Leitsatz
[1] § 119 Abs. 1 Nr. 1 b GVG findet auf Beschwerden gegen Entscheidungen der Amtsgerichte als Vollstreckungsgerichte keine Anwendung.
Zum Ermessen des Tatrichters hinsichtlich der Ermittlung ausländischen Rechts.
Gesetze: GVG § 119 Abs. 1 Nr. 1 b; ZPO § 293
Instanzenzug: AG Kappeln 7 M 403/04 vom LG Flensburg 5 T 213/05 vom
Gründe
I.
Die Gläubigerin betreibt gegen den Schuldner die Zwangsvollstreckung aus einer Gesamtforderung von 65.600,53 €.
Auf ihren Antrag hat das Amtsgericht am einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss erlassen, mit dem angebliche Ansprüche des Schuldners gegen die Drittschuldnerin gepfändet worden sind. Die dagegen gerichtete Erinnerung des Schuldners hat das Amtsgericht zurückgewiesen. Mit seiner sofortigen Beschwerde hat der Schuldner geltend gemacht, die Gläubigerin sei nicht mehr existent. Die im US-Bundesstaat Delaware registrierte Gläubigerin sei wegen Steuerrückständen inzwischen zwangsgelöscht.
Das Landgericht hat auf die sofortige Beschwerde den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss aufgehoben und die Wirksamkeit der Entscheidung bis zu ihrer Rechtskraft ausgesetzt. Dagegen richtet sich die vom Landgericht zugelassene Rechtsbeschwerde der Gläubigerin.
II.
Die gemäß §§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2, 575 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der angegriffenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.
1. Das Landgericht meint, es sei für die Entscheidung über die sofortige Beschwerde sachlich zuständig. Eine Zuständigkeit des Oberlandesgerichts nach § 119 Abs. 1 Nr. 1 b GVG sei nicht im Hinblick darauf eröffnet, dass die Gläubigerin ihren Sitz im Ausland habe. Nach § 119 Abs. 1 Nr. 1 b GVG sei den Oberlandesgerichten die Zuständigkeit für Beschwerden gegen Entscheidungen der Amtsgerichte in Streitigkeiten über Ansprüche zugewiesen, die von einer oder gegen eine Partei erhoben werden, die ihren allgemeinen Gerichtsstand im Zeitpunkt der Rechtshängigkeit in erster Instanz außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes habe. Die Gläubigerin verfolge im vorliegenden Zwangsvollstreckungsverfahren aber keinen materiell-rechtlichen Anspruch im Sinne von § 194 Abs. 1 BGB. Zudem werde eine Zuständigkeit des Oberlandesgerichts auch nicht von dem tragenden Gedanken des § 119 Abs. 1 Nr. 1 b GVG gefordert. Dieser bestehe in der Begründung einer Sonderzuständigkeit für Sachen mit Auslandsberührung bei den Oberlandesgerichten. In Zwangsvollstreckungsverfahren wie dem vorliegenden komme jedoch ausschließlich nationales Zwangsvollstreckungsrecht zur Anwendung.
Die sofortige Beschwerde sei auch in der Sache begründet. Der Gläubigerin fehle derzeit die Fähigkeit, am Vollstreckungsverfahren beteiligt zu sein. Zwar sei nachgewiesen, dass die Gläubigerin nach dem Recht des US-Bundesstaates Delaware, auf das nach der im Anwendungsbereich von Art. XXV Abs. 5 Satz 2 des Deutsch-Amerikanischen Freundschaftsvertrages vom anzuwendenden Gründungstheorie abzustellen sei, ordnungsgemäß gegründet wurde. Jedoch sei der Nachweis, dass die Gläubigerin inzwischen nicht erloschen und weiterhin handlungsfähig sei, nicht geführt worden. Hierzu bedürfe es der Vorlage eines "certificate of good standing", aus dem sich ergebe, dass die Corporation nach wie vor als juristische Person bestehe. Die Vorlage dieser weiteren Bescheinigung sei hier erforderlich, da nach den vorgelegten Unterlagen die Gesellschaft ihre "franchise taxes" nicht gezahlt habe und ihr deswegen die Amtslöschung drohe.
