Aufhebung der Vollziehung eines dinglichen Arrests ohne Sicherheitsleistung
Leitsatz
Bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit einer Anordnung des dinglichen Arrests i.S. des § 324 Abs. 1 AO, kann das Gericht die Vollziehung im Einzelfall, insbesondere wenn mit Gewissheit oder großer Wahrscheinlichkeit ein für den Steuerpflichtigen günstiger Prozessausgang zu erwarten ist, auch ohne Sicherheitsleistung aufheben.
Gesetze: AO §§ 69, 71, 324FGO § 69 Abs. 2 und 3
Instanzenzug:
Gründe
I.
1 Mit Bescheid vom ordnete der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) zur Sicherung eines Anspruchs des Freistaates Sachsen und der Bundesrepublik Deutschland in Höhe von ... € den dinglichen Arrest gemäß § 324 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) in das Vermögen des Antragstellers und Beschwerdeführers (Antragsteller) an. Mit Bescheid vom beschränkte das FA die Arrestanordnung auf ... € mit der Begründung, die Anordnung habe nur noch in dieser Höhe als Rechtsgrund Bedeutung für die beim Antragsteller erlangten Sicherungsrechte. In den Bescheiden wird darauf hingewiesen, dass durch Hinterlegung eines Geldbetrages in Höhe der Arrestanordnung die Vollziehung des Arrests gehemmt und die Aufhebung bereits durchgeführter Vollziehungsmaßnahmen erreicht werden könne.
2 Zur Begründung führte das FA aus, der Antragsteller solle in Haftung genommen werden für verkürzte Umsatzsteuer zu Gunsten einer OHG, an der er zu 49,44 % beteiligt sei. Die Steuerschuld ergebe sich aus Vorsteuerabzügen, die die OHG zu Unrecht geltend gemacht habe. Es handele sich insoweit um Umsatzsteuern, die von Scheinfirmen (missing trader) im Rahmen von Umsatzsteuerkarussellen in Rechnung gestellt worden seien. Da insofern Rechnungsaussteller und liefernder Unternehmer nicht identisch seien, sei nicht feststellbar, wer die Ware, die hauptsächlich bar und oft zunächst nur zum Teil bezahlt worden sei, geliefert und die Zahlung tatsächlich vereinnahmt habe. Die die Rechnungen ausstellenden Firmen seien ihren steuerlichen Verpflichtungen regelmäßig nicht nachgekommen. Die betreffenden Waren —hauptsächlich Flachbildschirme— habe die OHG als vermeintliche innergemeinschaftliche Lieferungen in das übrige Gemeinschaftsgebiet veräußert. Der Antragsteller hafte einerseits als vertretungsberechtigter Gesellschafter nach § 69 AO, andererseits bestehe aufgrund vorliegender tatsächlicher Anhaltspunkte der Verdacht der Steuerhinterziehung, so dass als Haftungsnorm auch § 71 AO einschlägig sei. Nach Aktenlage sei davon auszugehen, dass bei steuerlichem Wohlverhalten des Antragstellers der Eintritt des Steuerschadens in vollem Umfang vermieden worden wäre.
3 Da zu besorgen sei, dass ohne Anordnung des dinglichen Arrests die Beitreibung vereitelt oder wesentlich erschwert werde, sei auch ein Arrestgrund gegeben. Gegen den Antragsteller bestehe der Anfangsverdacht der Steuerhinterziehung. Nach den belastbaren Tatsachen seien zu Gunsten der OHG zielgerichtet Steuerstraftaten —und zwar im Rahmen eines Umsatzsteuerkarussells— begangen worden. Der Antragsteller sei wegen seiner Teilnahme an einem Umsatzsteuerbetrugsmodell als besonders steuerunehrlich anzusehen. Aufgrund einer nachhaltigen Begehungsweise und der Höhe des bisher festgestellten Steuerschadens sei zudem eine erhebliche kriminelle Energie gegeben. Nach allgemeiner Lebenserfahrung sei von demjenigen, der sich oder einem Dritten durch eine Straftat einen Vermögensvorteil verschafft hat, zu erwarten, dass er nachhaltige Unternehmungen anstellt, um die Tatvorteile dauerhaft zu sichern. Bereits durch die nachhaltige Verbuchung der Scheinrechnungen sei bereits eine fortwährende Schmälerung des Betriebsvermögens gegeben, die die Annahme eines Arrestgrundes rechtfertige. Die bisherigen Ermittlungen, die auf das Vorliegen eines Umsatzsteuerbetrugsmodells schließen ließen, führten zu der Besorgnis, dass der Antragsteller bestrebt und in der Lage sei, die Geldansprüche des Staates gegen ihn und das von ihm vertretene Unternehmen durch Verschiebung oder Beiseiteschaffung etwaigen Vermögens zu verhindern.
