Umsatzsteuerbefreite Lieferung von Gebäuden oder Gebäudeteilen vor dem Erstbezug; Einheitlichkeit der Leistung; wertsteigernde Zusatzleistungen; Vergütungen für nachträglich vereinbarte Sonderwünsche als Teil der grunderwerbsteuerlichen Gegenleistung
Leitsatz
1. Der deutsche Gesetzgeber hat in § 4 Nr. 9 Buchst. a UStG 1999 von der gemäß Art. 28 Abs. 3 Buchst. b i.V.m. Anhang F Nr. 16 der Richtlinie 77/388/EWG bestehenden Möglichkeit Gebrauch gemacht, die gemäß Art. 4 Abs. 3 Buchst. a von der Steuerbefreiung des Art. 13 Teil B Buchst. g der Richtlinie 77/388/EWG ausgenommene Lieferung von Gebäuden oder Gebäudeteilen vor dem Erstbezug weiterhin von der Umsatzsteuer zu befreien.
2. Beim Verkauf eines neu errichteten Gebäudes ist der über eine einfache „Grundausstattung” hinausgehende Einbau von zusätzlichen Treppen, Wänden, Fenstern, Duschen sowie die Errichtung von Garagen und Freisitzüberdachungen durch den Verkäufer jedenfalls dann ein Bestandteil der steuerfreien Grundstückslieferung, wenn das Gebäude dem Erwerber in dem gegenüber der „Grundausstattung” höherwertigen Zustand übergeben wird.
Gesetze: UStG 1999 § 1 Abs. 1UStG 1999 § 4 Nr. 9 Buchst. aUStG 1999 § 15 Abs. 1UStG 1999 § 14GrEStG § 9 Abs. 2 Nr. 1Richtlinie 77/388/EWG Art. 4 Abs. 3 Buchst. aRichtlinie 77/388/EWG Art. 13 Teil BBuchst. gBuchst. g Art. 28 Abs. 3 Buchst. b, Anhang F Nr. 16
Instanzenzug: (EFG 2005, 1387) (Verfahrensverlauf), ,
Gründe
I.
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist Organträgerin der Firma T, Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH). Die GmbH schloss mit Erwerbern notariell beurkundete Kauf- und Bauwerkverträge über den Verkauf eines Grundstückes oder Erbbaurechts bzw. Wohnungseigentumsrechts an einem Grundstück einschließlich eines gemäß der vereinbarten Baubeschreibung zu errichtenden Gebäudes bzw. einer zu errichtenden Wohnung. Der in jedem Vertrag vereinbarte einheitliche Festpreis für das Grundstück und das Gebäude lag zwischen 257 250 DM und 603 100 DM. Mit Ausnahme eines Vertrages enthielten die Verträge die Klausel, dass auf Wunsch der Käufer Abweichungen gegenüber der Baubeschreibung möglich und die dadurch eintretenden Preisänderungen schriftlich zu vereinbaren seien.
Nach Abschluss der notariell beurkundeten Verträge vereinbarte die GmbH mit den Erwerbern, die das erworbene Eigentum nach Fertigstellung des Objektes zumindest teilweise selber bezogen, die Ausführung von Zusatzleistungen, die vom zusätzlichen Einbau von Wänden, Treppen, Fenstern und Duschen bis zur zusätzlichen Errichtung von Garagen und Freisitzüberdachungen sowie der Verwendung höherwertigen Materials reichten. Die Entgelte für die Sonderleistungen betrugen zwischen 6 690 DM und 42 900 DM.
Nach Abschluss der Arbeiten einschließlich der Zusatzleistungen erteilte die GmbH den Erwerbern im Streitjahr (1999) Schlussrechnungen, in denen sie den vereinbarten Festpreis und das Entgelt für die jeweiligen Zusatzleistungen sowie die Preisabzüge für Minderkosten und Eigenleistungen der Erwerber abrechnete und dabei keine Umsatzsteuer offen auswies. In ihrer Umsatzsteuererklärung behandelte die Klägerin auch die Zusatzleistungen als nach § 4 Nr. 9 Buchst. a des Umsatzsteuergesetzes 1999 (UStG 1999) steuerbefreite Umsätze.
