Verfahrensrechtliche Folgerungen aus dem - zur Abziehbarkeit der Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer bis zum Inkrafttreten der gesetzlichen Neuregelung
Bezug: (BStBl 2009 I S. 510)
Bezug: (BStBl 2009 I S. 1148)
Bezug: (BStBl 2010 I S. 634)
Der Zweite Senat des entschieden, dass die ab Veranlagungszeitraum 2007 geltende Neuregelung zur Abziehbarkeit der Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer (§ 4 Absatz 5 Satz 1 Nummer 6b EStG) mit Artikel 3 Abs. 1 des Grundgesetzes unvereinbar ist, soweit das Abzugsverbot Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer auch dann umfasst, wenn für die betriebliche oder berufliche Tätigkeit kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung steht. Der Gesetzgeber ist verpflichtet, den verfassungswidrigen Zustand rückwirkend auf den zu beseitigen.
Die Gerichte und die Verwaltungsbehörden dürfen § 4 Abs. 5 Satz 1 Nummer 6b EStG nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im Umfang der von ihm festgestellten Unvereinbarkeit nicht mehr anwenden, laufende Verfahren sind auszusetzen.
Es ist zu erwarten, dass der Gesetzgeber zügig die zur Beseitigung des verfassungswidrigen Zustands erforderlichen gesetzlichen Regelungen schaffen wird.
Nach dem Ergebnis der Abstimmung mit den obersten Finanzbehörden der Länder gilt spätestens ab dem Folgendes:
I. Bis zum Inkrafttreten der gesetzlichen Neuregelung ist wie folgt zu verfahren:
1. Nach § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 (und 4) AO vorläufig ergangene Einkommensteuer- und Feststellungsbescheide
1.1 Soweit Einkommensteuer- und Feststellungsbescheide hinsichtlich der Anwendung der Neuregelung zur Abziehbarkeit der Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer (§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b EStG in der Fassung des Steueränderungsgesetzes 2007, § 9 Abs. 5 Satz 1 EStG) gemäß § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 (und 4) AO vorläufig ergangen sind, ist zur Berücksichtigung dieser Aufwendungen bis zum Inkrafttreten der gesetzlichen Neuregelung grundsätzlich nichts zu veranlassen.
1.2 Beantragt ein Steuerpflichtiger ausdrücklich, einen gemäß § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 (und 4) AO vorläufig ergangenen Steuer- oder Feststellungsbescheid im Vorgriff auf die Neuregelung zu ändern und dabei Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer zu berücksichtigen, weil ihm für die betriebliche oder berufliche Tätigkeit kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung steht, bestehen keine Bedenken dagegen, einen nach § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AO vorläufigen Steuer- oder Feststellungsbescheid zu erlassen, in dem die vorgenannten Aufwendungen bis zu einem Betrag von 1.250 Euro als Betriebsausgaben oder Werbungskosten berücksichtigt werden. Voraussetzung hierfür ist allerdings auch, dass die betriebliche oder berufliche Nutzung des Arbeitszimmers und die Höhe der zu berücksichtigenden Aufwendungen nachgewiesen oder glaubhaft gemacht werden.
1.3 In den Fällen der Nummer 1.2 ist der Vorläufigkeitsvermerk wie folgt zu erläutern:
„Die Festsetzung der Einkommensteuer/Feststellung von Einkünften ist gemäß § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AO im Hinblick auf die durch angeordnete Verpflichtung zur gesetzlichen Neuregelung der Abziehbarkeit der Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer (§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b, § 9 Abs. 5 Satz 1 EStG) vorläufig. Wenn Ihnen für Ihre betriebliche oder berufliche Tätigkeit neben dem häuslichen Arbeitszimmer kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung steht, werden die nachgewiesenen oder glaubhaft gemachten Aufwendungen für das häusliche Arbeitszimmer vorläufig bis zur Höhe von 1.250 Euro berücksichtigt.”
1.4 Wird ein Steuer- oder Feststellungsbescheid aus anderen Gründen geändert oder berichtigt, gilt Abschnitt I Nummer 2 des (BStBl 2009 I S. 510) in der Fassung vom (BStBl 2009 I S. 1319) mit der Maßgabe, dass hinsichtlich der Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer anstelle des bisherigen Vorläufigkeitsvermerks nach § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 (und 4) AO (vgl. Nummer 1 der bisherigen Anlage zum vorgenannten BMF-Schreiben; zuletzt neu gefasst durch BStBl 2010 I S. 634) nun ein Vorläufigkeitsvermerk entsprechend Nr. 1.3 beizufügen ist.