4 Der Antragsteller erhob unter dem Sprungklage und beantragte wegen der bereits andauernden Vollstreckung gleichzeitig beim Finanzgericht (FG) die Aufhebung der Vollziehung der Arrestanordnung. Er machte geltend, die Hinterlegung des streitigen Arrestbetrages sei nicht möglich, weil ihm nach dem Arrestvollzug kein weiteres freies Vermögen zur Verfügung stehe. Sein Antrag gehe auf Aufhebung der Vollziehungsmaßnahmen ohne Sicherheitsleistung und sei mit diesem Rechtsschutzbedürfnis zulässig. Ferner sei der Antrag auch begründet, weil weder ein Arrestanspruch noch ein Arrestgrund gegeben seien.
5 Das FG lehnte den Antrag mit Beschluss vom 6 V 178/12 mangels Rechtsschutzbedürfnis als unzulässig ab. Da die Aufhebung der Vollziehung grundsätzlich nur gegen Sicherheitsleistung ausgesprochen werden könne, könne der Antragsteller nur das erreichen, was er im Wege der Hinterlegung des in der Arrestanordnung bezeichneten Betrags auch ohne Mitwirkung des Gerichts erreichen könne. Es verwies hierzu im Wesentlichen auf den (juris).
6 Der —gemäß § 128 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 115 Abs. 2 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO)— zugelassenen Beschwerde des Antragstellers half das nicht ab und legte die Beschwerde dem Bundesfinanzhof (BFH) vor. Nach Sinn und Zweck einer dinglichen Arrestanordnung sei eine Aussetzung der Vollziehung ohne Sicherheitsleistung nicht möglich. Der vorläufige Charakter der Arrestanordnung stehe der Aufhebung der Vollziehung ohne Sicherheitsleistung grundsätzlich im Wege.
7 Der Antragsteller macht mit seiner Beschwerde geltend, ein Rechtsschutzbedürfnis für eine gerichtliche Entscheidung könne nur dann entfallen, wenn die Aufhebung der Vollziehung im Falle der Anordnung eines dinglichen Arrests stets nur gegen Sicherheitsleistung ausgesprochen werden könne und der Antragsteller zudem objektiv in der Lage sei, die zur Aufhebung der Vollziehung erforderliche Sicherheitsleistung der Höhe nach aufzubringen.
8 Es sei unstreitig, dass im Zuge der dinglichen Arrestanordnung sein gesamtes Vermögen gepfändet worden sei. Im Ergebnis dessen habe er weder die finanziellen Mittel, die geforderte Sicherheitsleistung aufzubringen, noch habe er eine entsprechende Kreditwürdigkeit (mehr). Die Auffassung des FG, eine Aufhebung der Vollziehung könne „grundsätzlich nur gegen Sicherheitsleistung ausgesprochen werden” verstoße insbesondere gegen das verfassungsrechtliche Gebot effektiven vorläufigen Rechtsschutzes.
9 Der Antragsteller beantragt,
den aufzuheben und die beantragte Aufhebung der Vollziehung ohne Sicherheitsleistung zu gewähren.
10 Das FA beantragt,
die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen.
11 Es tritt dem Vorbringen des Antragstellers entgegen und verweist u.a. darauf, dass am „entsprechende Bescheide” betreffend die OHG erlassen worden seien. Weiter teilt es mit, dass die strafrechtlichen Ermittlungen gegen den Antragsteller andauerten.