Im Rahmen einer bei der Klägerin durchgeführten Außenprüfung vertrat der Prüfer die Auffassung, die Sonderleistungen seien nicht umsatzsteuerbefreit, weil sie nicht der Grunderwerbsteuer unterlägen. Für die eventuelle Steuerbarkeit des Vorgangs nach dem Grunderwerbsteuergesetz (GrEStG) sei allein das notarielle Verpflichtungsgeschäft maßgeblich. Nachträgliche Änderungen des Umfangs des Bauauftrages hätten aber nur dann grunderwerbsteuerrechtliche Auswirkung, wenn auch der notarielle Vertrag geändert werde, was vorliegend nicht geschehen sei. Folglich unterlägen die Zusatzleistungen der Umsatzsteuer und dementsprechend sei auch der Vorsteuerabzug aus den zugehörigen Vorbezügen zu gewähren.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) folgte dieser Auffassung und änderte den Umsatzsteuerbescheid 1999, indem es die Zusatzleistungen der Umsatzsteuer unterwarf. Der Einspruch hatte keinen Erfolg.
Mit seinem in „Entscheidungen der Finanzgerichte” (EFG) 2005, 1387 veröffentlichten Urteil gab das Finanzgericht (FG) der Klage statt. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus:
Das FA habe die von der GmbH erbrachten Zusatzleistungen zu Unrecht als umsatzsteuerpflichtig behandelt, weil sie gemäß § 4 Nr. 9 Buchst. a UStG 1999 steuerfrei seien.
Nach § 4 Nr. 9 Buchst. a UStG 1999 seien die Umsätze umsatzsteuerbefreit, die unter das GrEStG fielen. Diese Regelung stelle nicht darauf ab, ob ein Entgelt beim Leistungsempfänger in die grunderwerbsteuerrechtliche Bemessungsgrundlage einzubeziehen sei. Die laut den Schlussrechnungen von der GmbH erbrachten Zusatzleistungen seien jedenfalls umsatzsteuerlich Nebenleistungen zu der steuerfreien Hauptleistung, bestehend aus der Grundstückslieferung und der Bauleistung laut dem Kauf- und Bauwerksvertrag mit der Folge, dass sie umsatzsteuerrechtlich das Schicksal der Hauptleistung teilten, selbst wenn —wie vorliegend— für die Nebenleistungen ein besonderes Entgelt verlangt und entrichtet worden sei.
Biete ein Unternehmer ein Grundstück mit einem noch zu errichtenden Gebäude, das nach der Baubeschreibung „ohne Komfort” nur eine „Grundnutzung” für Wohnzwecke ermögliche, zu einem Festpreis an, so gehe der Unternehmer regelmäßig als selbstverständlich davon aus, dass jedenfalls der Erwerber, der die Selbstnutzung des Gebäudes plane und den Erwerb nicht nur als reine Kapitalanlage etwa durch Fremdvermietung ansehe, Zusatzleistungen mit dem Ziel der Steigerung des Wohnwertes und der Nutzungsmöglichkeit des erworbenen Objektes beauftrage. Selbstnutzer entsprächen im Regelfall dieser Erwartung und beauftragten, nur begrenzt durch ihre finanziellen Möglichkeiten und durch den für das Grundstück bauplanungsrechtlich vorgegebenen Rahmen, Sonderleistungen, die teilweise bereits bei Abschluss des notariellen Vertrages feststünden, spätestens aber in der Bauphase angefragt und in Auftrag gegeben würden, und die, wie gerichtsbekannt sei, vom Einbau besserer Materialien über Veränderungen im Zuschnitt der Räume bis zur Schaffung zusätzlicher Wohn- und Abstellflächen reichen könnten. In allen Erwerbsfällen habe die GmbH Zusatzleistungen erbracht, die allein dazu dienten, eine nach den Vorstellungen des jeweiligen Erwerbers im Vergleich zum Nutzungswert laut Baubeschreibung „verbesserten Wohnwert” des erworbenen Objektes zu ermöglichen.
Mit der Revision macht das FA Verletzung materiellen Rechts geltend. Es trägt vor, das FG habe den Begriff der Nebenleistung unzutreffend ausgelegt. Gegenstand und Umfang der Werklieferung seien durch den notariell beurkundeten Kauf- und Bauwerkvertrag und die dazu gehörende Baubeschreibung abschließend geregelt. Nachträglich vereinbarte Leistungen, die darüber hinausgingen, stellten weitere selbständige Lieferungen dar.
Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
II.
Die Revision ist unbegründet. Sie war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung —FGO—). Das FG hat die von der Klägerin erbrachten sog. Zusatzleistungen zutreffend als gemäß § 4 Nr. 9 Buchst. a UStG 1999 umsatzsteuerfrei behandelt.
Von den unter § 1 Abs. 1 Nrn. 1 bis 3 UStG 1999 fallenden Umsätzen sind gemäß § 4 Nr. 9 Buchst. a UStG 1999 steuerfrei die Umsätze, die unter das GrEStG fallen. Zu den unter § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1999 fallenden Umsätzen gehören die Lieferungen und sonstigen Leistungen, die ein Unternehmer im Inland im Rahmen seines Unternehmens ausführt.
a) Die Steuerbefreiung in § 4 Nr. 9 Buchst. a UStG 1999 weicht von Art. 13 Teil B Buchst. g der Sechsten Richtlinie des Rates vom zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) ab. Danach befreien die Mitgliedstaaten
„g) die Lieferungen von Gebäuden oder Gebäudeteilen und dem dazugehörigen Grund und Boden, mit Ausnahme der in Artikel 4 Absatz 3 Buchstabe a) bezeichneten Gegenstände;”.
In Art. 4 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 77/388/EWG ist bezeichnet die „Lieferung von Gebäuden oder Gebäudeteilen und dem dazugehörigen Grund und Boden, wenn sie vor dem Erstbezug erfolgt”.
Das Gemeinschaftsrecht unterscheidet somit zwischen Neubauten und Baugrundstücken einerseits sowie Altbauten und sonstigen Grundstücken andererseits. Werden —wie hier— Neubauten von einem Unternehmer verkauft, unterliegt dies der Umsatzsteuer, weil die Lieferung von Gebäuden oder Gebäudeteilen, die vor dem Erstbezug erfolgt, von der Befreiung durch Art. 13 Teil B Buchst. g der Richtlinie 77/388/EWG ausgenommen ist.
Gemäß Art. 28 Abs. 3 Buchst. b i.V.m. Anhang F Nr. 16 der Richtlinie 77/388/EWG können die Mitgliedstaaten diese Umsätze aber während der noch nicht abgelaufenen Übergangszeit aus Art. 28 Abs. 4 der Richtlinie 77/388/EWG weiterhin befreien. Deutschland hat von dieser Möglichkeit in den Grenzen der in § 4 Nr. 9 Buchst. a UStG 1999 getroffenen Regelung Gebrauch gemacht.
b) Der zu beurteilende Sachverhalt ist zunächst umsatzsteuerrechtlich zu erfassen und erst danach grunderwerbsteuerrechtlich zu würdigen (, BFH/NV 1994, 198; vom V R 99/88, BFHE 169, 255, BStBl II 1993, 316; vom V R 87/86, BFHE 166, 185, BStBl II 1992, 206; vom V R 53/85, BFHE 164, 482, BStBl II 1991, 737; vgl. , BFH/NV 1995, 456).
aa) Die streitigen Zusatzleistungen sind Bestandteil der ausgeführten Grundstückslieferungen. Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften hat zur einheitlichen Leistung sowie zum Verhältnis von Haupt- und Nebenleistung im Urteil vom C-453/05, Ludwig (Umsatzsteuer-Rundschau 2007, 617 Randnrn. 17, 18) Folgendes ausgeführt:
„Aus Art. 2 Abs. 1 der Sechsten Richtlinie, der den Anwendungsbereich dieser Richtlinie definiert, ergibt sich, dass jede Dienstleistung in der Regel als eigene, selbständige Leistung zu betrachten ist und dass eine wirtschaftlich einheitliche Dienstleistung im Interesse eines funktionierenden Mehrwertsteuersystems nicht künstlich aufgespalten werden darf, so dass das Wesen des fraglichen Umsatzes zu ermitteln ist, um festzustellen, ob der Steuerpflichtige dem Verbraucher mehrere selbständige Hauptleistungen oder eine einheitliche Leistung erbringt, wobei auf die Sicht des Durchschnittsverbrauchers abzustellen ist (Urteil vom , CPP, C-349/96, Slg. 1999, I-973, Randnr. 29).