2. Das hält der rechtlichen Nachprüfung nur zum Teil stand.
a) Nicht zu beanstanden ist, dass das Landgericht seine Zuständigkeit zur Entscheidung über die sofortige Beschwerde nach § 72 GVG bejaht hat. Die Ausnahmeregelung des § 119 Abs. 1 Nr. 1 b GVG findet auf Beschwerden gegen Entscheidungen der Amtsgerichte als Vollstreckungsgerichte keine Anwendung.
aa) Ob § 119 Abs. 1 Nr. 1 b GVG auf Beschwerdeverfahren in Zwangsvollstreckungssachen Anwendung findet, ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten.
Zum Teil wird diese Frage bejaht mit der Begründung, dass auch in Vollstreckungsverfahren bei Beteiligung einer ausländischen Partei eine Vielzahl kollisionsrechtlicher Problemstellungen auftauchen könne. Gerade dies sei der Grund dafür gewesen, dass der Gesetzgeber über den in § 119 Abs. 1 Nr. 1 c GVG beschriebenen konkreten Anwendungsfall hinaus bei einer Ausländerbeteiligung in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten rein formal an diesen Umstand angeknüpft habe, um eine Rechtsmittelzuständigkeit der Oberlandesgerichte zu begründen (vgl. OLG Braunschweig, Rpfleger 2005, 150; OLG Köln, InVO 2004, 512 ; OLG Frankfurt am Main, DGVZ 2004, 92; Hüßtege in Thomas/Putzo, 27. Aufl., § 119 GVG Rdn. 10; Hk-ZPO/Rathmann, § 119 GVG Rdn. 8). Die Gegenansicht verweist auf den Willen des Gesetzgebers sowie den Umstand, dass es im Zwangsvollstreckungsverfahren nicht um von § 119 Abs. 1 Nr. 1 b GVG vorausgesetzte Ansprüche i.S. von § 194 Abs. 1 BGB gehe (vgl. OLG Stuttgart, MDR 2005, 1253; OLG Oldenburg, NJW-RR 2004, 499, 500; OLG Oldenburg, OLGR 2003, 374; Zöller/Gummer, ZPO, 25. Aufl., § 119 GVG Rdn. 15; Albers in: Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 64. Aufl., § 119 GVG Rdn. 9; Musielak/Wittschier, ZPO, 4. Aufl., § 119 GVG Rdn. 19).
bb) Die zuletzt genannte Auffassung ist im Ergebnis jedenfalls für die Fälle zutreffend, in denen das Amtsgericht als Vollstreckungsgericht entschieden hat. Hierfür sprechen der Sinn der gesetzlichen Regelung und der vom Gesetzgeber nach den Gesetzesmaterialien verfolgte Zweck. Ob dies auch dann gilt, wenn das Amtsgericht im Rahmen des Vollstreckungsverfahrens als Prozessgericht des ersten Rechtszugs entschieden hat (§§ 887, 888, 890 ZPO), braucht hier nicht entschieden zu werden.
(1) Die nach § 119 Abs. 1 Nr. 1 b GVG begründete Sonderzuständigkeit der Oberlandesgerichte für Berufungen und Beschwerden gegen Entscheidungen der Amtsgerichte wurde durch das Zivilprozessreformgesetz vom (BGBl. I S. 1887) mit der Begründung eingeführt, dass in Sachen mit Auslandsbezug ein großes Bedürfnis nach Rechtssicherheit durch eine obergerichtliche Rechtsprechung bestehe. In den von § 119 Abs. 1 Nr. 1 b GVG erfassten Fallkonstellationen, in denen um Ansprüche gestritten wird, die von einer oder gegen eine Partei erhoben werden, die ihren allgemeinen Gerichtsstand im Zeitpunkt der Rechtshängigkeit in erster Instanz außerhalb des Geltungsbereiches des GVG hatte, hat der Gesetzgeber den Grund für die Sonderzuständigkeit der Oberlandesgerichte darin gesehen, dass in derartigen Fällen das Gericht regelmäßig die Bestimmungen des internationalen Privatrechts anzuwenden habe, um zu entscheiden, welches materielle Recht es seiner Entscheidung zugrunde zu legen hat (vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages vom , BT-Drucks. 14/6036 S. 116, 119).
