Zustellung der Ladung zur mündlichen Verhandlung durch Einlegen in den Briefkasten; Anforderungen an den Beweis der öffentlichen Urkunde
Instanzenzug:
Gründe
I. Der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) wurde von dem Beklagten und Beschwerdegegner mitgeteilt, dass sie die Steuerberaterprüfung nicht bestanden habe. Die hiergegen erhobene Klage wurde vom Finanzgericht (FG) auf Grund mündlicher Verhandlung vom , zu der die Klägerin nicht erschienen war, abgewiesen. Die Ladung zur mündlichen Verhandlung war der Klägerin unter der von ihr angegebenen Anschrift durch die Post mit Zustellungsurkunde übermittelt worden. Auf der Zustellungsurkunde hatte der Zusteller unter dem Datum , Uhrzeit 15.20 Uhr, vermerkt, dass er versucht habe, das Schriftstück zu übergeben, dass er aber das Schriftstück, weil eine Übergabe in der Wohnung des Adressaten nicht möglich gewesen sei, in den zur Wohnung gehörenden Briefkasten oder eine ähnliche Vorrichtung eingelegt habe.
Mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde, die auf den Zulassungsgrund des Verfahrensmangels (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung —FGO—) gestützt wird, macht die Klägerin geltend, dass ihr das rechtliche Gehör versagt worden sei, weil sie zur mündlichen Verhandlung vor dem FG nicht geladen worden sei. Die in der Zustellungsurkunde enthaltenen Angaben über den Zustellungsvorgang seien unrichtig.
Hierzu trägt die Klägerin unter Versicherung der Richtigkeit ihrer Angaben an Eides statt im Einzelnen vor:
Am habe sie sich von 14.30 Uhr bis 16.30 Uhr in ihrer Wohnung aufgehalten. Während dieser Zeit habe niemand an ihrer Wohnung geklingelt oder sich in anderer Weise bemerkbar gemacht. Die Klingel funktioniere und sei in allen Räumen der Wohnung deutlich zu hören. Sowohl an der neben der Haustür befindlichen Klingelanlage als auch an ihrem Briefkasten sei ein Schild mit ihrem Namen angebracht. Als sie um 14.30 Uhr an ihrer Wohnung angekommen sei, habe sie ihren Briefkasten geleert; eine Terminsladung habe sich jedoch nicht darin befunden. Als sie dann nach dem Verlassen ihrer Wohnung wiederum gegen 18.00 Uhr zurückgekehrt sei, habe sie den Briefkasten nochmals geöffnet; dieser sei jedoch leer gewesen.
II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg, weil der geltend gemachte Verfahrensmangel nicht vorliegt (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO).
Die Rüge der Klägerin, das FG habe sie nicht ordnungsgemäß zur mündlichen Verhandlung geladen und ihr dadurch das rechtliche Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes, § 96 Abs. 2 FGO) versagt, mit der sie zugleich geltend macht, sie sei im Verfahren nicht nach Vorschrift des Gesetzes vertreten gewesen (§ 119 Nr. 4 FGO), ist nicht begründet. Die Klägerin ist zur mündlichen Verhandlung vor dem FG ordnungsgemäß geladen worden.
Nach § 53 Abs. 1 FGO sind Ladungen den Beteiligten zuzustellen; nach Abs. 2 dieser Vorschrift wird von Amts wegen nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung (ZPO) zugestellt. Das FG hat im Streitfall eine Zustellung der Ladung der Klägerin zur mündlichen Verhandlung durch die Post mit Zustellungsurkunde veranlasst (§ 168 Abs. 1, § 176 ZPO).
Die am ausweislich der in formeller Hinsicht ordnungsgemäßen (§ 182 Abs. 2 ZPO) Zustellungsurkunde durchgeführte Ersatzzustellung durch Einlegen des Schriftstücks in den Briefkasten ist gemäß § 180 Satz 1 ZPO zulässig, wenn die Person, der zugestellt werden soll, in ihrer Wohnung oder in dem Geschäftsraum nicht angetroffen wird und wenn auch die für diesen Fall vorgesehene Ersatzzustellung durch Zustellung an einen in der Wohnung anwesenden erwachsenen Familienangehörigen, eine in der Familie beschäftigte Person oder einen erwachsenen ständigen Mitbewohner bzw. an eine im Geschäftsraum beschäftigte Person (§ 178 Abs. 1 Nr. 1 und 2 ZPO) nicht ausführbar ist. Nach den vom Zusteller in der Zustellungsurkunde vermerkten Angaben lagen diese Voraussetzungen im Streitfall vor; daher wurde eine Ersatzzustellung durch Einlegen des Schriftstücks in den zur Wohnung gehörenden Briefkasten oder eine ähnliche Vorrichtung vorgenommen.