2. Nach § 363 Abs. 2 Satz 2 AO ruhende Einspruchsverfahren
2.1 Einspruchsverfahren gegen Einkommensteuer- oder Feststellungsbescheide für Veranlagungszeiträume ab 2007, in denen unter Berufung auf das beim Bundesverfassungsgericht anhängig gewesene Verfahren beantragt wurde, Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer über die Regelungen des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b EStG in der Fassung des Steueränderungsgesetzes 2007 hinaus steuermindernd zu berücksichtigen, ruhen bisher nach § 363 Abs. 2 Satz 2 AO. Diese Verfahren ruhen weiterhin bis zum Inkrafttreten der gesetzlichen Neuregelung; einer Zustimmung des Einspruchsführers hierfür bedarf es nicht.
2.2 Eine im Einspruchsverfahren gewährte Aussetzung der Vollziehung (vgl. BStBl 2009 I S. 1148) gilt unverändert weiter.
2.3 Beantragt der Steuerpflichtige im Einspruchsverfahren nun erstmals Aussetzung der Vollziehung, kann anstelle der Aussetzung der Vollziehung (vgl. Nr. 2.2) auch ein nach § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AO vorläufiger Abhilfebescheid entsprechend Nr. 1.2 und 1.3 erlassen werden.
3. Noch nicht veranlagte Steuerfälle
3.1 Die erstmalige Bearbeitung von Steuer- und Feststellungserklärungen, in denen Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer (§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nummer 6b EStG) geltend gemacht werden, weil für die betriebliche oder berufliche Tätigkeit kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung steht, wäre grundsätzlich bis zum Inkrafttreten der gesetzlichen Neuregelung zurückzustellen.
3.2 Im Hinblick auf den sind Steuer- und Feststellungsbescheide im Interesse des Steuerpflichtigen und aus verwaltungsökonomischen Gründen hinsichtlich der Abziehbarkeit der Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer bis zum Inkrafttreten der gesetzlichen Neuregelung gemäß § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AO vorläufig zu erlassen. Vor dem Hintergrund der zu § 4 Abs. 5 Satz 1 Nummer 6b EStG in der bis 2006 geltenden Fassung ergangenen Entscheidung des (BStBl 2000 II S. 162), auf die das Bundesverfassungsgericht in seinem ausdrücklich verweist, werden im Rahmen des vorläufigen Steuer- oder Feststellungsbescheids nachgewiesene oder glaubhaft gemachte Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer bis zu einem Betrag in Höhe von 1.250 Euro als Betriebsausgaben oder Werbungskosten berücksichtigt, wenn für die betriebliche oder berufliche Tätigkeit kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung steht. Nummer 1.3 gilt entsprechend.
II. Die Anlage zum (BStBl 2009 I S. 510), die zuletzt durch (BStBl 2010 I S. 634) neu gefasst worden ist, wird wie folgt gefasst:
„Festsetzungen der Einkommensteuer sind hinsichtlich folgender Punkte gemäß § 165 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 3 und 4 AO im Hinblick auf die Verfassungsmäßigkeit und verfassungskonforme Auslegung der Norm vorläufig vorzunehmen:
Beschränkte Abziehbarkeit
von Kinderbetreuungskosten (§ 4f, § 9 Abs. 5
Satz 1, § 10 Abs. 1 Nrn. 5 und
8 EStG)
– für
die Veranlagungszeiträume 2006 bis 2008 –
Beschränkte Abziehbarkeit von Kinderbetreuungskosten (§ 9c, § 9 Abs. 5 Satz 1 EStG) – für Veranlagungszeiträume ab 2009 –
Nichtabziehbarkeit von Steuerberatungskosten als Sonderausgaben (Aufhebung des § 10 Abs. 1 Nr. 6 EStG durch das Gesetz zum Einstieg in ein steuerliches Sofortprogramm vom , BGBl. 2005 I S. 3682)
Beschränkte Abziehbarkeit von Vorsorgeaufwendungen (§ 10 Abs. 3, 4, 4a EStG) für die Veranlagungszeiträume 2005 bis 2009
Nichtabziehbarkeit von Beiträgen zu Rentenversicherungen als vorweggenommene Werbungskosten bei den Einkünften im Sinne des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchstabe a EStG für Veranlagungszeiträume ab 2005
Besteuerung der Einkünfte aus Leibrenten im Sinne des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchstabe a Doppelbuchstabe aa EStG für Veranlagungszeiträume ab 2005
Höhe der kindbezogenen Freibeträge nach § 32 Abs. 6 Sätze 1 und 2 EStG
Höhe des Grundfreibetrags (§ 32a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 EStG)
Höhe des Freibetrags zur Abgeltung des Sonderbedarfs eines sich in Berufsausbildung befindenden, auswärtig untergebrachten, volljährigen Kindes (§ 33a Abs. 2 EStG) für Veranlagungszeiträume ab 2002
Nichtberücksichtigung pauschaler Werbungskosten bzw. Betriebsausgaben in Höhe der steuerfreien Aufwandsentschädigung nach § 12 des Gesetzes über die Rechtsverhältnisse der Mitglieder des Deutschen Bundestages
Verfassungsmäßiges Zustandekommen des Haushaltsbegleitgesetzes 2004 vom (BGBl. 2003 I S. 3076, 2004 I S. 69); dieser Vorläufigkeitsvermerk stützt sich nur auf § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO.
