Vorlage zur Vorabentscheidung – Körperschaftsteuer – Konzern – Niederlassungsfreiheit – Abzug von Verlusten gebietsfremder Tochtergesellschaften – Begriff ‚endgültige Verluste‘ – Anwendung auf eine Enkelgesellschaft – Rechtsvorschriften des Sitzstaats der Muttergesellschaft, die eine unmittelbare Beteiligung der Tochtergesellschaft verlangen – Rechtsvorschriften des Sitzstaats der Tochtergesellschaft, die die Anrechnung der Verluste beschränken und für das Jahr der Abwicklung ausschließen
Leitsatz
1. Der Begriff der endgültigen Verluste einer gebietsfremden Tochtergesellschaft im Sinne von Rn. 55 des Urteils vom , Marks & Spencer (C-446/03, EU:C:2005:763), ist nicht auf eine Enkelfiliale anwendbar, sofern nicht alle Gesellschaften, die zwischen der den Konzernabzug beantragenden Muttergesellschaft und der Enkelgesellschaft stehen, bei der berücksichtigungsfähige Verluste entstehen, die als endgültig angesehen werden können, ihren Sitz im selben Mitgliedstaat haben.
2. Bei der Beurteilung der Frage, ob die Verluste einer gebietsfremden Gesellschaft im Sinne von Rn. 55 des Urteils vom , Marks & Spencer (C-446/03, EU:C:2005:763), endgültig sind, ist der Umstand, dass der Sitzmitgliedstaat der Tochtergesellschaft im Jahr einer Abwicklung keine Übertragung der Verluste einer Gesellschaft auf einen anderen Steuerpflichtigen zulässt, nicht entscheidend, sofern nicht die Muttergesellschaft nachweist, dass es ihr unmöglich ist, diese Verluste, insbesondere durch eine Übertragung, so geltend zu machen, dass sie bei einem Dritten für künftige Zeiträume berücksichtigt werden können.
3. Für den Fall, dass der in Nr. 2 dieses Tenors genannte Umstand relevant sein sollte, kommt es nicht darauf an, inwieweit aufgrund des Rechts des Sitzstaats der Tochtergesellschaft, bei der Verluste entstehen, die als endgültig angesehen werden können, ein Teil dieser Verluste nicht mit laufenden Gewinnen der verlustbringenden Tochtergesellschaft oder eines anderen Rechtssubjekts desselben Konzerns verrechnet werden durfte.
Gründe
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 49 AEUV in Verbindung mit Art. 54 AEUV.
2 Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem Skatteverk (schwedische Finanzbehörde) und der Holmen AB (im Folgenden: Holmen) wegen der Möglichkeit Letzterer, die Verluste einer in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Enkelgesellschaft von der Körperschaftsteuer abzuziehen.
Rechtlicher Rahmen
Schwedisches Recht
3 Die Regelung konzerninterner Finanztransfers ist in den Kapiteln 35 und 35a des Inkomstskattelag (1999:1229) (Gesetz Nr. 1229 aus dem Jahr 1999 über die Körperschaft- und Einkommensteuer, im Folgenden: Inkomstskattelag) enthalten.
4 Nach Kapitel 35 des Inkomstskattelag kann eine verlustbringende Tochtergesellschaft diese Verluste unmittelbar oder mittelbar steuerlich auf ihre Muttergesellschaft übertragen.
5 Dieser Vorteil kann bei einem endgültigen Verlust im Sinne von Rn. 55 des Urteils vom , Marks & Spencer (C-446/03, EU:C:2005:763, im Folgenden: Urteil Marks & Spencer), wenn es sich um eine in einem Mitgliedstaat des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) ansässige 100%ige Tochtergesellschaft handelt, unter der Voraussetzung gewährt werden, dass die Tochtergesellschaft u. a. unmittelbar gehalten wird, dass sie abgewickelt wurde und dass die Muttergesellschaft im Sitzstaat der Tochtergesellschaft zum Zeitpunkt der Abwicklung keine Tätigkeit über ein verbundenes Unternehmen ausübt.