(2) Diese Überlegungen greifen nicht ein, wenn das Amtsgericht als Vollstreckungsgericht tätig wird. Denn dieses hat bei der Anordnung von Vollstreckungsmaßnahmen und bei der Entscheidung über Erinnerungen im Sinne des § 766 ZPO nach dem "lex fori"-Prinzip ausschließlich deutsches Recht anzuwenden. Der Bundesgerichtshof hat für einen Fall, in dem das Vollstreckungsgericht im Zwangsversteigerungsverfahren entschieden hat, bereits ausgeführt ( IXa ZB 23/03, dokumentiert bei juris), dass aus diesem Grunde die besondere Rechtsmittelzuständigkeit des Oberlandesgerichts nach § 119 Abs. 1 Nr. 1 b GVG nicht greift. Entsprechendes gilt auch, wenn das Amtsgericht im Rahmen der allgemeinen Zwangsvollstreckung als Vollstreckungsgericht tätig wird. Auch für diesen Fall ist davon auszugehen, dass es vom Gesetzgeber nicht beabsichtigt gewesen ist, das Rechtsmittelverfahren nur deswegen den mit Verfahren dieser Art sonst nicht befassten Oberlandesgerichten zuzuweisen, weil eine Partei mit allgemeinem Gerichtsstand im Ausland beteiligt ist.
Denn wegen der aus dem "lex fori"-Prinzip folgenden Anwendbarkeit des deutschen Zwangsvollstreckungsrechts geht es hier gerade nicht um Fallgestaltungen, in denen regelmäßig und typischerweise unter Anwendung der Bestimmungen des internationalen Privatrechts und internationalen Prozessrechts zu entscheiden ist, welches nationale Recht heranzuziehen und wie es gegebenenfalls zu handhaben ist. Dass auch in solchen Fällen gelegentlich aus der Auslandsberührung rechtliche Probleme entstehen können (z. B. hinsichtlich der Parteifähigkeit oder der Frage, wo eine zu pfändende Forderung belegen ist etc.), reicht nicht aus, um die Anwendung des § 119 Abs. 1 Nr. 1 b GVG zu begründen.
b) Die bisherigen Feststellungen des Landgerichts tragen nicht die Annahme, die Gläubigerin sei nicht parteifähig.
aa) Zutreffend ist der Ausgangspunkt des Landgerichts, dass sich die Beurteilung der Rechts- und Parteifähigkeit der Gläubigerin gemäß Art. XXV Abs. 5 Satz 2 des Deutsch-Amerikanischen Freundschafts-, Handels- und Schifffahrtsvertrags vom (BGBl. II 1956, 487, 500) nach dem für die Gläubigerin maßgeblichen Gründungsrecht richtet (vgl. , BB 2004, 2595, vom - XI ZR 40/03, BGHZ 159, 94, 100 und vom - VIII ZR 155/02, BGHZ 153, 353, 355 ff.). Dies ist nach den von der Rechtsbeschwerde nicht angegriffenen Feststellungen des Landgerichts das Recht des US-Bundesstaates Delaware.
bb) Verfahrensfehlerhaft ist jedoch die Ermittlung der für die Beurteilung der Parteifähigkeit maßgeblichen Bestimmungen des ausländischen Rechts durch das Landgericht.