Nach § 182 Abs. 1 Satz 2 ZPO gilt für die Zustellungsurkunde § 418 ZPO, d.h. dass es sich um eine öffentliche Urkunde handelt, die den vollen Beweis der in ihr bezeugten Tatsachen begründet. Ein Gegenbeweis kann nach § 418 Abs. 2 ZPO nur durch den Beweis der Unrichtigkeit der in der Zustellungsurkunde bezeugten Tatsachen geführt werden.
Dieser Gegenbeweis kann nicht durch die bloße Behauptung, das betreffende Schriftstück nicht erhalten zu haben, geführt werden, weil es für die Wirksamkeit der Zustellung nicht darauf ankommt, ob und wann der Adressat das Schriftstück seinem Briefkasten entnommen und ob er es tatsächlich zur Kenntnis genommen hat (ständige Rechtsprechung, vgl. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs —BFH— vom VIII B 52/77, BFHE 124, 5, BStBl II 1978, 156; vom III S 7/89, BFH/NV 1991, 322; vom X B 101/00, BFH/NV 2001, 1361; Senatsurteil vom VII R 36/84, BFH/NV 1988, 170, jeweils m.w.N.). Der Gegenbeweis der Unrichtigkeit der in der Zustellungsurkunde bezeugten Tatsachen erfordert vielmehr den Beweis eines anderen als des beurkundeten Geschehensablaufs, der damit ein Fehlverhalten des Zustellers und eine Falschbeurkundung in der Zustellungsurkunde belegt (ständige Rechtsprechung, , BFH/NV 1999, 961; vom III R 27/00, nicht veröffentlicht, juris; Senatsbeschluss vom VII B 165/87, BFH/NV 1988, 790; , BFHE 183, 3, BStBl II 1997, 638). Gefordert wird der volle Gegenbeweis in der Weise, dass die Beweiswirkung der Zustellungsurkunde vollständig entkräftet und jede Möglichkeit der Richtigkeit der in ihr bezeugten Tatsachen ausgeschlossen wird (vgl. , Neue Juristische Wochenschrift —NJW— 1990, 2125; , BFH/NV 1994, 291). Der Gegenbeweis der Unrichtigkeit der in der Zustellungsurkunde bezeugten Tatsachen ist zwar erbracht, wenn nach dem Ergebnis einer Beweisaufnahme über die Tatsachenbehauptungen des Zustellungsempfängers, wonach der Zustellungsvorgang falsch beurkundet worden sei, diesen Behauptungen bei der Beweiswürdigung mehr Glauben zu schenken ist als der Zustellungsurkunde (Beschluss des Senats vom VII B 181/00, BFH/NV 2001, 318). Andererseits reicht es nicht, wenn das Ergebnis einer Beweisaufnahme lediglich Zweifel an der Richtigkeit der Zustellungsurkunde begründet.
Im Streitfall ist der Gegenbeweis nicht erbracht. Zum einen kann der Beweis der mit der Beschwerde behaupteten Tatsachen nicht durch Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung erbracht werden, weil eine solche Versicherung nur zur Glaubhaftmachung geeignet ist (vgl. BFH-Beschluss in BFHE 124, 5, BStBl II 1978, 156; Senatsurteil in BFH/NV 1988, 170). Zum anderen ist aber das Beschwerdevorbringen auch nicht geeignet, die Beweiswirkung der Zustellungsurkunde vollständig zu entkräften, weshalb der Senat die von der Beschwerde angebotenen Beweise für die mit ihr behaupteten Tatsachen nicht erhoben hat. Es kann nämlich nicht angenommen werden, dass die Behauptungen der Klägerin —sollte ihre Richtigkeit im Rahmen einer Beweisaufnahme bestätigt werden— zu dem sicheren Schluss führen, dass sich der Zustellungsvorgang in Wahrheit anders als in der Zustellungsurkunde dargestellt zugetragen hat und dass der Zusteller somit eine Falschbeurkundung in der Zustellungsurkunde vorgenommen hat.
Auch wenn man davon ausgeht, dass sich die Klägerin während der fraglichen Zeit der Zustellung in ihrer Wohnung aufgehalten und nicht vernommen hat, dass ein Zusteller versucht hat, sich bemerkbar zu machen, und dass sie am Abend ihren Briefkasten leer gefunden hat, so ist gleichwohl nicht ausgeschlossen, dass der Zusteller den Zustellungsvorgang zutreffend beurkundet hat. Denkbar bleiben ein Überhören der Türklingel durch die Klägerin z.B. wegen anderer lauter Geräusche in diesem Moment sowie ein Entfernen des Briefkasteninhalts durch Dritte (vgl. dazu den , NJW 1986, 2127).