Spanisches Recht
6 Aus den Ausführungen in der Vorlageentscheidung geht hervor, dass es nach dem spanischen Steuerkonsolidierungssystem möglich ist, zwischen den Rechtssubjekten eines Konzerns einen unbeschränkten Gewinn- und Verlustausgleich vorzunehmen. Nicht genutzte Verluste können unbegrenzt vorgetragen und mit künftigen Gewinnen verrechnet werden.
7 Seit 2011 kann jedoch nur noch ein Teil der in einem Steuerjahr erzielten Gewinne mit Verlusten aus früheren Jahren verrechnet werden. Verluste, die aufgrund dieser Deckelung nicht abzugsfähig sind, können jedoch weiterhin wie andere nicht genutzte Verluste auf nachfolgende Jahre vorgetragen werden.
8 Wird ein Konzern aufgrund der Abwicklung einer oder mehrerer der ihm angehörenden Gesellschaften aufgelöst, werden verbleibende Verluste gegebenenfalls den Gesellschaften zugeordnet, bei denen sie entstanden sind.
9 Schließlich können diese Verluste im Jahr der Abwicklung nur von der Gesellschaft genutzt werden, bei der sie entstanden sind.
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
10 Holmen ist die Muttergesellschaft eines Konzerns schwedischen Rechts. In Spanien hält sie über eine Tochtergesellschaft mehrere Enkelgesellschaften, die auf dem Gebiet der Papierwaren und Druckerei-Erzeugnisse tätig sind; gemeinsam bilden sie einen steuerlich integrierten Konzern. Da bei einer der Enkelgesellschaften seit dem Jahr 2003 Verluste in Höhe von 140 Mio. Euro aufgelaufen sind, plant Holmen, ihre Tätigkeit in Spanien einzustellen.
11 Holmen beantragte beim Skatterättsnämnd (Steuerrechtsausschuss, Schweden) einen Steuervorbescheid hinsichtlich der Frage, ob sie nach Abschluss der Abwicklung aufgrund der Rechtsprechung aus dem Urteil Marks & Spencer berechtigt sei, in Schweden einen Konzernabzug für diese Verluste vorzunehmen, die andernfalls, weil Verluste einer abgewickelten Gesellschaft im Jahr der Abwicklung nicht übertragen werden können, weder in Spanien noch – aufgrund der Voraussetzung einer unmittelbaren Beteiligung an der endgültige Verluste geltend machenden Tochtergesellschaft – in Schweden abzugsfähig wären.
12 Holmen beantragte den Bescheid des Skatterättsnämnd konkret für zwei Fallgestaltungen, wobei bei der einen die Tochtergesellschaft und die beiden Enkelgesellschaften in Spanien abgewickelt werden und bei der anderen die Tochtergesellschaft in ihrer verlustbringenden spanischen Enkelgesellschaft im Wege der umgekehrten Fusion aufgeht und anschließend die neue Einheit abgewickelt wird. Bei beiden Alternativen wäre Holmen während und nach der Abwicklung nicht mehr in Spanien tätig.
13 Gemäß dem Bescheid des Skatterättnämnd wäre bei der ersten Alternative kein Abzug möglich, bei der zweiten dagegen schon.
14 Der Skatterättsnämnd räumte ein, dass sein in Bezug auf die erste Alternative ablehnender Bescheid zu einer Beschränkung der Niederlassungsfreiheit führen würde, war aber der Auffassung, dass diese gemäß der sich aus dem Urteil Marks & Spencer ergebenden Rechtsprechung gerechtfertigt sein könne, sofern der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet werde und die fraglichen Verluste somit nicht einer der in Rn. 55 jenes Urteils geschilderten Fallgestaltungen entsprächen, die sogenannte „endgültige“ Verluste beträfen.
15 Gegen den Vorbescheid des Skatterättsnämnd wurde sowohl von der Finanzverwaltung als auch von Holmen ein Rechtsbehelf beim Högsta förvaltningsdomstol (Oberster Verwaltungsgerichtshof, Schweden) eingelegt.
16 Nach dessen Auffassung geht aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs zum einen nicht hervor, ob das Recht auf den Abzug endgültiger Verluste voraussetzt, dass die Tochtergesellschaft unmittelbar von der Muttergesellschaft gehalten wird, und zum anderen, ob für die Beurteilung der Verluste einer Tochtergesellschaft als endgültig die Möglichkeiten zu berücksichtigen sind, die das Recht des Sitzstaats der Tochtergesellschaft für andere Rechtssubjekte zur Geltendmachung dieser Verluste vorsieht und wie diese Regelung gegebenenfalls zu berücksichtigen ist.
17 Der Högsta förvaltningsdomstol (Oberster Verwaltungsgerichtshof) hat deshalb beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
Setzt die Berechtigung einer Muttergesellschaft in einem Mitgliedstaat – wie sie sich u. a. aus dem Urteil Marks & Spencer ergibt –, aufgrund von Art. 49 AEUV endgültige Verluste einer Tochtergesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat in Abzug zu bringen, voraus, dass die Tochtergesellschaft von der Muttergesellschaft direkt gehalten wird?
Ist ein Verlust auch insoweit als ein endgültiger Verlust anzusehen, als er aufgrund der Rechtsvorschriften im Sitzstaat der Tochtergesellschaft nicht mit den in einem bestimmten Jahr dort erzielten Gewinnen verrechnet werden konnte, sondern stattdessen vorgetragen wurde, um möglicherweise in einem kommenden Jahr abgezogen werden zu können?
Ist bei der Beurteilung, ob ein Verlust endgültig ist, die Tatsache zu berücksichtigen, dass die Abzugsmöglichkeit eines anderen Beteiligten als desjenigen, bei dem der Verlust entstanden ist, aufgrund der Rechtsvorschriften im Sitzstaat der Tochtergesellschaft beschränkt ist?
Wenn eine Beschränkung wie die in Frage 3 genannte zu beachten ist: Muss berücksichtigt werden, inwieweit die Beschränkung dazu geführt hat, dass ein Teil der Verluste faktisch nicht mit den Gewinnen eines anderen Beteiligten verrechnet werden konnte?
Zu den Vorlagefragen
18 Vorab ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof in den Rn. 43 bis 51 des Urteils Marks & Spencer festgestellt hat, dass eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit, durch die das Recht einer Gesellschaft zum Abzug der Verluste einer ausländischen Tochtergesellschaft eingeschränkt werden soll, während eine einheimische Tochtergesellschaft abzugsberechtigt wäre, durch das Erfordernis gerechtfertigt ist, eine ausgewogene Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse zwischen den Mitgliedstaaten zu wahren sowie der doppelten Verlustberücksichtigung und der Steuervermeidung entgegenzuwirken.
19 In Rn. 55 des Urteils Marks & Spencer weist der Gerichtshof jedoch darauf hin, dass auch eine grundsätzlich gerechtfertigte Beschränkung unverhältnismäßig ist, wenn der Sitzstaat der Muttergesellschaft für diese die Möglichkeit ausschließt, bei sich Verluste einer gebietsfremden Tochtergesellschaft zu berücksichtigen, die dann in einer der folgenden Situationen als endgültig qualifiziert werden:
Die gebietsfremde Tochtergesellschaft hat die im Staat ihres Sitzes für den von dem Abzugsantrag erfassten Steuerzeitraum sowie frühere Steuerzeiträume vorgesehenen Möglichkeiten zur Berücksichtigung von Verlusten ausgeschöpft, gegebenenfalls durch Übertragung dieser Verluste auf einen Dritten oder ihre Verrechnung mit Gewinnen, die die Tochtergesellschaft in früheren Zeiträumen erwirtschaftet hat, und
es besteht keine Möglichkeit, dass die Verluste der ausländischen Tochtergesellschaft im Staat ihres Sitzes für künftige Zeiträume von ihr selbst oder von einem Dritten, insbesondere im Fall der Übertragung der Tochtergesellschaft auf ihn, berücksichtigt werden.
Zur ersten Frage
20 Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob der Begriff der endgültigen Verluste einer gebietsfremden Tochtergesellschaft im Sinne von Rn. 55 des Urteils Marks & Spencer auf eine Enkelfiliale anwendbar ist.
21 Diese Frage stellt sich vor dem Hintergrund der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden schwedischen Rechtsvorschriften, die für einen Konzernabzug bei Verlusten gebietsfremder Tochtergesellschaften voraussetzen, dass eine unmittelbare Verbindung zwischen der den Konzernabzug beantragenden Muttergesellschaft und der gebietsfremden verlustbringenden Tochtergesellschaft besteht.
22 Diese Voraussetzung, die bei bestimmten Fallgestaltungen zum Ausschluss eines grenzüberschreitenden Konzernabzugs führt, kann aufgrund der in Rn. 18 des vorliegenden Urteils angeführten zwingenden Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein.
23 Wie der Gerichtshof in den Rn. 45 bis 52 des Urteils Marks & Spencer festgestellt hat, kann es zur Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten erforderlich sein, auf die wirtschaftliche Tätigkeit der in einem dieser Staaten niedergelassenen Gesellschaften sowohl in Bezug auf Gewinne als auch auf Verluste nur dessen Steuerrecht anzuwenden. Würde in dieser Hinsicht den Gesellschaften die Möglichkeit eingeräumt, für die Berücksichtigung ihrer Verluste im Mitgliedstaat ihrer Niederlassung oder aber in einem anderen Mitgliedstaat zu optieren, so würde dadurch die Ausgewogenheit der Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten erheblich beeinträchtigt, da die Besteuerungsgrundlage im ersten Staat um die übertragenen Verluste erweitert und im zweiten Staat entsprechend verringert würde. Im Übrigen müssen die Mitgliedstaaten die Möglichkeit haben, durch den Ausschluss des grenzüberschreitenden Abzugs sowohl der Gefahr der doppelten Verlustverrechnung als auch der Gefahr entgegenzuwirken, dass Konzerne Verlustübertragungen gezielt in Richtung von Gesellschaften leiten, die in den Mitgliedstaaten ansässig sind, in denen die höchsten Steuersätze gelten und folglich der steuerliche Wert der Verluste am höchsten ist.
24 Darüber hinaus muss eine Voraussetzung für den Konzernabzug wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende auch geeignet sein, die mit ihr verfolgten Ziele zu erreichen, und sie darf nicht über das hinausgehen, was erforderlich ist, um diese Ziele zu erreichen.
25 Insoweit sind zwei Situationen zu unterscheiden.
26 Die erste Situation betrifft den Fall, dass die Tochtergesellschaft(en), die zwischen der den Konzernabzug beantragenden Muttergesellschaft und der Enkelgesellschaft steht/stehen, bei der berücksichtigungsfähige Verluste entstehen, die als endgültig angesehen werden können, und diese Enkelgesellschaft ihren jeweiligen Sitz nicht im selben Mitgliedstaat haben.
27 In diesem Fall kann nicht ausgeschlossen werden, dass ein Konzern sich den Mitgliedstaat für die Geltendmachung endgültiger Verluste aussuchen kann und entweder den der übergeordneten Muttergesellschaft oder den einer möglicherweise zwischengeschalteten Tochtergesellschaft wählt.
28 Durch eine solche Wahlmöglichkeit könnten Strategien zur Optimierung der Steuersätze des Konzerns erlaubt werden, durch die die Wahrung der ausgewogenen Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse zwischen den Mitgliedstaaten gefährdet und eine mehrfache Verlustberücksichtigung möglich würde.
29 Also ist es nicht unverhältnismäßig, wenn ein Mitgliedstaat eine unmittelbare Verbindung zum grenzüberschreitenden Abzug verlangt, selbst wenn die Voraussetzungen aller anderen in Rn. 55 des Urteils Marks & Spencer genannten Fälle der Nichtübertragbarkeit vorlägen; dies gilt umso mehr, als die in jener Randnummer vorgesehene Ausnahme jedenfalls auf den Mitgliedstaat Anwendung findet, in dem die Tochtergesellschaft, von der die Enkelgesellschaft unmittelbar gehalten wird, ihren Sitz hat und bei dem ein die Verluste dieser Enkelgesellschaft betreffender Antrag auf Konzernabzug gestellt würde.
30 Bei der zweiten Situation geht es um den Fall, dass die Tochtergesellschaft(en), die zwischen der den Konzernabzug geltend machenden Muttergesellschaft und der Enkelgesellschaft steht/stehen, bei der berücksichtigungsfähige Verluste entstehen, die als endgültig angesehen werden können, und diese Enkelgesellschaft ihren jeweiligen Sitz im selben Mitgliedstaat haben. Dies scheint im Ausgangsverfahren der Fall zu sein, da sowohl die zwischengeschaltete Tochtergesellschaft von Holmen als auch deren verlustbringende Enkelgesellschaft ihren Sitz in Spanien haben.
31 Unter diesen Umständen entspricht die Gefahr einer Optimierung der Konzernsteuerquote durch die Auswahl des Mitgliedstaats der Verlustverrechnung und der mehrfachen Berücksichtigung der Verluste in mehreren Mitgliedstaaten den vom Gerichtshof in den Rn. 45 bis 52 des Urteils Marks & Spencer festgestellten Gefahren.
32 Daher wäre es unverhältnismäßig, wenn ein Mitgliedstaat eine Bedingung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende anwenden und eine unmittelbare Beteiligung an der entsprechenden Gesellschaft verlangen würde, wenn alle in Rn. 55 des Urteils Marks & Spencer genannten Voraussetzungen erfüllt sind.
33 Infolgedessen ist auf die erste Vorlagefrage zu antworten, dass der Begriff der endgültigen Verluste einer gebietsfremden Tochtergesellschaft im Sinne von Rn. 55 des Urteils Marks & Spencer nicht auf eine Enkelfiliale anwendbar ist, sofern nicht alle Gesellschaften, die zwischen der den Konzernabzug beantragenden Muttergesellschaft und der Enkelgesellschaft stehen, bei der berücksichtigungsfähige Verluste entstehen, die als endgültig angesehen werden können, ihren Sitz im selben Mitgliedstaat haben.
Zur dritten Frage
34 Mit seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, welche Bedeutung bei der Beurteilung der Frage, ob die Verluste einer gebietsfremden Tochtergesellschaft im Sinne von Rn. 55 des Urteils Marks & Spencer endgültig sind, dem Umstand beizumessen ist, dass der Sitzmitgliedstaat der Tochtergesellschaft im Jahr der Abwicklung keine Übertragung der Verluste einer Gesellschaft auf einen anderen Steuerpflichtigen erlaubt, während die Übertragung solcher Verluste der Gesellschaft für andere Steuerjahre zulässig ist.
35 Der Gerichtshof soll also entscheiden, ob eine Fallgestaltung wie die von Holmen geplante, bei der der Sitzmitgliedstaat der gebietsfremden Tochtergesellschaft im Jahr der Abwicklung die steuerliche Geltendmachung der Verluste nur bei der Gesellschaft zulässt, bei der sie entstanden sind, unter die vom Gerichtshof in Rn. 55 zweiter Gedankenstrich des Urteils Marks & Spencer genannten Situationen fällt, in denen keine Möglichkeit besteht, die Verluste einer ausländischen Tochtergesellschaft im Staat ihres Sitzes für künftige Zeiträume zu berücksichtigen.
