Relevanz inhaltlicher Änderungen im ergänzenden Verfahren
Leitsatz
Wenn im ergänzenden Verfahren inhaltliche Änderungen des Bebauungsplans vorgenommen werden, die nachteilige Auswirkungen haben können, handelt es sich um abwägungsbeachtliche Änderungen, die der Kritik in einem erneuten Auslegungsverfahren zugänglich bleiben müssen. Auch solche inhaltlichen Änderungen des ursprünglichen Bebauungsplans, die auf der Grundlage bereits ausgelegter, dem Bebauungsplanentwurf lediglich beigefügter Unterlagen vorgenommen werden, lösen eine Pflicht zur erneuten Auslegung aus.
Gesetze: § 3 Abs 2 BauGB, § 4a Abs 3 S 1 BauGB, § 214 Abs 4 BauGB
Instanzenzug: Oberverwaltungsgericht für das Land Mecklenburg-Vorpommern Az: 3 K 17/08 Urteil
Gründe
1Die auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO und im Fall der Beigeladenen auch auf einen Verfahrensfehler i.S.d. § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO gestützten Beschwerden gegen die Nichtzulassung der Revision bleiben ohne Erfolg.
21. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr die Antragsgegnerin und die Beigeladene beimessen.
3Die Antragsgegnerin wirft als grundsätzlich klärungsbedürftig die Fragen auf,
- ob auch für das ergänzende Verfahren § 4a Abs. 3 BauGB anzuwenden ist,
- ob eine erneute Öffentlichkeitsbeteiligung im ergänzenden Verfahren auch dann erforderlich ist, wenn der beschlossene Plan lediglich Änderungen enthält, mit denen auf der Grundlage bereits ausgelegter Unterlagen gerechnet werden musste,
- ob es ausreicht, dass bei der Festsetzung flächenbezogener Schallleistungspegel das Berechnungsverfahren in dem den Festsetzungen zugrunde liegenden Gutachten enthalten ist oder ob das Berechnungsverfahren in einer Festsetzung oder zumindest in der Begründung des Bebauungsplans enthalten sein muss.
4Die Beigeladene hält für grundsätzlich klärungsbedürftig die Fragen,
- ob § 4a Abs. 3 Satz 1 BauGB über seinen Wortlaut hinaus auch auf bereits erlassene Bebauungspläne anwendbar ist,
- ob auf die in § 4a Abs. 3 Satz 1 BauGB vorgesehene erneute Öffentlichkeitsbeteiligung zu einer beabsichtigten Änderung von Festsetzungen eines Bebauungsplans dann verzichtet werden kann, wenn die Grundzüge der Planung durch die Änderung der Festsetzung nicht berührt werden und es der planungsbetroffenen Öffentlichkeit bereits in der vorangegangenen öffentlichen Auslegung möglich war, zu der späteren Änderung einer Festsetzung Stellung zu nehmen, weil diese bereits zu jenem Zeitpunkt erkennbar war.
5Soweit die Fragen auf Annahmen beruhen, die sich nicht mit den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts decken, würden sie sich in einem Revisionsverfahren nicht stellen. Soweit die Fragen - ungeachtet der allgemein gehaltenen Formulierung - revisionsgerichtlicher Klärung zugänglich sind, bedarf es nicht erst der Durchführung eines Revisionsverfahrens, um sie im Sinne der vom Oberverwaltungsgericht vorgenommenen Auslegung zu beantworten.
61.1 Das Oberverwaltungsgericht ist entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin nicht davon ausgegangen, dass bei jeder Änderung der Festsetzungen eines ausgelegten Plans eine erneute Öffentlichkeitsbeteiligung notwendig sei. Eine Öffentlichkeitsbeteiligung unter Beachtung des § 4a Abs. 3 Satz 1 BauGB verlangt das Oberverwaltungsgericht im vorliegenden Fall, weil es sich bei den Änderungen um materiell-rechtliche Änderungen handele, die nachteilige Auswirkungen haben könnten. Dass die in der Sitzung am im ergänzenden Verfahren beschlossene Festsetzung der Berechnungsmethode bei jeder Betrachtungsweise auf Beteiligte nachteilige Auswirkungen haben könne, begründet das Oberverwaltungsgericht damit, dass die unterschiedlichen Berechnungsmethoden bei der Anwendung der flächenbezogenen immissionswirksamen Schallleistungspegel zu unterschiedlichen Ergebnissen führten, die sich im Bereich von 3 dB(A) bewegten (UA S. 19). Fehle eine Festsetzung der Berechnungsmethode oder lasse sie sich der Begründung nicht entnehmen, sei es dem jeweiligen Gutachter überlassen, welche Methode und damit welches Ergebnis er wähle (UA S. 21). Hinsichtlich der Aufhebung der Festsetzung zu den öffentlichen Verkehrsflächen bejaht das Oberverwaltungsgericht nachteilige Auswirkungen, weil es dadurch zu einer Verstärkung der Immissionen auf das Grundstück des Antragstellers (und die der Antragsteller in den Parallelverfahren) kommen könne (UA S. 19 f.). Der - zur zweiten Frage erhobene - Einwand der Antragsgegnerin, mit der Übernahme eines bereits im Lärmschutzgutachten enthaltenen Berechnungsverfahrens in die Festsetzungen und Begründung des Bebauungsplans werde der Planinhalt in der Sache nicht geändert, sondern lediglich klarstellend konkretisiert, geht an den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts vorbei und erschöpft sich ebenso wie der Einwand, durch Streichung der Festsetzung "verkehrsberuhigter Bereich" würden keine anderen oder neuen Betroffenheiten ausgelöst (Beschwerdebegründung S. 7), in schlichter Urteilskritik.
71.1.1 Es bedarf nicht erst der Durchführung eines Revisionsverfahrens, um festzustellen, dass im ergänzenden Verfahren vorgenommene materiell-rechtliche Änderungen von Festsetzungen, die nicht lediglich klarstellende Bedeutung, sondern auf Beteiligte nachteilige Auswirkungen haben, die Pflicht zur erneuten Öffentlichkeitsbeteiligung gemäß § 4a Abs. 3 Satz 1 BauGB auslösen.
8In der Rechtsprechung des Senats ist geklärt, dass die Durchführung eines ergänzenden Verfahrens (§ 214 Abs. 4 BauGB) nicht voraussetzt, dass ein Gericht den fraglichen Fehler mit der Folge der Unwirksamkeit festgestellt hat. Die Gemeinde darf auch von ihr selbst festgestellte oder angenommene Mängel in diesem Verfahren beheben. War der ursprüngliche Satzungsbeschluss wirksam, besteht zwar kein Anlass für ein ergänzendes Verfahren. Die Gemeinde darf ein ergänzendes Verfahren gleichwohl durchführen ( BVerwG 4 BN 11.09 - BauR 2009, 1870 - juris Rn. 3; BVerwG 4 C 16.07 - BVerwGE 133, 98 Rn. 31). Verfährt die Gemeinde nach § 214 Abs. 4 BauGB, so führt sie kein rechtlich eigenständiges Verfahren durch. Vielmehr setzt sie das von ihr ursprünglich eingeleitete, nur scheinbar abgeschlossene Bauleitplanverfahren an der Stelle fort, an der ihr der Fehler unterlaufen ist (vgl. BVerwG 4 NB 40.96 - Buchholz 406.11 § 215 BauGB Nr. 9 - juris Rn. 14 - zu § 215 Abs. 3 Satz 1 BauGB 1987). Nicht die dem Fehler vorangegangenen (korrekten) Verfahrensschritte, sondern nur die nachfolgenden Schritte müssen wiederholt werden. Der letzte korrekte Verfahrensschritt war die (verkürzte) öffentliche Auslegung im Januar 2008. Da von den im ergänzenden Verfahren vorgenommenen inhaltlichen Änderungen nachteilige Auswirkungen ausgehen, handelt es sich um abwägungsbeachtliche Änderungen des Bebauungsplans, die der Kritik in einem erneuten Auslegungsverfahren zugänglich bleiben müssen (vgl. BVerwG 4 NB 7.89 - Buchholz 406.11 § 2a BBauG Nr. 11 - juris Rn. 21). Das ergänzende Verfahren versetzt den Plangeber in diesem Fall zurück in das Stadium des Bebauungsplanentwurfs. Das Verfahren zur Änderung des ursprünglichen Bebauungsplans richtet sich nach § 4a Abs. 3 Satz 1 BauGB. Insoweit gelten für das ergänzende Verfahren dieselben Anforderungen wie für die Änderung des Entwurfs eines Bebauungsplans, der noch keine Verbindlichkeit erlangt hat (vgl. auch Kalb, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand Oktober 2009, § 214 Rn. 261). Das Verfahren der öffentlichen Auslegung ist im Übrigen nicht nur zu wiederholen, wenn der Entwurf des Bebauungsplans nach einer bereits durchgeführten öffentlichen Auslegung in einer die Grundzüge der Planung berührenden Weise geändert oder ergänzt wird, sondern auch bei weniger grundlegenden Änderungen und Ergänzungen, sofern die Änderung nicht lediglich klarstellende Bedeutung hat ( BVerwG 4 NB 2.87 - NVwZ 1988, 822 <823>).
91.1.2 Auch die Frage, ob es einer erneuten Öffentlichkeitsbeteiligung i.S.d. § 4a Abs. 3 Satz 1 BauGB auch dann bedarf, wenn auf der Grundlage bereits ausgelegter Unterlagen mit der im ergänzenden Verfahren vorgenommenen inhaltlichen Änderung gerechnet werden müsse, lässt sich ohne Weiteres auf der Grundlage des Gesetzes mit dem Oberverwaltungsgericht bejahen.
10Dabei ist von Folgendem auszugehen: Das Oberverwaltungsgericht ist in Auslegung irrevisiblen Ortsrechts davon ausgegangen, dass der ursprüngliche Entwurf des Bebauungsplans keine Festsetzung der Berechnungsmethode zur Ermittlung der flächenbezogenen immissionswirksamen Schallleistungspegel enthielt und sich auch im Entwurf der Begründung keine Erläuterungen zur Messmethode finden. Die Schalltechnische Untersuchung vom , deren "behauptete" Auslegung das Oberverwaltungsgericht unterstellt hat (UA S. 20), ist nicht Teil des Entwurfs der Begründung. Wie der Hinweis auf § 2a Satz 1 und § 9 Abs. 8 BauGB erhellt (UA S. 20), versteht das Oberverwaltungsgericht unter Entwurf i.S.d. § 4a Abs. 3 BauGB den Planentwurf und den Entwurf der Begründung. Das deckt sich im Übrigen mit den Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts zur Unwirksamkeit des Bebauungsplans in der Fassung vom . Diesbezüglich weist das Oberverwaltungsgericht ausdrücklich darauf hin, dass es dann, wenn die Festsetzung der Messmethode fehle oder sie sich der Begründung nicht entnehmen lasse, dem jeweiligen Gutachter überlassen sei, welche Methode und damit welches Ergebnis er wähle (UA S. 21). Insofern ist das Oberverwaltungsgericht - entgegen der Annahme der Antragsgegnerin - nicht davon ausgegangen, dass Aussagen zum Berechnungsverfahren in der Begründung nicht ausreichend seien. Im Übrigen erkennt die Antragsgegnerin wohl selbst - ungeachtet der Ausführungen an anderer Stelle - mit ihrem Einwand, das "reine Überwechseln" eines Berechnungsverfahrens von einem offen gelegten Lärmschutzgutachten ... in die Festsetzungen und die Begründung löse ein erneutes Beteiligungsverfahren nicht aus, dass sich weder im Planentwurf noch in der beigefügten Begründung Aussagen zur Berechnungsmethode finden.
