genommen. Kürzlich hat der BFH entschieden, [i]Webel in Zugmaier/Nöcker, AO-Kommentar, § 170, NWB HAAAG-97818 dass die von einem Dritten abgegebene Umsatzsteuererklärung die Anlaufhemmung beendet, wenn sich nach Abgabe der Steuererklärung herausstellt, dass die vermeintliche umsatzsteuerliche Organschaft tatsächlich nicht besteht (, NWB VAAAH-39359). Der BFH ließ die vom vermeintlichen Organträger abgegebene Umsatzsteuererklärung genügen, um die Anlaufhemmung für die vermeintliche Organgesellschaft zu beenden. Diese und andere Entscheidungen, die sehr kasuistisch ausgefallen und häufig widersprüchlich sind, sollen im nachfolgenden Beitrag systematisch dargestellt und bewertet werden.

Eine Kurzfassung des Beitrags finden Sie .

S. 1715

I. Überblick über die gesetzlichen Regelungen

[i]Anlaufhemmung bei Pflicht zur ErklärungsabgabeDie Festsetzungsfrist beginnt gem. § 170 Abs. 1 AO grundsätzlich mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist. Dieser Grundsatz greift aber nur dann, wenn keine Pflicht zur Abgabe einer Steuererklärung besteht.

Praxishinweis:

Es [i]Keine Anlaufhemmung bei Antragsveranlagungbesteht nunmehr Einigkeit darüber, dass im Fall der Antragsveranlagung zur Einkommensteuer gem. § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG keine Pflicht i. S. von § 170 Abs. 2 AO besteht, sodass die Festsetzungsfrist in diesen Fällen stets mit Ablauf des Veranlagungszeitraums beginnt (keine Anlaufhemmung, vgl. , BStBl 2011 II S. 746). Zu weiteren Konstellationen, in denen die Verpflichtung zur Abgabe einer Steuererklärung problematisch ist, vgl. Coester in König, AO, 3. Aufl. 2014, § 170 Rz. 20; sowie Drüen in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 170 AO Rz. 8 ff., 13. Dies soll hier nicht vertieft werden.

Bei Bestehen einer Erklärungspflicht ordnet § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO an, dass die Festsetzungsfrist erst mit Ablauf des Kalenderjahres beginnt, in dem die Steuererklärung, Steueranmeldung oder Anzeige abgegeben wird. (Im Folgenden wird zur besseren Lesbarkeit nur von „Steuererklärungen“ gesprochen. Für Steueranmeldungen [insbesondere also für Umsatzsteuer-Voranmeldungen, -Jahreserklärungen und Lohnsteuer-Anmeldungen] gelten die Ausführungen für Steuererklärungen entsprechend. Auf die Besonderheiten von Anzeigen wird unter V. eingegangen.)

[i]Typische Gesamtverjährungszeiten bei AnlaufhemmungDiese sog. Anlaufhemmung kann maximal drei Jahre dauern. Bei einer Abgabe der Steuererklärung im Folgejahr verjähren Steueransprüche somit regelmäßig nach fünf Jahren, bei einer Abgabe im Zweitfolgejahr nach sechs Jahren. Bei einer pflichtwidrigen Nichtabgabe der Steuererklärung tritt die Festsetzungsverjährung nach sieben Jahren ein. Sofern die Nichtabgabe der Steuererklärung mit einer Steuerhinterziehung (§ 370 AO) verbunden ist, tritt sogar erst nach 13 Jahren Festsetzungsverjährung ein, im Fall der leichtfertigen Steuerverkürzung nach acht Jahren.