36 Insoweit genügt der Hinweis, dass in der Begründung des Gerichtshofs in Rn. 55 zweiter Gedankenstrich des Urteils Marks & Spencer ausdrücklich darauf eingegangen wird, dass die Nichtübertragbarkeit, durch die die Verluste endgültig werden, sich auf die Berücksichtigung dieser Verluste in künftigen Steuerjahren durch einen Dritten beziehen kann, insbesondere bei einer Veräußerung der Tochtergesellschaft an diesen Dritten.
37 Folglich wären bei einer Fallgestaltung wie der von Holmen geplanten die Verluste, selbst wenn die Voraussetzungen aller anderen in Rn. 55 des Urteils Marks & Spencer genannten Fälle der Nichtübertragbarkeit gegebenenfalls vorlägen, auch dann nicht als endgültig anzusehen, wenn weiterhin eine Möglichkeit besteht, diese Verluste wirtschaftlich zu nutzen, indem sie vor dem Abschluss der Abwicklung auf einen Dritten übertragen werden.
38 Wie von der Generalanwältin in den Nrn. 57 bis 63 ihrer Schlussanträge ausgeführt, kann nämlich nicht von vornherein ausgeschlossen werden, dass ein Dritter die Verluste der Tochtergesellschaft in deren Sitzstaat steuerlich berücksichtigen kann, etwa nachdem diese gegen einen Preis, der den Wert des in der künftigen Abzugsfähigkeit der Verluste bestehenden Steuervorteils einbezieht, übertragen wurde (vgl. in diesem Sinne Urteil vom , A, C-123/11, EU:C:2013:84, Rn. 52 ff., sowie Urteil vom heutigen Tag, Memira Holding, C-607/17, Rn. 26).
39 Somit reicht bei einer der von Holmen geplanten Fallgestaltungen, wenn sie nicht nachweist, dass die in der vorstehenden Randnummer genannte Möglichkeit ausgeschlossen ist, allein der Umstand, dass das im Sitzstaat der Tochtergesellschaft geltende Recht im Jahr der Abwicklung keine Verlustübertragung zulässt, nicht aus, um die Verluste der Tochter- oder der Enkelgesellschaft als endgültig anzusehen.
40 Folglich ist auf die dritte Frage zu antworten, dass bei der Beurteilung der Frage, ob die Verluste einer gebietsfremden Gesellschaft im Sinne von Rn. 55 des Urteils Marks & Spencer endgültig sind, der Umstand, dass der Sitzmitgliedstaat der Tochtergesellschaft im Jahr einer Abwicklung keine Übertragung der Verluste einer Gesellschaft auf einen anderen Steuerpflichtigen zulässt, nicht entscheidend ist, sofern nicht die Muttergesellschaft nachweist, dass es ihr unmöglich ist, diese Verluste, insbesondere durch eine Übertragung, so geltend zu machen, dass sie bei einem Dritten für künftige Zeiträume berücksichtigt werden können.
Zur zweiten und zur vierten Frage
41 Mit seiner zweiten und seiner vierten Frage, die zusammen und als Letztes zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob für den Fall, dass der in der dritten Frage genannte Umstand relevant sein sollte, zu berücksichtigen wäre, dass aufgrund des Rechts des Sitzstaats der Tochtergesellschaft, bei der Verluste entstehen, die als endgültig angesehen werden können, ein Teil der Verluste aufgrund einer beschränkten Anrechenbarkeit der Verluste beim selben Rechtssubjekt vorgetragen werden musste oder nicht mit Gewinnen eines anderen Rechtssubjekts desselben Konzerns verrechnet werden durfte.
42 Insoweit sind, wie auch im Rahmen der Antwort auf die dritte Frage ausgeführt, jegliche sich aus dem Recht des Sitzstaats der Tochtergesellschaft für die Übertragung von Verlusten ergebenden Beschränkungen nicht entscheidend, solange die fehlende Möglichkeit einer Geltendmachung der Verluste durch einen Dritten, insbesondere nach einer Übertragung gegen einen den steuerlichen Wert dieser Verluste einbeziehenden Preis, nicht von der Muttergesellschaft nachgewiesen wurde.
43 Wird dieser Nachweis erbracht und sind die übrigen in Rn. 55 des Urteils Marks & Spencer genannten Voraussetzungen erfüllt, müssen die Finanzbehörden davon ausgehen, dass die Verluste einer gebietsfremden Tochtergesellschaft endgültig sind und es folglich unverhältnismäßig wäre, der Muttergesellschaft die Berücksichtigung dieser Verluste nicht zu gestatten.
44 Angesichts dessen kommt es für die Beurteilung der Frage, ob die Verluste endgültig sind, nicht darauf an, inwieweit die Möglichkeiten der verlustbringenden Gesellschaft zum Vortrag dieser Verluste beschränkt waren und inwieweit die Möglichkeiten anderer auch im Sitzmitgliedstaat der verlustbringenden Tochtergesellschaft ansässiger Rechtssubjekte desselben Konzerns, sich Verluste der Tochtergesellschaft übertragen zu lassen, beschränkt waren.
45 Folglich ist auf die zweite und auf die vierte Frage zu antworten, dass es für den Fall, dass der in der dritten Frage genannte Umstand relevant sein sollte, nicht darauf ankommt, inwieweit aufgrund des Rechts des Sitzstaats der Tochtergesellschaft, bei der Verluste entstehen, die als endgültig angesehen werden können, ein Teil dieser Verluste nicht mit laufenden Gewinnen der verlustbringenden Tochtergesellschaft oder eines anderen Rechtssubjekts desselben Konzerns verrechnet werden durfte.
Kosten
46 Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:
1. Der Begriff der endgültigen Verluste einer gebietsfremden Tochtergesellschaft im Sinne von Rn. 55 des Urteils vom , Marks & Spencer (C-446/03, EU:C:2005:763), ist nicht auf eine Enkelfiliale anwendbar, sofern nicht alle Gesellschaften, die zwischen der den Konzernabzug beantragenden Muttergesellschaft und der Enkelgesellschaft stehen, bei der berücksichtigungsfähige Verluste entstehen, die als endgültig angesehen werden können, ihren Sitz im selben Mitgliedstaat haben.
2. Bei der Beurteilung der Frage, ob die Verluste einer gebietsfremden Gesellschaft im Sinne von Rn. 55 des Urteils vom , Marks & Spencer (C-446/03, EU:C:2005:763), endgültig sind, ist der Umstand, dass der Sitzmitgliedstaat der Tochtergesellschaft im Jahr einer Abwicklung keine Übertragung der Verluste einer Gesellschaft auf einen anderen Steuerpflichtigen zulässt, nicht entscheidend, sofern nicht die Muttergesellschaft nachweist, dass es ihr unmöglich ist, diese Verluste, insbesondere durch eine Übertragung, so geltend zu machen, dass sie bei einem Dritten für künftige Zeiträume berücksichtigt werden können.
3. Für den Fall, dass der in Nr. 2 dieses Tenors genannte Umstand relevant sein sollte, kommt es nicht darauf an, inwieweit aufgrund des Rechts des Sitzstaats der Tochtergesellschaft, bei der Verluste entstehen, die als endgültig angesehen werden können, ein Teil dieser Verluste nicht mit laufenden Gewinnen der verlustbringenden Tochtergesellschaft oder eines anderen Rechtssubjekts desselben Konzerns verrechnet werden durfte.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:EU:C:2019:511
Fundstelle(n):
TAAAH-21232