11In der Rechtsprechung des Senats ist anerkannt, dass das Beteiligungsverfahren nicht um seiner selbst willen zu betreiben ist. Deshalb besteht kein Anlass zu einer erneuten Beteiligung, wenn eine nochmalige Gelegenheit zur Stellungnahme eine bloße Förmlichkeit wäre, die für den mit dem Beteiligungsverfahren verfolgten Zweck nichts erbringen könnte ( BVerwG 4 C 16.07 - BVerwGE 133, 98 Rn. 40 mit Hinweis auf den vom Oberverwaltungsgericht in Bezug genommenen Beschluss vom a.a.O. S. 823).
12Dass auch solche inhaltlichen Änderungen des ursprünglichen Bebauungsplans, die auf der Grundlage bereits ausgelegter, dem Bebauungsplanentwurf lediglich beigefügter Unterlagen vorgenommen werden, eine Pflicht zur erneuten Auslegung auslösen, ergibt sich schon aus dem Wortlaut des in § 4a Abs. 3 Satz 1 BauGB in Bezug genommenen § 3 Abs. 2 BauGB sowie aus Sinn und Zweck der förmlichen Öffentlichkeitsbeteiligung. Maßgeblich für die Öffentlichkeitsbeteiligung ist der "Entwurf". Das förmliche Beteiligungsverfahren nach § 3 Abs. 2 BauGB verlangt die Auslegung des Entwurfs eines Bebauungsplans, zu dem nach § 2a Satz 1 und § 9 Abs. 8 BauGB der Entwurf der Begründung gehört. Der Entwurf bildet die Grundlage für die Abwägung gemäß § 1 Abs. 7 BauGB. Mit dessen Auslegung wird die Öffentlichkeit nach Durchführung der vorgezogenen ("frühzeitigen") Öffentlichkeitsbeteiligung gemäß § 3 Abs. 1 BauGB nunmehr über das konkrete Planungskonzept informiert, das der Plangeber nach derzeitiger Erkenntnislage der abwägungsbeachtlichen Belange zu beschließen beabsichtigt. Ändert der Plangeber den Entwurf in inhaltlicher Hinsicht, muss er ihn erneut auslegen. Dass neben dem Entwurf auch Unterlagen (Gutachten) ausgelegt werden, aus denen sich ergibt, nach welcher (möglichen) Methode sich der als Mittel des Lärmschutzes festgesetzte immissionswirksame flächenbezogene Schallleistungspegel berechnen lässt, genügt dem Zweck der Öffentlichkeitsbeteiligung nicht. Denn die Öffentlichkeit kann nicht erkennen, ob sich der Plangeber dieser Messmethode auch bedienen wird. Erst durch eine Aussage im Entwurf des Bebauungsplans erfährt der Bürger, für welche Methode sich der Plangeber entscheiden will, und kann auf dieser Grundlage die mit der Anwendung der Berechnungsmethode verbundenen Auswirkungen einschätzen. Das Gesetz garantiert, dass die Bürger einmal Gelegenheit erhalten, zu dem Planentwurf in seiner letzten Fassung Stellung zu nehmen (Urteil vom a.a.O. Rn. 40; BVerwG 4 NB 7.89 - BRS 49 Nr. 31 - juris Rn. 20).
132. Die von der Beigeladenen erhobene Verfahrensrüge ist unzulässig. Die Rüge beruht auf der Annahme, der Hilfsantrag sei nur für den Fall gestellt worden, dass der Hauptantrag keinen Erfolg habe (Beschwerdebegründung S. 20-22). Das Oberverwaltungsgericht ist indes zu dem Ergebnis gekommen, dass der Bebauungsplan in der Fassung vom unwirksam ist und war daher nach dem Antrag des Antragstellers gehalten, auch die Wirksamkeit des Bebauungsplans in der Fassung vom zu prüfen.
Fundstelle(n):
GAAAD-41287