BFH Urteil v. - II R 65/06 BStBl 2008 II S. 489

§ 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG verstößt nicht gegen europäisches Gemeinschaftsrecht

Leitsatz

Es verstößt nicht gegen die Richtlinie 69/335/EWG, dass eine Anteilsvereinigung in der Hand einer Aktiengesellschaft, zu der es dadurch kommt, dass im Zuge einer Kapitalerhöhung Anteile an einer mittelbar oder unmittelbar grundbesitzenden Gesellschaft gegen Gewährung neuer Aktien eingebracht werden, nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG grunderwerbsteuerpflichtig ist.

Gesetze: GrEStG § 1 Abs. 3 Nr. 1Richtlinie 69/335/EWG Art. 4, 5, 10, 11, 12

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Gründe

I.

Die Rechtsvorgängerin der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), zum steuerlich maßgeblichen Zeitpunkt eine Aktiengesellschaft, hielt 81 v.H. der auf den Inhaber lautenden Stückaktien an der X-AG mit Sitz der Geschäftsleitung in M. Mit Vertrag vom brachte die Y-AG die von ihr bis dahin gehaltenen restlichen 19 v.H. der Aktien an der X-AG in die Rechtsvorgängerin der Klägerin gegen Gewährung von neuen Aktien im Rahmen einer Kapitalerhöhung ein. Die X-AG ihrerseits hielt alle Anteile an der Z-GmbH; diese war Eigentümerin von 14 in Deutschland belegenen Grundstücken.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) sah im Vertrag vom den Tatbestand der (mittelbaren) Vereinigung aller Anteile an einer grundbesitzenden Gesellschaft in einer Hand gemäß § 1 Abs. 3 Nr. 1 des Grunderwerbsteuergesetzes in der im Jahre 1999 geltenden Fassung (GrEStG) als erfüllt an und stellte gemäß § 17 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GrEStG mit Bescheid vom ..., letztmals geändert durch Bescheid vom ..., die Besteuerungsgrundlagen für die 14 Grundstücke in Höhe von insgesamt ... DM gesondert fest.

Einspruch und Klage, mit denen die Klägerin geltend gemacht hatte, § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG verstoße insoweit gegen die Richtlinie 69/335/EWG des Rates vom betreffend die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital (Richtlinie 69/335/EWG) in der im Streitjahr geltenden Fassung (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften —ABlEG— L 249, S. 25), als die Einbringung von Anteilen einer Gesellschaft, zu deren Vermögen inländische Grundstücke gehören, in eine Kapitalgesellschaft gegen Gewährung von neuen Aktien Grunderwerbsteuer auslöse, blieben erfolglos.

Diesen Rechtsstandpunkt verfolgt die Klägerin mit der Revision weiter.

Sie beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und der Klage stattzugeben und regt an, die Rechtsfrage, ob § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG mit der Richtlinie 69/335/EWG vereinbar ist, gegebenenfalls dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) im Wege eines Vorabentscheidungsverfahrens gemäß Art. 234 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGV) vorzulegen.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

II.

Die Revision ist unbegründet. Sie war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der FinanzgerichtsordnungFGO—). Das Finanzgericht (FG) hat rechtsfehlerfrei angenommen, dass der angefochtene Feststellungsbescheid vom ... September 2001, der den vorausgegangenen Bescheid vom ... Februar 2001 in seinen Regelungsgehalt aufgenommen hat (vgl. Entscheidung des Großen Senats des Bundesfinanzhofs —BFH— vom GrS 1/72, BFHE 108, 1, BStBl II 1973, 231, unter III.3.), nach deutschem Grunderwerbsteuerrecht rechtmäßig ist (im Folgenden 1.). Der BFH hat aufgrund der Rechtsprechung des EuGH keinen Zweifel daran, dass § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG mit der Richtlinie 69/335/EWG vereinbar ist; eine Vorlage gemäß Art. 234 EGV ist daher nicht geboten (im Folgenden 2.).

1. Die Rechtsauffassung des FG, dass der angefochtene Feststellungsbescheid vom ... September 2001 rechtmäßig ist, entspricht dem Gesetz.

a) Gehört zum Vermögen einer Gesellschaft ein inländisches Grundstück, so unterliegt gemäß § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG u.a. ein Rechtsgeschäft, das den Anspruch auf Übertragung eines oder mehrerer Anteile der Gesellschaft begründet, der Grunderwerbsteuer, wenn durch die Übertragung unmittelbar oder mittelbar alle Anteile (ab : mindestens 95 v.H. der Anteile) der Gesellschaft in der Hand des Erwerbers vereinigt werden würden.

Die Vorschrift erfasst die infolge der Vereinigung der Anteile einer Gesellschaft mit Grundbesitz in einer Hand spezifisch grunderwerbsteuerrechtlich veränderte Zuordnung von Grundstücken (vgl. , BFHE 210, 375, BStBl II 2005, 839; vom II R 130/91, BFHE 173, 229, BStB1 II 1994, 408; vom II R 116/90, BFHE 172, 538, BStB1 II 1994, 121). Bei den in § 1 Abs. 3 GrEStG geregelten Ersatztatbeständen fingiert das Gesetz —zivilrechtlich nicht vorhandene— grundstücksbezogene Erwerbsvorgänge und trägt damit dem Umstand Rechnung, dass demjenigen, der alle Anteile an einer grundbesitzenden Gesellschaft in seiner Hand vereinigt oder erwirbt, eine dem zivilrechtlichen Eigentum an einem Grundstück vergleichbare Rechtszuständigkeit an dem Gesellschaftsgrundstück zuwächst. Es geht dabei nicht um die Besteuerung gesellschaftsrechtlicher Vorgänge (vgl. , juris STRE200451141). Vielmehr behandelt § 1 Abs. 3 GrEStG den Inhaber aller Anteile so, als gehörten ihm die im Eigentum der Gesellschaft stehenden Grundstücke (BFH-Urteil in BFHE 210, 375, BStBl II 2005, 839). Stehen keine Grundstücke im Eigentum der Gesellschaft, wird keine Grunderwerbsteuer ausgelöst.

b) Nach ständiger Rechtsprechung des BFH gehört der Gesellschaft ein Grundstück, wenn ihr dieses aufgrund eines unter § 1 Abs. 1, Abs. 2 oder Abs. 3 GrEStG fallenden Erwerbsvorgangs grunderwerbsteuerrechtlich zuzurechnen ist (vgl. Urteile vom II R 76/87, BFHE 153, 63, BStBl II 1988, 550; vom II R 26/99, BFH/NV 2001, 1040, und vom II R 14/02, BFHE 207, 59, BStBl II 2005, 148, m.w.N.). Daraus folgt, dass auch Anteile an einer Gesellschaft zu erfassen sind, die ihrerseits allein oder nunmehr zu mindestens 95 v.H. an einer grundbesitzenden (Unter-)Gesellschaft beteiligt ist (, BFH/NV 2006, 609; vom II R 23/00, BFH/NV 2003, 505; in BFHE 172, 538, BStBl II 1994, 121; in BFHE 153, 63, BStBl II 1988, 550). Dies gilt auch beim Erwerb aller Anteile an einer Gesellschaft mit Grundbesitz durch eine Gesellschaft, deren Alleingesellschafterin bereits vor der Anteilsvereinigung mittelbar über eine weitere Untergesellschaft alle Anteile der grundbesitzenden Gesellschaft hielt (, BFH/NV 2003, 507).

c) Die Besteuerungsgrundlagen sind bei einer Vereinigung aller Anteile in einer Hand (§ 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG) nach § 17 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GrEStG durch das Finanzamt gesondert festzustellen, in dem sich der Sitz der Geschäftsleitung der Gesellschaft befindet, wenn ein außerhalb des Bezirks des Geschäftsleitungsfinanzamts belegenes Grundstück betroffen ist. Gegenstand der gesonderten Feststellung nach § 17 Abs. 3 GrEStG sind die Besteuerungsgrundlagen. Zu diesen gehört in den Fällen des § 1 Abs. 3 GrEStG auch die verbindliche Entscheidung über die Steuerpflicht dem Grunde nach (vgl. , BFHE 205, 314, BStBl II 2004, 658; vom II R 27/03, BFHE 207, 368, BStBl II 2005, 105; vom II R 32/02, BFH/NV 2005, 574).

d) Nach diesen Grundsätzen unterliegt, wie das FG zu Recht angenommen hat, im Streitfall der Vertrag vom der Grunderwerbsteuer (§ 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG). Der Vertrag begründet für die Klägerin den Anspruch auf Übereignung der restlichen 19 v.H. der Aktien an der X-AG. Durch die Übertragung vereinigen sich alle Anteile an der X-AG in der Hand der Klägerin. Sie führt damit zu einer grunderwerbsteuerrechtlichen Veränderung der Zuordnung der der X-AG zuzurechnenden Grundstücke auf die Klägerin. Dem steht nicht entgegen, dass die Rechtsvorgängerin der Klägerin eine hundertprozentige Tochtergesellschaft der Y-AG war und bei dieser bereits alle Anteile an der X-AG teilweise mittelbar, teilweise unmittelbar vereinigt waren.

2. Der BFH hat keinen Zweifel daran, dass die sich aus § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG ergebende Steuerpflicht auf der Grundlage der Rechtsprechung des EuGH mit Gemeinschaftsrecht vereinbar ist; er ist daher nicht verpflichtet, die Rechtsfrage dem EuGH zur Vorabentscheidung vorzulegen (vgl.  283/81, Srl CILIFT und Lanificio di Gavardo SpA, Slg. 1982, I-3415). Die Erhebung der Grunderwerbsteuer fällt im Streitfall nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie 69/335/EWG (im Folgenden a); unabhängig davon wäre die Erhebung jedenfalls gemäß Art. 12 Abs. 1 Buchst. a oder b der Richtlinie 69/355/EWG zulässig, weil die Grunderwerbsteuer eine Besitzwechselsteuer ist (im Folgenden b).

a) Nach der Rechtsprechung des EuGH sind die Art. 10 und 11 der Richtlinie 69/335/EWG dahin auszulegen, dass die Mitgliedstaaten nicht befugt sind, von Gesellschaften, Personenvereinigungen oder juristischen Personen mit Erwerbszweck i.S. des Art. 3 der Richtlinie 69/335/EWG —wie vorliegend die Klägerin als Kapitalgesellschaft gemäß Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 69/335/EWG— andere Steuern oder Abgaben auf die in Art. 10 und 11 genannten Vorgänge zu erheben als die Gesellschaftsteuer und die in Art. 12 genannten Steuern und Abgaben (, SpA Maxi Di, Slg. 1989, I-1391; vom C-36/86, Ministeriet for Skatter og Afgifter, Slg. 1988, I-409).

Art. 10 der Richtlinie 69/335/EWG verbietet indirekte Steuern, die —ungeachtet ihrer Form— die gleichen Merkmale aufweisen wie die Gesellschaftsteuer (, Denkavit International BV u.a., Slg. 1996, I-2827). Gemäß Art. 10 Buchst. a und b der Richtlinie 69/335/EWG gilt dies für Steuern und Abgaben auf die in Art. 4 der Richtlinie 69/335/EWG genannten Vorgänge bzw. auf Einlagen, Darlehen oder Leistungen im Rahmen der in Art. 4 der Richtlinie 69/335/EWG genannten Vorgänge. Somit dürfen die Mitgliedstaaten auf die Erhöhung des Kapitals einer Kapitalgesellschaft durch Einlagen jeder Art (Art. 4 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 69/335/EWG), abgesehen von der Gesellschaftsteuer und vorbehaltlich des Art. 12 der Richtlinie 69/335/EWG, keinerlei andere Steuer oder Abgabe erheben.

Der Vorschlag für eine Richtlinie des Rates betreffend die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital (Neufassung der Richtlinie 69/335/EWG; KOM(2006) 760 endgültig) enthält gegenüber dieser Rechtslage insoweit keine Änderung.

aa) Nach der Rechtsprechung des BFH (vgl. bereits für den Fall der Anteilsvereinigung durch rechtsgeschäftlichen Erwerb von Anteilen: BFH/NV 2006, 612) stellt die Grunderwerbsteuer, die gemäß § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG bei Erwerb aller Anteile erhoben wird, keine Gesellschaftsteuer dar. Die Grunderwerbsteuer wird nicht von der Richtlinie erfasst.

bb) Eine Einlage von Aktien gegen Gewährung neuer Aktien im Rahmen einer Kapitalerhöhung —was im Streitfall zur Vereinigung aller Anteile in der Hand der Rechtsvorgängerin der Klägerin führt— fällt zwar unter Art. 4 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 69/335/EWG, der die Erhöhung des Gesellschaftskapitals einer Gesellschaft durch Einlagen jeder Art der harmonisierten Gesellschaftsteuer unterwirft, ohne dabei in irgendeiner Weise auf die wirtschaftlichen Folgen eines solchen Vorgangs für die Beteiligten Bezug zu nehmen (, Aro Tubi Trafilerie SpA, Slg. 2006, I-3009; vom C-240/06, Fortum Projekt Finance, Zeitschrift für Steuern und Recht —ZSteu— 2007, R 989). Durch den hier in Frage stehenden Steuertatbestand wird jedoch nicht eine Einlage im Sinne der Richtlinie 69/335/EWG, die zu einer Kapitalerhöhung oder zu einer Erhöhung des Gesellschaftsvermögens führt, als solche besteuert (vgl. ebenso , Immobiliare SIF, Slg. 1997, I-7089, zur bei Einbringung von Liegenschaften in Kapitalgesellschaften erhobenen italienischen Wertzuwachssteuer). Gehört nämlich zum Vermögen der Gesellschaft, deren Anteile sich unmittelbar oder mittelbar in der Hand des Erwerbers vereinigen, kein Grundstück, entsteht keine Grunderwerbsteuer.

Entstehungstatbestand ist also nicht der gesellschaftsrechtliche Vorgang der Einlage, sondern die Veränderung der Eigentumszuordnung von Grundstücken, die sich im Gesellschaftsvermögen befinden (vgl. ebenso zu der Frage, ob bei Verschmelzung durch Einlage und die dadurch veränderte Eigentumszuordnung von Kfz im Gesellschaftsvermögen eine französische Zulassungssteuer erhoben werden darf, , Locamion, Slg. 1997, I-7055).

So unterliegt auch ein Rechtsgeschäft, das zur Vereinigung aller Anteile in der Hand einer natürlichen Person führen würde, der Grunderwerbsteuer. Eine Einlage als gesellschaftsrechtlicher Vorgang ist in einem solchen Fall aber nicht gegeben. Wenn gleichwohl die gleiche Steuer entsteht, zeigt dies, dass Entstehungstatbestand auch im Streitfall nicht der gesellschaftsrechtliche Vorgang der Einlage ist.

Der hier in Frage stehende Steuertatbestand beschreibt nur das auslösende Moment, nämlich die Anteilsvereinigung, die nach der Wertung des deutschen Gesetzgebers einer Grundstücksübertragung in Gestalt einer spezifisch grunderwerbsteuerrechtlich veränderten Zuordnung von Grundstücken gleichkommt (BFH-Urteile in BFHE 210, 375, BStBl II 2005, 839; in BFHE 173, 229, BStBl II 1994, 408; in BFHE 172, 538, BStBl II 1994, 121). Mit dem Anteilserwerb wird grunderwerbsteuerrechtlich derjenige, in dessen Hand sich die Anteile vereinigen, so behandelt, als habe er die Grundstücke von der Gesellschaft erworben, deren Anteile sich in seiner Hand vereinigen (, juris STRE200451141; , BFHE 195, 427, BStBl II 2002, 156; in BFH/NV 2003, 505). Dies ergibt sich aus den objektiven Merkmalen des § 1 Abs. 3 GrEStG und damit in europarechtskonformer Qualifizierung (vgl. etwa und C-252/94, Sociéte Bautiaa, Slg. 1996 I-505; vom C-270/81, Felicitas Rickmers-Linie, Slg. 1982, I-2771).

cc) Ferner bestimmt sich die Bemessungsgrundlage der Grunderwerbsteuer nicht, wie dies Art. 5 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 69/335/EWG verlangt, nach dem tatsächlichen Wert der von den Gesellschaftern geleisteten oder zu leistenden Einlagen, sondern allein nach dem Wert des Grundstücks, das zum Vermögen der Gesellschaft gehört, deren Anteile sich unmittelbar oder mittelbar in der Hand des Erwerbers vereinigen. Dies ist gemäß § 8 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 GrEStG der i.S. des § 138 Abs. 2 oder 3 des Bewertungsgesetzes (BewG) zu bemessende sog. Bedarfswert (ebenso zur Bedeutung der Bemessungsgrundlage EuGH-Urteile in Slg. 1997, I-7089; in Slg. 1997, I-7055).

dd) Daraus ergibt sich, dass die Gesellschaftsteuer im Sinne der Richtlinie 69/335/EWG und die Grunderwerbsteuer für den hier in Frage stehenden Steuertatbestand, beurteilt man beide nach ihren objektiven Merkmalen und nicht nach Zufallskriterien (EuGH-Urteil in Slg. 1996, I-505), verschiedener Natur sind und in keinem Zusammenhang stehen. Die Grunderwerbsteuer fällt nicht in den Anwendungsbereich von Art. 10 der Richtlinie 69/335/EWG und steht auch in keinem Zusammenhang mit Art. 11 der Richtlinie 69/335/EWG. Sie wird somit nach Auffassung des BFH nicht von der Richtlinie 69/335/EWG erfasst.

b) Selbst wenn die Grunderwerbsteuer von der Richtlinie 69/335/EWG erfasst werden würde, weil sie im Streitfall als zumindest mittelbar durch eine Kapitalerhöhung gegen Einlage von Aktien ausgelöst anzusehen wäre (so Spengel/Dörrfuß, Verstößt die Erhebung von Grunderwerbsteuer in Einbringungsfällen gegen Europarecht?, Deutsches Steuerrecht —DStR— 2003, 1059), wäre sie nach Auffassung des BFH gemäß Art. 12 Abs. 1 Buchst. a oder b der Richtlinie 69/335/EWG zulässig.

aa) Nach Art. 12 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 69/335/EWG können die Mitgliedstaaten pauschal oder nicht pauschal erhobene Börsenumsatzsteuern erheben. Die Vorschrift lässt die Erhebung einer Abgabe auf die Übertragung von Aktien unabhängig davon zu, ob die Gesellschaft, die diese Aktien ausgegeben hat, zum Börsenverkehr zugelassen ist und ob die Aktienübertragung über die Börse oder direkt zwischen dem Veräußerer und dem Erwerber erfolgt (, Codan, Slg. 1998, I-8679). Danach stellt die Einlage von Aktien gegen Gewährung neuer eigener Aktien —wie im Streitfall— eine solche Übertragung von Wertpapieren dar. Die Erhebung einer Steuer hierauf wäre daher nach Art. 12 Abs. 1 Buchst. a der genannten Richtlinie zulässig (vgl. EuGH-Urteile in ZSteu 2007, R 989; in Slg. 1998, I-8679).

bb) Nach Art. 12 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 69/335/EWG sind auch Besitzwechselsteuern auf die Einbringung von Liegenschaften in eine Gesellschaft, Personenvereinigung oder juristische Person mit Erwerbszweck zulässig. Die Grunderwerbsteuer, die gemäß § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG bei einer Anteilsvereinigung erhoben wird, ist nach Auffassung des BFH eine solche Besitzwechselsteuer (a.A. Spengel/Dörrfuß, a.a.O.). Art. 12 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 69/335/EWG macht keinen Unterschied zwischen verschiedenen Besitzwechselsteuern, die die Mitgliedstaaten erheben können. Die Vorschrift ermächtigt die Mitgliedstaaten allgemein, neben der Gesellschaftsteuer Steuern zu erheben, deren Entstehungstatbestand objektiv im Zusammenhang mit der Übertragung des Eigentums an Grundstücken steht (, Badischer Winzerkeller, Slg. 2006, I-5275; in Slg. 1997, I-7089). Die im Streitfall erhobene Grunderwerbsteuer steht objektiv im Zusammenhang mit der Übertragung des Eigentums an Grundstücken. Denn sie setzt das Vorhandensein einer Gesellschaft mit Grundbesitz voraus.

Als „Einbringung” im Sinne der Richtlinienregelung müssen dabei auch solche Vorgänge gelten, die objektiv erkennbar an eine Veränderung der Eigentumszuordnung anknüpfen, wie dies bei der hier in Frage stehenden Änderung der spezifisch grunderwerbsteuerrechtlichen Eigentumszuordnung durch Anteilsvereinigung der Fall ist.

In der Sache wird ein fiktiver Besitzwechsel am Grundstück besteuert. Besitzwechselsteuern erfassen nicht nur förmliche Übertragungen, sondern auch diesen im Ergebnis gleichkommende wirtschaftliche Übertragungen, wie die Tatbestände des § 1 Abs. 2 und 2 a GrEStG zeigen.

Dieses Verständnis liegt auch dem Vorschlag einer Richtlinie über die indirekten Steuern auf Geschäfte mit Wertpapieren (vgl. Deutscher Bundestag 7. Wahlperiode, BTDrucks 7/5082) zugrunde. Nach dessen Art. 10 Abs. 2 Buchst. b sollten Besitzwechselsteuern auf Grundstücke zulässig sein, „wenn der Erwerber infolge von Geschäften mit Beteiligungspapieren an Gesellschaften, Fonds, Vereinigungen oder anderen juristischen Personen, deren Vermögen ganz oder teilweise aus in ihrem Hoheitsgebiet gelegenen Grundstücken besteht, das gesamte Vermögen oder eine solche Stellung erlangt, dass er diese Gesellschaften, Fonds, Vereinigungen oder sonstigen juristischen Personen beherrscht. In diesem Fall wird die Besitzwechselsteuer nur auf den entsprechend den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften bestimmten Wert der Grundstücke erhoben” (vgl. auch Geänderter Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die indirekten Steuern auf Geschäfte mit Wertpapieren KOM(87) 139 endg., BRDrucks 203/87).

cc) Die Erhebung der Grunderwerbsteuer durch den hier in Frage stehenden Steuertatbestand entspricht auch Art. 12 Abs. 2 Satz 2 der Richtlinie 69/335/EWG. Danach dürfen die nach Abs. 1 der Vorschrift zulässigen Steuern und Abgaben nicht höher sein als diejenigen, die im erhebenden Mitgliedstaat für gleichartige Vorgänge erhoben werden. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist es Sache des nationalen Gerichts zu prüfen, ob diese Voraussetzung erfüllt ist (EuGH-Urteil in Slg. 2006, I-5275).

Die Grunderwerbsteuer ist im Streitfall nicht höher als die Steuer, die für gleichartige Vorgänge in Deutschland erhoben wird. Sie bemisst sich bei einem einheitlichen Steuersatz (§ 11 GrEStG) gemäß § 8 Abs. 1 GrEStG nach dem Wert der Gegenleistung oder —soweit eine Gegenleistung nicht oder schwierig zu ermitteln ist— gemäß § 8 Abs. 2 Satz 1 GrEStG nach den Werten i.S. des § 138 Abs. 2 oder 3 BewG (sog. Bedarfswert). Im Streitfall bemisst sich die Grunderwerbsteuer wie bei gleichartigen Vorgängen nach diesen letztgenannten Werten.

Fundstelle(n):
BStBl 2008 II Seite 489
BB 2008 S. 583 Nr. 12
BFH/NV 2008 S. 693 Nr. 4
BStBl II 2008 S. 489 Nr. 11
DB 2008 S. 617 Nr. 12
DStRE 2008 S. 520 Nr. 8
GmbH-StB 2008 S. 96 Nr. 4
GmbHR 2008 S. 383 Nr. 7
HFR 2008 S. 586 Nr. 6
KÖSDI 2008 S. 15924 Nr. 3
KÖSDI 2008 S. 15928 Nr. 3
KÖSDI 2008 S. 15934 Nr. 3
KÖSDI 2008 S. 15964 Nr. 4
NWB-Eilnachricht Nr. 11/2008 S. 916
SJ 2008 S. 12 Nr. 7
StB 2008 S. 112 Nr. 4
StBW 2008 S. 6 Nr. 6
StuB-Bilanzreport Nr. 5/2008 S. 198
UVR 2008 S. 104 Nr. 4
IAAAC-72652