Bindung der Aufhebung einer Kindergeldfestsetzung bis zum Ende des Monats der Bekanntgabe des Bescheides; Ablaufhemmung bei Kindergeldansprüchen
Leitsatz
Nach ständiger Rechtsprechung des BFH bindet die Ablehnung oder Aufhebung der Kindergeldfestsetzung nur bis zum Ende des Monats der Bekanntgabe des Bescheides bzw. der Einspruchsentscheidung (vgl. ; ). Daraus ergibt sich zugleich, dass sich eine gegen einen Aufhebungsbescheid gerichtete Klage in der Hauptsache erledigt, wenn während des finanzgerichtlichen Verfahrens der Aufhebungsbescheid aufgehoben und Kindergeld bis zu dem Monat der Einspruchsentscheidung bewilligt wird.
Gesetze: FGO § 40 Abs. 1, FGO § 44 Abs. 1, FGO § 45 Abs. 1, FGO § 46 Abs. 1, AO § 155 Abs. 4, AO § 171 Abs. 3, AO § 347,EStG § 63
Instanzenzug: (Kg) (Verfahrensverlauf),
Gründe
1 I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Vater des am geborenen Kindes F. F absolvierte in der Zeit vom bis Ende August 2008 einen Aufenthalt als Au-pair in den USA.
2 Mit Bescheid vom hob die Beklagte und Revisionsbeklagte (Familienkasse) die Festsetzung des Kindergeldes ab September 2007 auf, da F eine Beschäftigung aufgenommen habe, die den Anspruch auf Kindergeld ausschließe. Den hiergegen gerichteten Einspruch vom wies die Familienkasse mit Bescheid vom als unbegründet zurück.
3 Mit seiner Klage vor dem Finanzgericht (FG) verfolgte der Kläger sein Begehren weiter. Mit Schriftsatz vom kündigte die Familienkasse an, dem Klagebegehren teilweise abzuhelfen. Zwischenzeitlich sei der Kindergeldanspruch bis November 2007 nachgewiesen worden. Über den Zeitraum ab Dezember 2007 habe die Familienkasse noch nicht entschieden. Einen entsprechenden Kindergeldantrag habe der Kläger bislang nicht gestellt. Mit Bescheid vom setzte die Familienkasse für den Zeitraum September bis November 2007 Kindergeld fest.
4 Die Beteiligten haben hinsichtlich der Monate September bis November 2007 den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt.
5 Das FG wies die Klage wegen Kindergeld Dezember 2007 bis August 2008 ab. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, es könne dahinstehen, ob die Klage für den Zeitraum ab Dezember 2007 zulässig sei, denn jedenfalls sei sie unbegründet, da F keine Berufsausbildung absolviert habe.
6 Hiergegen wendet sich der Kläger mit der Revision, die er auf die Verletzung materiellen Rechts stützt.
7 Die Klage sei zulässig und begründet. Das Gericht sei nicht aufgrund einer Bindungswirkung des ablehnenden Bescheides an einer Entscheidung gehindert. Es habe im Rahmen der Verpflichtungsklage nach rechtsstaatlichen Prinzipien die Voraussetzungen für den Bezug des Kindergeldes selbst weiter aufzuklären.
8 Der Kläger beantragt sinngemäß,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Familienkasse unter Aufhebung des Bescheides vom in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom zu verpflichten, Kindergeld für F für den Zeitraum Dezember 2007 bis August 2008 festzusetzen.
9 Die Familienkasse beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
10 II. Die Revision des Klägers ist unbegründet. Das FG hat zwar zu Unrecht dahinstehen lassen, ob die Klage zulässig ist und die Klage als unbegründet abgewiesen. Gleichwohl ist der Tenor seines Urteils zutreffend. Die Revision ist deshalb insgesamt gemäß § 126 Abs. 4 der Finanzgerichtsordnung (FGO) mit der Maßgabe zurückzuweisen, dass die Klage unzulässig war (vgl. , BFH/NV 2007, 1506, m.w.N.).
11 1. Die auf Verurteilung zum Erlass eines Kindergeldbescheides für die Monate Dezember 2007 bis August 2008 gerichtete Klage ist unzulässig.
12 a) Eine Klage, die auf Verurteilung zum Erlass eines unterlassenen Verwaltungsakts gerichtet ist (§ 40 Abs. 1 Halbsatz 2 FGO), ist —vorbehaltlich der §§ 45 und 46 FGO— nur zulässig, wenn das Vorverfahren über den außergerichtlichen Rechtsbehelf ganz oder zum Teil erfolglos geblieben ist (§ 44 Abs. 1 FGO). Daran fehlt es hier.
13 Das mit dem Einspruch des Klägers vom eingeleitete und mit der Einspruchsentscheidung der Familienkasse vom abgeschlossene Vorverfahren betrifft nicht den Gegenstand der noch anhängigen Klage. Einspruch und Einspruchsentscheidung beziehen sich auf den Aufhebungsbescheid vom . Dieser entfaltet keine Bindungswirkung für den Zeitraum Dezember 2007 bis August 2008.
14 b) Nach ständiger Rechtsprechung des BFH bindet die Ablehnung oder Aufhebung der Kindergeldfestsetzung nur bis zum Ende des Monats der Bekanntgabe des Bescheides bzw. der Einspruchsentscheidung (vgl. z.B. , BFH/NV 2012, 265, m.w.N.; , BFHE 235, 203, m.w.N.). Daraus ergibt sich zugleich, dass sich eine gegen einen Aufhebungsbescheid gerichtete Klage in der Hauptsache erledigt, wenn während des finanzgerichtlichen Verfahrens der Aufhebungsbescheid aufgehoben und Kindergeld bis zu dem Monat der Einspruchsentscheidung bewilligt wird (vgl. , BFH/NV 2009, 578).
15 Der Aufhebungsbescheid vom in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom traf daher aufgrund seiner beschränkten Bindungswirkung nur für den Zeitraum bis Oktober 2007 eine Entscheidung. Mit Bescheid vom , in dem Kindergeld für die Monate September bis November 2007 gewährt worden ist, ist dem Begehren des Klägers auf Aufhebung des Aufhebungsbescheides in Gestalt der Einspruchsentscheidung daher abgeholfen worden. Dementsprechend haben die Beteiligten den Rechtsstreit u.a. für September und Oktober 2007 übereinstimmend für erledigt erklärt.
16 c) Bringt der Berechtigte —wie im Streitfall— im finanzgerichtlichen Verfahren zum Ausdruck, auch Kindergeld für einen nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung liegenden Zeitraum erhalten zu wollen, ist zur Wahrung der Rechte des Kindergeldberechtigten ausnahmsweise davon auszugehen, dass ein —außer-halb des Klageverfahrens liegender— Antrag auf Kindergeld vorliegt (, BFHE 236, 144). Über diesen hat die Familienkasse bisher nicht entschieden. Insbesondere enthält der Bescheid vom , wie die Familienkasse im Schriftsatz vom mitgeteilt hat, keine Regelung für den Zeitraum ab Dezember 2007.
17 2. Ein Vorverfahren ist im Streitfall auch nicht ausnahmsweise unter den Voraussetzungen einer sog. Sprungverpflichtungsklage nach § 45 Abs. 1 FGO entbehrlich.
18 Eine zulässige Sprungklage setzt voraus, dass die Familienkasse zuvor einen Antrag auf Erlass des begehrten Verwaltungsaktes mindestens durch einen Verwaltungsakt abgelehnt hat (, BFH/NV 2004, 1655, m.w.N.). Daran fehlt es für den Zeitraum ab Dezember 2007.
19 3. Die Voraussetzungen für eine von Amts wegen zu prüfende Untätigkeitsklage nach § 46 FGO liegen ebenfalls nicht vor.
20 Nach § 46 Abs. 1 Satz 1 FGO ist eine Verpflichtungsklage ab-weichend von § 44 FGO ohne vorherigen Abschluss des Vorverfahrens zulässig, wenn über einen außergerichtlichen Rechtsbehelf ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden worden ist.
21 Ist kein Einspruch möglich, weil die Familienkasse über den Antrag auf Erlass eines Verwaltungsakts nicht entscheidet, muss vor Erhebung der Klage ein sog. Untätigkeitseinspruch gemäß § 347 Abs. 1 Satz 2 der Abgabenordnung (AO) eingelegt werden. Nach dieser Vorschrift ist ein Einspruch auch dann statthaft, wenn geltend gemacht wird, dass über einen vom Einspruchsführer gestellten Antrag auf Erlass eines Verwaltungsakts ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes binnen angemessener Frist sachlich nicht entschieden worden ist.
22 Ist —wie im Streitfall— der Einspruch als Rechtsbehelf nicht nach § 348 AO ausgeschlossen, so ist eine Verpflichtungsklage wegen Unterlassens eines beantragten Verwaltungsaktes grundsätzlich erst nach erfolglosem Untätigkeitseinspruch zulässig (vgl. BFH-Urteile in BFH/NV 2004, 1655; vom I R 74/02, BFH/NV 2006, 19).
23 4. Der Senat weist vorsorglich darauf hin, dass bezüglich des Kindergeldanspruchs ab Monat Dezember 2007 noch keine Festsetzungsverjährung (§ 31 Satz 3 der im Streitjahr gültigen Fassung des Einkommensteuergesetzes —EStG—, § 155 Abs. 4 AO, §§ 169 bis 171 AO) eingetreten ist. Es greift eine Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 3 AO ein, da der Kläger im finanzgerichtlichen Verfahren zum Ausdruck gebracht hat, Kindergeld auch für einen nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung lie-genden Zeitraum erhalten zu wollen (BFH-Urteil in BFHE 236, 144 Rz 48).
24 Bei der Entscheidung über den Kindergeldantrag wird die Familienkasse unter Berücksichtigung des (BFH/NV 2012, 1224) zu prüfen haben, ob im Streitfall der Sprachaufenthalt der F im Rahmen des Au-Pair Verhältnisses als Berufsausbildung i.S. von § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG anzusehen ist.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
GAAAE-19920