(1) Das ausländische Recht hat der Tatrichter nach § 293 ZPO von Amts wegen zu ermitteln. In welcher Weise er sich die notwendigen Erkenntnisse verschafft, liegt in seinem pflichtgemäßen Ermessen. Die Anforderungen sind umso größer, je detaillierter die Verfahrensbeteiligten eine ausländische Rechtspraxis vortragen. Vom Revisionsgericht überprüft werden darf lediglich, ob der Tatrichter sein Ermessen fehlerfrei ausgeübt, insbesondere die sich anbietenden Erkenntnisquellen ausgeschöpft hat. Gibt die angefochtene Entscheidung keinen Aufschluss darüber, dass der Tatrichter seiner Pflicht nachgekommen ist, das ausländische Recht zu ermitteln, wie es in Rechtsprechung und Rechtslehre Ausdruck und in der Praxis Anwendung findet, ist revisionsrechtlich davon auszugehen, dass eine ausreichende Erforschung des ausländischen Rechts verfahrensfehlerhaft unterblieben ist (vgl. , NJW-RR 2002, 1359, 1360, vom - IX ZR 233/90, BGHZ 118, 151, 162 ff. und vom - II ZR 6/87, NJW 1988, 647). Diese für das Revisionsverfahren getroffenen Grundsätze gelten für das Rechtsbeschwerdeverfahren gleichermaßen.
(2) Danach ist die Entscheidung des Landgerichts verfahrensfehlerhaft.
Das Landgericht hat ausgeführt, dass die Gläubigerin zwar ordnungsgemäß gegründet worden sei. Dagegen sei der Nachweis, dass sie inzwischen nicht erloschen und weiterhin handlungsfähig sei, nicht geführt worden. Hierzu bedürfe es der Vorlage eines "certificate of good standing", woraus sich ergebe, dass die Corporation nach wie vor als juristische Person bestehe.
Diesen Ausführungen ist bereits nicht zu entnehmen, inwiefern das vom Landgericht in Bezug genommene "certificate of good standing" von Relevanz für das Fortbestehen der einmal erlangten Rechtsfähigkeit einer US-amerikanischen "business corporation" ist. Die insoweit vom Landgericht in Bezug genommenen Fundstellen (Ebenroth/Boujong/Joost/Schaub, HGB, Anhang: Handelsregisteranmeldungen mit Auslandsbezug § 12 Rdn. 117 f; OLG Hamm, IPRax 1998, 358, 360) geben hierüber keinen Aufschluss. Sie besagen lediglich, dass mit einem "certificate of good standing" belegt werden kann, dass die "business corporation" nach wie vor als juristische Person weiter besteht. Dies lässt vermuten, dass es sich bei einem "certificate of good standing" lediglich um ein Mittel zur Nachweisführung im Rechtsverkehr handelt, nicht aber um ein konstitutives Element der Rechtsfähigkeit der Gesellschaft.
Darüber hinaus hat das Landgericht lediglich festgestellt, dass eine Amtslöschung "drohe". Dass nach dem Recht des US-Bundesstaates Delaware bereits das Drohen einer Amtslöschung zum Entfallen der Rechts- und Parteifähigkeit einer "business corporation" führt, hat das Landgericht nicht festgestellt. Gleiches gilt für die Frage, ob selbst eine tatsächlich erfolgte Amtslöschung diese Rechtsfolge nach sich ziehen würde. Diese Prüfung lag schon deshalb nahe, weil die Parteifähigkeit der Gläubigerin auch in einem solchen Fall zu bejahen sein könnte, wenn diese - wie hier - ein Vermögensrecht in Anspruch nimmt. Jedenfalls hätte das Landgericht auf diese Frage eingehen müssen, weil die Gläubigerin im Beschwerdeverfahren vorgetragen hat, dass nach dem Recht des US-Bundesstaates Delaware ein in Liquidation befindliches Unternehmen für den Zeitraum von zumindest drei Jahren weiter bestehen bleibt, um die Verfolgung von Ansprüchen zu ermöglichen.
III.
Die Beschwerdeentscheidung kann daher keinen Bestand haben. Das Landgericht wird erneut zu prüfen haben, gegebenenfalls durch Einholung eines Rechtsgutachtens, ob die Gläubigerin rechts- und parteifähig ist.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
IWB-Kurznachricht Nr. 3/2007 S. 118
NJW-RR 2007 S. 574 Nr. 8
FAAAC-32042
1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja