Aufrechnung gegen Vorsteuervergütungsanspruch im Insolvenzverfahren
Leitsatz
Einzelne Vorsteuerbeträge begründen keinen Vergütungsanspruch, sondern sind unselbständige Besteuerungsgrundlagen, die bei der Berechnung der Umsatzsteuer mitberücksichtigt werden und in die Festsetzung der Umsatzsteuer eingehen. Aus einer Umsatzsteuer-Voranmeldung für einen Besteuerungszeitraum nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens, die zu einer Steuerschuld führt, können daher einzelne Vorsteuerabzugsbeträge aus Leistungen, die vor Insolvenzeröffnung erbracht worden sind, nicht ausgeschieden und durch Aufrechnung zum Erlöschen gebracht werden.
Gesetze: AO § 251 Abs. 2 Satz 1BGB § 387InsO § 96 Abs. 1 Nr. 1UStG § 15 Abs. 1UStG § 16 Abs. 2 Satz 1
Instanzenzug: (EFG 2006, 1139) (Verfahrensverlauf),
Gründe
I.
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) wurde in dem am eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin zum Insolvenzverwalter bestellt, nachdem er bis dahin als vorläufiger Insolvenzverwalter tätig gewesen war. Die vom Kläger für die Schuldnerin abgegebene Umsatzsteuervoranmeldung für den Monat Juli 2003 ergab eine Steuerschuld in Höhe von 10 210 €. Zu den mit der Umsatzsteuervoranmeldung geltend gemachten Vorsteuerabzugsbeträgen gehörte ein Betrag in Höhe von 5 612,99 € aus einer Rechnung des Klägers vom über seine Vergütung und die zu erstattenden Auslagen für seine Tätigkeit als vorläufiger Insolvenzverwalter. Mit Schreiben vom Oktober 2003 rechnete der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) gegen diesen Vorsteuerbetrag mit einer Steuerforderung aus der Umsatzsteuervoranmeldung für den Monat Mai 2003 auf. Nachdem der Kläger gegen die Aufrechnung Einwände erhoben hatte, erließ das FA im November 2003 einen entsprechenden Abrechnungsbescheid, mit dem der Vorsteuerabzugsanspruch für den Voranmeldungszeitraum Juli 2003 als in Höhe von 5 612,99 € durch Aufrechnung erloschen festgestellt wurde.
Auf die hiergegen erhobene Sprungklage des Klägers hob das Finanzgericht (FG) den Abrechnungsbescheid auf. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 2006, 1139 veröffentlicht.
Mit seiner Revision macht das FA geltend, dass das FG von der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) abgewichen sei. Nach dem (BFHE 188, 149, BStBl II 1999, 423) sei eine Kongruenz der Art, dass der aus dem aus der Masse zu befriedigenden Vergütungsanspruch einschließlich Umsatzsteuer des Sequesters bzw. vorläufigen Vergleichsverwalters herrührende und ebenfalls zur Konkursmasse gehörende Vorsteuererstattungsanspruch des Schuldners in der Masse verbleiben und den Massegläubigern zur Verfügung stehen müsse, nicht gegeben. Diese unter der Geltung der Konkursordnung (KO) ergangene Rechtsprechung sei auf den vorliegenden Fall betreffend die Vergütung des vorläufigen Insolvenzverwalters zu übertragen. Die Aufrechnung sei auch nicht ausgeschlossen, weil sich aus der Umsatzsteuervoranmeldung für den Monat Juli 2003 eine Zahllast ergeben habe, denn nach dem Vorrang des Insolvenzrechts vor dem Steuerrecht gemäß § 251 Abs. 2 Satz 1 der Abgabenordnung (AO) und dem auf § 174 Abs. 2 der Insolvenzordnung (InsO) beruhenden Einzelanspruchsgrundsatz sei die nach § 16 und § 18 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) vorgeschriebene Zusammenfassung der die Umsatzsteuer auslösenden Lebenssachverhalte insolvenzrechtlich ohne Bedeutung. Die vom UStG vorgesehene Zwangsverrechnung von Umsatzsteuer und Vorsteuer werde daher eingeschränkt.
Der Kläger schließt sich der Rechtsauffassung des FG an.
II.
Die Revision des FA ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung —FGO—). Das FG hat den angefochtenen Abrechnungsbescheid zu Recht aufgehoben, da dieser rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).
Der Vorsteuerabzugsanspruch aus dem Voranmeldungszeitraum Juli 2003 ist nicht in Höhe von 5 612,99 € durch Aufrechnung erloschen. Nach § 226 Abs. 1 AO gelten für die Aufrechnung mit Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis sowie für die Aufrechnung gegen diese Ansprüche die Vorschriften des bürgerlichen Rechts sinngemäß, soweit nichts anderes bestimmt ist. § 387 des Bürgerlichen Gesetzbuchs setzt für die Aufrechnung u.a. voraus, dass der Aufrechnende die ihm gebührende Leistung fordern und die ihm obliegende Leistung bewirken kann; es müssen sich m.a.W. eine erfüllbare Hauptforderung und eine fällige Gegenforderung gegenüberstehen. An dieser Voraussetzung fehlt es im Streitfall, weil im Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung der Gegenforderung des FA (Insolvenzforderung aus der Umsatzsteuervoranmeldung für den Monat Mai 2003) keine erfüllbare Hauptforderung gegenüberstand, denn die vom Kläger für die Schuldnerin abgegebene Umsatzsteuervoranmeldung für den Monat Juli 2003 hatte eine Umsatzsteuerschuld und kein zu erstattendes Guthaben ergeben.
Gegen den in den mit der Voranmeldung angesetzten Vorsteuerabzugsbeträgen enthaltenen Betrag in Höhe von 5 612,99 €, der aus der Rechnung des Klägers vom über seine Vergütung und die zu erstattenden Auslagen für seine Tätigkeit als vorläufiger Insolvenzverwalter resultiert, kann das FA die Aufrechnung nicht erklären. Das nach § 15 UStG gegebene Recht auf Vorsteuerabzug für die dem Unternehmer für jeden einzelnen Umsatz in Rechnung gestellte Umsatzsteuer ist kein selbständiger Anspruch und kann nicht unmittelbar gegenüber dem FA geltend gemacht werden (Wagner in Sölch/Ringleb, Umsatzsteuer, § 15 Rz 45 ff.; Forgách in Reiß/Kraeusel/Langer, UStG § 15 Rz 472). Vielmehr sind nach § 16 Abs. 2 Satz 1, § 18 Abs. 1 UStG mit der Umsatzsteuer-Voranmeldung die nach § 15 UStG abziehbaren Vorsteuerbeträge von der nach § 16 Abs. 1 UStG berechneten Steuer abzusetzen. Dementsprechend hat der BFH bereits entschieden, dass einzelne Vorsteuerbeträge umsatzsteuerrechtlich lediglich unselbständige Besteuerungsgrundlagen darstellen, die bei der Berechnung der Umsatzsteuer mitberücksichtigt werden und in die Festsetzung der Umsatzsteuer eingehen (, BFHE 138, 498, BStBl II 1983, 612), dass eine Aufrechnung die Höhe der sich aus dem Gesetz ergebenden festzusetzenden Umsatzsteuer nicht beeinflussen darf (, BFHE 185, 552, BStBl II 1998, 634) und dass deshalb das aus § 16 Abs. 2 Satz 1 UStG folgende umsatzsteuerrechtliche Erfordernis, sämtliche in den Besteuerungszeitraum fallenden abziehbaren Vorsteuerbeträge mit der berechneten Umsatzsteuer zu saldieren, Vorrang hat gegenüber einer Aufrechnung des FA mit anderen Ansprüchen (Senatsurteil vom VII R 75/03, BFHE 208, 296, BStBl II 2006, 193). An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest. Erst wenn sich aus der mit der Steueranmeldung gemäß § 16 Abs. 2 Satz 1 UStG vorzunehmenden Saldierung ein Guthaben des Steuerpflichtigen ergibt, besteht ein erfüllbarer Anspruch, gegen den die Aufrechnung mit Steuerforderungen erklärt werden kann, sofern die übrigen Aufrechnungsvoraussetzungen vorliegen und —im Insolvenzverfahren— insolvenzrechtliche Hindernisse nicht entgegenstehen.
Soweit der Senat in ständiger Rechtsprechung die Ansicht vertritt, dass es hinsichtlich der Aufrechenbarkeit von Forderungen im Insolvenzverfahren nicht darauf ankommt, ob der Anspruch im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens im steuerrechtlichen Sinne entstanden war, sondern allein darauf, ob in diesem Zeitpunkt nach insolvenzrechtlichen Grundsätzen der Rechtsgrund für den Anspruch bereits gelegt war (vgl. , BFHE 208, 10, BStBl II 2005, 195, und in BFHE 208, 296, BStBl II 2006, 193, jeweils m.w.N.), bezieht sich diese Rechtsprechung auf das insolvenzrechtliche Aufrechnungshindernis des § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO und die Frage, welcher Zeitpunkt maßgebend dafür ist, ob ein aufrechnender Insolvenzgläubiger erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens etwas zur Insolvenzmasse schuldig geworden ist. Diese Frage zu stellen setzt aber notwendigerweise voraus, dass überhaupt ein erfüllbarer zur Insolvenzmasse gehörender Anspruch gegen den Insolvenzgläubiger besteht; erst wenn dies bejaht werden kann, ist zu prüfen, ob nach insolvenzrechtlichen Grundsätzen der Rechtsgrund für den Anspruch bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder erst nach diesem Zeitpunkt gelegt war. Für die im Streitfall entscheidende Frage, ob der Forderung des FA im Zeitpunkt der Aufrechnung ein erfüllbarer Anspruch der Schuldnerin gegenüberstand, kann somit aus dieser Rechtsprechung des Senats nichts für den Rechtsstandpunkt der Revision hergeleitet werden.
Auch soweit der Senat unter der Geltung der KO entschieden hat, es sei konkursrechtlich unerheblich, dass der Vorsteuerabzugsanspruch umsatzsteuerrechtlich lediglich den Charakter einer unselbständigen Besteuerungsgrundlage habe und keinen rechtlich selbständigen Auszahlungsanspruch darstelle (, BFHE 172, 308, BStBl II 1994, 83; in BFHE 188, 149, BStBl II 1999, 423), betraf diese Aussage allein die Frage, ob ein einzelner Vorsteuerabzugsanspruch auf sein vorkonkursliches Begründetsein untersucht werden kann. Die Frage, ob gegen einen solchen einzelnen Vorsteuerabzugsanspruch —ohne vorherige Verrechnung mit der berechneten Umsatzsteuer gemäß § 16 Abs. 2 Satz 1 UStG— die Aufrechnung erklärt werden kann, stellte sich in jenen Fällen nicht, weil die Umsatzsteuer-Voranmeldung —anders als im Streitfall— ein Guthaben ergeben hatte.
Entgegen der Auffassung der Revision ist die nach § 16 Abs. 2 Satz 1 UStG vorgeschriebene Verrechnung der berechneten Umsatzsteuer mit den Vorsteuerbeträgen auch nicht wegen des Vorrangs des Insolvenzrechts gemäß § 251 Abs. 2 Satz 1 AO und des auf § 174 Abs. 2 InsO beruhenden Einzelanspruchsgrundsatzes ohne Bedeutung. Aus § 251 Abs. 2 Satz 1 AO folgt nicht, dass im Insolvenzverfahren hinsichtlich der Frage der Entstehung eines Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis steuerrechtliche Gesichtspunkte ohne jede Bedeutung sind (Beermann in Hübschmann/ Hepp/Spitaler, § 251 AO Rz 39; ebenso Senatsurteil in BFHE 172, 308, BStBl II 1994, 83). Zu berücksichtigen ist deshalb, dass die Aufrechnung als Teil des Erhebungsverfahrens erst erfolgen kann, wenn die Steuer festgesetzt ist, und die Steuerfestsetzung, zu der im Umsatzsteuerrecht auch die Verrechnung gemäß § 16 Abs. 2 Satz 1 UStG gehört, nicht beeinflussen kann (vgl. Senatsurteil in BFHE 188, 149, BStBl II 1999, 423). Hieran vermögen auch die insolvenzrechtlichen Vorschriften nichts zu ändern. Aus einer Umsatzsteuerfestsetzung für einen Besteuerungszeitraum nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens können daher einzelne Vorsteuerbeträge aus Leistungen, die bereits vor Insolvenzeröffnung erbracht wurden, nicht ausgeschieden und durch Aufrechnung zum Erlöschen gebracht werden (vgl. BFH-Urteil in BFHE 185, 552, BStBl II 1998, 634).
Der Senat folgt auch —jedenfalls für die im vorliegenden Fall streitige Aufrechnungsfrage— nicht der zum Teil in der Literatur vertretenen Ansicht, dass im Rahmen der nach § 16 Abs. 2 UStG vorgeschriebenen Verrechnung eine Aufteilung der Umsatzsteuerschulden und der Vorsteueransprüche in solche, die vor, und solche die nach Insolvenzeröffnung begründet worden seien, vorgenommen werden müsse und dass nur die sich insoweit jeweils gegenüberstehenden Umsatzsteuerschulden und Vorsteuervergütungsansprüche miteinander verrechnet werden dürften (vgl. Stadie in Rau/Dürrwächter, Umsatzsteuergesetz, § 18 Anm. 946 ff.; Forgách in Reiß/Kraeusel/Langer, a.a.O., § 15 Rz 472 ff.). Gegen die Übertragung der Aufrechnungsverbote nach §§ 95, 96 InsO in das umsatzsteuerrechtliche Steuerfestsetzungsverfahren spricht bereits, dass —wie ausgeführt— ein sich aus einer Rechnung eines leistenden Unternehmers ergebender Vorsteuerbetrag keinen Vorsteuervergütungsanspruch des Rechnungsempfängers begründet, sondern lediglich einen Abzugsanspruch im Rahmen des § 16 Abs. 2 UStG. Es stehen sich also bei diesem Abzug gemäß § 16 Abs. 2 UStG keine Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis gegenüber (vgl. Senatsurteile in BFHE 208, 296, BStBl II 2006, 193, und vom VII R 7/06, zur Veröffentlichung bestimmt).
Die Befürchtung des FA, der Insolvenzverwalter könnte durch die Wahl des Zeitpunkts der Rechnungstellung Einfluss darauf nehmen, in welchem Voranmeldungszeitraum der Vorsteuerbetrag berücksichtigt wird, und damit auch Einfluss auf die Möglichkeit der Aufrechnung durch das FA ausüben, ist nicht begründet. Der sich aus der Rechnung über die Vergütung des vorläufigen Insolvenzverwalters ergebende Vorsteuerbetrag steht in jedem Fall für eine Verrechnung mit Steuerforderungen des FA zur Verfügung. Denn er wird, auch wenn die Steueranmeldung —wie im Streitfall— eine Steuerschuld ergibt, gemäß § 16 Abs. 2 Satz 1 UStG mit der berechneten Umsatzsteuer verrechnet und dient damit gleichsam zur Begleichung der Steuer. Dabei spricht aus insolvenzrechtlicher Sicht nichts dagegen, wenn im Rahmen der Saldierung nach § 16 Abs. 2 Satz 1 UStG dieser Vorsteuerbetrag auch mit Umsatzsteuerschulden, die Masseverbindlichkeiten sind, verrechnet wird, da die Aufrechnungsverbote der §§ 95, 96 InsO nur den Insolvenzgläubiger, nicht aber den Massegläubiger betreffen (Senatsurteil vom VII R 7/06, zur Veröffentlichung bestimmt).
Ob die Aufrechnung mit einer Insolvenzforderung gegen den aus der Rechnung des vorläufigen Insolvenzverwalters resultierenden Vorsteuervergütungsanspruch —wie das FG meint— generell nicht zulässig ist, weil der Vergütungsanspruch des vorläufigen Insolvenzverwalters und auch die darauf zu erhebende Umsatzsteuer zu den nach § 53 InsO vorweg zu berichtigenden Masseverbindlichkeiten gehören und somit auch der entsprechende Vorsteuerbetrag in den privilegierten Vermögensbereich einzubeziehen ist, bedarf im Streitfall keiner Entscheidung.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BStBl 2007 II Seite 747
BB 2007 S. 930 Nr. 17
BB 2007 S. 981 Nr. 18
BStBl II 2007 S. 747 Nr. 16
DB 2007 S. 1122 Nr. 20
DStR 2008 S. 22 Nr. 1
DStRE 2007 S. 728 Nr. 11
HFR 2007 S. 537 Nr. 6
INF 2007 S. 402 Nr. 11
KÖSDI 2007 S. 15549 Nr. 5
NWB-Eilnachricht Nr. 16/2007 S. 1290
SJ 2007 S. 7 Nr. 11
StB 2007 S. 165 Nr. 5
UR 2007 S. 388 Nr. 10
ZIP 2007 S. 829 Nr. 17
ZAAAC-42140