Eine einheitliche Leistung liegt insbesondere dann vor, wenn ein oder mehrere Teile die Hauptleistung, ein oder mehrere andere Teile dagegen Nebenleistungen darstellen, die das steuerliche Schicksal der Hauptleistung teilen. Eine Leistung ist als Nebenleistung zu einer Hauptleistung anzusehen, wenn sie für die Kundschaft keinen eigenen Zweck, sondern das Mittel darstellt, um die Hauptleistung des Leistungserbringers unter optimalen Bedingungen in Anspruch zu nehmen (Urteile vom , Madgett und Baldwin, C-308/96 und C-94/97, Slg. 1998, I-6229, Randnr. 24, und CPP, Randnr. 30).”
bb) Das entspricht auch der Rechtsprechung des Senats (, BFHE 207, 560, BStBl II 2005, 802; , BFH/NV 2007, 116).
cc) Danach hat das FG im Ergebnis zu Recht die Lieferung der neu errichteten Gebäude und Wohnungen und die damit in unmittelbarem Zusammenhang erbrachten Zusatzleistungen als eine einheitliche steuerfreie Grundstückslieferung beurteilt.
Bei den Zusatzleistungen hat es sich zwar nicht um Nebenleistungen gehandelt, weil sie nicht lediglich dazu dienten, die Hauptleistung „Lieferung eines bebauten Grundstücks bzw. einer Wohnung” unter optimalen Bedingungen in Anspruch zu nehmen. Aus der Sicht des Durchschnittsverbrauchers ist aber beim Erwerb eines neu errichteten Gebäudes der über eine „Grundausstattung” hinausgehende Einbau von zusätzlichen Wänden, Treppen, Fenstern und Duschen, die Errichtung von Garagen und Freisitzüberdachungen sowie die Verwendung höherwertigen Materials durch den Veräußerer jedenfalls dann ein Bestandteil der steuerfreien Grundstückslieferung, wenn diese Zusatzleistungen —wie hier— mit der Grundstückslieferung insoweit in unmittelbarem Zusammenhang stehen, als die Immobilie dem Erwerber vom Veräußerer in gegenüber der „Grundausstattung” höherwertigem, umfangreicherem oder verbessertem Zustand übergeben wird. Ob die Zusatzleistungen dabei in den notariell beurkundeten Grundstückskaufvertrag aufgenommen oder in einem gesonderten Vertrag vereinbart worden sind, ist für die umsatzsteuerrechtliche Beurteilung unerheblich. Über die Frage, inwieweit spätere, d.h. nach Übergabe des Gebäudes/der Wohnung erbrachte Bauleistungen unter den Befreiungstatbestand fallen können, brauchte der Senat nicht zu entscheiden.
c) Da die von der Klägerin ausgeführten Zusatzleistungen umsatzsteuerrechtlich unselbständiger Teil der Grundstückslieferung sind, „fallen sie” i.S. des § 4 Nr. 9 Buchst. a UStG 1999 wie diese unter das GrEStG und werden von dieser Steuerbefreiung umfasst.
Im Übrigen sind auch grunderwerbsteuerrechtlich Vergütungen für nachträglich vereinbarte Sonderwünsche gemäß § 9 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG der Gegenleistung zuzurechnen (, BFHE 213, 239, BStBl II 2006, 604).
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
Fundstelle(n):
BStBl 2008 II Seite 697
BB 2008 S. 1031 Nr. 20
BB 2008 S. 1438 Nr. 27
BFH/NV 2008 S. 1081 Nr. 6
BFH/PR 2008 S. 358 Nr. 8
BStBl II 2008 S. 697 Nr. 15
DStRE 2008 S. 883 Nr. 14
GStB 2008 S. 26 Nr. 7
GStB 2008 S. 353 Nr. 10
HFR 2008 S. 836 Nr. 8
KÖSDI 2008 S. 16053 Nr. 6
NWB-Eilnachricht Nr. 20/2008 S. 1834
SJ 2008 S. 10 Nr. 12
StB 2008 S. 192 Nr. 6
StBW 2008 S. 5 Nr. 10
StuB-Bilanzreport Nr. 11/2008 S. 444
UR 2008 S. 505 Nr. 13
UStB 2008 S. 165 Nr. 6
UVR 2008 S. 324 Nr. 11
PAAAC-77913