Der Vorläufigkeitsvermerk gemäß Nummer 1 ist auch Bescheiden über die gesonderte (und ggf. einheitliche) Feststellung von Einkünften i. S. von § 2 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 bis 3 EStG beizufügen. Im Vorläufigkeitsvermerk ist nur § 4f EStG (Feststellungszeiträume 2006 bis 2008) bzw. § 9c Abs. 1 und 3 Satz 1 EStG (Feststellungszeiträume ab 2009) zu zitieren. Der Vorläufigkeitsvermerk gemäß Nummer 2 ist im Rahmen der verfahrensrechtlichen Möglichkeiten sämtlichen Einkommensteuerfestsetzungen für Veranlagungszeiträume ab 2006 beizufügen. Bescheiden über die gesonderte (und ggf. einheitliche) Feststellung von Einkünften ist der Vorläufigkeitsvermerk nicht beizufügen, weil über die Frage, ob Steuerberatungskosten als Sonderausgaben abziehbar sind, ausschließlich im Verfahren zur Festsetzung der Einkommensteuer zu entscheiden ist.
Der Vorläufigkeitsvermerk gemäß Nummer 4 ist im Rahmen der verfahrensrechtlichen Möglichkeiten sämtlichen Einkommensteuerfestsetzungen für Veranlagungszeiträume ab 2005 beizufügen. In die Bescheide ist zusätzlich folgender Erläuterungstext aufzunehmen: „Der Vorläufigkeitsvermerk hinsichtlich der Nichtabziehbarkeit von Beiträgen zu Rentenversicherungen als vorweggenommene Werbungskosten umfasst auch die Frage einer eventuellen einfachgesetzlich begründeten steuerlichen Berücksichtigung.”
Der Vorläufigkeitsvermerk gemäß Nummer 5 erfasst sämtliche Leibrentenarten im Sinne des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchstabe a Doppelbuchstabe aa EStG.
Der Vorläufigkeitsvermerk gemäß Nummer 6 ist im Rahmen der verfahrensrechtlichen Möglichkeiten sämtlichen Einkommensteuerfestsetzungen für Veranlagungszeiträume ab 2001 mit einer Prüfung der Steuerfreistellung nach § 31 EStG beizufügen.
Der Vorläufigkeitsvermerk gemäß Nummer 7 ist im Rahmen der verfahrensrechtlichen Möglichkeiten sämtlichen Einkommensteuerfestsetzungen für Veranlagungszeiträume ab 2001 beizufügen.
Der Vorläufigkeitsvermerk gemäß Nummer 9 ist im Rahmen der verfahrensrechtlichen Möglichkeiten sämtlichen Einkommensteuerfestsetzungen sowie sämtlichen Bescheiden über die gesonderte (und ggf. einheitliche) Feststellung von Einkünften beizufügen. Aufgrund einer personellen Anweisung kann er auch Körperschaftsteuerfestsetzungen beigefügt werden.
Der Vorläufigkeitsvermerk gemäß Nummer 10 ist im Rahmen der verfahrensrechtlichen Möglichkeiten sämtlichen Einkommensteuerfestsetzungen für Veranlagungszeiträume ab 2004, sämtlichen Bescheiden über die gesonderte (und ggf. einheitliche) Feststellung von Einkünften für Feststellungszeiträume ab 2004, sämtlichen Festsetzungen der Arbeitnehmer-Sparzulage für Kalenderjahre ab 2004, sämtlichen Körperschaftsteuerfestsetzungen für Veranlagungszeiträume ab 2004 und sämtlichen Bescheiden über die Feststellungen nach den §§ 27, 28, 37 und 38 KStG für Veranlagungszeiträume ab 2005 beizufügen.
Ferner sind im Rahmen der verfahrensrechtlichen Möglichkeiten sämtliche Festsetzungen des Solidaritätszuschlags für die Veranlagungszeiträume ab 2005 hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit des Solidaritätszuschlaggesetzes 1995 vorläufig gemäß § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO vorzunehmen.
Zur vorläufigen Festsetzung der Einkommensteuer/Feststellung von Einkünften im Hinblick auf die durch angeordnete Verpflichtung zur gesetzlichen Neuregelung der Abziehbarkeit der Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer (§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b, § 9 Abs. 5 Satz 1 EStG) nach § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AO vgl. Abschnitt I des .”
BMF v. - IV A 3
-S 0338/07/10010-03
Auf diese Anweisung wird Bezug genommen in folgenden Verwaltungsanweisungen:
Auf diese Anweisung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BStBl 2010 I Seite 642
AO-StB 2010 S. 270 Nr. 9
BB 2010 S. 2078 Nr. 35
DStZ 2010 S. 661 Nr. 18
StBW 2010 S. 742 Nr. 16
WPg 2010 S. 894 Nr. 17
EAAAD-48291