Hinzu kommt, dass es nicht ersichtlich ist, weshalb die Klägerin meint, eine derart genaue Schilderung des betreffenden Tagesablaufs geben zu können, und weshalb sie Umstände, welche für die Richtigkeit des beurkundeten Zustellungsvorgangs sprechen, meint ausschließen zu können. Das angefochtene Urteil des FG und das Sitzungsprotokoll sind der Klägerin am zugestellt worden. Geht man davon aus, dass die Klägerin in der Zeit danach zunächst ihren Prozessbevollmächtigten mit ihrer Vertretung vor dem BFH beauftragt und dieser wiederum einige Zeit später die Gerichtsakte des FG eingesehen hat, hat die Klägerin Anfang Dezember 2002 Kenntnis davon erlangt, dass in der fraglichen Zustellungsurkunde eine Ersatzzustellung der Ladung am um 15.20 Uhr beurkundet worden ist. Nach allgemeiner Lebenserfahrung kann man sich aber, ohne dass spezielle Aufzeichnungen gemacht worden sind oder dass besondere Umstände vorliegen, nicht an den genauen Ablauf eines ca. zwei Monate zurückliegenden Tages erinnern. Zu einem schlüssigen Vorbringen über einen angeblich falsch beurkundeten Zustellungsvorgang, welches eine entsprechende Beweisaufnahme durch Einvernahme der Klägerin als Beteiligte hätte geboten erscheinen lassen, wären somit Angaben erforderlich gewesen, worauf sich die genauen Erinnerungen an den Ablauf des Nachmittags des , insbesondere zu den genauen Zeiten des Aufsuchens und des Verlassens der Wohnung und zu den dort durchgeführten Tätigkeiten, stützen, weshalb es ausgeschlossen werden kann, dass ein kurzfristiges, aber evtl. in Vergessenheit geratenes Verlassen der Wohnung in der betreffenden Zeit stattgefunden hat oder dass andere Geräusche in der Wohnung zu einem Überhören der Klingel geführt haben können, und weshalb es ausgeschlossen werden kann, dass in der Zeit zwischen 15.20 Uhr und der angeblichen Kontrolle des Briefkastens um 18.00 Uhr der Briefkasteninhalt durch Dritte entfernt worden ist. An einem solchen Vorbringen fehlt es jedoch in der Beschwerdebegründung. Von einer Vernehmung der Klägerin als Beteiligte hat der Senat daher abgesehen.
Die übrigen in der Beschwerdebegründung benannten Zeugen waren ebenfalls nicht zu hören. Die Tochter der Klägerin befand sich erst ab 16.00 Uhr in der Wohnung und kann somit für den Zustellungszeitpunkt um 15.20 Uhr keine maßgeblichen Tatsachen aus eigener Kenntnis bekunden. Im Übrigen gilt auch für sie, dass es zu der Frage, weshalb der Nachmittag des noch so gut erinnerlich ist, kein erklärendes Vorbringen gibt. Der als Zeuge benannte Hausverwalter war nicht zu vernehmen, weil das in sein Wissen gestellte einwandfreie Funktionieren der Klingelanlage nicht erheblich ist, da —wie bereits ausgeführt— ein Überhören der Klingel gleichwohl nicht ausgeschlossen werden kann. Die Behauptung der späteren Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Zustellers wegen Unzuverlässigkeit ist ebenfalls nicht erheblich, zumal nicht deutlich ist, in welcher Weise der Zusteller unzuverlässig gewesen sein soll, so dass auch insoweit eine Beweisaufnahme nicht in Betracht kam.
Die Zustellungsurkunde begründet somit gemäß § 418 Abs. 1 ZPO den vollen Beweis der Voraussetzungen für eine Ersatzzustellung sowie des mit ihr bezeugten Einlegens der Ladung in den zur Wohnung der Klägerin gehörenden Briefkasten oder in eine ähnliche Einrichtung. Mit der Einlegung galt die Ladung nach § 180 Satz 2 ZPO als zugestellt. Die Klägerin war daher ordnungsgemäß zur mündlichen Verhandlung geladen. Ein Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO, der auf einer Verletzung des rechtlichen Gehörs oder darauf beruht, dass die Klägerin in gesetzwidriger Weise im Verfahren nicht vertreten war, liegt nicht vor.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2004 S. 509
BFH/NV 2004 S. 509 Nr. 4
HAAAB-15390