II.
12 Die Beschwerde ist begründet. Das FG hat den Antrag auf Aufhebung der Vollziehung ohne Sicherheitsleistung zu Unrecht als unzulässig abgelehnt. An der Rechtmäßigkeit der Arrestanordnung bestehen ernstliche Zweifel, die zur Aufhebung der Vollziehung der Arrestanordnung vom in Gestalt des Bescheides vom —ohne Sicherheitsleistung— führen.
13 1. Der Antrag auf Aufhebung der Vollziehung ohne Sicherheitsleistung richtet sich gegen den Bescheid vom in Gestalt des Bescheides vom .
14 2. Der Antrag ist zulässig.
15 a) Er erfüllt die Zugangsvoraussetzungen gemäß § 69 Abs. 4 FGO; insbesondere war dem Antragsteller angesichts des bereits laufenden Arrestvollzugs nicht zuzumuten, zunächst beim FA einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung zu stellen und dessen Ablehnung abzuwarten (vgl. BFH-Beschlüsse vom VII B 69/85, BFHE 145, 17, BStBl II 1986, 236; vom V S 5/04, BFH/NV 2004, 1414).
16 b) Nach § 128 Abs. 3 i.V.m. § 69 Abs. 3 Satz 3 FGO kann der BFH als Beschwerdegericht auf Antrag ganz oder teilweise die Aufhebung der Vollziehung eines schon vollzogenen Verwaltungsakts, auch gegen Sicherheit, anordnen. Die Anordnung soll erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte (§ 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO).
17 Ernstliche Zweifel i.S. des § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO sind zu bejahen, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Verwaltungsakts im Aussetzungsverfahren neben den für seine Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheiten in der Beurteilung von Tatfragen bewirken, wobei die für die Rechtswidrigkeit sprechenden Gründe nicht überwiegen müssen, so dass eine Aufhebung der Vollziehung auch dann zu gewähren ist, wenn die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides später im Hauptsacheverfahren bestätigt werden sollte (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom V B 110/01, BFHE 199, 55, BFH/NV 2002, 1267; vom VII B 108-109/06, BFH/NV 2007, 2358; vom II B 63/09, BFH/NV 2010, 68).
18 c) Die Anordnung einer Sicherheitsleistung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes dient der Vermeidung von Steuerausfällen. Solche Ausfälle können im Rahmen der Aufhebung der Vollziehung vor allem dadurch entstehen, dass der Steuerpflichtige im Hauptsacheverfahren letztlich unterliegt und zu diesem Zeitpunkt die Durchsetzung der Steuerforderung gefährdet oder erschwert ist (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom V B 78/04, BFHE 208, 93, BStBl II 2005, 535; in BFH/NV 2007, 2358). Das öffentliche Interesse an der Vermeidung von Steuerausfällen entfällt, wenn mit Gewissheit oder großer Wahrscheinlichkeit ein für den Steuerpflichtigen günstiger Prozessausgang zu erwarten ist (vgl. , BFH/NV 2011, 2106, Rz 16, m.w.N.). Schließlich darf die Anforderung einer Sicherheitsleistung nicht erfolgen, wenn sie mit Rücksicht auf die wirtschaftlichen Verhältnisse des Steuerpflichtigen eine unbillige Härte für ihn bedeuten würde, etwa weil der Steuerpflichtige im Rahmen zumutbarer Anstrengungen nicht in der Lage ist, Sicherheit zu leisten (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom V B 26/86, BFH/NV 1989, 403; vom V B 18/94, BFH/NV 1995, 515). Lassen die wirtschaftlichen Verhältnisse des Steuerpflichtigen eine Sicherheitsleistung nicht zu, darf deshalb der Rechtsvorteil der Aussetzung bzw. der Aufhebung der Vollziehung bei ernstlichen Zweifeln an der Rechtmäßigkeit des Steuerbescheids —auch bei fortlaufend veranlagten und festgesetzten Steuern wie Lohn- und Umsatzsteuer— grundsätzlich nicht versagt werden (, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung —HFR— 2010, 70, unter IV.1.b).
19 d) § 69 Abs. 3 Satz 3 FGO gilt auch im Falle der Anordnung des dinglichen Arrests.
20 aa) Gegen die Anordnung des dinglichen Arrests i.S. des § 324 Abs. 1 AO ist der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung nach § 69 Abs. 3 Satz 3 FGO statthaft (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom V B 5/69, BFHE 95, 317, BStBl II 1969, 399; vom IV B 87/01, BFH/NV 2002, 352, unter II.1.b; , juris). Dafür, dass eine solche Aussetzung grundsätzlich nicht ohne Sicherheitsleistung angeordnet werden könnte, wovon das FG ausgeht, ist der Regelung in § 69 Abs. 3 Satz 3 FGO nichts zu entnehmen (offengelassen im , BFH/NV 1988, 374). Das Verfahren nach § 69 FGO wird auch nicht durch § 45 Abs. 4 FGO verdrängt, wonach gegen die Anordnung des dinglichen Arrests die Klage ohne Vorverfahren zulässig ist.
21 bb) Gemäß § 324 Abs. 1 AO kann die für die Steuerfestsetzung zuständige Finanzbehörde zur Sicherung der Vollstreckung von Geldforderungen den Arrest in das bewegliche oder unbewegliche Vermögen anordnen, wenn zu befürchten ist, dass sonst die Beitreibung vereitelt oder wesentlich erschwert wird. Der Arrest ist ein Mittel zur Sicherung künftiger Geldvollstreckung (Klein/Brockmeyer, AO, 11. Aufl., § 324 Rz 2). Er soll verhindern, dass der Steuerpflichtige einen bestehenden Zustand verändert, um die zukünftige Zwangsvollstreckung zu gefährden. Wegen des Zeitbedarfs des Hauptverfahrens wird dem Steuergläubiger zwar gesetzlich zugestanden, das Interesse an der Sicherung seiner Ansprüche bereits vor Ergehen entsprechender Steuerbescheide zu befriedigen (, juris). Wenn es das Sicherungsinteresse des Steuergläubigers nach dem Willen des Gesetzgebers aber zulässt, dass die Vollziehung eines Steuerbescheides ggf. auch ohne Sicherungsleistung ausgesetzt bzw. aufgehoben wird, so muss dies erst recht gelten, wenn der Steueranspruch noch nicht in Steuerbescheiden —hier nach Aktenlage jedenfalls noch nicht in einem Haftungsbescheid gegen den Antragsteller— festgesetzt worden ist und es somit nur um die Sicherung einer künftigen Forderung geht. Dafür spricht auch der vom FA herausgestellte Umstand, dass das vorläufige Sicherungsverfahren nach dem Eintritt der Vollstreckbarkeit ohne weiteres in das Beitreibungsverfahren übergeleitet wird (seit , BFHE 93, 405, BStBl II 1968, 832; , BFH/NV 2006, 2024).
22 Selbst wenn nach Auffassung des FG im Streitfall eine Aufhebung der Vollziehung nicht ohne Sicherheitsleistung ausgesprochen werden konnte, wäre zu prüfen gewesen, ob —unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit (, V B 6/96, BFH/NV 1996, 795)— ggf. eine nur teilweise Sicherheitsleistung in Betracht kommen könnte (vgl. Beschlüsse des Hessischen , Haufe-Index 1406716, unter II.4.; des , Haufe-Index 1965867; vom 14 V 521/09, Entscheidungen der Finanzgerichte —EFG— 2009, 1866, unter II.6.). Soweit der BFH in seinem Beschluss in BFH/NV 1988, 374 ausgeführt hat, das FG habe zu Recht die Höhe der Sicherheitsleistung nach Maßgabe des Werts der Sicherung festgesetzt, die das FA durch die Arrestvollziehung erlangt habe, handelt es sich um die Würdigung des Einzelfalls, nicht aber um eine Aussage dahingehend, eine Sicherheitsleistung sei gemäß § 69 FGO stets in Höhe des Werts der zu sichernden Forderung festzusetzen.
23 cc) Der Senat teilt nicht die von Finanzgerichten vertretene Auffassung (vgl. auch Beschlüsse des Hessischen , EFG 1974, 25; des Aus Arr, EFG 1980, 110; des , juris; vom 2 V 167/07, juris), dass eine Aufhebung der Vollziehung —wie auch eine Aussetzung der Vollziehung vor Ablauf der Vollziehungsfrist gemäß § 324 Abs. 3 Satz 1 AO— grundsätzlich nur gegen Leistung einer Sicherheit in Betracht komme, weil andernfalls selbst im Falle der Bestätigung der Arrestanordnung im Hauptsacheverfahren eine erneute Vollziehung nicht mehr möglich wäre und damit der Sicherungszweck des Arrests endgültig beseitigt würde (vgl. auch Tormöhlen in Beermann/Gosch, AO § 324 Rz 66; Hohrmann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 324 AO Rz 91; Kruse in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 324 AO Rz 48 dazu, dass eine Aussetzung „in der Regel” nur gegen Sicherheitsleistung in Betracht komme, wobei Kruse in Tipke/Kruse, a.a.O., § 324 AO Rz 48 darauf hinweist, dass die Gefahr des Steuerausfalls vermindert sei, wenn mit großer Wahrscheinlichkeit ein für den Steuerpflichtigen günstiger Prozessausgang zu erwarten sei).
24 Diese Auffassung des FG entspricht weder der gesetzlichen Regelung des § 69 Abs. 3 FGO noch den Anforderungen an die nach Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes verfassungsrechtlich gebotene Gewährleistung effektiven (vorläufigen) Rechtsschutzes. Sind dem Richter im Interesse einer angemessenen Verfahrensgestaltung Ermessensbefugnisse eingeräumt, so müssen diese im konkreten Fall im Blick auf die Grundrechte ausgelegt und angewendet werden. Sie dürfen nicht zu einer Verkürzung des grundrechtlich gesicherten Anspruchs auf einen effektiven Rechtsschutz führen (vgl. BVerfG-Beschluss in HFR 2010, 70). Dabei ist zu berücksichtigen, dass, anders als im zivilprozessualen Arrestverfahren, der dingliche Arrest nach der Abgabenordnung von der Steuerverwaltung und nicht durch ein Gericht angeordnet wird. Die Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung unter der Bedingung einer Sicherheitsleistung stellt eine teilweise Ablehnung i.S. von § 69 Abs. 4 Satz 1 FGO dar (vgl. , BFH/NV 2002, 809), gegen die vorläufiger Rechtsschutz zu gewähren ist. Dies gilt auch, soweit sich der Antragsteller gegen eine Arrestanordnung gemäß § 324 AO wendet. Dem FA verbleiben die Möglichkeiten einer beschleunigten (ggf. unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden) Steuerfestsetzung —im Streitfall der Erlass eines Haftungsbescheides gegen den Antragsteller— sowie einer raschen Vollstreckung (vgl. II 4.04).
25 e) Die Arrestanordnung hat sich durch den —nach Vortrag des FA erfolgten— Erlass von Steuerbescheiden gegen die OHG nicht erledigt, indem das Sicherungsverfahren in das Beitreibungsverfahren übergegangen wäre (vgl. BFH-Urteil in BFH/NV 2006, 2024). Denn diese Steuerbescheide betreffen nicht den Antragsteller, sondern mit der OHG ein von diesem zu unterscheidendes Steuersubjekt.
26 3. Der Antrag auf Aufhebung der Vollziehung ohne Sicherheitsleistung ist auch begründet.
27 a) Im Beschwerdeverfahren beschränkt sich die Aufgabe des BFH nicht darauf, die Entscheidung der Vorinstanz auf ihre Richtigkeit zu kontrollieren. Vielmehr hat der Senat das Begehren des Antragstellers im Rahmen seiner Anträge erneut in jeder Hinsicht zu prüfen und dabei die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung zugrunde zu legen. Danach muss über den Antrag des Antragstellers auf Aufhebung der Vollziehung ohne Sicherheitsleistung sachlich erneut entschieden werden (vgl. BFH-Beschlüsse in BFH/NV 1988, 374; vom IV B 24/09, BFH/NV 2009, 1402, unter II.1.).
28 b) Ordnet die Finanzbehörde zur Sicherung der Vollstreckung von Geldforderungen gemäß § 324 Abs. 1 AO den Arrest in das bewegliche oder unbewegliche Vermögen an, so müssen Arrestanspruch (die zu sichernde Geldforderung) und Arrestgrund zwar nicht zur vollen Überzeugung des Gerichts feststehen (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 2002, 352), aber doch mit einem hinreichenden Maß an Wahrscheinlichkeit vorliegen (vgl. BFH-Beschlüsse vom VII R 187/83, BFH/NV 1986, 508; vom VII B 265/00, BFHE 194, 40, BStBl II 2001, 464).
29 aa) Der Senat kann im Streitfall dahingestellt sein lassen, ob sich aus dem Vorbringen des FA mit einem hinreichenden Maß an Wahrscheinlichkeit das Vorliegen eines Arrestanspruchs gegen den Antragsteller ergibt, insbesondere auch bezüglich dessen Haftung nach § 69 oder § 71 AO und seine ermessensfehlerfreie Inanspruchnahme (vgl. dazu bspw. BFH-Beschluss in BFH/NV 1986, 508). Denn bei der gebotenen summarischen Prüfung ist das Vorliegen eines Arrestgrundes ernstlich zweifelhaft.
30 bb) Ein Arrestgrund besteht nach ständiger Rechtsprechung, wenn bei objektiver Würdigung unter ruhiger und vernünftiger Abwägung aller Umstände die Besorgnis gerechtfertigt ist, dass ohne sofortige Sicherung durch Arrestanordnung die Vollstreckung des Anspruchs vereitelt oder wesentlich erschwert wird; dabei kann es auf die Möglichkeit eines schnellen und unmittelbaren und damit auch eines sicheren Zugriffs ankommen (, BFH/NV 1995, 1037). In Anwendung dieses Grundsatzes hat der BFH bspw. erkannt, dass eine wesentliche Erschwerung der Vollstreckung bereits dann zu besorgen ist, wenn der Steuerpflichtige ein wertvolles Grundstück veräußert, weil Bargeld oder Geldforderungen der Vollstreckung leichter entzogen werden können als unbewegliches Vermögen, oder wenn auch nur die nach außen zutage getretene Absicht besteht, den wertvollsten Gegenstand des Vermögens, ein Grundstück, zu veräußern (vgl. , BFHE 138, 16, BStBl II 1983, 401). Ebenso wie Vermögensumschichtungen im Inland können auch Vermögensverlagerungen ins Ausland einen Arrestgrund abgeben (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 1995, 1037).
31 Demgegenüber vermag die allgemein schlechte Vermögenslage des Arrestschuldners ebenso wie die bloße Möglichkeit, dass der Arrestschuldner sein Vermögen beiseiteschaffen könnte, für sich genommen keinen Arrest zu rechtfertigen. Ebenso genügt der dringende Verdacht einer Steuerhinterziehung oder sonstige steuerliche Unzuverlässigkeit für sich allein nicht zur Begründung einer Arrestanordnung (vgl. , HFR 1987, 96; BFH-Beschluss in BFHE 194, 40, BStBl II 2001, 464, unter II.b).
32 cc) Unter Beachtung dieser Grundsätze genügen die in der Arrestanordnung angegebenen Tatsachen bei summarischer Prüfung nicht, den Arrestgrund zu belegen, noch sind solche Tatsachen sonst ersichtlich.
33 Das FA hat keine konkreten Tatsachen angeführt, wie etwa Maßnahmen des Antragstellers, ein Grundstück zu veräußern oder Bank- und Sparkonten leerzuräumen, aus denen sich ergeben würde, dass ohne Anordnung des dinglichen Arrests zu besorgen sei, dass die Beitreibung vereitelt oder wesentlich erschwert werde (vgl. auch Wolf in Koch/Scholtz, AO, 5. Aufl., § 324 Rz 13 f.).
34 Soweit das FA den Arrestgrund daraus ableitet, dass gegen den Antragsteller der Anfangsverdacht der Steuerhinterziehung bestehe, besagt dies nach der dargelegten Rechtsprechung allein noch nicht, dass die Beitreibung ohne Anordnung des dinglichen Arrests vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Im Übrigen mag zwar aus den in der Begründung der Arrestanordnung angegebenen „belastbaren Tatsachen”, deren Richtigkeit unterstellt, mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit folgen, dass zu Gunsten der OHG zielgerichtet Steuerstraftaten in Gestalt eines Umsatzsteuerkarussells begangen worden sind. Es werden aber keine erheblichen Anhaltspunkte dafür benannt, dass der Antragsteller dies auch wusste und billigte. Soweit das FA im Verfahren vor dem FG mit Schriftsatz vom auf die Ergebnisse einer Telefonüberwachung Bezug genommen hat, sind diese im finanzgerichtlichen Verfahren nicht verwertbar (vgl. , BFH/NV 2004, 807).
35 Entsprechendes gilt für die Behauptung, der Antragsteller sei wegen seiner Teilnahme an einem Umsatzsteuerbetrugsmodell als besonders steuerunehrlich anzusehen, sowie für die Erwägung, es sei im Allgemeinen zu erwarten, dass derjenige, der sich oder einem Dritten durch eine Straftat einen Vermögensvorteil verschafft hat, nachhaltige Unternehmungen anstelle, um die Tatvorteile dauerhaft zu sichern. Derartige allgemeine Ausführungen können nach den oben angeführten Grundsätzen für sich allein eine Arrestanordnung nicht begründen.
36 c) Die Aufhebung der Vollziehung ist ohne Sicherheitsleistung anzuordnen.
37 Die Entscheidung über die Anordnung einer Sicherheitsleistung ergeht bei der gebotenen summarischen Prüfung aufgrund des Sachverhalts, der sich aus dem Vortrag der Beteiligten und der Aktenlage ergibt. Es ist Sache der Beteiligten, die entscheidungserheblichen Tatsachen darzulegen und glaubhaft zu machen, soweit ihre Mitwirkungspflicht reicht. Für die Anordnung einer Sicherheitsleistung ergibt sich hieraus, dass die Finanzbehörde die für eine Gefährdung des Steueranspruchs sprechenden Gesichtspunkte vortragen muss und der Steuerpflichtige ggf. Umstände, die ein (dargelegtes) Sicherungsbedürfnis der Behörde entfallen oder unangemessen erscheinen lassen (vgl. BFH-Beschlüsse in BFH/NV 2002, 809; vom IX S 26/07, BFH/NV 2008, 1498).
38 Danach war die Anordnung der Sicherheitsleistung aufzuheben. Nach Auffassung des Senats bestehen, wie dargelegt, bereits ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts. Das FA hat zudem eine Gefährdung des Steueranspruchs nicht schlüssig dargelegt. Die Vermutung, der Antragsteller sei bestrebt und in der Lage, die Geldansprüche des Staates durch Verschiebung oder Beiseiteschaffung etwaigen Vermögens zu verhindern, stellt sich bislang als bloße Behauptung des FA dar.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BStBl 2013 II Seite 983
AO-StB 2013 S. 100 Nr. 4
BFH/NV 2013 S. 615 Nr. 4
BFH/PR 2013 S. 166 Nr. 5
BStBl II 2013 S. 983 Nr. 23
DB 2013 S. 7 Nr. 8
DB 2013 S. 7 Nr. 8
DStR 2013 S. 11 Nr. 8
DStRE 2013 S. 436 Nr. 7
HFR 2013 S. 281 Nr. 4
NWB-Eilnachricht Nr. 9/2013 S. 582
PStR 2013 S. 89 Nr. 4
StB 2013 S. 101 Nr. 4
StBW 2013 S. 269 Nr. 6
wistra 2013 S. 4 Nr. 4
BAAAE-30144