Familienleistungsausgleich im VZ 2000 nicht verfassungswidrig
Instanzenzug: (Verfahrensverlauf), ,
Gründe
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) haben zwei in den Jahren 1995 und 1997 geborene Kinder. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) zog in dem Einkommensteuerbescheid für 2000 keine Kinder- und Betreuungsfreibeträge gemäß § 32 Abs. 6 des Einkommensteuergesetzes (EStG) i.d.F. des Gesetzes zur Familienförderung vom (BGBl I 1999, 2552, BStBl I 2000, 4) ab. Der Bescheid enthält die Erläuterung, die Günstigerprüfung gemäß § 31 Satz 4 EStG habe ergeben, dass die gebotene steuerliche Freistellung des Existenzminimums durch das ausgezahlte Kindergeld bewirkt worden sei.
Nach erfolglosem Einspruch begehrten die Kläger mit ihrer Klage die Herabsetzung ihres zu versteuernden Einkommens um zwei Betreuungsfreibeträge von insgesamt 6 048 DM. Sie räumten ein, dass das FA die §§ 31, 32 Abs. 6, 66 Abs. 1 EStG fehlerfrei angewandt habe. Sie hielten diese Vorschriften aber insoweit für verfassungswidrig (Verstoß gegen Art. 3 und 6 des Grundgesetzes —GG—), als der Gesetzgeber es bei der Einführung des Betreuungsfreibetrags für Kinder unter 16 Jahren von insgesamt 3 024 DM für zusammenveranlagte Ehegatten versäumt habe, das Kindergeld entsprechend anzuheben. Die sog. Günstigerprüfung nach § 31 Satz 4 EStG führe nur bei Steuerpflichtigen mit sehr hohem Einkommen zum Ansatz eines Betreuungsfreibetrags. Durch die gesetzliche Neuregelung sei die vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) aufgegebene einkommensteuerliche Verschonung des Betreuungsbedarfs dem Grunde nach nicht erreicht worden, weil im Rahmen der Günstigerprüfung der auf den Gesamtfreibetrag entfallende Steuervorteil nur bei einem Grenzsteuersatz von über 32,6 v.H. größer sei.
Das Finanzgericht (FG) hat die Klage als unbegründet abgewiesen. Es hat entschieden, die §§ 31, 32 Abs. 6 EStG seien verfassungsgemäß. Wenn die Kläger eine Ungleichbehandlung darin erblickten, dass durch die Einführung des Betreuungsfreibetrages so genannte Besserverdienende absolut gesehen stärker entlastet würden als so genannte Geringverdiener, ergebe sich dies zwangsläufig aus der Progressionswirkung des Einkommensteuertarifs. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgericht (EFG) 2002, 1606 veröffentlicht.
Die Kläger rügen mit ihrer Revision die Verletzung von Art. 6 GG und des Sozialstaatsprinzips. Sie machen geltend, sie hätten nicht das progressive Steuersystem angreifen wollen. Vielmehr sei dem Gesetzgeber vorzuwerfen, sich bei der Umsetzung der Rechtsprechung des BVerfG aus haushaltspolitischen Gründen die Progressionswirkung des Steuertarifs in der Weise zunutze gemacht zu haben, dass die geforderte Entlastung bezüglich der Betreuungskosten bei den meisten Steuerpflichtigen (ca. 80 v.H.) faktisch nicht eintrete.
Die Kläger beantragen,
unter Aufhebung der Vorentscheidung die Einkommensteuer 2000 auf den Betrag zu ermäßigen, der sich bei einer Herabsetzung des zu versteuernden Einkommens um 6 048 DM ergibt, hilfsweise, das Verfahren auszusetzen und eine Entscheidung des BVerfG über die Verfassungsmäßigkeit der §§ 31, 32 Abs. 6 EStG einzuholen.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Die Revision der Kläger ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung —FGO—). Das FG hat zu Recht entschieden, dass der angefochtene Einkommensteuerbescheid den in §§ 31, 32 Abs. 6, 66 Abs. 1 EStG getroffenen Regelungen entspricht und diese Vorschriften verfassungsgemäß sind.
1. Der Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr 2000, in dem keine Kinder- und Betreuungsfreibeträge gemäß § 32 Abs. 6 EStG steuermindernd berücksichtigt worden sind, entspricht —wie auch die Kläger einräumen— der Gesetzeslage.
Gemäß § 32 Abs. 6 Satz 1 EStG in der für das Streitjahr 2000 gültigen Fassung wird bei der Veranlagung zur Einkommensteuer für jedes zu berücksichtigende Kind des Steuerpflichtigen ein Freibetrag von 3 456 DM für das sächliche Existenzminimum des Kindes (Kinderfreibetrag) sowie für jedes Kind, welches das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat oder behindert ist, zusätzlich ein Betreuungsfreibetrag von 1 512 DM vom Einkommen abgezogen. Nach Satz 3 dieser Vorschrift verdoppeln sich die Beträge bei gemeinsamen Kindern von Ehegatten, die nach den §§ 26, 26b EStG zusammen zur Einkommensteuer veranlagt werden.
Nach § 31 Satz 1 EStG wird die steuerliche Freistellung eines Einkommensbetrages in Höhe des Existenzminimums eines Kindes einschließlich des Betreuungsbedarfs entweder durch die Freibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG oder durch das Kindergeld nach dem X. Abschnitt des EStG bewirkt. Gemäß § 31 Satz 4 EStG sind die Freibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG (nur) dann bei der Veranlagung zur Einkommensteuer abzuziehen, wenn die gebotene steuerliche Freistellung nicht in vollem Umfang durch das Kindergeld bewirkt wird.
Im Streitfall hat die nach § 31 Satz 4 EStG erforderliche Vergleichsrechnung (so genannte Günstigerprüfung) zu dem —zwischen den Beteiligten unstreitigen— Ergebnis geführt, dass die Steuerersparnis der Kläger bei Abzug der Kinder- und Betreuungsfreibeträge gemäß § 32 Abs. 6 EStG geringer ist als das an sie ausgezahlte Kindergeld. Deshalb ist die gebotene steuerliche Freistellung eines Einkommensbetrages in Höhe des Existenzminimums einschließlich des Betreuungsbedarfs der Kinder mit der Folge durch das Kindergeld bewirkt, dass der angefochtene Einkommensteuerbescheid den gesetzlichen Vorschriften entspricht.
2. Die in §§ 31, 32 Abs. 6, 66 Abs. 1 EStG getroffenen Regelungen sind entgegen der Ansicht der Kläger verfassungsgemäß.
a) Es ist aus verfassungsrechtlicher Sicht unbedenklich, dass nach § 31 Satz 1 EStG die steuerliche Freistellung eines Einkommensbetrages in Höhe des Existenzminimums eines Kindes einschließlich des Betreuungsbedarfs entweder durch die Freibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG oder durch das Kindergeld nach dem X. Abschnitt des EStG bewirkt wird. Denn das BVerfG hat bei seinen Berechnungen, ob ein Einkommensbetrag in Höhe des Existenzminimums eines Kindes von der Steuer frei gestellt ist, nicht nur den Kinderfreibetrag berücksichtigt, sondern auch das —in einen Freibetrag umgerechnete— Kindergeld einbezogen (vgl. dazu BVerfG-Beschlüsse vom 1 BvL 20/84, 1 BvL 26/84, 1 BvL 4/86, BVerfGE 82, 60, BStBl II 1990, 653; vom 2 BvL 5/91, 2 BvL 8/91, 2 BvL 14/91, BVerfGE 87, 153, BStBl II 1993, 413; vom 2 BvL 42/93, BVerfGE 99, 246, BStBl II 1999, 174; vom 2 BvR 1852/97, 2 BvR 1853/97, BVerfGE 99, 273, BStBl II 1999, 194). Es hat es in das Ermessen des Gesetzgebers gestellt, ob er die verfassungsrechtlich gebotene steuerliche Entlastung durch Steuerfreibeträge oder das Kindergeld herbeiführen will (BVerfG-Beschlüsse in BVerfGE 82, 60, BStBl II 1990, 653, unter C.III.1. der Gründe; in BVerfGE 99, 246, BStBl II 1999, 174, unter C.I.5.c cc der Gründe). Es hat dem Gesetzgeber diese Wahlmöglichkeit auch ausdrücklich in seinem die Betreuung betreffenden Beschluss vom 2 BvR 1057/91, 2 BvR 1226/91 und 2 BvR 980/91 (BVerfGE 99, 216, BStBl II 1999, 182, unter C.I. der Gründe) eingeräumt.
b) Es liegen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, und die Kläger haben auch nicht geltend gemacht, dass die in § 32 Abs. 6 Satz 1 EStG gewährten Freibeträge in ihrer Höhe nicht den Vorgaben durch das BVerfG genügen (vgl. zum sächlichen Existenzminimum BVerfG-Beschlüsse in BVerfGE 82, 60, BStBl II 1990, 653; in BVerfGE 87, 153, BStBl II 1993, 413; in BVerfGE 99, 246, BStBl II 1999, 174; in BVerfGE 99, 273, BStBl II 1999, 194; vgl. zum Betreuungsbedarf als Bestandteil des familiären Existenzminimums BVerfG-Beschluss in BVerfGE 99, 216, BStBl II 1999, 182).
c) Die in §§ 31, 32 Abs. 6, 66 Abs. 1 EStG getroffenen Regelungen sind entgegen der Rechtsansicht der Kläger auch nicht etwa deswegen verfassungswidrig, weil der Gesetzgeber zwar mit Wirkung ab dem Jahr 2000 gemäß den Vorgaben des Beschlusses des BVerfG in BVerfGE 99, 216, BStBl II 1999, 182 einen Betreuungsfreibetrag eingeführt hat, aber das Kindergeld (§ 66 Abs. 1 EStG) nicht in entsprechendem Umfang, sondern nur geringfügig erhöht hat. Die Gesetzesänderung verstößt nicht deshalb gegen das GG, weil sich dadurch der Anteil derjenigen Steuerpflichtigen erhöht hat, bei denen die gebotene steuerliche Freistellung des Existenzminimums nicht durch das Kindergeld, sondern erst durch Abzug der Freibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG bewirkt wird. Denn von Verfassungs wegen ist die Gewährung von Kindergeld als Sozialleistung in einer bestimmten absoluten Mindesthöhe oder in einer Höhe, die zu den Freibeträgen des § 32 Abs. 6 EStG in einem bestimmten Verhältnis steht, nicht geboten. Wie der Senat bereits mit Urteilen vom VIII R 92/98 (BFHE 198, 201, BStBl II 2002, 596) und vom VIII R 80/97 (BFH/NV 2002, 1456) dargelegt hat, ist nach der Rechtsprechung des BVerfG dem in Art. 20 Abs. 1 GG verankerten Sozialstaatsprinzip i.V.m. Art. 6 GG kein Gebot zu entnehmen, Sozialleistungen in einer bestimmten Weise und einem bestimmten Umfang zu gewähren und jegliche die Familien treffenden Belastungen auszugleichen. Der Gesetzgeber war lediglich verpflichtet, das nach sozialhilferechtlichen Kriterien zu ermittelnde Existenzminimum des Steuerpflichtigen und seiner Familie (BVerfG-Beschlüsse in BVerfGE 82, 60, BStBl II 1990, 653, unter C.II.1. und 2. der Gründe; in BVerfGE 99, 246, BStBl II 1999, 174, unter C.I.3.) und ab dem Jahr 2000 zusätzlich einen Betreuungsbedarf (BVerfG-Beschluss in BVerfGE 99, 216, BStBl II 1999, 182) im wirtschaftlichen Ergebnis von der Einkommensteuer freizustellen. Dementsprechend besteht kein Recht auf Kindergeld als staatlicher Hilfe in einer bestimmten Höhe (vgl. Kanzler in Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz, Kommentar, 21. Aufl., § 66 EStG Anm. 4).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Verwaltungsanweisungen:
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2003 S. 1303
BFH/NV 2003 S. 1303 Nr. 10
DStRE 2003 S. 973 Nr. 16
DAAAA-71358